BVwG L502 1418741-1

BVwGL502 1418741-122.9.2014

AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z1
B-VG Art.133 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs3
AsylG 2005 §6 Abs1 Z2
AsylG 2005 §6 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3a
AsylG 2005 §9 Abs2 Z1
B-VG Art.133 Abs4

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2014:L502.1418741.1.00

 

Spruch:

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA Türkei, gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.03.2011, Zl. 1100.489-BAG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.10.2013 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

"Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 AsylG 2005 idgF abgewiesen."

II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II mit der Maßgabe abgewiesen, dass dieser zu lauten hat:

"Der Antrag auf internationalen Schutz von XXXX wird bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG 2005 idgF abgewiesen."

III. Gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 idgF wird festgestellt, dass die Abschiebung von XXXX in die Türkei unzulässig ist.

IV. Spruchpunkt III des Bescheides wird ersatzlos aufgehoben.

C) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: BF) stellte im Gefolge seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 17.01.2011 an der Erstaufnahmestelle-Ost des (vormaligen) Bundesasylamtes einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung gab er dort in türkischer Sprache an, er sei türkischer Staatsangehöriger, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe sowie der alewitischen Glaubensgemeinschaft, ledig und zuletzt in XXXX wohnhaft gewesen.

Er habe schon im Jahr 1992 die Türkei in den Nordirak verlassen, wo er der PKK beigetreten sei und sich bis 2006 in der Region um XXXX aufgehalten habe. Er sei dort für die Pressarbeit der PKK zuständig gewesen. 2006 habe er nicht mehr für die PKK aktiv sein wollen und sei er dann in das Flüchtlingslager XXXX im Nordirak übersiedelt, wo er Propagandaarbeit gemacht habe und als Lehrer tätig gewesen sei. An Kampfhandlungen der PKK sei er nicht beteiligt gewesen. XXXX habe er am 19.12.2010 auf dem Landweg in den Iran verlassen. Von dort ausgehend sei er dann in einem LKW versteckt schlepperunterstützt nach Österreich gereist, wo er am 13.01.2011 eingelangt sei. In die Türkei könne er wegen seiner früheren Aktivitäten für die PKK nicht mehr zurückkehren, denn er würde dort mit Sicherheit verhaftet werden, da die türkischen Behörden von seiner Vergangenheit wüssten. Zudem müsste er in der Türkei den Militärdienst ableisten.

Ein Identitätsdokument legte der BF nicht vor.

2. Im Gefolge der Zulassung des Verfahrens wurde der BF am 17.03.2011 an der Außenstelle Graz des Bundesasylamtes in türkischer Sprache niederschriftlich einvernommen.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich brachte er vor, er wohne bei seiner Schwester, einer österr. Staatsbürgerin, die ihn ebenso wie ein in Österreich aufenthaltsberechtigter Bruder materiell unterstütze. Darüber hinaus beziehe er Leistungen der Grundversorgung. Er stehe im Übrigen wegen einer (aktuell nicht ansteckenden) TBC-Erkrankung in ärztlicher Behandlung.

In der Türkei, in der Stadt XXXX, halte sich weiterhin seine Mutter auf, sein Vater sei bereits verstorben, drei weitere Schwestern von ihm würden sich ebenfalls noch in der Türkei aufhalten, eine weitere Schwester in Großbritannien, ein weiterer Bruder in Deutschland.

Zu seinen früheren Lebensumständen in der Türkei ergänzte er, er sei letztmalig Ende 1991 dort aufhältig gewesen. Er sei damals Student an der Technischen Universität in XXXX gewesen. Als sich zu dieser Zeit die PKK neu formiert habe, habe er sich zusammen mit 13 anderen Studenten der PKK angeschlossen. In der Folge hätten sie im Südosten der Türkei in der Gegend um XXXX für ca. sieben Monate eine ideologische und militärische Ausbildung erhalten. Er sei sodann in den Nordirak verlegt worden, wo er sich jeweils unterschiedlich lange in einzelnen Stützpunkten der PKK aufgehalten habe. Aufgrund seines hohen Bildungsniveaus sei er dort in der Öffentlichkeitsarbeit der PKK tätig gewesen, im Genaueren habe er an der Erstellung von Informationsschreiben, Flugblättern und Zeitungen mitgearbeitet sowie Aussagen von PKK-Kommandanten redigiert und für eine Publikation aufbereitet. Ab 2000 habe die PKK dort auch eine eigene Druckerei für diese Zwecke gehabt. 2006 habe er sodann - auch wegen seines angeschlagenen Gesundheitszustands - die PKK verlassen wollen, was nach einiger Zeit von seinen Vorgesetzten akzeptiert wurde, und habe er sich dann in das Flüchtlingslager XXXX im Nordirak begeben. Seinen Lebensunterhalt habe er dann aus finanziellen Zuwendungen seiner Geschwister im Ausland bestritten. Als es ab 2008 Gespräche zwischen der türkischen und der irakischen Regierung zur Lösung der Kurdenproblematik und über die mögliche Auflösung der kurdischen Flüchtlingslager im Irak gegeben habe und 2009 auch die Zugangskontrollen zum Lager in XXXX verschärft wurden, habe er Angst bekommen in die Türkei zurückkehren zu müssen, wo er wegen seiner PKK-Zugehörigkeit mit einer sehr langen Haftstrafe rechnen müsste. Nach Rücksprache mit seinen Geschwistern im Ausland habe er daher mit deren Unterstützung seine schlepperunterstützte Reise nach Österreich organisiert.

Als Beweismittel legte der BF einen Zeitungsartikel einer Lokalzeitung aus XXXX vom April 1992 vor, in dem über die mögliche PKK-Zugehörigkeit von Studenten der dortigen Universität berichtet wurde und in dem der BF eine namentliche Erwähnung fand. Weiter legte er Nachweise von Bargeldüberweisungen zu seinen Gunsten von Österreich in den Irak aus den Jahren 2008 und 2009 vor.

Zu den ihm zur Kenntnis gebrachten länderkundlichen Informationen des Bundesasylamtes zum Thema "Die PKK und Amnestien für deren Kämpfer" verwies er auf Berichte, denen zufolge ehemalige PKK-Kämpfer, die diese Amnestieregelung in Anspruch genommen hatten, nun als Informanten für die türkische Regierung arbeiten würden. Er selbst müsse jedenfalls bei einer Einreise in die Türkei mit einer langjährigen Haftstrafe rechnen.

3. Der Antrag des BF wurde von der belangten Behörde mit Bescheid vom 21.02.2011 gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 abgewiesen und ihm der Status eines Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs 1 AsylG wurde ihm auch nicht der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf die Türkei zuerkannt (Spruchpunkt II.). Gemäß § 10 Abs 1 AsylG wurde er aus Österreich in die Türkei ausgewiesen (Spruchpunkt III).

Die belangte Behörde stellte die Angaben des BF zu seiner Person, seinen familiären Verhältnissen und seinem Reiseweg ebenso wie seine Angaben zu seiner Mitgliedschaft bei bzw. Tätigkeit für die PKK als glaubhaft fest. Eine asylrelevante oder sonstige Bedrohung bei einer Rückkehr in die Türkei sei jedoch nicht feststellbar gewesen. Darüber hinaus wurden umfangreiche länderkundliche Feststellungen getroffen.

Im Rahmen der Beweiswürdigung hielt die belangte Behörde fest, dass sich die Feststellungen zur Person des BF auf seine zwar nicht dokumentierten, jedoch angesichts seiner Sprach- und geografischen Kenntnisse glaubwürdigen persönlichen Angaben stützen. Auch sein Vorbringen zu seinen Antragsgründen sei angesichts seiner Detailkenntnisse und seines glaubwürdigen persönlichen Vortrags als glaubhaft zu bewerten gewesen. Im Lichte der türkischen Amnestiegesetzgebung für ehemalige PKK-Angehörige und deren Umsetzung sei jedoch von keiner staatlichen Verfolgung bei einer Einreise in die Türkei, sondern von einer möglichen Wiedereingliederung in die Gesellschaft ohne drohende langjährige Haftstrafen auszugehen, insbesondere da der BF persönlich an keinen Kampfhandlungen teilgenommen habe, sondern ausschließlich redaktionelle Tätigkeiten ausgeübt habe.

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung wurde ausgeführt, dass mangels festgestellter individueller Verfolgungsgefahr für den BF aus einem der in der GFK genannten Gründe keine Asylgewährung möglich sei. Im Hinblick auf die Frage der Gewährung subsidiären Schutzes sei auf die mögliche wirtschaftliche Unterstützung durch Verwandte wie schon in der Vergangenheit zu verweisen, weshalb bei einer Rückkehr in die Türkei von keiner die Existenz des BF bedrohenden Lage trotz jahrzehntelanger Abwesenheit auszugehen sei. Die aktuelle medizinische Behandlung des BF sei auch in der Türkei verfügbar. Die Ausweisung stelle sich mangels unverhältnismäßigen Eingriffs in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte des BF als rechtskonform dar.

Die Zustellung des Bescheides erfolgte durch Hinterlegung beim Postamt mit Wirksamkeit vom 24.03.2011.

4. Gegen den erstinstanzlichen Bescheid wurde vom BF in vollem Umfang innerhalb offener Frist Beschwerde erhoben, wobei auf das erstinstanzliche Vorbringen verweisend u.a. vorgebracht wurde, dass sich im Oktober 2009 eine Gruppe von 34 Personen aus dem Lager in XXXX in die Türkei begeben habe, die - mit einer Ausnahme - am Folgetag festgenommen worden seien. Die Inanspruchnahme der sogen. Reuegesetze sei von diesen Personen in der Folge aus Gründen der politischen Überzeugung abgelehnt worden, weshalb sie sich noch immer in Haft befänden. Verwiesen wurde weiter auf zahlreiche Gerichtsverfahren in der Türkei gegen kurdische Aktivisten, Politiker, Journalisten und vermeintliche PKK-Sympathisanten. Der rechtlichen Beurteilung der belangten Behörde im gg. Verfahren sei im Hinblick darauf entgegen zu treten.

Als weitere Beweismittel legte der BF Bestätigungsschreiben der Gemeindeverwaltung sowie der Schulbehörde in XXXX jeweils vom 29.03.2011 in türkischer Sprache vor.

5. Die Beschwerdevorlage an den (vormaligen) Asylgerichtshof (AsylGH) erfolgte mit 12.04.2011.

6. Mit Schreiben des AsylGH vom 12.07.2012 wurde der BF zur Vorlage eines türkischen Identitätsdokuments aufgefordert.

Mit Schreiben vom 21.07.2012 replizierte der BF, dass er nicht mehr im Besitz eines türkischen Personalausweises (Nüfus) sei. Er habe allerdings schon erstinstanzlich einen Familienregisterauszug vorgelegt, dem seine persönlichen Daten zu entnehmen seien.

7. Die vom BF mit der Beschwerde vorgelegten Bestätigungsschreiben ließ der AsylGH amtswegig übersetzen, Bezug nehmend auf deren Inhalt gab der AsylGH mit 24.07.2012 Recherchen vor Ort zur Überprüfung dieser Angaben in Auftrag.

Nach mehrmaligen Urgenzen des AsylGH ersuchte der Auftragnehmer schließlich am 17.04.2013 den AsylGH um Mitteilung ergänzender Informationen durch den BF über seinen ehemaligen Codenamen bei der PKK sowie den Codenamen des früheren Leiters des Lagers in XXXX und die Bezeichnung der Schule, an der der BF unterrichtet habe, sowie um Übermittlung eines Fotos des BF.

Mit 17.04.2013 dazu vom AsylGH aufgefordert übermittelte der BF per 24.04.2013 die erbeteten Informationen sowie zusätzliche Informationen über die Lagerorganisation und eine Farbkopie eines Ausweises als EDV-Lehrer einer Frauenstiftung in XXXX samt Lichtbild. Diese Informationen wurden mit 25.04.2013 an den Auftragnehmer weitergeleitet.

8. Mit 24.05.2013 erstellte dieser einen Recherchebericht an den AsylGH, der die Angaben des BF über seinen Aufenthalt und seine Tätigkeit als Lehrer in XXXX im Wesentlichen bestätigte.

9. Am 02.10.2013 führte der AsylGH eine mündliche Verhandlung im Beschwerdeverfahren des BF in dessen Beisein, dem einer bevollmächtigten rechtskundigen Vertreterin sowie seines in Österreich lebenden Bruders als Zeuge in kurdischer Sprache durch, in welcher der BF zu seinem bisherigen Vorbringen gehört und ihm die Möglichkeit der Vorlage von Beweismitteln geboten wurde sowie ergänzende länderkundliche Informationen von Amts wegen herangezogen wurden.

10. Mit 18.10.2013 ersuchte der AsylGH - mit in der Beschwerdeverhandlung erteilter Zustimmung des BF - die österr. Vertretungsbehörde in Ankara um Erhebungen durch einen Vertrauensanwalt zur Frage, ob gegen den BF in der Türkei wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur PKK bis dato jemals sicherheitsbehördlich ermittelt, ein Verfahren gegen ihn eröffnet oder allenfalls ein Haftbefehl gegen ihn erlassen wurde.

