VfGH G352/2021

VfGHG352/202114.12.2023

Verstoß von Bestimmungen der StPO betreffend die Sicherstellung von beweglichen Gegenständen und Datenträgern ("Handysicherung") gegen das Recht auf Datenschutz iVm Achtung des Privat und Familienlebens; Unverhältnismäßigkeit der Sicherstellung, Auswertung, Speicherung und Weiterverarbeitung der Daten wegen des umfassenden — besonders eingriffsintensiven — Einblicks in wesentliche Lebensbereiche des Betroffenen; kein dringender, sondern ein bloßer Anfangsverdacht hinsichtlich einer – von Schwere oder sonstiger Qualifikation unabhängigen – Straftat ermöglicht die Auswertung sensibler Daten von (auch Dritten) Personen im Ermittlungsverfahren vor den Strafverfolgungsorganen; kein wirksamer Rechtsschutz gegen die weitgehenden Eingriffsbefugnisse der Strafverfolgungsorgane im Ermittlungsverfahren; richterliche Kontrolle der weitreichenden und eingriffsintensiven Befugnisse — wie bei der Beschlagnahme von Gegenständen — zum effektiven Grundrechtsschutz notwendig; bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten sowie Pflicht der Strafverfolgungsorgane zur Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der StPO zur Vermeidung von Rechtsgutbeeinträchtigungen nicht ausreichend

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd, Art140 Abs8
DSG §1
EMRK Art8
StPO §1, §5, §74, §75, §91, §106, §109, §110 Abs1 Z1, §110 Abs4, §111 Abs2, §112, §112a, §113, §114, §115
VfGG §7 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2023:G352.2021

 

Spruch:

I. §110 Abs1 Z1 und Abs4 sowie §111 Abs2 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl Nr 631/1975, idF BGBl I Nr 19/2004 werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2024 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Bundeskanzler ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Bundesgesetzblatt I verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Gestützt auf Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge §110 Abs1 Z1, §110 Abs4 und §111 Abs2 der Strafprozeßordnung 1975 (StPO), BGBl 631/1975, idF BGBl I 19/2004 als verfassungswidrig aufheben. Im Rahmen zweier Eventualanträge begehrt der Antragsteller die Aufhebung der §§110 bis 114 StPO in unterschiedlichen Fassungen.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen der Strafprozeßordnung (StPO), BGBl 631/1975 (WV), idF BGBl I 243/2021 lauten wie folgt (die mit dem Hauptantrag angefochtenen Bestimmungen in der Fassung BGBl I 19/2004 sind hervorgehoben):

"1. Teil

Allgemeines und Grundsätze des Verfahrens

 

1. Hauptstück

Das Strafverfahren und seine Grundsätze

 

Das Strafverfahren

 

§1. (1) Die Strafprozessordnung regelt das Verfahren zur Aufklärung von Straftaten, über die Verfolgung verdächtiger Personen und über damit zusammenhängende Entscheidungen. Straftat im Sinne dieses Gesetzes ist jede nach einem Bundes- oder Landesgesetz mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung.

 

(2) Das Strafverfahren beginnt, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (Abs3) nach den Bestimmungen des 2. Teils dieses Bundesgesetzes ermitteln; es ist solange als Ermittlungsverfahren gegen unbekannte Täter oder die verdächtige Person zu führen, als nicht eine Person auf Grund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben (§48 Abs1 Z2), danach wird es als Ermittlungsverfahren gegen diese Person als Beschuldigten geführt. Das Strafverfahren endet durch Einstellung oder Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft oder durch gerichtliche Entscheidung.

 

(3) Ein Anfangsverdacht liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist.

[…]

Gesetz- und Verhältnismäßigkeit

 

§5. (1) Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen bei der Ausübung von Befugnissen und bei der Aufnahme von Beweisen nur soweit in Rechte von Personen eingreifen, als dies gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und zur Aufgabenerfüllung erforderlich ist. Jede dadurch bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung muss in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der Straftat, zum Grad des Verdachts und zum angestrebten Erfolg stehen.

 

(2) Unter mehreren zielführenden Ermittlungshandlungen und Zwangsmaßnahmen haben Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht jene zu ergreifen, welche die Rechte der Betroffenen am Geringsten beeinträchtigen. Gesetzlich eingeräumte Befugnisse sind in jeder Lage des Verfahrens in einer Art und Weise auszuüben, die unnötiges Aufsehen vermeidet, die Würde der betroffenen Personen achtet und deren Rechte und schutzwürdige Interessen wahrt.

 

[…]

5. Hauptstück

Gemeinsame Bestimmungen

 

1. Abschnitt

Einsatz der Informationstechnik

 

Verarbeitung personenbezogener Daten

 

§74. (1) Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht dürfen im Rahmen ihrer Aufgaben die hierfür erforderlichen personenbezogenen Daten verarbeiten. Soweit zum Verarbeiten personenbezogener Daten nichts anderes bestimmt wird, finden die Bestimmungen des Datenschutzgesetzes – DSG, BGBl I Nr 165/1999, Anwendung.

 

(2) Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht haben beim Verarbeiten personenbezogener Daten den Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit (§5) zu beachten. Jedenfalls haben sie schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen an der Geheimhaltung zu wahren und vertraulicher Behandlung personenbezogener Daten Vorrang einzuräumen. Bei der Verarbeitung besonderer Kategorien (§39 DSG) und strafrechtlich relevanter personenbezogener Daten haben sie angemessene Vorkehrungen zur Wahrung der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Personen zu treffen.

Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten

 

§75. (1) Unrichtige, unvollständige oder entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes ermittelte personenbezogene Daten sind von Amts wegen oder auf Antrag der betroffenen Person unverzüglich richtig zu stellen, zu vervollständigen oder zu löschen. Behörden und Gerichte sind von der Berichtigung oder Löschung jener personenbezogenen Daten zu verständigen, die ihnen zuvor übermittelt worden sind (§76 Abs4). Überdies sind von der Berichtigung jene Behörden und öffentlichen Dienststellen des Bundes, der Länder und der Gemeinden sowie andere durch Gesetz eingerichtete Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts zu verständigen, von denen die zu berichtigenden Daten stammen.

