BVwG W197 2168379-1

BVwGW197 2168379-130.8.2017

BFA-VG §22a Abs1
B-VG Art.133 Abs4
Dublin III-VO Art.28 Abs1
Dublin III-VO Art.28 Abs2
FPG §76 Abs2 Z1
Gebührengesetz 1957 §14 TP6 Abs5
VwG-AufwErsV §1 Z1
VwGVG §35 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2017:W197.2168379.1.00

 

Spruch:

W197 2168379-1/4E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Samsinger als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit Irak, vertreten durch ARGE Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.08.2017, Zahl: 1163426800-170935538 zu Recht erkannt:

 

A)

 

I. Der Beschwerde wird stattgegeben, und die Anhaltung vom 10.08.2017, 14.00 Uhr bis zur Entlassung von XXXX für rechtswidrig erklärt.

 

II. Der Bund hat gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z. 1 VwG-AufwErsV der Beschwerdeführerin den Verfahrensaufwand in Höhe von € 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

III. Der Antrag, die Beschwerdeführerin von der Eingabegebühr zu befreien, wird als unzulässig zurückgewiesen.

 

B)

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Die Beschwerdeführerin (BF) ist irakische Staatsangehörige, ihre Identität steht nicht fest.

 

2. Die BF reiste mit ihren Geschwistern illegal durch die Türkei, Rumänien und am 08.08.2017 illegal ins Bundesgebiet ein und versuchte am 09.08.2017 nach Deutschland weiterzureisen, wo ein Teil der Familie lebt. An der Grenze wurden die BF und ihre Geschwister an der Einreise nach Deutschland gehindert und den Sicherheitskräften in Österreich übergeben.

 

3. Am 09.08.2017 wurde von der Behörde ein Festnahmeauftrag erlassen, die BF und ihre Geschwister festgenommen und der Behörde am 10.08.2017 vorgeführt und einvernommen.

 

4. In ihrer Einvernahme bestritt die BF trotz Eurodag-Treffers am 01.08.2017 in Rumänien einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie gab an in Österreich mittel- und einkommenslos zu sein, im Bundesgebiet keine Familienangehörige oder sonstige soziale Kontakte zu haben und nicht nach Rumänien zurückkehren zu wollen.

 

5. Über die BF wurde nach Abschluss der Einvernahme mit dem nunmehr angefochtenen Mandatsbescheid vom 10.08.2017 gem. Art 28 Abs. 1 und 2 der Dublin-III-VO i.V.m. § 76 Abs. 2 Z. 2 die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Außerlandesbringung und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der Bescheid wurde ihr um 14.00 Uhr persönlich zugestellt.

 

6. Unter Anleitung eines Rechtsberaters der Diakonie stellte die BF am 17.08.2017 einen Asylantrag, zu dem sie am 18.08.2017 erstbefragt wurde. Zugleich wurde ihr mitgeteilt, dass mit Rumänien ein Konsultationsverfahren eingeleitet wurde. Weiters wurde ihr ein Aktenvermerk gem. § 76 Abs. 6 FPG ausgehändigt.

 

7. Gegen den Mandatsbescheid, die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft erhob die BF durch ihren Rechtsvertreter Beschwerde und begründete diese unter anderem mit fehlender Fluchtgefahr, der mangelnden Verhältnismäßigkeit der Schubhaftverhängung sowie Verfahrensfehlern. Die BF habe Anspruch auf Grundversorgung und würde mit den Behörden kooperieren. Beantragt wurde den Bescheid zu beheben und auszusprechen, dass die Anordnung und Anhaltung der BF in Schubhaft rechtswidrig sei sowie der Ausspruch, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung nicht vorliegen. Beantragt wurde schließlich die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, sowie Kostenersatz bzw. Kosten im gesetzlichen Ausmaß.

 

8. Die Behörde legte die Akten vor und beantragte die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen und festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgebenden Voraussetzungen vorliegen.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen

 

1.1. Die BF ist illegal in Österreich eingereist, im Bundesgebiet weder familiär, beruflich noch sozial im Bundesgebiet integriert, mittellos und nicht in der Lage ihren Unterhalt auf legale Art sicher zu stellen.

 

1.2. Die BF ist in Österreich auf Grund ihres Asylantrags von der Grundversorgung nicht ausgeschlossen.

 

1.3. Im Hinblick auf die Fluchtgefahr nicht festgestellt werden können, in der Judikatur des VwGH so bezeichnete, besondere Gesichtspunkte die erkennen lassen, dass eine von den typischen Dublin-Fällen abweichende Konstellation vorliegt, aus der konkrete Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung des Fremden geschlossen werden könnten.

 

2. Beweiswürdigung

 

2.1. Verfahrensgang und die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus den vorgelegten Verwaltungsakten der Behörde, dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts, und der erhobenen Beschwerde.

 

2.2. Die BF ist wegen ihres nur kurzen Aufenthalts im Bundesgebiet und der darin begründeten fehlenden Integration auf Unterkunft, Verpflegung und allenfalls medizinische Betreuung in einer Grundversorgungsstelle angewiesen. Sie ist im Hinblick auf das laufende Verfahren gem. § 2 Abs. 1 GV-G von der Grundversorgung nicht ausgeschlossen. Auf Grund ihres bisherigen Verhaltens und drohender Obdachlosigkeit ist sohin nicht davon auszugehen, dass die BF im Falle ihrer Freilassung aus der Schubhaft auf die für sie existentiell notwendigen Leistungen aus der Grundversorgung verzichten und stattdessen untertauchen würde. Vielmehr ist anzunehmen, dass sich die BF an der zugewiesenen Unterkunft den Behörden im Verfahren bereithalten wird.