11. Mit 04.02.2014 ging die Zuständigkeit für das gg. Beschwerdeverfahren auf die nunmehr zur Entscheidung berufene Abteilung des Bundesverwaltungsgerichts (auch: BVwG) über.

12. Im Gefolge von Urgenzen des BVwG vom 11.02.2014 sowie 10.03.2014 ging mit 13.03.2014 ein Erhebungsbericht der österr. Botschaft ein. Der dort wiedergegebenen Mitteilung des Vertrauensanwalts der Botschaft war zu entnehmen, dass sich keine Informationen zu gerichtskundigen Verfahrensschritten gegenüber dem BF erheben ließen.

13. Bereits mit 16.10.2013 hat der AsylGH ein Gutachten beim Deutschen Max-Plank-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Auftrag gegeben, dies zu den Amnestie-, Wiedereingliederungs- und Verjährungsbestimmungen des türkischen Strafrechts für den Fall eines Strafverfahrens gegen den BF in der Türkei wegen seiner ehemaligen Mitgliedschaft bei der PKK sowie zum möglichen Strafmaß bei einer Verurteilung wegen dieses Delikts.

Das mit 30.12.2013 datierte Gutachten langte mit 08.01.2014 beim BVwG ein.

14. Mit 26.02.2014 wurde das Ergebnis der bisherigen ergänzenden Beweisaufnahmen in Form des Berichts des Vertrauensanwalts der österr. Botschaft sowie des erwähnten Gutachtens sowohl dem BF als auch der belangten Behörde vom BVwG zur Kenntnis gebracht und diesen die Gelegenheit zur Stellungnahme dazu geboten.

15. Mit 14.03.2014 sowie 17.03.2014 langten zwei wortgleiche Stellungnahmen des BF dazu beim BVwG ein.

16. Mit Schreiben des BVwG vom 06.05.2014 - zugestellt mit 12.05.2014 - wurde der BF dazu aufgefordert, im Hinblick auf Art. 8 EMRK allfällige Änderungen im Privat- und Familienleben bekannt zu geben. Nachdem bis 02.06.2014 keine Mitteilung des BF dazu eingelangt war, nahm das BVwG mit der Vertreterin des BF telefonisch Kontakt auf um abzuklären, ob eine Stellungnahme des BF noch zu erwarten sei. Diese teilte dem BVwG mit 03.06.2014 telefonisch mit, dass keine Stellungnahme des BF mehr erfolge, da sich keine Änderungen im Privat- und Familienleben des BF ergeben hätten.

17. Mit Schreiben des BVwG vom 29.07.2014 - zugestellt mit 31.07.2014 - wurde dem BF das Ergebnis einer ergänzenden Beweisaufnahme in Form eines aktuellen Länderberichtes zur Lage in der Türkei zur Kenntnis gebracht und ihm die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme dazu eingeräumt.

18. Im Gefolge einer von der Vertreterin des BF erbetenen Fristerstreckung langte mit 27.08.2014 beim BVwG eine Stellungnahme des BF einschließlich verschiedener länderkundlicher Materialien ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des BF steht fest. Er ist türkischer Staatsangehöriger, Angehöriger der kurdischen Volksgruppe und Moslem der alewitischen Glaubensgemeinschaft. Er wurde in XXXX, Gemeinde XXXX, geboren, besuchte zwischen 1974 und 1985 in XXXX die Grundsowie allgemein bildende höhere Schule und begann 1985 in XXXX an der dortigen technischen Universität ein Studium der technischen Mathematik, welches er 1991 abbrach. Er ist ledig, sein Vater ist 2011 verstorben, seine Mutter lebt, ebenso wie zwei verheiratete Schwestern des BF, in der Türkei in der Stadt XXXX, eine weitere verheiratete Schwester lebt in XXXX, eine weitere verheiratete Schwester ist österr. Staatsbürgerin und lebt hierorts, ein Bruder des BF ist ebenfalls in Österreich niedergelassen, weitere Geschwister des BF leben in Großbritannien.

Der BF reiste am 13.01.2011 illegal in das österr. Bundesgebiet ein und stellte am 17.01.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.02.1011 sowohl hinsichtlich der Gewährung von Asyl als auch von subsidiärem Schutz abgewiesen wurde, zugleich wurde der BF in die Türkei ausgewiesen. Gegen diese Entscheidung erhob er fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde an den AsylGH.

Der BF lebt seit der Einreise bei seiner Schwester und deren Familienangehörigen und wird sowohl von dieser als auch seinem Bruder finanziell unterstützt, darüber hinaus bezieht er Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber. Er geht hierorts keiner legalen Erwerbstätigkeit nach und erwarb durch seine sozialen Kontakte und den Besuch von Sprachunterricht Kenntnisse der deutschen Sprache. Er verfügt über gewöhnliche soziale Kontakte in Form von Verwandten und Freunden sowie im Rahmen eines kurdischen Vereins hinaus über keine anderweitige maßgebliche Integration in wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht.

Der BF war bereits Jahre vor der Einreise nach Österreich an Tuberkulose erkrankt, im Gefolge der Einreise erfolgte eine medikamentöse Behandlung des BF, aktuell ist die genannte Erkrankung nicht akut, bedarf jedoch einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle.

Der BF ist in Österreich aktuell strafgerichtlich unbescholten.

1.2. Zu den Antragsgründen des BF:

1.2.1. Der BF schloss sich während seines Studiums an der Technischen Universität in XXXX ab 1989/1990 einer Studentengruppe an, die sich mit der Kurdenpolitik der türkischen Regierung befasste und dahingehend Solidarkundgebungen veranstaltete, wobei es auch zu Konflikten mit türkischen Sicherheitskräften und der Universitätsleitung kam. Seine Beteiligung an diesen Aktivitäten fand insofern medial ihren Niederschlag, als eine Lokalzeitung damals darüber berichtete, dass sich 13 ehemalige Studenten der genannten Universität, unter ihnen der BF, mutmaßlich dem bewaffneten Kampf der PKK angeschlossen hätten. Der BF wurde tatsächlich 1991 Mitglied der PKK und erfuhr vorerst in Ausbildungslagern der PKK im Raum XXXX seine ideologische und militärische Ausbildung. In der Folge verließ er noch 1991 die Türkei und hielt sich im Weiteren im Bergland der kurdischen Provinzen XXXX und XXXX im Nordirak auf, wo er dortigen Verbänden der PKK angehörte. Aufgrund seines relativ hohen Bildungsgrades wurde er schließlich für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der PKK eingesetzt, ab 1998 bis 2004 war er insbesondere in Druckereien vor Ort für Publikationen der PKK verantwortlich, in dieser Zeit hatte er auch persönlichen Kontakt mit Führungskadern der PKK. Angesichts der langjährigen Tätigkeit innerhalb der PKK, die offenbar auch seine Gesundheit gravierend beeinträchtigt hatte - 2006 wurde in einem Krankenhaus in XXXX u.a. eine Tuberkuloseerkrankung des BF festgestellt - beantragte er schließlich 2006 seine Verlegung in das nordirakische Flüchtlingslager XXXX, in dem sich zahlreiche kurdische Flüchtlinge aus der Türkei aufhielten. In diesem Lager, in dem die PKK eine wesentliche Rolle in der Verwaltung spielte, hielt er sich von Juni 2006 bis Dezember 2010 auf. Er unterstützte die Lagerleitung in organisatorischen Belangen, etwa bei der Registrierung von Flüchtlingen, und widmete sich dort u.a. zwischen 2007 und 2008 einer Tätigkeit als Grundschullehrer, auch als EDV-Instruktor einer Frauenstiftung war er aktiv. Er erhielt in dieser Zeit von seinen im Ausland aufhältigen Verwandten finanzielle Unterstützung für seinen Lebensunterhalt. Aufgrund seiner Befürchtung, dass eine zu beobachtende Entspannung zwischen der türkischen Regierung und der PKK letztendlich zur Schließung des Lagers und zu seiner unfreiwilligen Rückkehr in die Türkei führen könnte, entschloss er sich schließlich zum Verlassen des Lagers im Dezember 2010. Er gelangte in der Folge aus dem Irak schlepperunterstützt über den Iran und die Türkei bis Österreich.

1.2.2. Nicht festgestellt werden konnte, dass gegen den BF in der Türkei wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zur PKK seit 1991 schon ein sicherheitsbehördliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde.

Das erkennende Gericht hält es aber - im Lichte der länderkundlichen Feststellungen unten - für hinreichend wahrscheinlich, dass der BF bei einer Personenkontrolle im Zuge einer legalen Rückkehr in die Türkei oder bei einer späteren Personenkontrolle im Gefolge allfälliger illegaler Rückkehr in die Türkei behördlichen Ermittlungen im Hinblick auf seinen langjährigen Verbleib außerhalb der Türkei und im Gefolge dessen einem behördlichen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Verdacht der Zugehörigkeit zur PKK unterworfen wäre.

Diese Ermittlungen würden im Lichte der oben getroffenen Feststellungen zum Werdegang des BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zur Einleitung eines strafgerichtlichen Verfahrens gegen ihn wegen des Vorwurfs der Begehung einer Straftat nach dem vierten und fünften Abschnitt des vierten Teils des türkischen StGB führen (vgl. Art. 302, 309, 313, 314 und 316 StGB).

Den aktuellen Bestimmungen der türkischen StPO zufolge kann Untersuchungshaft (nur mehr) für bis zu fünf Jahre verhängt werden.

Die oben genannten Delikte sind mit Gefängnisstrafen zwischen fünf Jahren (Art. 314 Abs. 2 StGB) und erschwerter lebenslanger Haft (Art. 302 und 309 StGB) bedroht, gemäß Art. 3-5 Antiterrorgesetz kann eine 50% Straferhöhung für diese Delikte vorgenommen werden. Eine Verfolgungsverjährung tritt bei den meisten dieser Delikte - auch bei einer Tatbegehung im Ausland - gemäß Art. 66 Abs. 7 StGB iVm Art. 3-5 Antiterrorgesetz (Strafdrohung über 10 Jahre) nicht ein. Die Begünstigungen des Amnestiegesetzes aus 2000 stehen einem ehemaligen aktiven Mitglied der PKK nicht zur Verfügung. Die Geltung des Gesetzes zur Wiedereingliederung von PKK-Mitgliedern aus 2003 ist bereits abgelaufen. Eine Strafbefreiung iSd Art. 221 Abs. 2 iVm Art. 314 StGB (Tätige Reue) ist grundsätzlich für ein Mitglied einer kriminellen Organisation möglich, das sich an keiner Straftat im Rahmen der Organisationstätigkeit beteiligt hat und den türkischen Behörden mitteilt, dass es sich freiwillig von der Organisation getrennt hat. Der Rechtsprechung des türkischen Kassationsgerichtshofs zufolge sind im Konkreten Delikte nach Art. 302 und 309 StGB von einer Strafbefreiung wegen tätiger Reue ausgenommen. In Fällen, in denen sich ein Mitglied einer kriminellen Organisation eines solchen Deliktes schuldig gemacht hat, kann jedoch eine Strafbefreiung nach Art. 221 Abs. 4 StGB zur Anwendung kommen, wenn sich das Mitglied freiwillig stellt und Informationen zur Struktur der Organisation und zu den im Rahmen derselben begangenen Straftaten gibt (Kronzeugenregelung). Gibt ein Mitglied solche Informationen erst nach der Festnahme, kann die Strafe um ein Drittel bis Dreiviertel herabgesetzt werden.

1.2.3. Der BF hatte bereits vor seiner Ausreise aus der Türkei im Jahr 1991 das wehrdienstpflichtige Alter erreicht, jedoch angesichts seines laufenden Studiums bis zur Ausreise seinen Wehrdienst noch nicht abgeleistet. Obwohl der BF bereits das in der Türkei für den Wehrdienst grundsätzlich relevante Alter überschritten hat, ist er angesichts des Umstands, dass er sich bisher dem Wehrdienst entzogen hat, als wehrpflichtig anzusehen.

1.3. Zur aktuellen länderkundliche Lage im Herkunftsstaat des BF:

1.3.1. Allgemein:

Die Türkei ist eine parlamentarische Republik und laut Art. 2 ihrer Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat auf der Grundlage öffentlichen Friedens, nationaler Solidarität, Gerechtigkeit und der Menschenrechte sowie den Grundsätzen ihres Gründers Atatürk besonders verpflichtet. Staatsoberhaupt mit primär repräsentativer Funktion ist der Staatspräsident, die politischen Geschäfte führt der Ministerpräsident. Die Amtszeit des 2014 erstmals direkt vom Volk zu wählenden Staatsoberhauptes beträgt fünf Jahre, eine einmalige Wiederwahl ist möglich.

Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in Art. 68 der Verfassung festgeschrieben. Die letzte Parlamentswahl am 12.06.2011, die als frei und fair galt, brachte der "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" (AKP) von Ministerpräsident Erdogan rund 50 Prozent der Stimmen und damit zum dritten Mal in Folge die absolute Mehrheit der Parlamentssitze. Allerdings verfehlte die AKP die für eine Verfassungsänderung notwendige 2/3- bzw. 3/5-Mehrheit (mit anschließendem Referendum). Ein im Oktober 2011 gestarteter Prozess zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung gemeinsam mit den anderen im Parlament vertretenen Parteien scheiterte im Dezember 2013.