[…]

2. TEIL

Das Ermittlungsverfahren

 

6. Hauptstück

Allgemeines

 

1. Abschnitt

Zweck des Ermittlungsverfahrens

 

Zweck des Ermittlungsverfahrens

 

§91. (1) Das Ermittlungsverfahren dient dazu, Sachverhalt und Tatverdacht durch Ermittlungen soweit zu klären, dass die Staatsanwaltschaft über Anklage, Rücktritt von der Verfolgung oder Einstellung des Verfahrens entscheiden kann und im Fall der Anklage eine zügige Durchführung der Hauptverhandlung ermöglicht wird.

 

(2) Ermittlung ist jede Tätigkeit der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts, die der Gewinnung, Sicherstellung, Auswertung oder Verarbeitung einer Information zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat dient. Sie ist nach der in diesem Gesetz vorgesehenen Form entweder als Erkundigung oder als Beweisaufnahme durchzuführen. Die bloße Nutzung von allgemein zugänglichen oder behördeninternen Informationsquellen sowie die Durchführung von Erkundigungen zur Klärung, ob ein Anfangsverdacht (§1 Abs3) vorliegt, stellen keine Ermittlung in diesem Sinn dar.

[…]

 

7. Hauptstück

Aufgaben und Befugnisse der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und des Gerichts

 

[…]

 

4. Abschnitt

Gericht im Ermittlungsverfahren

 

[…]

 

Einspruch wegen Rechtsverletzung

 

§106. (1) Einspruch an das Gericht steht jeder Person zu, die behauptet, im Ermittlungsverfahren durch Staatsanwaltschaft in einem subjektiven Recht verletzt zu sein, weil

1. ihr die Ausübung eines Rechtes nach diesem Gesetz verweigert oder

2. eine Ermittlungs- oder Zwangsmaßnahme unter Verletzung von Bestimmungen dieses Gesetzes angeordnet oder durchgeführt wurde.

Im Fall des Todes der zum Einspruch berechtigten Person kommt dieses Recht den in §65 Z1 litb erwähnten Angehörigen zu. Eine Verletzung eines subjektiven Rechts liegt nicht vor, soweit das Gesetz von einer bindenden Regelung des Verhaltens von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei absieht und von diesem Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde.

 

(2) Soweit gegen die Bewilligung einer Ermittlungsmaßnahme Beschwerde erhoben wird, ist ein Einspruch gegen deren Anordnung oder Durchführung mit der Beschwerde zu verbinden. In einem solchen Fall entscheidet das Beschwerdegericht auch über den Einspruch.

 

(3) Der Einspruch ist binnen sechs Wochen ab Kenntnis der behaupteten Verletzung in einem subjektiven Recht bei der Staatsanwaltschaft einzubringen. In ihm ist anzuführen, auf welche Anordnung oder welchen Vorgang er sich bezieht, worin die Rechtsverletzung besteht und auf welche Weise ihm stattzugeben sei. Sofern er sich gegen eine Maßnahme der Kriminalpolizei richtet, hat die Staatsanwaltschaft der Kriminalpolizei Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

 

(4) Die Staatsanwaltschaft hat zu prüfen, ob die behauptete Rechtsverletzung vorliegt, und dem Einspruch, soweit er berechtigt ist, zu entsprechen sowie den Einspruchswerber davon zu verständigen, dass und auf welche Weise dies geschehen sei und dass er dennoch das Recht habe, eine Entscheidung des Gerichts zu verlangen, wenn er behauptet, dass seinem Einspruch tatsächlich nicht entsprochen wurde.

 

(5) Wenn die Staatsanwaltschaft dem Einspruch nicht binnen vier Wochen entspricht oder der Einspruchswerber eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat die Staatsanwaltschaft den Einspruch unverzüglich an das Gericht weiter zu leiten. Stellungnahmen der Staatsanwaltschaft und der Kriminalpolizei hat das Gericht dem Einspruchswerber zur Äußerung binnen einer festzusetzenden, sieben Tage nicht übersteigenden Frist zuzustellen.

[…]

8. Hauptstück

Ermittlungsmaßnahmen und Beweisaufnahme

 

1. Abschnitt

Sicherstellung, Beschlagnahme, Auskunft aus dem Kontenregister und Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte

 

Definitionen

 

§109. Im Sinne dieses Gesetzes ist

1. 'Sicherstellung'

a. die vorläufige Begründung der Verfügungsmacht über Gegenstände und

b. das vorläufige Verbot der Herausgabe von Gegenständen oder anderen Vermögenswerten an Dritte (Drittverbot) und das vorläufige Verbot der Veräußerung oder Verpfändung solcher Gegenstände und Werte,

[…]

Sicherstellung

 

§110. (1) Sicherstellung ist zulässig, wenn sie

1. aus Beweisgründen,

2. zur Sicherung privatrechtlicher Ansprüche oder

3. zur Sicherung der Konfiskation (§19a StGB), des Verfalls (§20 StGB), des erweiterten Verfalls (§20b StGB), der Einziehung (§26 StGB) oder einer anderen gesetzlich vorgesehenen vermögensrechtlichen Anordnung

erforderlich scheint.

 

(2) Sicherstellung ist von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen.

[…]

 

(4) Die Sicherstellung von Gegenständen aus Beweisgründen (Abs1 Z1) ist nicht zulässig und jedenfalls auf Verlangen der betroffenen Person aufzuheben, soweit und sobald der Beweiszweck durch Bild, Ton- oder sonstige Aufnahmen oder durch Kopien schriftlicher Aufzeichnungen oder automationsunterstützt verarbeiteter Daten erfüllt werden kann und nicht anzunehmen ist, dass die sichergestellten Gegenstände selbst oder die Originale der sichergestellten Informationen in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden.