 

2.3. Aus dem bisherigen Verhalten der BF und im Hinblick ihres Anspruchs auf Grundversorgung hat die Behörde unter Zugrundelegung der Judikatur des VwGH keine entscheidungsrelevante Fluchtgefahr dartun können. In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die Höchstgerichte dem Schutz der Freiheit der Fremden im Schubhaftverfahren nachvollziehbar zentrale Bedeutung zubilligen. Demgegenüber räumt der VwGH allerdings dem öffentlichen Interesse auf einen wirksamen Vollzug des Fremdenrechts durch Außerlandesbringung rechtsgrundlos im Bundesgebiet aufhältiger Fremde im Rahmen der Schubhaft nur untergeordneten Stellenwert zu. Dies auch vor dem Hintergrund der alljährlichen illegalen Einreise 10.000er undokumentierter Flüchtlinge, denen nach aufwendigen Asylverfahren in Österreich kein Schutz und Aufenthaltsrecht zu gewähren war. Die rechtlichen Voraussetzungen, in solchen Fällen die Schubhaft zu verhängen, werden durch die Judikatur derart eingeengt, dass die Außerlandesbringung dadurch wesentlich behindert bzw. verunmöglicht wird. In diesem Sinne ist der VwGH in seinem Beschluss vom 15. September 2016, RA 2016/21/0256-3, den diesbezüglichen Ausführungen des BVwG auch nicht substantiell entgegengetreten. Der Verwaltungsgerichtshof ist mit seiner, die Schubhaft zur Bedeutungslosigkeit zu reduzierenden Judikatur auch nicht im Einklang mit der Europäischen Kommission, welche die EU-Staaten zu mehr Entschlossenheit bei Abschiebungen aufgefordert hat. Demnach sei es gemäß EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos "nicht akzeptabel, dass diejenigen, die kein Bleiberecht in der EU haben, irregulär oder heimlich in den Mitgliedsländern bleiben. [ ] Rückführung und Rückübernahme sind von größter Bedeutung. [ ] Es darf keinen Raum für einen Missbrauch des Systems geben." Die Europäische Kommission als Hüterin der Verträge bringt damit das bestehende große öffentliche Interesse an einem effizienten Vollzug des Fremdenrechts in den Nationalstaaten Europas deutlich zum Ausdruck, das, ohne in die Rechte der Fremden einzugreifen, in der Judikatur der nationalen Höchstgerichte seine Abbildung finden muss.

 

 

https://www.welt.de/politik/ausland/article168122912/Bruessel-fordert-von-Deutschland-entschlossenere-Abschiebungen.html

 

2.4. Da der Sachverhalt aufgrund der Akten unter Berücksichtigung der Beschwerde in allen Punkten geklärt ist, konnte von der Anberaumung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden. Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife der Sache nicht mehr aufzunehmen.

 

3. Rechtliche Beurteilung

 

3.1. Zu Spruchpunkt A. I – Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft

 

3.1.1. Gemäß § 76 Abs. 4 FPG ist die Schubhaft mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft.

 

3.1.2. Gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist (Z 1), er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde (Z 2), oder gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde (Z 3).

 

3.1.3. Gemäß §76 FPG können Fremde festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn 1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder 2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird.

 

3.1.4. Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig. Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann. Die Verhängung der Schubhaft darf stets nur ultima ratio sein.

 

3.1.5. Die Behörde hat im Sinne der angewendeten gesetzlichen Bestimmungen zu Unrecht die Schubhaft wegen erheblicher Fluchtgefahr angeordnet, da im Hinblick auf den konkreten Sachverhalt und des bisherigen Verhaltens des BF nicht davon ausgegangen werden kann, dass er sich derzeit dem Zugriff der Behörden entziehen werde.

 

3.1.6. Die Verhängung der Schubhaft ist auch nicht verhältnismäßig, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Sicherungszweck durch Anordnung eines gelinderen Mittels erreicht hätte werden können. Sollte sich der BF allerdings in der Folge von der zugewiesenen Grundversorgungsstelle entfernen, wird die Verhängung der Schubhaft zulässig sein.

 

3.1.7. Aufgrund der gebotenen Entlassung des BF war ein Abspruch über die weitere Anhaltung in Schubhaft obsolet, zumal die Voraussetzungen hiefür nicht vorliegen. Nicht einzugehen war auch auf die weiteren rechtlichen Ausführungen in der Beschwerde.

 

3.2 Zu Spruchpunkt A.II und A.III – Kostenbegehren

 

3.2.1. Die beschwerdeführende Partei begehrte den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da sie in der Sache vollständig obsiegte, steht ihr alleine der Ersatz ihrer Aufwendungen zu.

 

3.2.2. Mangels gesetzlicher Bestimmungen war der Antrag des BF auf Befreiung der Entrichtung von Eingabegebühr bzw. dessen Refundierung zurückzuweisen. Dass die Eingabegebühr das Rechts des Beschwerdeführers auf Zugang zu Gericht beschneidet, trifft im Hinblick auf die geringe Höher nicht zu. Dieser Gebührensatz kann keineswegs als prohibitiv hoch angesehen werden.

 

Zu Spruchpunkt B – Revision

 

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen. Da dies nicht der Fall ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

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