Die Gewaltenteilung wird in der Verfassung durch Art. 7 (Legislative), 8 (Exekutive) und 9 (Judikative) festgelegt. Laut Art. 9 erfolgt die Rechtsprechung durch unabhängige Gerichte "im Namen der türkischen Nation" Die in Art. 138 der Verfassung geregelte Unabhängigkeit der Richter ist durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte in Frage gestellt. Der Rat ist u.a. für Ernennungen, Versetzungen und Beförderungen zuständig. Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Hohen Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen. Allerdings gab es im Februar 2014 im Nachgang zu den Korruptionsermittlungen gegen Mitglieder der Regierung Erdogan Änderungen im Gesetz zur Reform des Hohen Rates der Richter und Staatsanwälte. Sie führen zur Einschränkung der Unabhängigkeit der Justiz mit Übertragung von mehr Kompetenz an den Vorsitzenden des Rates, der gleichzeitig auch Justizminister ist. Durch die Kontrollmöglichkeit des Justizministers wird die Exekutive im HSYK deutlicher zu spüren sein. Es kam zu Hunderten von Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten.

Das Verfassungsgericht (Anayasa Mahkemesi) prüft die Vereinbarkeit von einfachem Recht mit der Verfassung. Seit dem 23. September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof. In seiner Funktion als Oberster Gerichtshof hat er die Gerichtsbarkeit über den Präsidenten, den Ministerpräsidenten, die Minister und Mitglieder höherer Justizbehörden für alle in Ausübung ihrer Funktion begangenen Taten. Dies gilt seit September 2010 auch für den Parlamentspräsidenten, die Oberbefehlshaber und die Kommandanten der Streitkräfte. Zudem ist das Verfassungsgericht für Parteienverbotsverfahren zu- ständig. Der Verwaltungsgerichtshof (Danistay) ist Revisionsinstanz der Verwaltungsgerichte. Revisionsinstanz aller Zivil- und Strafgerichte ist der Kassationsgerichtshof (Yargitay). Aufgrund seiner großen Überlastung soll eine Berufungsinstanz eingeführt werden, wenn Infrastruktur und Personal zur Verfügung stehen. Im Bereich der Strafjustiz wurden die 1984 insbesondere für terroristische Straftaten eingerichteten "Staatssicherheitsgerichte" (Devlet Güvenlik Mahkemesi - DGM) 2004 abgeschafft. Die an ihrer Stelle gegründeten "Gerichte für schwere Straftaten mit Sonderbefugnis" wurden nun durch das 5. Justizreformpaket aufgelöst und die laufenden Verfahren ordentlichen Strafgerichten übertragen. Ihre sachliche Zuständigkeit übernehmen fortan neue regionale "Gerichte für schwere Straftaten" (Agir Ceza Mahkemeleri).

Es gibt grundsätzlich keine Anhaltspunkte für eine systematische Verfolgung bestimmter Personen oder Personengruppen allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, sozialen Gruppe oder allein wegen ihrer politischen Überzeugung. Allerdings hat sich im Zuge der zunehmenden politischen Polarisierung und insbesondere wegen des Konflikts zwischen der AKP und der Gülen-Bewegung der Druck auf regierungskritische Kreise deutlich erhöht. Vor diesem Hintergrund kommt es zu staatlichen repressiven Maßnahmen in unterschiedlichen Bereichen.

Politisch Oppositionelle können sich prinzipiell frei und unbehelligt am politischen Prozess beteiligen. Das letzte Verbot gegen eine politische Partei wurde 2009 gegen die pro-kurdische DTP (Demokratik Toplum Partisi) verhängt, deren Nachfolgepartei BDP (Baris ve Demokrasi Partisi) jedoch spätestens mit Beginn des Dialogprozesses zwischen der Regierung und PKK-Chef Öcalan Ende 2012 als etablierte Partei im türkischen Parlament anerkannt wird. Für die Regierung ist sie zu einem wichtigen Ansprechpartner und Mittler zur Lösung des Kurdenkonflikts geworden. Ende April 2014 traten die BDP-Parlamentsabgeordneten mehrheitlich zur Schwesterpartei HDP (Halklarin Demokratik Partisi, Demokratische Partei der Völker) über, die als "Dachpartei" weitere linksgerichtete Organisationen umfasst und über das kurdische Spektrum hinaus weitere Wählerschichten ansprechen soll.

Die BDP/HDP ist aufgrund der engen Verbindungen insbesondere ihrer Basis zur PKK (Par- tiya Karkerên Kurdistan, Arbeiterpartei Kurdistans, auch in Deutschland als ausländische Terrororganisation eingestuft) von der Strafverfolgung gegen deren politische Dachorganisation KCK (Koma Ciwaken Kürdistan, Union der Gemeinschaften Kurdistans) betroffen. In diesem Rahmen wurden seit April 2009 nach Schätzungen unabhängiger Beobachter (u.a. der Europäischen Union) über 2.000 Personen in allen Landesteilen und insbesondere im kurdisch geprägten Südosten verhaftet und z.T. bereits verurteilt, darunter auch zahlreiche Bürgermeister und andere Mandatsträger der BDP. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, Mitglieder der KCK und damit einer terroristischen Vereinigung zu sein (Strafrahmen: 15 Jahre bis lebenslänglich). Die KCK hat nach Auffassung der türkischen Behörden zum Ziel, von der PKK dominierte quasi-staatliche Parallelstrukturen (z.B. Sicherheit, Wirtschaft) aufzubauen. Das umfangreichste Verfahren gegen 151 Angeklagte in Diyarbakir hat am 18. November 2010 begonnen und dauert weiterhin an. Die Vorwürfe beruhen nach Ansicht der Verteidigung zum großen Teil auf illegalen Telefonüberwachungen und nicht stichhaltigen Beweisen. Bei diversen anderen Verhaftungswellen im Südosten des Landes sowie in den Ballungszentren Istanbul, Ankara und Izmir wurden seit Mitte 2011 auch Journalisten, Akademiker, Gewerkschafter und Rechtsanwälte inhaftiert. Trotz der mit dem 3. und 4. Justizreformpaket eingeführten Erleichterungen z.B. in Bezug auf Meinungsdelikte und die Inhaftierung von Angeklagten kam es bislang nur zu einigen wenigen Entlassungen aus der (Untersuchungs‑)Haft. Allerdings kamen im Januar 2014 fünf als KCK-Mitglieder angeklagte BDP-Parlamentsabgeordnete auf Grundlage ihrer positiv vom Verfassungsgericht beschiedenen Individualklagen aus dem Gefängnis frei und konnten ihr Mandat antreten. Spätestens nach Ablauf der durch das 5. Justizreformpaket festgelegten Höchstdauer von fünf Jahren für die Untersuchungshaft ist mit zahlreichen weiteren Entlassungen zu rechnen.

Die türkische Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, in der Praxis sind diesen Rechten aber Grenzen gesetzt.

Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind. In der Praxis werden bei pro-kurdischen oder politischen Versammlungen des linken Spektrums (z.B. marxistisch-leninistisch ausgerichteter Gruppierungen) regelmäßig dem Veranstaltungszweck zuwiderlaufende Auflagen bezüglich Ort und Zeit gemacht und zum Teil aus sachlich nicht nachvollziehbaren Gründen Verbote ausgesprochen. Betroffen von Versammlungsverboten und Einschränkungen der Meinungsfreiheit sind auch immer wieder Gewerkschaftsmitglieder.

Fälle von massiver Gewalt seitens der Sicherheitskräfte, polizeilichen Ingewahrsamnahmen und strafrechtlichen Ermittlungen bei der Teilnahme an nicht genehmigten oder durch Auflösung unrechtmäßig werdenden Demonstrationen kommen nicht selten vor. In manchen Fällen kommt es bei Versammlungen auch zur Anwendung von Gewalt durch Demonstranten. Nicht genehmigte Versammlungen werden häufig unter Einsatz von Wasserwerfern, Tränengas und Schlagstöcken aufgelöst. Im Rahmen der landesweiten sog. "Gezi-Park-Proteste" seit Juni 2013 setzte die Polizei in exzessiver Weise Schlagstöcke und Tränengas auch gegen friedliche Demonstranten ein. Infolge der Auseinandersetzungen kamen bisher sieben Demonstranten und ein Polizist ums Leben, Tausende wurden teilweise erheblich verletzt. Regierungskritische Demonstrationen nach den "Gezi-Park-Protesten" wurden vielfach aufgelöst.

Die extensive Auslegung des unklar formulierten § 220 tStGB (kriminelle Vereinigung) durch den Obersten Strafgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Sie mussten mit einer Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen.

Mit dem 3. Justizreformpaket wurde die Möglichkeit zu deutlichen Strafmilderungen und Haftaussetzung für Nichtmitglieder einer Terrororganisation geschaffen und mit dem 4. Justizreformpaket die Doppelbestrafung nach ATG und StGB abgeschafft.

Die Meinungsfreiheit wird durch die Anwendung verschiedener Gesetze (insbesondere Strafgesetzbuch, Anti-Terror-Gesetz) eingeschränkt. Im Rahmen des 3. Justizreformpakets wird bei Meinungsdelikten, die vor dem 31.12.2011 begannen wurden und ein Strafmaß von nicht mehr als fünf Jahren oder eine Geldstrafe vorsehen, die Möglichkeit eröffnet, die Vollziehung der Strafe auszusetzen. Mit den Änderungen im Anti-Terror-Gesetz und Strafgesetzbuch im Rahmen des 4. Justizreformpakets vom 11.04.2013 werden Meinungsdelikte und Veröffentlichungen nur dann noch strafrechtlich verfolgt, wenn sie Gewalt oder Drohungen einer terroristischen bzw. kriminellen Vereinigung rechtfertigten, loben oder explizit dazu aufrufen. Durch Änderung des Artikels 250 tStGB ("Loben einer Straftat oder eines Straftäters") können Äußerungen zur PKK (z.B. Bezeichnung der PKK als "Guerilla"), zum PKK-nahen Fernsehsender ROJ-TV oder zum inhaftierten Abdullah Öcalan ("Verehrter Herr Öcalan") nur noch strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen.

Nach der am 08.05.2008 in Kraft getretenen Reform des Artikels 301 tStGB können Ermittlungen zu diesem Straftatbestand nur noch nach Zustimmung des Justizministers aufgenommen werden. Zudem ist der Tatbestand "Beleidigung des Türkentums" durch die Formulierung "Beleidigung der Türkischen Nation" abgeändert, der Strafrahmen von drei auf zwei Jahre heruntergesetzt sowie für im Ausland begangene Taten an das Inlandsstrafmaß angepasst worden. Grundlegende Bedenken gegen den Tatbestand bestehen allerdings fort. In vielen Fällen hat es die Justiz aber seither abgelehnt, Gerichtsverfahren einzuleiten.

Über die Kurdenthematik wird offen und über die Armenierfrage immer häufiger und kontroverser berichtet. Auch die Möglichkeiten zur Kritik am Militär haben sich deutlich verbessert. Weiterhin werden mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" Publikationsverbote ausgesprochen. Dies trifft - teilweise wiederholt - vor allem kurdische oder linke Zeitungen. Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) stellte in seiner am 20.10.2009 veröffentlichten Entscheidung "Ürper und andere./.Türkei" Verstöße der Regierung gegen Art. 10 der EMRK - Meinungsfreiheit - fest und sprach den Klägern Schadensersatz zu. Gegenstand des Verfahrens waren die Schließung verschiedener Zeitungen (Ülkede Özgür Gündem, Gündem, Güncel, Gercek Demokrasi) und die strafrechtliche Verfolgung von Herausgebern oder leitenden Mitarbeitern.

1.3.2. Kurden:

Neben den offiziell anerkannten religiösen Minderheiten gibt es folgende ethnische Gruppen: Kurden (ca. 13-15 Mio.), Kaukasier (6 Mio., davon 90% Tscherkessen), Roma (zwischen 2 und 5 Mio., je nach Quelle), Lasen (zwischen 750.000 und 1,5 Mio.) und andere Gruppen in kleiner und unbestimmter Anzahl (Araber, Bulgaren, Bosnier, Pomaken, Tataren und Albaner). Türkische Staatsbürger kurdischer und anderer Volkszugehörigkeiten sind aufgrund ihrer Abstammung keinen staatlichen Repressionen unterworfen. Aus den Ausweispapieren geht in der Regel nicht hervor, ob ein türkischer Staatsbürger kurdischer Abstammung ist (Ausnahme: Neugeborenen dürfen seit 2003 kurdische Vornamen gegeben werden).