§111. (1) Jede Person, die Gegenstände oder Vermögenswerte, die sichergestellt werden sollen, in ihrer Verfügungsmacht hat, ist verpflichtet (§93 Abs2), diese auf Verlangen der Kriminalpolizei herauszugeben oder die Sicherstellung auf andere Weise zu ermöglichen. Diese Pflicht kann erforderlichenfalls auch mittels Durchsuchung von Personen oder Wohnungen erzwungen werden; dabei sind die §§119 bis 122 sinngemäß anzuwenden.

 

(2) Sollen auf Datenträgern gespeicherte Informationen sichergestellt werden, so hat jedermann Zugang zu diesen Informationen zu gewähren und auf Verlangen einen elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Dateiformat auszufolgen oder herstellen zu lassen. Überdies hat er die Herstellung einer Sicherungskopie der auf den Datenträgern gespeicherten Informationen zu dulden.

[…]

 

(4) In jedem Fall ist der von der Sicherstellung betroffenen Person sogleich oder längstens binnen 24 Stunden eine Bestätigung über die Sicherstellung auszufolgen oder zuzustellen und sie über das Recht, Einspruch zu erheben (§106) und eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung zu beantragen (§115), zu informieren. Von einer Sicherstellung zur Sicherung einer Entscheidung über privatrechtliche Ansprüche (§110 Abs1 Z2) ist, soweit möglich, auch das Opfer zu verständigen.

§112. (1) Widerspricht die von der Sicherstellung betroffene oder anwesende Person, auch wenn sie selbst der Tat beschuldigt ist, der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung auf ein gesetzlich anerkanntes Recht auf Verschwiegenheit, das bei sonstiger Nichtigkeit nicht durch Sicherstellung umgangen werden darf, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Auf Antrag des Betroffenen sind die Unterlagen jedoch bei der Staatsanwaltschaft zu hinterlegen, die sie vom Ermittlungsakt getrennt aufzubewahren hat. In beiden Fällen dürfen die Unterlagen von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.

[…]

 

(3) Gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft kann der Betroffene Einspruch erheben, in welchem Fall die Unterlagen dem Gericht vorzulegen sind, das zu entscheiden hat, ob und in welchem Umfang sie zum Akt genommen werden dürfen; Abs2 letzter Satz gilt. Einer Beschwerde gegen den Beschluss des Gerichts kommt aufschiebende Wirkung zu.

§112a. (1) Widerspricht eine von einer Sicherstellung betroffene Behörde oder öffentliche Dienststelle der Sicherstellung von schriftlichen Aufzeichnungen oder Datenträgern unter Berufung darauf, dass diese

1. Informationen enthalten, die aufgrund gesetzlicher Vorschriften oder der gemäß §12 Bundesministeriengesetz 1986, BGBl Nr 76/1986, ergangenen Geheimschutzordnung des Bundes – GehSO klassifizierte nachrichtendienstliche Informationen sind, deren Geheimhaltung das Interesse an der Strafverfolgung im Einzelfall überwiegt, oder

2. von ausländischen Sicherheitsbehörden oder Sicherheitsorganisationen (§2 Abs2 Polizeikooperationsgesetz – PolKG, BGBl I Nr 104/1997) klassifiziert übermittelte Informationen enthalten und nur mit deren vorheriger Zustimmung zu anderen als den der Übermittlung zugrundeliegenden Zwecken verarbeitet werden dürfen, so sind diese Unterlagen auf geeignete Art und Weise gegen unbefugte Einsichtnahme oder Veränderung zu sichern und bei Gericht zu hinterlegen. Die Unterlagen dürfen von Staatsanwaltschaft oder Kriminalpolizei nicht eingesehen werden, solange nicht über die Einsicht nach den folgenden Absätzen entschieden worden ist.

[…]

 

(4) Der Behörde oder öffentlichen Dienststelle steht gegen den Beschluss des Gerichts Beschwerde zu; diese hat aufschiebende Wirkung.

§113. (1) Die Sicherstellung endet,

1. wenn die Kriminalpolizei sie aufhebt (Abs2),

2. wenn die Staatsanwaltschaft die Aufhebung anordnet (Abs3),

3. wenn das Gericht die Beschlagnahme anordnet.

 

(2) Die Kriminalpolizei hat der Staatsanwaltschaft über jede Sicherstellung unverzüglich, längstens jedoch binnen 14 Tagen zu berichten (§100 Abs2 Z2), soweit sie eine Sicherstellung nach §110 Abs3 nicht zuvor wegen Fehlens oder Wegfalls der Voraussetzungen aufhebt. Dieser Bericht kann jedoch mit dem nächstfolgenden verbunden werden, wenn dadurch keine wesentlichen Interessen des Verfahrens oder von Personen beeinträchtigt werden und die sichergestellten Gegenstände geringwertig sind, sich in niemandes Verfügungsmacht befinden oder ihr Besitz allgemein verboten ist (§445a Abs1). Im Fall des §110 Abs3 Z4 hat die Kriminalpolizei nach den Bestimmungen der §§3, 4 und 6 des Produktpirateriegesetzes 2004, BGBl I Nr 56/2004, vorzugehen.

[…]

 

(4) Im Fall einer Sicherstellung von Gegenständen (§109 Z1 lita) findet eine Beschlagnahme auch auf Antrag nicht statt, wenn sich die Sicherstellung auf Gegenstände im Sinne des §110 Abs3 Z1 lita und d oder Z2 bezieht oder der Sicherungszweck durch andere behördliche Maßnahmen erfüllt werden kann. In diesen Fällen hat die Staatsanwaltschaft die erforderlichen Verfügungen über die sichergestellten Gegenstände und ihre weitere Verwahrung zu treffen und gegebenenfalls die Sicherstellung aufzuheben.

§114. (1) Für die Verwahrung sichergestellter Gegenstände hat bis zur Berichterstattung über die Sicherstellung (§113 Abs2) die Kriminalpolizei, danach die Staatsanwaltschaft zu sorgen.

 

(2) Wenn der Grund für die weitere Verwahrung sichergestellter Gegenstände wegfällt, sind diese sogleich jener Person auszufolgen, in deren Verfügungsmacht sie sichergestellt wurden, es sei denn, dass diese Person offensichtlich nicht berechtigt ist. In diesem Fall sind sie der berechtigten Person auszufolgen oder, wenn eine solche nicht ersichtlich ist und nicht ohne unverhältnismäßigen Aufwand festgestellt werden kann, nach §1425 ABGB gerichtlich zu hinterlegen. Die hievon betroffenen Personen sind zu verständigen.

Beschlagnahme

 

§115. (1) Beschlagnahme ist zulässig, wenn die sichergestellten Gegenstände voraussichtlich

1. im weiteren Verfahren als Beweismittel erforderlich sein werden,

2. privatrechtlichen Ansprüchen unterliegen oder

3. dazu dienen werden, eine gerichtliche Entscheidung auf Konfiskation (§19a StGB), auf Verfall (§20 StGB), auf erweiterten Verfall (§20b StGB), auf Einziehung (§26 StGB) oder eine andere gesetzlich vorgesehene vermögensrechtliche Anordnung zu sichern.

 

(2) Über die Beschlagnahme hat das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft oder einer von der Sicherstellung betroffenen Person unverzüglich zu entscheiden.

 

(3) §110 Abs4 gilt sinngemäß. Gegebenenfalls ist die Beschlagnahme auf die dort angeführten Aufnahmen und Kopien zu beschränken.

[…]"

III. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Gegen den Antragsteller wird ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren (§§91 ff StPO) wegen des Verdachtes der Untreue (§153 Abs1 und 3 erster Fall StGB) geführt.

2. Am 21. Juli 2021 ordnete die Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Sicherstellung des Mobiltelefons des Antragstellers sowie seines Outlook‑Kalenders an. Dagegen erhob der Antragsteller Einspruch wegen Rechtsverletzung (§106 StPO) mit der Begründung, dass die Maßnahme unverhältnismäßig sei, weil das Mobiltelefon einen uferlosen Zugriff auf die Lebensumstände und die Lebensgeschichte eines Menschen ermögliche, zumal durch das Mobiltelefon auch Daten zugänglich würden, die in einer Cloud gespeichert seien.

3. Mit Beschluss vom 4. November 2021 wies das Landesgericht Klagenfurt den Einspruch wegen Rechtsverletzung ab. Eine Sicherstellung sei nur dann zulässig, wenn sie für den zu erreichenden Zweck erforderlich und geeignet erscheine, wobei der sichergestellte Gegenstand diese Bedeutung stets nur für eine bestimmte Strafsache habe. Die Sicherstellung des Mobiltelefons sowie des Outlook-Kalenders sei aus Beweisgründen erforderlich und zudem das gelindeste Mittel, weil die darauf gespeicherten Daten zu Geschäftsessen und Dienstreisen sowie zu den Beteiligten der Abklärung des Tatverdachtes dienten.

4. Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller fristgerecht Beschwerde an das Oberlandesgericht Graz und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels den vorliegenden Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG.

4.1. Die Sicherstellung eines Smartphones aus Beweisgründen erlaube angesichts der Fülle der auf dem Smartphone enthaltenen Daten tiefe Einblicke in das Leben und die Privatsphäre des Betroffenen. Ein Blick in das Mobiltelefon genüge und man wisse alles über einen Menschen, was es zu wissen gebe. Gleichwohl bedürfe die Sicherstellung nur einer Anordnung der Staatsanwaltschaft im Zuge eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, für dessen Einleitung wiederum lediglich ein Anfangsverdacht (§1 Abs3 StPO) Voraussetzung sei. Für sämtliche Ermittlungsmaßnahmen, die mit vergleichbaren Eingriffen verbunden seien, würden strengere materielle und formelle Voraussetzungen gelten. Dies betreffe etwa die Identitätsfeststellung nach §118 StPO, bei der das Vorliegen bestimmter Tatsachen erforderlich sei. Ähnliches gelte für die Auskunft über Bankdaten gemäß §116 StPO, die überdies einer gerichtlichen Bewilligung bedürfe. Auch für eine Durchsuchung von Orten und Gegenständen ("Hausdurchsuchung") (§120 StPO) und eine molekulargenetische Untersuchung (§124 StPO) bedürfe es jeweils einer gerichtlichen Bewilligung. Die körperliche Untersuchung (§123 StPO) dürfe nur bei Vorliegen bestimmter, im Gesetz näher genannter Tatsachen erfolgen und unterliege zudem einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. Observation und verdeckte Ermittlung (§§130 ff StPO) wiederum unterlägen strengen zeitlichen Beschränkungen. Für die Beschlagnahme von Briefen, die Auskunft über Daten einer Nachrichtenermittlung sowie die Lokalisierung einer technischen Einrichtung und die Überwachung von Nachrichten enthielten die §§134 ff StPO detaillierte Voraussetzungen, wobei überdies jeweils richterliche Bewilligungen erforderlich seien. Bei verdeckten Ermittlungen und der Überwachung verschlüsselter Nachrichten bestehe gemäß §147 StPO Rechtsschutz durch den Rechtsschutzbeauftragten.

4.2. Eine einfache Anordnung der Sicherstellung könne diese detaillierten Anforderungen ohne Rechtsschutz im Hauptverfahren (§§210 ff StPO) umgehen, da es dafür keine Nichtigkeitssanktion gebe.

4.3. Die Sicherstellung eines Mobiltelefons greife folglich auf unverhältnismäßige Weise in Art8 EMRK sowie §1 DSG ein. Einerseits fehle es an der ausreichenden gesetzlichen Determinierung, andererseits könne die Sicherstellung, die einen zeitlich und inhaltlich uferlosen Eingriff in die Privatsphäre erlaube, bereits unter geringsten Voraussetzungen angeordnet werden, nämlich bei Vorliegen eines bloßen Anfangsverdachtes sowie bei der Eignung des Mobiltelefons als Beweismittel. Insoweit verstoße die Rechtslage auch gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art2 StGG, Art7 Abs1 B‑VG), weil die erwähnten Bestimmungen der StPO den Ermittlungsbehörden erhebliche materielle und formelle Schranken setzten, wohingegen dies bei der Sicherstellung von Mobiltelefonen nicht der Fall sei.