Der private Gebrauch des Kurdischen (Kurmanci) und der weniger verbreiteten, vermutlich aus dem Altpersischen entstandenen Sprache Zaza ist in Wort und Schrift keinen Restriktionen ausgesetzt, der amtliche Gebrauch ist allerdings eingeschränkt. Unterricht in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen war bis 2012 nicht erlaubt. Die türkische Regierung hat im Schuljahr 2012/2013 jedoch begonnen, bei ausreichender örtlicher Nachfrage Unterricht in Kurmanci und Zaza als Wahlpflichtfach "Lebendige Sprachen und Mundarten" an staatlichen und religiösen Schulen anzubieten. Viele Familien boykottieren das Wahlpflichtfach jedoch, weil sie Unterricht in Kurdisch gleichberechtigt als Muttersprache mit Türkisch fordern. Zudem steht das Fach in Konkurrenz zu den religiösen Wahlpflichtfächern. Das am 02.03.2014 vom Parlament verabschiedete "Demokratisierungs-Paket" ermöglicht in einem darüber hinausgehenden Schritt muttersprachlichen Unterricht und damit auch Unterricht in kurdischer Sprache an Privatschulen. Seit 2011 wird an der staatlichen Artuklu-Universität in Mardin das Fach "Kurdische Sprache und Literatur" gelehrt. Die staatliche Alpaslan-Universität in Mus bietet einen Magister in kurdischer Sprache an, die private Istanbuler Bilgi-Universität hat Kurdisch seit 2009 als Wahlfach im Programm. In Tunceli gibt es universitäre Angebote zum Erlernen der Sprache Zaza. Auch das Verbot der im Kurdisch besonders gebräuchlichen Buchstaben "q", "w" und "x" wurde mit dem "Demokratisierungs-Paket" aufgehoben und zudem Wahlwerbung politischer Parteien in anderen Sprachen als Türkisch gänzlich freigegeben. Außerdem wurde die Möglichkeit geschaffen, dass Dörfer im Südosten ihre kurdischen Namen zurückerhalten. Die verfassungsrechtliche Festschreibung von Türkisch als einziger Nationalsprache bleibt jedoch erhalten und erschwert die Inanspruchnahme öffentlicher Dienstleistungen durch Kurden und Angehörige anderer Minderheiten, für die Türkisch nicht Muttersprache ist. Seit 2009 sendet der staatliche TV-Sender TRT 6 ein 24-Stunden-Programm in den Sprachen Kurmanci (Kurdisch) und Zaza. Zudem wurden alle bisher geltenden zeitlichen Beschränkungen für Privatfernsehen in "Sprachen und Dialekten, die traditionell von türkischen Bürgern im Alltag gesprochen werden" aufgehoben.

Der gewalttätige Konflikt zwischen türkischen Sicherheitskräften und kurdisch-nationalistischen Kämpfern der PKK, dem seit 1984 über

35.500 Personen zum Opfer fielen und aufgrund dessen fast 400.000 Menschen ihre Heimatprovinzen im Südosten verließen, ist einem seit Anfang 2013 andauernden Waffenstillstand gewichen. Nachdem die 2009 initiierte "Demokratische Öffnung" (zuvor "Kurdische Öffnung") zur Stärkung kultureller und politischer Rechte der Kurden bereits ein Jahr später zum Stillstand gekommen war und noch im Jahr 2012 bis zu 800 Menschen bei Kämpfen und Terroranschlägen der PKK getötet wurden, hat die Regierung im Dezember 2012 durch Gespräche mit dem inhaftierten PKK-Führer Öcalan einen neuen Dialogprozess begonnen. Am 21.03.2013 rief der inhaftierte PKK-Chef Öcalan in einer auf der zentralen kurdischen Neujahrskundgebung in Diyarbakir verlesenen Grußbotschaft zu einem Waffenstillstand und Abzug der PKK-Kämpfer aus der Türkei auf. Während der Waffenstillstand bis dato andauert, stoppte die PKK den Abzug Anfang September 2013 mit der Begründung, die Regierung habe anders als zugesichert keinerlei substantielle rechtliche Zugeständnisse an die Kurden gemacht. Abgesehen von Kritik nationalistischer Kreise stößt der Friedensprozess trotzdem weiterhin auf breite Zustimmung in der türkischen Öffentlichkeit und bezieht auch die Kurdenbewegung und ihre politischen Vertreter (insbesondere BDP- und HDP-Politiker) mit ein. Es bleibt weiterhin unklar, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die PKK tatsächlich zu einer Niederlegung der Waffen bereit ist und inwieweit es hierzu innerhalb der Organisation einen Konsens gibt. PKK-interne Opposition (Ungehorsam, Befehlsverweigerung etc.) und Abfall (Desertion) von der PKK wurden in der Vergangenheit von dieser massiv und wohl auch teilweise drastisch sanktioniert. Unklar ist auch noch, ob die türkische Regierung letztlich zu substantiellen Zugeständnissen an die Kurden bereit sein wird.

Alewiten:

Die Verfassung sieht die positive und negative Religions- und Gewissensfreiheit vor (Art. 24). Sie gilt - wie alle Grundrechte - in Verbindung mit Art. 14, der den Missbrauch der Grundrechte regelt (insbesondere "Gefährdung der unteilbaren Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk, des Laizismus oder der Demokratie"). Die individuelle Religionsfreiheit ist weitgehend gewährt; individuelle nicht-staatliche Repressionsmaßnahmen und staatliche Diskriminierungen (z.B. bei Anstellungen im öffentlichen Dienst) kommen vereinzelt vor.

Mit schätzungsweise 15-20 Millionen bilden die türkischen, zum Teil auch kurdischen Aleviten nach den Sunniten die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft der Türkei. Sie werden nicht als separate Konfession bzw. Glaubensgemeinschaft anerkannt und können sich nur als Verein oder Stiftung organisieren. Ihre Möglichkeiten zur Errichtung religiöser Stätten hatte sich 2008 leicht verbessert; verschiedene Stadtverwaltungen hatten den alevitischen Gebetsstätten "Cem-Haus" (Cem-Evi) die Gleichstellung mit Moscheen, insbesondere verminderte Wasser- und Stromkosten, ermöglicht. Trotz der faktisch verbesserten Situation erkennen nur wenige Stadtverwaltungen die alevitischen Gotteshäuser aber als religiöse Stätten an. Der Kassationsgerichtshof entschied im Juli 2012, dass Cem-Häuser nicht als religiöse Stätten anzuerkennen sind und hob die anders lautende Entscheidung des Ausgangsgerichts Ankara auf. Der Antrag eines alevitischen Abgeordneten, im türkischen Parlament neben der bestehenden Moschee auch ein Cem-Haus einzurichten, wurde ebenfalls im Juli 2012 abgelehnt. Die Basis beider Entscheidungen sind Gutachten der staatlichen, sunnitisch geprägten Religionsbehörde Diyanet. Die 2009 seitens der türkischen Regierung gestartete Reihe von "Aleviten-Workshops" mit alevitischen Vertretern, Wissenschaftlern, Religionsbeamten und Journalisten wurde bis Anfang 2010 fortgeführt. Ein Ergebnisbericht mit konkreten Handlungsoptionen wurde dem Ministerpräsidenten vorgelegt und nach mehr als einem Jahr unmittelbar vor den Parlamentswahlen am 12. Juni 2011 veröffentlicht. Darauf erfolgte die ansatzweise Überarbeitung des Curriculums des in Grund- und Mittelschule verbindlichen Religionskunde-Unterrichts. Die bekannten Hauptforderungen der Aleviten wurden bislang nicht erfüllt. Diese Forderungen sind v.a.:

Anerkennung der Cem-Häuser als religiöse Stätten und Baugenehmigungen für diese, Verwendung alevitischer Steuern für Cem-Häuser statt für Moscheen, Freiwilligkeit der Teilnahme am staatlichen "Religions- und Gewissenskunde"- Unterricht im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Beendigung einer perzipierten Sunnitisierungspolitik. Im Rahmen des sog. "Demokratisierungspakets" vom 30.09.2013 kündigte Ministerpräsident Erdogan zwar auch Zugeständnisse an die Aleviten an, dem sind bisher aber keine Maßnahmen gefolgt.

Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis:

Von Seiten des Europarates und der Europäischen Union wurde der Türkei wiederholt bescheinigt, Fortschritte im Bereich der Justiz gemacht zu haben, dies jedoch bei Fortbestehen erheblicher Defizite (z.B. teilweise exzessiv lange Dauer der Strafverfahren und der Untersuchungshaft).

Das türkische Recht sichert die grundsätzlichen Verfahrensgarantien im Strafverfahren. Mängel gibt es beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten, und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen für Beschuldigte und Rechtsanwälte.

Insbesondere im Südosten werden Fälle mit Bezug zur angeblichen Mitgliedschaft in der PKK oder dessen zivilem Arm KCK häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte keine Akteneinsicht nehmen können. Anwälte werden vereinzelt daran gehindert, bei Befragungen ihrer Mandanten anwesend zu sein. Dies gilt insbesondere in Fällen mit dem Verdacht auf terroristische Aktivitäten.

Grundsätzlich kommt es nicht zu einer Verurteilung, wenn der Angeklagte bei Gericht - etwa durch Abwesenheit - nicht gehört werden kann. Es kommen dann die Fristen für Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung zum Tragen.

Seit Juli 2012 kann Untersuchungshaft erst ab einer drohenden Freiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt werden. Alternativ zur Untersuchungshaft können gemäß § 109 tStGB auch Meldeauflagen verhängt werden. Das 3. Justizreformpaket hat eine stärker ausgeprägte Begründungspflicht für die Anordnung von Untersuchungshaft durch den Richter eingeführt, gleichwohl wird sie häufig mit schwacher rechtlicher Begründung verhängt. Während für Vergehen eine maximale Untersuchungshaft von eineinhalb Jahren vorgesehen ist, beträgt diese für Verbrechen bis zu fünf Jahre. Mit Änderungen im Antiterrorgesetz im sog. 4. Justizreformpaket wurde die Möglichkeit der Verlängerung der Untersuchungshaftbei Verbrechen mit Terrorbezug bis zu zehn Jahren abgeschafft. Infolge einschlägiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichts von Juli 2013, das die überlange Dauer der Untersuchungshaft in zahlreichen Fällen kritisierte, wurde die Maximaldauer im 5. Justizreformpaket auf fünf Jahre begrenzt. Daraufhin kam es zu zahlreichen Freilassungen inhaftierter Angeklagter.

Seit 2008 hat sich die vormals zögerliche Haltung bezüglich der strafrechtlichen Verfolgung von Soldaten, Gendarmen und Polizeibeamten nachweisbar verbessert. Allerdings kommt es vor allem mangels Kooperation der Behörden bei der Tatsachenfeststellung nur in wenigen Einzelfällen tatsächlich zu Verurteilungen. Generell gilt, dass die Justiz überlastet ist, Verfahren sich dadurch häufig lange hinziehen. Das 3. Justizreformpaket soll die Justiz entlasten und damit verfahrensbeschleunigend wirken.

Das Recht auf sofortigen Zugang zu einem Rechtsanwalt innerhalb von 24 Stunden ist grundsätzlich gewährleistet. Das Anti-Terror-Gesetz (ATG) sieht eine Ausweitung dieser Frist auf bis zu 48 Stunden vor und senkt die Verfahrensgarantien für Personen ab, die terroristischer Straftaten beschuldigt werden.

Das Recht auf kostenlose Rechtsberatung gilt bei nachgewiesener Mittellosigkeit und ist an die Antragstellung gebunden. Ausgenommen von der Antragstellung sind Minderjährige, Taubstumme und Behinderte. Seit Dezember 2006 gilt die Ausnahmeregelung auch ab einer drohenden Freiheitsstrafe von 5 Jahren (zuvor eingeschränkt mit bis zu 5 Jahren).

Nach spätestens 24 Stunden (in bestimmten Fällen organisierter Kriminalität bis 48 Stunden, Art. 250 Abs. 1 lit. a und c tStPO) zuzüglich 12 Stunden Transportzeit muss der Betroffene dem zuständigen Haftrichter vorgeführt werden (Art. 91 tStPO).

In Fällen von Kollektivvergehen, Schwierigkeiten der Beweissicherung oder einer großen Anzahl von Beschuldigten kann der polizeiliche Gewahrsam bis zu drei Tage verlängert werden. Bei Festnahmen in Sicherheitszonen kann die in Art. 91 Abs. 3 tStPO vorgesehene Frist von vier Tagen auf Antrag der Staatsanwaltschaft und Entscheidung des Haftrichters auf bis zu sieben Tage verlängert werden. Es gibt Anzeichen dafür, dass diese Fristen in der Praxis in Einzelfällen überschritten werden.

Dem Auswärtigen Amt sind in jüngster Zeit keine Gerichtsurteile auf Grundlage von - durch die Strafprozessordnung verbotenen, - erpressten Geständnissen bekannt geworden. Anwälte berichten, dass Festgenommene in einigen Fällen durch psychischen Druck verleitet werden, Aussagen zu machen. Bekannt ist auch, dass Erkenntnisse aus unzulässigen Telefonüberwachungen in Strafverfahren Eingang finden. Human Rights Watch weist in diesem Zusammenhang auf den nachlässigen Umgang mit Beweismitteln hin. 2011 wurde ein Fall bekannt, bei dem Sicherheitskräfte einem Beschuldigten belastende Telefondaten auf das Mobiltelefon geladen haben.