5. Das Oberlandesgericht Graz wies die Beschwerde, die einen Hinweis auf den zeitgleich erhobenen Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG enthielt, mit Beschluss vom 12. Jänner 2022 ab.

6. Mit Schreiben vom 27. Jänner 2022 verständigte der Verfassungsgerichtshof das Oberlandesgericht Graz gemäß §62a Abs5 VfGG vom vorliegenden Antrag.

7. Die Generalprokuratur erhob gegen den Beschluss des Oberlandesgericht Graz vom 12. Jänner 2022 Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes (§23 StPO) an den Obersten Gerichtshof und argumentierte, dass das Oberlandesgericht Graz wegen §62a Abs6 VfGG nicht vor der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über den Antrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG entscheiden hätte dürfen.

8. Mit Urteil vom 31. Mai 2022, *****, verwarf der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes mit dem Argument, dass allein die Mitteilung des Verfassungsgerichtshofes gemäß §62a Abs5 erster Satz VfGG die in §62a Abs6 leg cit angeordnete Pflicht des Rechtsmittelgerichtes zum Innehalten auslöse, nicht aber bloß ein Hinweis des Rechtsmittelwerbers.

9. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zulässigkeit des Antrages bestreitet und den verfassungsrechtlichen Bedenken des Antragstellers entgegentritt:

9.1. Die Sicherstellung eines Datenträgers gehe nicht notwendig mit dessen Auswertung einher, vielmehr bedürfe diese einer eigenen Anordnung. Der vermeintlichen Schrankenlosigkeit des Eingriffes sei entgegenzuhalten, dass die Ermittlungsbehörden Daten nur zum Zwecke der Strafverfolgung auswerten und strafrechtsunerhebliche Informationen nicht zum Akt nehmen dürften (vgl §74 Abs1 StPO; OGH 13.10.2020, 11 Os 56/20z). Entgegen den Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 ermittelte Daten seien von Amts wegen oder auf Antrag zu löschen (§75 Abs1 StPO). Weder sei notwendigerweise jener Gegenstand sicherzustellen, in dem der Datenträger eingebaut sei, noch sei jener Datenträger sicherzustellen, auf dem die relevanten Daten originär gespeichert worden seien, weil andernfalls die in §111 Abs2 StPO normierte Pflicht, den Ermittlungsbehörden Zugang zu gespeicherten Daten zu verschaffen, insbesondere bei der Nutzung externer Speicherplätze leerliefe (OGH 11.9.2018, 14 Os 51/18h). Zudem dürfe das sichergestellte Gerät von den Strafverfolgungsorganen nicht dazu verwendet werden, um auf zukünftig dezentral gespeicherte Daten zuzugreifen. Vielmehr seien alle Verbindungen zu trennen und das Mobiltelefon auf "Flugmodus" zu setzen, sodass sich die Sicherstellung nur auf jene Daten beziehe, die über das Mobiltelefon im Zeitpunkt der Maßnahme verfügbar gewesen seien (Zerbes, Beweisquelle Handy. Ermittlungen zwischen Sicherstellung und Nachrichtenüberwachung, ÖJZ 2021, 176 [180]). Zudem habe es bereits der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für zulässig erachtet, dass die Staatsanwaltschaft bei Beschlagnahme einer größeren Datenmenge das beschlagnahmte Datenmaterial sichte (EGMR 4.6.2019,  39.757/15, Sigurður Einarsson, Z90).

9.2. Gemäß §1 Abs3 StPO bedürfe die Sicherstellung eines Anfangsverdachtes, also bestimmter Anhaltspunkte, welche die Annahme rechtfertigten, dass eine Straftat begangen worden sei. Die im Parteiantrag zitierten, in anderen Bestimmungen erwähnten "bestimmten Tatsachen" seien ein Verweis auf eben diesen Anfangsverdacht, wie insbesondere das Beispiel der Identitätsfeststellung nach §118 StPO zeige. Ferner bedürfe die Anordnung einer Sicherstellung einer Begründung: Es sei darzulegen, welche Gegenstände von ihr erfasst und wofür diese von Relevanz seien. Im Übrigen sei auch bei Sicherstellungen der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gemäß §5 Abs1 und 2 StPO unter Berücksichtigung grundrechtlicher Vorgaben, insbesondere von Art8 EMRK bzw §1 DSG, zu wahren (OGH 28.7.2020, 11 Os 51/20i; 13.10.2020, 11 Os 56/20z), wobei dem Betroffenen zur Geltendmachung dieser Rechte das Rechtsmittel des Einspruches wegen Rechtsverletzung offenstehe.

9.3. Die Sicherstellung sei überdies eine bloß vorläufige Maßnahme. Erst die nachfolgende Beschlagnahme bedürfe der richterlichen Bewilligung, wobei der Betroffene die Möglichkeit habe, nach §115 StPO eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung zu beantragen.

9.4. Die im Antrag angesprochenen Überwachungsmaßnahmen nach §§130 ff StPO unterschieden sich grundlegend von der Sicherstellung eines Datenträgers. Überwachungsmaßnahmen erfolgten regelmäßig im Verborgenen, wobei das Verhalten von Personen ohne deren Kenntnis typischerweise über einen gewissen Zeitraum beobachtet werde, wohingegen die Sicherstellung lediglich eine Momentaufnahme sei. Eine Überwachung könne nur in Echtzeit stattfinden und erfordere die Einbindung eines Dritten, des Kommunikationsdienstes. Sobald sich die Daten in der Sphäre des jeweiligen Nutzers befänden, könne dieser über sie disponieren und es unterlägen die Daten der Sicherstellung. Daraus ergebe sich ein unterschiedliches Schutzniveau im Verhältnis zum (im Fernmeldegeheimnis geschützten) Vertrauen auf die Integrität des Übertragungsweges, dem die Gesetzgebung durch unterschiedliche Regelungen Rechnung trage. Im Übrigen erachte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst bei (geheimen) Überwachungsmaßnahmen eine nachträgliche richterliche Überprüfung als hinreichend (EGMR 2.9.2010,  35.623/05, Uzun, Z71 bis 74; 12.1.2016, , 37.138/14, Szabó und Vissy, Z77).