Durch Änderungen des Anti-Terror-Gesetzes und weiterer Gesetze am 28.07.2010 wurde die Rechtslage für über 16-jährige Minderjährige, die wegen Terrordelikten beschuldigt werden, an das UN-Protokoll für Kinderrechte (1995 unterzeichnet) sowie das Kinderschutzgesetz von 2005 angepasst. 16- und 17-jährige Personen sind nun ausschließlich der Jugendgerichtsbarkeit unterworfen. Minderjährige, die wegen Terror, Propaganda bzw. Widerstand gegen die Staatsgewalt schuldig befunden werden, können nicht mehr zusätzlich wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation verurteilt werden. Zudem werden die Möglichkeiten für Bewährungsstrafen und Strafaussetzungen erweitert und es greift eine Reihe von Strafmaßreduzierungen.

Militärdienst:

Der Wehrpflicht unterliegt jeder männliche türkische Staatsangehörige unabhängig von seiner Volkszugehörigkeit ab dem 20. Lebensjahr; die offizielle Zahl der gegenwärtig Dienst Leistenden wird nicht veröffentlicht. Informationen zufolge leisten derzeit rund 450.000 Wehrpflichtige ihren Dienst. Gesetzesgrundlage für den Wehrdienst in der Türkei bietet das türkische Wehrdienstgesetz Nr. 1111 (tWDG) von 1927. Das Wehrdienstalter beginnt am 1. Januar des Jahres, in dem der Betreffende das 19. Lebensjahr vollendet und endet am 1. Januar im Jahr des 40. Geburtstags. Diejenigen, die innerhalb dieser Zeit den Wehrdienst nicht abgeleistet haben, werden von der Wehrpflicht nicht befreit (Artikel 5, letzter Absatz tWDG). Der Wehrdienst wird in den Streitkräften einschließlich der Jandarma abgeleistet. Ein in der Türkei abgeschlossenes Hochschulstudium verkürzt die Wehrpflicht auf sechs Monate für einfache Soldaten oder auf zwölf Monate für einen Unterleutnant. Im Januar 2011 wurde eine Gesetzesänderung verabschiedet, wonach Polizisten, sofern sie mehr als zehn Jahre Dienst leisten, von der Wehrpflicht befreit sind. Der Wehrdienst wurde mit Wirkung vom 01.01.2014 von 15 auf 12 Monate reduziert. Söhne und Brüder von gefallenen Soldaten können vom Wehrdienst befreit werden.

Mit Änderungsgesetz Nr. 6252 vom 30.11.2011, das am 15.12.2011 in Kraft trat, wurde der sog. Wehrdienst gegen Bezahlung von Devisen ("Devisenwehrpflicht") geändert und der Freikauf vom Wehrdienst für türkische Staatsangehörige eingeführt. Wehrdienstpflichtige mit Aufenthaltstitel oder Arbeitserlaubnis im Ausland (min. drei Jahre Auslandsaufenthalt) können sich bis zum 38. Lebensjahr durch Zahlung von etwa 6.000 Euro freikaufen. Der Grundwehrdienst ist dann nicht mehr abzuleisten. Wehrpflichtige, die zum 38. Lebensjahr keinen Antrag gestellt haben oder trotz Antragstellung der Zahlungspflicht nicht nachgekommen sind, können durch Einmalzahlung von 6.000 Euro von den Bestimmungen der Vorschriften profitieren. Die 21-tägige Grundausbildung wird auch für diesen Personenkreis abgeschafft. Damit können sich nunmehr auch ältere Wehrdienstpflichtige, die nicht über einen Aufenthaltstitel im Ausland verfügen, vom Wehrdienst "freikaufen".

Diejenigen, die mit Stichtag 31.12.2011 (einschließlich dieses Tages) das 29. Lebensjahr vollendet hatten, konnten sich innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes (15.06.2012) durch Antragstellung bei der zuständigen Wehrbehörde und Zahlung von 30.000 TL (etwa 13.300 Euro), ohne den Grundwehrdienst ableisten zu müssen, vom Wehrdienst freikaufen. Der Betrag konnte in zwei Raten entrichtet werden, wobei die erste bei Antragstellung zu bezahlen war.

Insgesamt wird die Ableistung des Wehrdienstes mehr als zuvor von der finanziellen Lage der Familien abhängig gemacht.

Ein Recht zur Verweigerung des Wehrdienstes oder der Ableistung eines Ersatzdienstes besteht nicht. Wehrdienstverweigerer und Fahnenflüchtige werden strafrechtlich verfolgt. Das Urteil des EGMR Ülke./.Türkei ist trotz deutlicher Mahnungen des Ministerkomitees des Europarats noch nicht umgesetzt. Seit Änderung von Art. 63 tMilStGB ist nunmehr bei unentschuldigtem Nichtantritt oder Fernbleiben vom Wehrdienst statt einer Freiheitsstrafe zunächst eine Geldstrafe zu verhängen. Subsidiär bleiben aber Haftstrafen bis zu sechs Monaten möglich. Die Verjährungsfrist richtet sich nach Art. 66e tStGB und beträgt zwischen fünf und acht Jahren, falls die Tat mit Freiheitsstrafe bedroht ist. Suchvermerke für Wehrdienstflüchtlinge werden seit Ende 2004 nicht mehr im Personenstandsregister eingetragen. Es kommt regelmäßig, zuletzt 2010, zu Verhaftungen von Kriegsdienstverweigerern; diese Praxis wird jedoch nicht einheitlich umgesetzt.

Transsexuelle, Transvestiten und Homosexuelle können unter der Bezeichnung "psychosexuelle Störungen" nach Vorsprache bei der Wehrdienstbehörde und Untersuchungen vom Militärdienst befreit werden. Methoden zur Feststellung einer möglichen Homosexualität wie eine Untersuchung der Genitalien und die Vorlage von Fotos während des Geschlechtsverkehrs wurden nach Presseberichten vor einigen Jahren eingestellt. Betroffene beschweren sich weiterhin über Persönlichkeitstests, Gespräche mit mehreren Psychologen und Hinzuziehung von Familienangehörigen. Ferner wird auch von mehrtägigen Aufenthalten zur "Diagnose" in der psychiatrischen Klinik berichtet.

Bis 2004 kam es bei Wehrdienstentziehung auch zur Aberkennung der türkischen Staatsangehörigkeit (Art. 25c tStAG). Die gesetzliche Bestimmung wurde am 29.05.2009 durch ein Änderungsgesetz zum Staatsangehörigkeitsgesetz abgeschafft. Seit dem 12.06.2003 können Personen, die u. a. wegen Art. 25 tStAG die türkische Staatsangehörigkeit verloren haben, unabhängig von ihrem Wohnsitz erneut die türkische Staatsangehörigkeit erhalten. Gemäß dem am 13.02.2009 in Kraft getretenen Änderungsgesetz zum Militärgesetz wird die Bearbeitung von Wehrdienstformalitäten bei ehemals Ausgebürgerten, die die türkische Staatsangehörigkeit wiedererlangt haben, mit dem Stand vor der Ausbürgerung fortgesetzt, die Wehrpflicht lebt wieder auf. Für den Betroffenen bedeutet das, dass er den Wehrdienst ableisten muss bzw. von Freikaufsmöglichkeiten profitieren kann, aber durch die Wehrdienstentziehung bzw. den Verlust der Staatsangehörigkeit keine Nachteile zu erwarten hat.

Exilpolitische Aktivitäten:

Türkische Staatsangehörige, die im Ausland in herausgehobener oder erkennbar führender Position für eine in der Türkei verbotene Organisation tätig sind und sich nach türkischen Gesetzen strafbar gemacht haben, laufen Gefahr, dass sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz mit ihnen befassen, wenn sie in die Türkei einreisen. Insbesondere Personen, die als Auslöser von als separatistisch oder terroristisch erachteten Aktivitäten und als Anstifter oder Aufwiegler angesehen werden, müssen mit strafrechtlicher Verfolgung durch den Staat rechnen.

Öffentliche Äußerungen, auch in Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten etc. im Ausland zur Unterstützung kurdischer Belange sind nur dann strafbar, wenn sie als Anstiftung zu konkret separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden können.

Folter:

Die Regierung hat alle gesetzgeberischen Mittel eingesetzt, um Folter und Misshandlung im Rahmen einer "Null-Toleranz-Politik" zu unterbinden: Beispielhaft genannt seien die Erhöhung der Strafandrohung (Art. 94ff. des tStGB sehen eine Mindeststrafe von drei bis zwölf Jahren Haft für Täter von Folter vor, verschiedene Tat-Qualifizierungen sehen noch höhere Strafen bis hin zu lebenslanger Haft bei Folter mit Todesfolge vor); direkte Anklagen ohne Einverständnis des Vorgesetzten von Folterverdächtigen; Runderlasse an Staatsanwaltschaften, Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen; Verhinderung der Verschleppung von Strafprozessen und der Möglichkeit, sich dem Prozess zu entziehen; Durchsetzung ärztlicher Untersuchungen bei polizeilicher Ingewahrsamnahme; Stärkung von Verteidigerrechten.

Trotz dieser gesetzgeberischen Maßnahmen und einiger Verbesserungen ist es der Regierung bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kommt es zu übermäßiger Gewaltanwendung. Es gibt Anzeichen, dass Misshandlungen nicht mehr in den Polizeistationen, sondern gelegentlich an anderen Orten, u. a. im Freien stattfinden, ohne dass zuverlässige Informationen vorliegen.

Die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die im Zusammenhang mit mutmaßlichen Folter- oder Misshandlungsfällen stehen, ist nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2012 stark gestiegen. Nach glaubhaften Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung TIHV wurden 2012 insgesamt 548 (2011: 207; 2010: 161, 2009: 252) Personen registriert, die im selben Jahr gefoltert oder unmenschlich behandelt wurden. TIHV sieht jegliche Behandlung von Sicherheitskräften, die bei den Betroffenen körperliche oder seelische Schäden hervorruft, als Folter bzw. Misshandlung an. Die Zunahme sei darauf zurückzuführen, dass man auch Aktivitäten von Dorfvorstehern, Gefängniswärtern und privatem Sicherheitspersonal einbeziehe und durch mobiles Gesundheitspersonal Informationen aus bisher nicht abgedeckten Bereichen des Landes erhalte. Für die ersten acht Monate 2013 gibt der TIHV insgesamt 411 Personen an, die im selben Jahr gefoltert bzw. misshandelt wurden. Diese verhältnismäßig sehr hohe Zahl sei auf die sog. Gezi-Park-Proteste zurückzuführen.

Hinsichtlich der Folter in Gefängnissen hat sich nach belastbaren Informationen von Menschenrechtsorganisationen die Situation in den letzten Jahren erheblich verbessert; es werden weiterhin Einzelfälle zur Anzeige gebracht, vor allem in Gestalt von körperlicher Misshandlung und psychischen Drucks. Auch die Regierung räumt ein, dass Folter in wenigen Ausnahmefällen vorkommt.

Straflosigkeit der Täter in Folterfällen ist weiterhin ein ernstzunehmendes Problem. Laut Bericht des UN-Komitees gegen Folter (CAT) von Juni 2011 mangelt es an unabhängiger, unparteiischer und transparenter Untersuchung. Sicherheitskräfte, die unter Verdacht der Folter oder der unmenschlichen Behandlung stehen, würden zu selten vom Dienst suspendiert und gefährdeten damit die effektive Aufklärung. Strafrechtliche Ermittlungen erfolgen, so CAT, oft auf der Grundlage von Artikeln, die Bewährung und mindere Haftstrafen vorsehen (Art. 256 "Exzessive Gewaltausübung", Art. 86 "Vorsätzliche Verletzung"), und nicht auf der Grundlage von Art. 94 bzw. 95 (Folter).

Ein Problem bei der strafrechtlichen Verfolgung der Täter ist die Nachweisbarkeit von Folter und Misshandlungen. Die seit Januar 2004 geltende Regelung, dass außer auf Verlangen des Arztes Vollzugsbeamte nicht mehr bei der Untersuchung von Personen in Gewahrsam bzw. Haft anwesend sein dürfen und das Untersuchungsergebnis direkt dem Staatsanwalt versiegelt (ohne Kopie für die Vollzugsbeamten) auszuhändigen ist, wird nicht durchgehend angewandt. Zudem sind medizinische Gutachten nur von staatlich kontrollierten Stellen zugelassen; die Ärztekammer berichtet über Druck auf einzelne Ärzte und Einschüchterungsversuche durch Androhung von Disziplinarverfahren durch das zuständige forensische Institut. Grundsätzlich kann gegen alle Sachverständigengutachten - hierzu zählt auch ein medizinisches Gutachten - Einspruch erhoben werden.