9.5. Soweit der Antragsteller darüber hinaus geltend mache, dass es im Hinblick auf die Datenvielfalt einer speziellen Regelung für die Sicherstellung von Smartphones bedürfe, verlange er vom Gesetzgeber eine Differenzierung danach, welchen potentiellen Beweiswert ein sichergestellter Gegenstand haben könnte, was aber faktisch unmöglich sei, weil dazu die Ermittlungsergebnisse antizipiert werden müssten. Ein Smartphone enthalte zwar eine Vielzahl an Informationen in kumulierter Form, gleichwohl wäre es auch möglich, diese Informationen durch Sicherstellung anderer, allenfalls mehrerer Gegenstände (Notizbücher, Taschenkalender etc.) zu gewinnen. Folglich erschiene es unsachlich, die Sicherstellung eines Mobiltelefons an strengere Voraussetzungen als die Sicherstellung sonstiger persönlicher Gegenstände zu knüpfen.

10. Der Verfassungsgerichtshof führte am 22. Juni 2023 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der mit den Verfahrensparteien sowohl technische, praktische als auch rechtliche Fragen im Zusammenhang mit den angefochtenen Bestimmungen erörtert wurden.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit

1.1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.

1.2. Der vorliegende Antrag wurde aus Anlass einer Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Klagenfurt vom 4. November 2021 gestellt, mit dem ein Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 StPO abgewiesen wurde.

Im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ist (nur) dann vom Vorliegen einer "in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" und damit von der Zulässigkeit eines Parteiantrages auszugehen, wenn der betreffende Akt nicht (mehr) durch Rechtsmittel gegen das auf Grund einer Anklage im Hauptverfahren ergehende (kondemnierende) Urteil angefochten werden kann (VfSlg 20.001/2015; VfGH 7.10.2015, G372/2015; 22.9.2016, G176/2016).

Ein solcher Fall liegt hier vor: Der Akt der Sicherstellung ist grundsätzlich im Rahmen des Ermittlungsverfahrens (§§91 ff StPO) mittels Einspruches wegen Rechtsverletzung (§106 StPO) zu bekämpfen. Zwar hat der Beschuldigte nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes auch noch im Hauptverfahren (§§210 ff StPO) die Möglichkeit, gegen die Verwertung der Beweisergebnisse vorzugehen (OGH 21.7.2009, 14 Os 47/09g mit Verweis auf §281 Abs1 Z4 StPO). Der aus der Sicherstellung allenfalls folgende Eingriff in das Recht auf Achtung des Privatlebens (Art8 EMRK) sowie das Recht auf Geheimhaltung der personenbezogenen Daten (§1 DSG) lässt sich auf diesem Wege gleichwohl nicht vollumfänglich bekämpfen. Denn im Rechtsmittel gegen das im Hauptverfahren ergehende Urteil könnte der Antragsteller nur die unzulässige Verwertung des Beweisergebnisses relevieren, nicht aber die Art und Weise, insbesondere die überschießende Natur der Beweiserhebung, um deren Geltendmachung es dem Antragsteller aber geht. Bei der vorliegenden Entscheidung des Landesgerichtes Klagenfurt handelt es sich somit um eine "in erster Instanz entschiedene Rechtssache".

1.3. Gemäß §62 Abs2 VfGG ist ein Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes iSv §62a VfGG nur zulässig, wenn das Gesetz in der "anhängigen Rechtssache" unmittelbar anzuwenden bzw wenn die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht der Antragsteller wäre.

Soweit die Bundesregierung meint, es fehle wegen der bereits erfolgten Entscheidung über die Beschwerde des Antragstellers durch das Oberlandesgericht Graz an einer "anhängigen Rechtssache" und damit an einer Zulässigkeitsvoraussetzung, ist sie nicht im Recht: Aus einer Zusammenschau von Art140 Abs1 Z1 litd sowie Abs8 B‑VG ergibt sich, dass die Anhängigkeit der Rechtssache im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes keine Prozessvoraussetzung in Verfahren über Anträge nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG ist.

1.4. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Hauptantrag auf Aufhebung des §110 Abs1 Z1 und Abs4 sowie §111 Abs2 StPO (idF BGBl I 19/2004) als zulässig. Bei diesem Ergebnis ist auf die Eventualanträge nicht weiter einzugehen.

2. In der Sache

Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den im Antrag dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).

Der Antrag ist begründet.

2.1. Die Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

2.1.1. §110 Abs1 StPO erlaubt im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (§§91 ff StPO) die Sicherstellung unter anderem dann, wenn sie aus Beweisgründen erforderlich erscheint (Z1).

Gemäß §109 Z1 lita StPO ist unter "Sicherstellung" (unter anderem) die vorläufige Begründung von Verfügungsmacht über Gegenstände zu verstehen. Der Inhaber hat gemäß §111 Abs1 StPO eine (korrespondierende) Herausgabepflicht.

Bei den Gegenständen, die gemäß §110 Abs1 Z1 iVm §109 Z1 lita StPO zu Beweiszwecken sichergestellt werden dürfen, handelt es sich um jegliche bewegliche körperliche Sache, sodass darunter auch ein Laptop, PC, Mobiltelefon ("Smartphone") oder ein sonstiges IT‑Endgerät fallen.

Neben dem Zugriff auf körperliche Datenträger ermöglicht §110 StPO auch den Zugriff auf auf Datenträgern gespeicherte Daten, ohne dass das Speichermedium (physisch) durch die Strafverfolgungsorgane in Gewahrsam genommen wird. Dies ergibt sich aus §110 Abs4 und §111 Abs2 StPO, in denen von "sichergestellten Informationen" die Rede ist (zB Reindl-Krauskopf/Salimi/Stricker, IT‑Strafrecht, 2018, Rz 5.3).