Willkürliche kurzfristige Festnahmen im Rahmen von - mitunter erlaubten, aber in einigen Fällen eskalierenden - Demonstrationen oder Trauerzügen kommen vor. In großer Zahl war dies auch im Rahmen der landesweiten Gezi-Park-Proteste seit Juni 2013 der Fall. Sie werden von offizieller Seite regelmäßig mit dem Hinweis auf die angebliche Unterstützung einer terroristischen Vereinigung bzw. Verbreitung von Propaganda einer kriminellen Organisation gerechtfertigt. Nach glaubhaften Angaben von Menschenrechtsorganisationen kam es 2012 zu 37 Tötungen durch Sicherheitskräfte, Dorfvorsteher und nichtstaatliche Sicherheitskräfte in Folge rechtswidrigen Schusswaffengebrauches, Einsatzes von Tränengas etc.

Gefängnisse:

In der Türkei gibt es zurzeit 373 Gefängnisse (2011: 377; 2010: 371, 2009:429, 2006: 382), darunter 17 sog. F-Typ-Gefängnisse für Häftlinge, die wegen Terror- oder organisiertem Verbrechen verurteilt wurden. 2011 wurden 10 (2010: 7, 2009: 22) neue Haftanstalten geschaffen. In den vergangenen sechs Jahren wurden insgesamt 118 Haftanstalten geschlossen. Justizminister Ergin erklärte 2010, dass 87 neue Gefängnisse bis 2015 eröffnet werden sollen.

Die türkischen Gefängnisse waren in den letzten Jahren regelmäßig überfüllt. Die Regierung bemüht sich jedoch mit ersten Erfolgen um Entlastung, indem einerseits die Kapazität der Haftanstalten auf derzeit 141.775 Personen (2011: 121.804; 2010: 114.220) gesteigert und andererseits durch Gesetzesreformen die Verhängung u.a. der Untersuchungshaft in gewissem Umfang zurückgedrängt werden konnte. Ende 2012 waren nach offiziellen Angaben 125.549 Personen inhaftiert (2011: 127.831; 2010: 120.814, 2009: 116.917). Darunter befinden sich 93.092 Strafgefangene (2011: 73.419; 2010: 65.236, 2009:

77.040) und 32.457 Untersuchungshäftlinge (2011: 54.412; 2010:

55.578, 2009: 39.877).

Die Grundausstattung der türkischen Gefängnisse entspricht nach Angaben des türkischen Justizministeriums den EU-Standards. Auch der Ausschuss des Europarats für die Verhütung der Folter (CPT) bestätigt in seinem 2011 veröffentlichten Bericht, dass die materiellen Bedingungen in den Haftanstalten im Großen und Ganzen adäquat seien (CPT/Inf (2011) 13). Die Haftbedingungen sind aufgrund der großen Überbelegung der Haftanstalten jedoch dennoch schwierig. Das CPT empfiehlt die Haftbedingungen dahingehend zu prüfen, dass überall adäquater Zugang zu natürlichem Licht und die Möglichkeit zu täglichem Freiluftsport gewährleistet wird. Der Bericht des UN-Komitees gegen Folter (CAT) konstatiert darüber hinaus einen Mangel an Gefängnis-Personal (ca. 8.000) und medizinischem Personal. Berichte über mangelnden Zugang zur medizinischen Versorgung von kranken Häftlingen sind demzufolge besorgniserregend.

Grundversorgung:

In der Türkei gibt es keine mit dem deutschen Recht vergleichbare staatliche Sozialhilfe. Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294 über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, Gesetz über Organisation und Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt. Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftungen für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardimlasma ve Dayanisma Vakfi) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind. Anspruchsberechtigt nach Art. 2 des Gesetzes Nr. 3294 sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können.

Die Leistungsgewährung wird von Amts wegen geprüft. Eine neu eingeführte Datenbank vernetzt Stiftungen und staatliche Institutionen, um Leistungsmissbrauch entgegenzuwirken. Leistungen werden gewährt in Form von Unterstützung der Familie (Nahrungsmittel, Heizmaterial, Unterkunft), Bildungshilfen, Krankenhilfe, Behindertenhilfe sowie besondere Hilfeleistungen wie Katastrophenhilfe oder die Volksküchen. Ziel der Behörde ist es, möglichst alle Menschen zu erreichen, die mit weniger als 4,3 US-Dollar pro Tag auskommen müssen; dies entsprach 2011 2,79 % der Bevölkerung. Die Leistungen werden in der Regel als zweckgebundene Geldleistungen für neun bis zwölf Monate gewährt. Darüber hinaus existieren weitere soziale Einrichtungen, die ihre eigenen Sozialhilfeprogramme haben.

Medizinische Versorgung:

Das staatliche Gesundheitssystem hat sich in den letzten Jahren strukturell und qualitativ erheblich verbessert - vor allem in ländlichen Gegenden sowie für die arme, (bislang) nicht kranken-versicherte Bevölkerung. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet.

Landesweit gab es 2011 1.453 Krankenhäuser mit einer Kapazität von

194.504 Betten, davon ca. 60% in staatlicher Hand. Die Behandlung bleibt für die bei der staatlichen Krankenversicherung Versicherten mit Ausnahme der "Praxisgebühr" unentgeltlich. Grundsätzlich können sämtliche Erkrankungen in staatlichen Krankenhäusern angemessen behandelt werden, insbesondere auch chronische Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, Aids, Drogenabhängigkeit und psychiatrische Erkrankungen. Wartezeiten in den staatlichen Krankenhäusern liegen bei wichtigen Behandlungen/Operationen in der Regel nicht über 48 Stunden. In vielen staatlichen Krankenhäusern ist es jedoch (nach wie vor) üblich, dass Pflegeleistungen nicht durch Krankenhauspersonal, sondern durch Familienangehörige und Freunde übernommen werden.

Das neu eingeführte, seit 2011 flächendeckend etablierte Hausarztsystem ist von der Eigenanteil-Regelung ausgenommen. Nach und nach soll das Hausarztsystem die bisherigen Gesundheitsstationen (Saglik Ocagi) ablösen und zu einer dezentralen medizinischen Grundversorgung führen Die Inanspruchnahme des Hausarztes ist freiwillig.

Zum 01.01.2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Grundlage für das neue Krankenversicherungssystem ist das Gesetz Nr. 5510 über Sozialversicherungen und die Allgemeine Krankenversicherung vom 01.10.2008. Der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht unterfallen alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei, Ausnahmen gelten lediglich für das Parlament, das Verfassungsgericht, Soldaten/Wehrdienstleistende, Häftlinge sowie für die noch bis 2013 über eigene Betriebskrankenkassen versicherten Bankangestellten. Für nicht über eine Erwerbstätigkeit in der Türkei sozialversicherte Ausländer ist die Krankenversicherung freiwillig.

Die obligatorische Krankenversicherung erfasst u.a. Leistungen zur Gesundheitsprävention, stationäre und ambulante Behandlungen und Operationen, Laboruntersuchungen, zahnärztliche Heilbehandlungen sowie Medikamente, Heil- und Hilfsmittel. Unter bestimmten Voraussetzungen sind auch Behandlungen im Ausland möglich. Teilweise wird eine der "Praxisgebühr" ähnliche Zahlung oder eine Zuzahlung fällig, für besondere Zusatzleistungen wie Einzelzimmer oder Chefarztbehandlung sowie Behandlungen in privaten Krankenhäusern sollen ebenfalls zusätzliche Kosten anfallen (die grundsätzlich auch durch private Zusatzversicherungen abgedeckt werden können).

Die Beitragshöhe von in der Türkei sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen liegt bei 12,5 % des Bruttolohns, wovon 5 % von Arbeitnehmer- und 7,5 % von Arbeitgeberseite beglichen werden.

Nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallende türkische Staatsbürger mit einem Einkommen von weniger als einem Drittel des Mindestlohns können von der Beitragspflicht befreit werden. Bei einem Einkommen zwischen einem Drittel und einem vollen Mindestlohn liegt der monatliche Beitragssatz bei derzeit rund 39 TL, bis zu einem Einkommen des zweifachen Mindestlohns TL bei rund 117 TL und darüber bei rund 234 TL. Die Berechnung des Einkommens erfolgt durch die Stiftungen für Sozialhilfe und Solidarität unter Berücksichtigung der sonstigen Vermögenssituation des Antragstellers und der in seinem Haushalt lebenden Angehörigen. Bis Mitte 2013 haben sich rund 12 Millionen Türken einer solchen Einkommensüberprüfung unterzogen.

Die für eine gesundheitliche Versorgung mittelloser türkischer Staatsbürger bisher geltenden "Grünen Karten" (2011: knapp 9 Millionen Inhaber) sind ausgelaufen, ihre Inhaber sollen in die allgemeine Krankenversicherung überwechseln. Für Kinder bis zum Alter von 18 bzw. 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger‑)Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung. Besondere Beitragsregelungen gelten schließlich auch für Bezieher von Alters- und Erwerbsminderungsrenten.

Behandlung von RückkehrerInnen:

Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA.

Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18.12.2004 dürfen keine Suchvermerke mehr ins Personenstandsregister eingetragen werden. Sie kennzeichneten bis dahin Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Somit besteht für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte.

Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Es kann vorkommen, dass türkischen Staatsangehörigen, denen in Deutschland ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt wurde, bei der Einreise oder der versuchten Einreise in die Türkei dieses Ausweisdokument an der Grenze abgenommen wird. Diese Gefahr besteht insbesondere bei Personen, deren Ausweise nicht für die Türkei gültig sind, denen jedoch befristet eine auch für dieses Land geltende Reiseerlaubnis gewährt wurde.

Bei der Einreise in die Türkei wird keine Kontrolle dahingehend durchgeführt, ob eine Verwandtschaft zu Personen besteht, die im Zusammenhang mit Aktivitäten für die PKK verurteilt worden sind.

Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen.

Wenn festgestellt wird, dass ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person ebenfalls in Polizeigewahrsam genommen. Im sich anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten, wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert, ein Anwalt in der Regel hinzugezogen. Der Festgenommene wird ärztlich untersucht. Der Festgenommene darf zunächst 24 Stunden festgehalten werden. Eine Verlängerung dieser Frist auf 48 Stunden ist möglich. Danach findet erneut eine ärztliche Untersuchung statt. Es erfolgt eine weitere Befragung im Beisein eines Anwalts. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter mit dem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls. Bei der Befragung durch den Richter ist der Anwalt ebenfalls anwesend. Wenn auf Grund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt. Ein Anwalt wird hinzugezogen und eine ärztliche Untersuchung vorgenommen.

Der Staatsanwalt überprüft von Amts wegen, ob der Betroffene von den Amnestiebestimmungen des 1991 in Kraft getretenen Antiterrorgesetzes Nr. 3713 oder des im Dezember 2000 in Kraft getretenen Gesetzes Nr. 4616 (Gesetz über die bedingte Entlassung, Verfahrenseinstellung und Strafaussetzung zur Bewährung bei Straftaten, die vor dem 23. April 1999 begangen worden sind) profitieren kann oder ob gemäß Art. 102 StGB a. F. (jetzt Art. 66 StGB n. F.) Verjährung eingetreten ist. Sollte das Verfahren aufgrund der vorgenannten Bestimmungen ausgesetzt oder eingestellt sein, wird der Festgenommene freigelassen.

Andernfalls fordert der Staatsanwalt von dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, einen Haftbefehl an. Der Verhaftete wird verhört und mit einem Haftbefehl - der durch den örtlich zuständigen Richter erlassen wird - dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, überstellt. Während der Verhöre - sowohl im Ermittlungs- als auch im Strafverfahren - sind grundsätzlich Kameras eingeschaltet.

Die illegale Ein- und Ausreise ist strafbar. Mit Änderung des Art. 33 des Passgesetzes, in Kraft getreten am 04.04.2011, wird die Ein- und Ausreise ohne authentische Pass oder Passersatzpapiere mit einem Bußgeld i. H. v. 3.000 TL (knapp 1.300 €) geahndet.

Illegale Einreisen in die Türkei erfolgen auf mehreren Routen. Die klassischen illegalen Einreisen vollziehen sich weiterhin auf dem Landweg als Schleusungen über die Grenzregionen zu Iran und Irak ohne Nutzung von ge- oder verfälschten Dokumenten. In den grenznahen Städten Erzurum und Van bzw. in Istanbul werden die illegalen Migranten häufig mit ge- und verfälschten Reisedokumenten ausgestattet. Echte türkische Dokumente mit EU-Aufenthaltstiteln werden ebenfalls häufig von den rechtmäßigen Besitzern illegalen Migranten überlassen bzw. von diesen nach organisiertem Diebstahl für die Weiterreise nach Westeuropa missbräuchlich genutzt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den gg. Verfahrensakt des Bundesasylamtes, Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem AsylGH im Beisein des BF und seiner Vertretung, ergänzende Beweisaufnahmen durch den AsylGH sowie das BVwG und Einholung von Stellungnahmen zum Ergebnis dieser Beweisaufnahmen.

2.2. Die Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, regionale und familiäre Herkunft des BF konnten aufgrund der diesbezüglich bereits erstinstanzlich als glaubwürdig festgestellten und durch die Ergebnisse der ergänzenden Ermittlungen im Beschwerdeverfahren bestätigten Angaben des BF festgestellt werden.

Die Feststellungen zum Reiseweg und zur Einreise des BF nach Österreich und seiner Antragstellung hierorts sowie zum gg. Verfahrensverlauf stützen sich auf die glaubwürdigen persönlichen Angaben des BF und den gg. Verfahrensakt.

Die Feststellungen zum aktuellen familiären und sozialen Leben des BF, seinem Gesundheitszustand und seinem Lebenswandel bis dato in Österreich, stützen sich auf seine diesbezüglich ebenso glaubwürdigen, weil stringenten und nachvollziehbaren Angaben im Beschwerdeverfahren.

Die Feststellungen zum Leistungsbezug aus der Grundversorgung für Asylwerber und zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit in Österreich stützen sich auf die vom BVwG dazu eingesehenen Datenbanken.

2.3. Die Feststellungen zur Wehrpflicht des BF stützen sich auf die Angaben des BF in der Zusammenschau mit den länderkundlichen Informationen des BVwG.

2.4. Die Feststellungen zur politischen Vergangenheit des BF in der Türkei, seiner Mitgliedschaft bei der PKK im oben genannten Zeitraum und seinen Aktivitäten innerhalb der Organisation, seinem Aufenthalt in weiterer Folge im Flüchtlingslager XXXX und seinen Aktivitäten dort stützen sich auf die persönlichen Angaben des BF, die dazu von ihm vorgelegten Beweismittel und die Ergebnisse der dazu erfolgten Ermittlungen im Auftrag des BVwG, welche insgesamt ein unstrittiges Gesamtbild ergaben.

Nicht feststellbar war, ob gegen den BF in der Türkei jemals ein sicherheitsbehördliches Ermittlungsverfahren wegen seiner Mitgliedschaft bei der PKK geführt wurde, da die mit Zustimmung des BF durchgeführten Erhebungen im Wege der dortigen österr. Vertretungsbehörde und deren Vertrauensanwalt diesbezüglich keine entsprechenden Informationen zu Tage brachten. Auch der BF selbst konnte dazu keine konkreten Angaben machen.

Die Feststellungen zur Wahrscheinlichkeit eines sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahrens einschließlich der Möglichkeit der Verhängung einer Untersuchungshaft gegen ihn und allenfalls auch der strafgerichtlichen Verurteilung des BF auf der Grundlage der og. strafgesetzlichen und strafprozessualen Bestimmungen stützen sich auf die Einsichtnahme des BVwG in das türkische Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung sowie die Äußerungen der dazu befragten unabhängigen Gutachterin.

2.5. Die länderkundlichen Feststellungen des BVwG stützen sich auf den dazu eingesehenen aktuellen länderkundlichen Bericht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß Art. 151 Abs. 51 Z. 7 B-VG wurde der Asylgerichtshof mit 1.1.2014 zum Bundesverwaltungsgericht, die Mitglieder des AsylGH wurden zu Mitgliedern des BVwG.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Soweit die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG die Entscheidungen und Anordnungen des Verwaltungsgerichts durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts § 29 Abs. 1 zweiter Satz und Abs. 4 und § 30 VwGVG sinngemäß anzuwenden. Das gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 144/2013, und ist somit auf alle ab diesem Zeitpunkt gestellten Asylanträge anzuwenden.

Gem. § 75 Abs. 19 AsylG sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Asylgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren ab 1. Jänner 2014 vom Bundesverwaltungsgericht nach Maßgabe des Abs. 20 zu Ende zu führen.

Zu A)

1. Gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 AsylG ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn der Fremde einen Asylausschlussgrund iSd § 6 AsylG gesetzt hat.

Gemäß § 6 Abs 1 Z 2 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der GFK genannten Ausschlussgründe vorliegt. Liegt einer der in Abs. 1 genannten Ausschlussgründe vor, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß Abs. 2 ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 AsylG gilt.

Gemäß § 8 Abs. 3a AsylG hat die Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder 13 zur Konvention bedeuten würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.

Gemäß § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten auch dann abzuerkennen, wenn einer der in Art. 1 Abschnitt F der GFK genannten Gründe vorliegt.

Gemäß Artikel 1 Abschnitt F lit. c der Genfer Flüchtlingskonvention findet dieses Abkommen keine Anwendung auf Personen, hinsichtlich derer ernsthafte Gründe für den Verdacht bestehen, dass sie sich Handlungen schuldig gemacht haben, die sich gegen die Ziele und Prinzipien der Vereinten Nationen richten.

Gemäß Art 12 Abs 2 lit c der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 (auch: StatusRL, zuletzt in der Fassung 2011/95/EU) ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass er sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

Gemäß Absatz 3 findet Absatz 2 auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

Gemäß Art 17 Abs. 1 lit. c der Richtlinie ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er sich Handlungen zuschulden kommen ließ, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen, wie sie in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen verankert sind, zuwiderlaufen.

Gemäß Abs. 2 findet Absatz 1 auf Personen Anwendung, die andere zu den darin genannten Straftaten oder Handlungen anstiften oder sich in sonstiger Weise daran beteiligen.

Laut dem dritten Erwägungsgrund der Richtlinie stellt die Genfer Konvention einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar.

Der 22. Erwägungsgrund der Richtlinie lautet:

"Handlungen im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen sind in der Präambel und in den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt; sie sind unter anderem in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert, in denen erklärt wird, ‚dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen' und ‚dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen'."

Nach den terroristischen Anschlägen am 11. September 2001 in New York, Washington und Pennsylvania beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen am 28. September 2001 auf der Grundlage von Kapitel VII der Charta der Vereinten Nationen die Resolution 1373 (2001).

In den Erwägungsgründen dieser Resolution bekräftigt der Sicherheitsrat die "Notwendigkeit, durch terroristische Handlungen verursachte Bedrohungen des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln im Einklang mit der Charta der Vereinten Nationen zu bekämpfen".

In Ziff. 5 dieser Resolution heißt es, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen und dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen".

Am 12. November 2001 beschloss der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Resolution 1377 (2001), in der er "betont, dass Akte des internationalen Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen stehen und dass die Finanzierung, Planung und Vorbereitung sowie jegliche andere Form der Unterstützung von Akten des internationalen Terrorismus ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen [dieser] Charta stehen".

Zur Umsetzung der Resolution 1373 (2001) nahm der Rat der Europäischen Union am 27. Dezember 2001 den Gemeinsamen Standpunkt 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus (ABl. L 344, S. 93) an.

Nach Art. 1 Abs. 1 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 gilt dieser für die in seinem Anhang aufgeführten "Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind".

Nach Art. 1 Abs. 2 und 3 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 bezeichnen die Begriffe

"(2) ... ‚Personen, Vereinigungen und Körperschaften, die an terroristischen Handlungen beteiligt sind'

(3) ... ‚terroristische Handlung' eine der nachstehend aufgeführten vorsätzlichen Handlungen, die durch ihre Art oder durch ihren Kontext ein Land oder eine internationale Organisation ernsthaft schädigen kann und im innerstaatlichen Recht als Straftat definiert ist, wenn sie mit dem Ziel begangen wird,

...

iii) die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören:

...

k) Beteiligung an den Aktivitäten einer terroristischen Vereinigung einschließlich durch Bereitstellung von Informationen oder materiellen Mitteln oder durch jegliche Art der Finanzierung ihrer Aktivitäten in dem Wissen, dass diese Beteiligung zu den kriminellen Aktivitäten der Gruppe beiträgt...."

Der Gemeinsame Standpunkt 2001/931 enthält einen Anhang mit der Überschrift "Erste Liste der in Artikel 1 genannten Personen, Vereinigungen und Körperschaften". Der Inhalt dieses Anhangs wurde durch den Gemeinsamen Standpunkt 2002/340/GASP des Rates vom 2. Mai 2002 (ABl. L 116, S. 75) aktualisiert.

In Abschnitt 2 ("Gruppen und Organisationen") des in dieser Weise aktualisierten Anhangs sind unter Ziff. 9 die "Kurdische Arbeiterpartei (PKK)" und unter Ziff. 19 die "Revolutionäre Volksbefreiungsarmee/-front/-partei (DHKP/C) (auch Devrimci Sol, Dev Sol)" aufgeführt. Diese Organisationen wurden sodann gemäß den späteren Gemeinsamen Standpunkten des Rates weiter auf der Liste nach Art. 1 Abs. 1 und 6 des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 geführt, zuletzt gemäß Verordnung (EU) Nr. 125/2014 des Rates vom 10. Februar 2014 zur Durchführung des Artikels 2 Absatz 3 der Verordnung (EG) Nr. 2580/2001 über spezifische, gegen bestimmte Personen und Organisationen gerichtete restriktive Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 714/2013.

2. Im aufgrund eines Vorabentscheidungsersuchens des deutschen Bundesverwaltungsgerichtes zur Auslegung des Art. 12 Abs. 2 lit. b und c der Statusrichtlinie geführten Verfahren vor der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs (auch: EuGH) vom 09.11.2010 in der Rechtssache C-101/09 (diese verbunden mit C-57/09 ) wollte das vorlegende Gericht erstens wissen, ob eine "schwere nichtpolitische Straftat" oder "Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen", im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie vorliegen, wenn die betreffende Person einer Organisation angehört hat, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, und den bewaffneten Kampf dieser Organisation, gegebenenfalls in hervorgehobener Position, aktiv unterstützt hat.

Im dazu ergangenen Urteil führte der EuGH aus:

"Es ist ... festzustellen, dass terroristische Handlungen, die durch

ihre Gewalt gegenüber Zivilbevölkerungen gekennzeichnet sind, auch wenn mit ihnen vorgeblich politische Ziele verfolgt werden, als schwere nichtpolitische Straftaten im Sinne des genannten Buchst. b angesehen werden müssen.

Was zweitens die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie genannten Handlungen, die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen, anbelangt, so wird im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie angegeben, dass sie in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u. a. in den Resolutionen der Vereinten Nationen zu Antiterrormaßnahmen verankert sind.

Zu diesen Akten gehören die Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, denen zu entnehmen ist, dass dieser von dem Grundsatz ausgeht, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

Daraus folgt, dass ... die zuständigen Stellen der Mitgliedstaaten

die Bestimmung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie auch auf eine Person anwenden können, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt war, die eine internationale Dimension aufweisen."

Im Hinblick auf die Frage, inwieweit eine Zugehörigkeit zu einer solchen Organisation impliziert, dass die betreffende Person unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie fällt, wenn sie, gegebenenfalls in hervorgehobener Position, den von dieser Organisation geführten bewaffneten Kampf aktiv unterstützt hat, sei darauf hinzuweisen, dass Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie, wie im Übrigen auch Art. 1 Abschnitt F Buchst. b und c der Genfer Konvention, eine Person nur dann von der Flüchtlingsanerkennung auszuschließen erlaubt, wenn "schwerwiegende Gründe" zu der Annahme berechtigen, dass sie eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb ihres Aufnahmelandes "begangen hat", bevor sie als Flüchtling aufgenommen wurde, oder dass sie sich Handlungen "zuschulden kommen ließ", die den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Die zuständige Stelle des betreffenden Mitgliedstaats dürfe diese Bestimmungen (jedoch) erst anwenden, nachdem sie in jedem Einzelfall eine Würdigung der genauen tatsächlichen Umstände, die ihr bekannt sind, vorgenommen hat, um zu ermitteln, ob schwerwiegende Gründe zu der Annahme berechtigen, dass die Handlungen des Betreffende unter einen der beiden Ausschlusstatbestände fallen. Folglich könne, auch wenn die Handlungen einer Organisation, die wegen ihrer Beteiligung an terroristischen Handlungen in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführt ist, unter einen der in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe fallen können, allein der Umstand, dass die betreffende Person einer solchen Organisation angehört hat, nicht automatisch zur Folge haben, dass sie nach diesen Bestimmungen von der Anerkennung als Flüchtling auszuschließen ist. Indessen erlaube die Aufnahme einer Organisation in eine Liste wie die im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 enthaltene die Feststellung, dass die Vereinigung, der die betreffende Person angehört hat, terroristischer Art ist, was einen Gesichtspunkt darstellt, den die zuständige Stelle zu berücksichtigen hat, wenn sie in einem ersten Schritt prüft, ob die Vereinigung Handlungen begangen hat, die unter Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie fallen. (Dennoch) falle auch die Beteiligung an den Handlungen einer terroristischen Vereinigung im Sinne von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b des Rahmenbeschlusses 2002/475 nicht notwendig und automatisch unter die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe. Für die Feststellung, dass die in Art. 12 Abs. 2 Buchst. b und c der Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe vorliegen, sei es (vielmehr) erforderlich, dass der betreffenden Person ein Teil der Verantwortung für Handlungen, die von der fraglichen Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft der Person in dieser Organisation begangen wurden, zugerechnet werden kann, wobei dem in diesem Abs. 2 verlangten Beweisniveau Rechnung zu tragen ist. Diese individuelle Verantwortung ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen. Hierfür habe die zuständige Stelle insbesondere die Rolle zu prüfen, die die betreffende Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen tatsächlich gespielt hat, ihre Position innerhalb dieser Organisation, den Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, die etwaigen Pressionen, denen sie ausgesetzt gewesen wäre, oder andere Faktoren, die geeignet waren, ihr Verhalten zu beeinflussen.