Einer der wesentlichen Unterschiede zwischen der Sicherstellung von Datenträgern und der Sicherstellung sonstiger Gegenstände im Sinne des §109 Z1 lita StPO liegt nicht in der (Anordnung der) Sicherstellung selbst, sondern in der Möglichkeit der Auswertung der auf einem Datenträger gespeicherten Daten und der damit verbundenen Rückschlüsse auf die betroffene Person. Die auf einem sichergestellten Datenträger gespeicherten Daten sind potentiell äußerst umfangreich und können unter anderem mit sonst verfügbaren Daten (nicht nur der Strafverfolgungsorgane) verknüpft und gespeichert werden. Diese Daten können (auch bei Verknüpfung mit sonstigen Daten) ein umfassendes Bild über das bisherige und aktuelle Leben des von der Sicherstellung Betroffenen geben, wie dies bei der Auswertung sonstiger Gegenstände im Sinne des §109 Z1 lita StPO in der Regel nicht der Fall ist.

§110 StPO erlaubt den Zugriff auf Datenträger, die sich lokal am Zugriffsort befinden. So kann zB ein PC, Notebook oder ein Smartphone in Gewahrsam genommen und nach Beweismaterial untersucht werden. Die Strafverfolgungsorgane dürfen aber nicht nur auf die auf dem Datenträger lokal gespeicherten Daten, sondern – etwa vom Rechner des Betroffenen aus – auch auf extern gespeicherte Daten zugreifen (so auch die Rechtsauffassung der Bundesregierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof; vgl RV 25 BlgNR 22. GP , 156; zB Tipold/Zerbes, §111 StPO, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zur StPO, Rz 14; aA Reindl‑Krauskopf/Salimi/Stricker, IT-Strafrecht, 2018, Rz 5.11). Dies kann Daten betreffen, die in einem Netzwerk oder in einem sonstigen externen Speichermedium (zB einer Cloud) gespeichert sind.

Wie die Auswertung der auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Daten durch die Strafverfolgungsorgane erfolgt, wird im Gesetz weder in inhaltlicher noch in verfahrenstechnischer Hinsicht geregelt; es ist daher den ermittelnden Organen vollkommen überlassen, auf welche Art und Weise sie bei der Auswertung der Daten vorgehen.

Sofern die auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Inhalte verschlüsselt sind oder der Zugriff auf diese geschützt ist, dürfen die ermittelnden Organe die Daten entschlüsseln bzw die Zugangssperre überwinden (vgl zB Reindl‑Krauskopf/Salimi/Stricker, IT-Strafrecht, 2018, Rz 5.7 mwN).

Der Zugriff der ermittelnden Organe darf nur auf jene Daten erfolgen, die im Zeitpunkt der Sicherstellung des Datenträgers lokal oder extern gespeichert sind. Auf nach der Sicherstellung auf das IT‑Gerät übertragene und gespeicherte Inhalte darf nicht (mehr) zugegriffen werden; dies ist nicht (mehr) von der Sicherstellungsbefugnis gemäß §110 Abs1 Z1 StPO gedeckt (vgl Tipold/Zerbes, §111 StPO, in: Fuchs/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zur StPO, rdb.at, Stand 1.3.2021, Rz 17/2).

Nach §111 Abs2 StPO ist jedermann verpflichtet, den Zugang zu den auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Informationen zu gewähren und auf Verlangen einen elektronischen Datenträger in einem allgemein gebräuchlichen Datenformat auszufolgen oder herstellen zu lassen. Überdies ist die Herstellung von Sicherungskopien der gespeicherten Informationen zu dulden (§111 Abs2 StPO; vgl OGH 11.9.2018, 14 Os 51/18h). Von §111 Abs2 StPO ist grundsätzlich auch die Verpflichtung erfasst, Passwörter und sonstige Zugangsschlüssel, die zum Auslesen der Daten notwendig sind, herauszugeben. Dies gilt allerdings nicht für Beschuldigte und Zeugen, denen ein Schweigerecht zukommt (zB ReindlKrauskopf/Salimi/Stricker, IT-Strafrecht, 2018, Rz 5.9).

2.1.2. Die Sicherstellung (und die Auswertung des sichergestellten Gegenstandes, wie etwa eines Datenträgers) setzt als Maßnahme im Rahmen des Ermittlungsverfahrens (keinen dringenden Verdacht, sondern nur) einen Anfangsverdacht voraus. Ein solcher liegt vor, wenn auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass eine Straftat begangen worden ist (§1 Abs2 und 3 StPO).

2.1.3. Das Gesetz sieht keine bestimmte Schwere (oder sonstige Qualifikation) der Straftat für die Befugnis der Strafverfolgungsorgane zur Sicherstellung und (nachfolgenden) Auswertung des Beweismittels vor; Voraussetzung ist somit nur, dass auf Grund bestimmter Anhaltspunkte angenommen werden kann, dass irgendeine Straftat begangen worden ist.

2.1.4. Die Sicherstellung bedarf als vorläufige Maßnahme – im Gegensatz zur Beschlagnahme (§115 Abs1 und 2 StPO) – keiner richterlichen Bewilligung, sie ist vielmehr lediglich von der Staatsanwaltschaft anzuordnen und von der Kriminalpolizei durchzuführen (§110 Abs2 StPO). Ausnahmsweise darf die Kriminalpolizei unter den in §110 Abs3 StPO festgelegten Voraussetzungen von sich aus Gegenstände (§109 Z1 lita StPO) sicherstellen.

2.1.5. Wie jede Maßnahme im Ermittlungsverfahren unterliegen auch die Sicherstellung und die Auswertung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des §5 Abs1 und 2 StPO. Gleichsam als Konkretisierung dieses allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes normiert §110 Abs4 StPO, dass die Sicherstellung von Gegenständen aus Beweisgründen gemäß §110 Abs1 Z1 StPO nicht zulässig und jedenfalls auf Verlangen der betroffenen Person aufzuheben ist, soweit und sobald der Beweiszweck durch Bild-, Ton- oder sonstige Aufnahmen oder durch Kopien schriftlicher Aufzeichnungen oder automationsunterstützt verarbeiteter Daten erfüllt werden kann und nicht anzunehmen ist, dass die sichergestellten Gegenstände selbst oder die Originale der sichergestellten Informationen in der Hauptverhandlung in Augenschein zu nehmen sein werden.