Die weitere Vorlagefrage, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie voraussetze, dass von der betreffenden Person weiterhin eine Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat ausgehe, wurde vom EuGH verneint.

Ebenso verneint wurde vom EuGH die dritte Vorlagefrage, ob der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung gemäß Art. 12 Abs. 2 Buchst. b oder c der Richtlinie eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetzt.

3. Im gg. Beschwerdeverfahren war - im Lichte der persönlichen Aussagen des BF insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem AsylGH am 02.10.2013, der von ihm zu seinem Vorbringen vorgelegten und amtswegig überprüften Beweismittel sowie seiner abschließenden schriftlichen Stellungnahme im Beschwerdeverfahren - als unstrittig festzustellen, dass sich der BF - ausgehend von seinem studentischen Engagement in der Kurdenfrage - 1991 in der Türkei der PKK anschloss, dort vorerst eine ideologische und militärische Ausbildung genoss und sodann Mitglied der im Gebirgsland des Nordirak entlang der irakisch-türkischen Grenze stationierten Verbände der PKK wurde, wo er sich an wechselnden Orten zwischen 1991 und 2006 aufhielt. Dort war er über diese Jahre hinweg seiner Aussage nach mit publizistischen Aufgaben befasst, er war für die Pressearbeit und für Publikationen der PKK zuständig, er redigierte und publizierte u.a. Reden des PKK-Führers Öcalan und den Inhalt von Versammlungen und Konferenzen der PKK und beaufsichtigte die Druckereien der PKK im Nordirak. Dabei befand er sich auch in Gesellschaft der damaligen Führungskader der Organisation. Ob er daneben auch an etwaigen Kampfhandlungen oder anderen Feldoperationen der PKK teilnahm, war für das BVwG nicht feststellbar, zumal er dies in Abrede stellte und Belege für Gegenteiliges nicht hervorkamen. Im Jahr 2006 wurde der BF aufgrund seiner angeschlagenen Gesundheit auf eigenen Wunsch ins Flüchtlingslager XXXX verlegt, wo er sich bis 2010 aufhielt.

Vor diesem individuellen Hintergrund kommt das erkennende Gericht bei einer Prüfung des Sachverhalts entlang der im og. Urteil des EuGH dargelegten Kriterien zum Ergebnis, dass der BF über ca. 15 Jahre hinweg dem inneren Kern der PKK im Nordirak angehörte und deshalb mit den Zielen und Methoden dieser als Terrororganisation zu bezeichnenden Vereinigung nicht nur bestens vertraut war, sondern persönlich durch seine Tätigkeit zur Verbreitung und Unterstützung derselben maßgeblich beitrug. In diesem Sinne trug er daher auch eine wesentliche persönliche Mitverantwortung für den Bestand und die Aktivitäten der PKK. Der BF hat diese persönliche Rolle innerhalb der PKK im gg. Beschwerdeverfahren nie bestritten, er behauptete auch nie zu seiner Mitwirkung gezwungen worden zu sein, sondern erfolgte sowohl sein Beitritt als auch seine nachfolgende Mitarbeit aus persönlicher Überzeugung. Dass er sich darüber hinaus nach wie vor ideologisch mit dem "Kampf für die Interessen des kurdischen Volkes gegen den faschistoiden türkischen Staat" identifiziert, hat er abschließend noch in einer persönlichen Stellungnahme an das BVwG zum Ausdruck gebracht. Die Beendigung der dargestellten Tätigkeiten im Jahr 2006 erfolgte seiner Aussage nach auf eigenen Wunsch aus gesundheitlichen Gründen. Seine Ausreise aus dem Irak nach Österreich erfolgte nicht, weil er etwa aus der PKK ausgeschlossen oder von dieser verfolgt wurde, sondern weil er die unfreiwillige Aufgabe seines Aufenthalts in XXXX befürchtete, die er mit der Gefahr einer Festnahme durch türkische Sicherheitskräfte und anschließenden strafgerichtlichen Verurteilung im Herkunftsstaat verband.

Insgesamt gesehen waren somit aus Sicht des erkennenden Gerichtes sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht die Voraussetzungen des in Art. 12 Abs. 2 Buchst. c und Absatz 3 der Statusrichtlinie vorgesehenen Ausschlussgrundes als erfüllt anzusehen.

4. Vor diesem Hintergrund war daher die Beschwerde gegen Spruchteil

I des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Asylbegehren des BF gemäß § 3 Abs. 3 Z. 2 iVm § 6 Abs. 1 Z. 2 und Abs. 2 AsylG abzuweisen war.

5. Aus den unter 3. getroffenen Erwägungen war der festgestellte Sachverhalt folgerichtig auch unter die Kriterien des Art. 17 Abs. 1 lit c. und Abs. 2 der Statusrichtlinie bzw. des Art. 1 Abschnitt F lit. c der GFK und damit unter die Bestimmungen der §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG zu subsumieren.

6. Vor diesem Hintergrund war daher auch die Beschwerde gegen Spruchteil II des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe abzuweisen, dass das Begehren des BF hinsichtlich der Gewährung subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 3a iVm § 9 Abs. 2 Z. 1 AsylG abzuweisen war.

7. Das BVwG gelangte im Beschwerdeverfahren u.a. zur Feststellung, dass der BF bei einer Rückkehr in die Türkei dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ein sicherheitsbehördliches Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der vormaligen Zugehörigkeit zur PKK und auf dieser Grundlage allenfalls auch eine strafgerichtliche Verurteilung wegen des Vorwurfs der Begehung einer Straftat nach dem vierten und fünften Abschnitt des vierten Teils des türkischen StGB (sogen. "Staatsschutzdelikte") zu gewärtigen hätte.

Das BVwG erachtet ein solches Ermittlungsverfahren bzw. eine allenfalls daraus resultierende strafgerichtliche Verurteilung per se nicht als staatliche Verfolgung in asylrelevanter Form ("persecution"), sondern als strafrechtlich legitimiertes Vorgehen gegen Mitglieder einer nicht nur in der Türkei, sondern auch von den EU-Mitgliedstaaten als Terrororganisation eingestuften bewaffneten Organisation ("prosecution"). Auch wenn naturgemäß eher Mitglieder der kurdischen Volksgruppe der PKK angehören und diese wiederum ideologisch-politische Motive für deren Mitgliedschaft aufweisen sollten, ist daraus aus Sicht des BVwG auch nicht abzuleiten, dass ein strafrechtliches Vorgehen gegen diese lediglich durch deren ethnische Zugehörigkeit oder deren politischen Gesinnung bestimmt ist, sondern sich dieses unabhängig davon grundsätzlich der Bekämpfung terroristischer Aktivitäten zur gewaltsamen Durchsetzung der Ziele einer solchen Organisation richtet.

Auch würde eine allenfalls erfolgende Verurteilung nach Art. 314 Abs. 2 türkisches StGB ("Mitgliedschaft in einer bewaffneten Organisation"), mit der aus Sicht des erkennenden Gerichtes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu rechnen wäre, auch iVm mit einer Straferhöhung nach dem türkischen Antiterrorgesetz, woraus eine Strafdrohung im Ausmaß von 7,5 bis 15 Jahren resultieren würde, keine so unverhältnismäßige Bestrafung darstellen, dass diese als solche Asylrelevanz beinhalten oder eine Verletzung des Art.3 EMRK darstellen würde. Auf die Möglichkeit einer vorzeitigen Haftentlassung gegen Bewährung ist in diesem Zusammenhang der Vollständigkeit halber zu verweisen.

Im Übrigen geht das BVwG im Lichte seiner länderkundlichen Feststellungen auch nicht davon aus, dass der BF keinen Zugang zu einem rechtsstaatlichen Verfahren einschließlich einer rechtsfreundlichen Unterstützung sowie der Verfügbarkeit von Rechtsmittel hätte, noch dass aufgrund behaupteter Vorwürfe von Misshandlungen in Haftanstalten, die sich aus Sicht des Gerichtes jedoch in keiner systematischen Form, sondern lediglich als vereinzelte Fälle feststellen ließen, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen wäre, dass der BF dieser Gefahr ausgesetzt wäre.

Im Lichte des festgestellten Sachverhalts besteht darüber hinaus jedoch die realistische Möglichkeit, dass der BF nicht nur wegen Art. 314 StGB, sondern auch wegen Art. 302 StGB ("Separatismus" bzw. "Zerstörung der Einheit des Staates"), Art. 309 StGB ("Verfassungsumsturz"), Art. 313 StGB ("Aufhetzung zum bewaffneten Aufstand gegen die Regierung der Türkischen Republik") und/oder Art. 316 StGB ("Verabredung zu einer in Abschnitt 4 und 5 des vierten Teils des StGB enthaltenen Straftat") belangt werden würde. Diese Schlussfolgerung resultiert aus Sicht des BVwG aus dem Umstand, dass der BF über ca. 15 Jahre lang aktiv und innerhalb der Führungskader der PKK an der publizistischen Verbreitung und Umsetzung deren Ziele beteiligt war. Die Art. 302, 309 und 313 StGB sind mit langjähriger Haftstrafe (Art. 313) oder mit erschwerter lebenslanger Haft (Art. 302, 309) bedroht.

Aus den länderkundlichen Informationen, die dem BVwG vorliegen bzw. vorgelegt wurden, läßt sich entnehmen, dass eine strafgerichtliche Verurteilung mit Terrorismusbezug in der Türkei zu einem Haftvollzug in einem der u.a. dafür vorgesehenen sogen. Typ-F-Haftanstalten, d. h. in Hochsicherheitsstrafvollzugshaftanstalten, führen kann. Im Falle der Verurteilung zu erschwerter lebenslänglicher Haft verbüßen Betroffene ihre Strafe darüber hinaus in Einzel- bzw. Isolationshaft. Zwar steht den türkischen Strafvollzugsbestimmungen zufolge diesen Anstaltsinsassen "täglich ein einstündiger Hofgang, 15-täglich ein zehnminütiges Telefongespräch sowie ein einstündiger Besuch von Ehepartnern, Verwandten ersten Grades und Geschwistern" zu. In einem Bericht des UN-Komitees gegen Folter (CAT) wird jedoch ein Mangel insbesondere an medizinischem Personal konstatiert, auch der Ausschuss des Europarates für die Verhütung von Folter (CPT) äußerte in einem Bericht "ernste Besorgnis über unangemessene Gesundheitsfürsorge und einen drastischen Ärztemangel", ebenso wie im periodischen Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission zur Türkei aus 2012 konstatiert wurde, dass es "vielen kranken Häftlingen an angemessener medizinsicher Behandlung fehle" und "die Bedingungen in Typ-F-Gefängnissen physiologische und psychologische Schäden verursachen", und in einem Fact-Finding-Mission-Report der International Federation for Human Rights festgestellt wurde, dass "Typ-F-Gefängnisse durch ein- bzw. Drei-Mann-Isolationszellen gekennzeichnet" sind und es dort berichteter Weise zu Misshandlungen von Häftlingen kommen soll (vgl. Anfragebeantwortung der Staatendokumentation des Bundesasylamtes an den AsylGH v. 25.01.2013, und die dort zitierten Quellen).

Nachdem aus den oben getroffenen Feststellungen zur früheren hervorgehobenen Rolle des BF innerhalb der PKK abzuleiten war, dass ihm bei einer Rückkehr in die Türkei auch eine strafgerichtliche Verurteilung zu erschwerter lebenslänglicher Haft drohen würde, ergibt sich daraus aus Sicht des BVwG im Fall des BF das reale Risiko, im Gefolge einer solchen Verurteilung über sehr lange Zeit hinweg den inadäquaten Haftbedingungen in der Isolationshaft in einem der Hochsicherheitsgefängnisse der Türkei für Delinquenten mit Terrorismusbezug ausgesetzt zu sein, wobei sich daran noch die Frage der allfälligen medizinischen Versorgung des BF schließt, zumal er mit einer Tuberkuloseerkrankung nach Österreich einreiste, die hierorts zwar medikamentös behandelt wurde, jedoch einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle bedarf. Auch der Aspekt, dass im Zuge des sicherheitsbehördlichen Ermittlungsverfahrens gegen den BF eine bis zu fünfjährige Untersuchungshaft verhängt werden kann, war hierbei zu berücksichtigen.

In einer Gesamtbetrachtung dieser Aspekte erachtet es das erkennende Gericht daher als zulässig festzustellen, dass die relevante Schwelle für das Bestehen des realen Risikos einer drohenden Verletzung der durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte des BF durch eine insgesamt drohende unmenschliche Behandlung des BF im Strafvollzug erreicht werden würde.

8. Aus dieser Feststellung war wiederum zu folgern, dass die Abschiebung des BF in die Türkei in Anwendung des § 8 Abs. 3a 2.Satz AsylG unzulässig ist. Der weitere Aufenthalt des BF im Bundesgebiet ist damit gemäß § 46a Abs. 1 Z. 2 FPG geduldet und ist ihm gemäß Abs. 2 eine Karte für Geduldete auszustellen.

9. Folgerichtig war auch die in Spruchpunkt III des bekämpften Bescheides ausgesprochene Ausweisung des BF in die Türkei spruchgemäß aufzuheben.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzlichen Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiter ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

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