2.1.6. Die Sicherstellung ist nicht nur in Bezug auf Gegenstände zulässig, deren Inhaber der Beschuldigte ist, sondern auch in Bezug auf Gegenstände, die im Besitz (nicht verdächtiger) Dritter stehen (zB Tipold/Zerbes, §110 StPO, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zur StPO, Rz 2); Voraussetzung ist lediglich, dass gegen eine (andere) Person ein Anfangsverdacht im Sinne des §1 Abs3 StPO besteht und der – im Besitz des (nicht verdächtigen) Dritten stehende – Gegenstand ein relevantes Beweismittel im strafrechtlichen (Ermittlungs‑)Verfahren ist (zB Tipold/Zerbes, Vor §§110-115 StPO, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zur StPO, Rz 7).

2.1.7. Der von der Sicherstellung Betroffene hat unbeschadet eines Rechtsbehelfes gegen die Anordnung der Sicherstellung bzw Auswertung von Daten, die sich auf dem sichergestellten Gegenstand befinden (Einspruch wegen Rechtsverletzung gemäß §106 StPO), das Recht, eine gerichtliche Entscheidung über die Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung nach §115 StPO zu beantragen (§111 Abs4 StPO).

Zudem kann der Betroffene nach §75 StPO die Berichtigung, Löschung oder Vervollständigung von unrichtigen, unvollständigen oder entgegen den Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 ermittelten personenbezogenen Daten beantragen (vgl OGH 13.10.2020, 11 Os 56/20z; 1.6.2021, 14 Os 35/21k).

2.2. Zu den auf §1 DSG und Art8 EMRK gestützten Bedenken

2.2.1. Der Antragsteller hegt vor allem das Bedenken, dass die Sicherstellung von Datenträgern wie "Smartphones" besonders eingriffsintensiv und insoweit an zu geringe Eingriffsvoraussetzungen gebunden sei.

So ermöglichten insbesondere die Sicherstellung eines Mobiltelefons ("Smartphones") und die darauf gespeicherten Daten tiefe Einblicke in das Leben und die Privatsphäre des Betroffenen. Dessen ungeachtet bedürfe die Sicherstellung lediglich einer Anordnung der Staatsanwaltschaft im Zuge eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens, für dessen Einleitung wiederum nur ein Anfangsverdacht Voraussetzung sei. Es sei im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes in das Grundrecht auf Datenschutz und auf Privat- und Familienleben wertungswidersprüchlich, dass der Gesetzgeber für die Sicherstellung keine gerichtliche Anordnung verlange, bei anderen – weniger bzw vergleichbar grundrechtsinvasiven – Befugnissen (etwa für die Auskunft über Bankdaten gemäß §116 StPO oder die Hausdurchsuchung gemäß §120 StPO) hingegen eine gerichtliche Anordnung voraussetze. Die Befugnisse der Strafverfolgungsorgane ermöglichten einen zeitlich und inhaltlich uferlosen Eingriff, weil der Gesetzgeber keine (ausreichenden) Determinanten vorgesehen habe. Es fehlten auch jegliche materiellen Schranken betreffend die vorgeworfene Straftat.

Die Bundesregierung tritt diesem Bedenken auf das Wesentliche zusammengefasst mit den Argumenten entgegen, dass die Sicherstellung von Daten(trägern) dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unterliege, nur strafrechtsrelevante Informationen ermittelt werden dürften und ein ausreichender Rechtsschutz für den Betroffenen bestehe. Die Auswertung von Daten erfolge auf Anordnung und nur zum Zweck der Strafverfolgung. Strafrechtsunerhebliche Informationen seien zu löschen bzw dürften nicht zum Akt genommen werden. Die Sicherstellung setze einen Anfangsverdacht im Sinne des §1 Abs3 StPO voraus und deren Anordnung sei im Hinblick auf die davon erfassten Gegenstände zu begründen. Bei der Sicherstellung handle es sich nur um eine vorläufige Maßnahme; die Beschlagnahme (als länger dauernde Maßnahme) bedürfe einer gerichtlichen Bewilligung. Dazu komme, dass die Strafverfolgungsorgane bei der Sicherstellung und Auswertung stets den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gemäß §5 StPO zu wahren hätten. Letztlich böten auch §115 und §106 StPO einen hinreichenden Rechtsschutz für von einer Sicherstellung oder Beschlagnahme Betroffene.

2.2.2. Das Bundesverfassungsrecht enthält neben Art8 EMRK ein selbständiges Grundrecht auf Datenschutz.

2.2.2.1. Das Grundrecht auf Datenschutz gemäß §1 Abs1 DSG gewährleistet jedermann Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere im Hinblick auf die Achtung des Privatlebens, hat. Dieser Anspruch auf Geheimhaltung schutzwürdiger personenbezogener Daten ist nicht bloß auf die Nichtweitergabe erhobener Daten gerichtet, sondern verbietet es auch, dass der Betroffene unzulässigerweise zur Offenlegung verpflichtet wird. Dieser Schutz gilt auch dann, wenn die Verpflichtung zur Offenlegung nicht dem Betroffenen selbst, sondern einem über geschützte Daten des Betroffenen verfügenden Dritten auferlegt wird (VfSlg 12.228/1989, 12.880/1991, 16.369/2001, 19.673/2012).

§1 Abs2 DSG enthält hiezu einen materiellen Gesetzesvorbehalt, der die Grenzen für Eingriffe in das Grundrecht enger zieht, als dies im Hinblick auf Art8 Abs2 EMRK der Fall ist (VfSlg 19.892/2014): Abgesehen von der Verwendung personenbezogener Daten im lebenswichtigen Interesse des Betroffenen oder mit seiner Zustimmung sind Beschränkungen des Anspruchs auf Geheimhaltung demnach nur zur Wahrung überwiegender berechtigter Interessen eines anderen zulässig, und zwar bei Eingriffen einer staatlichen Behörde nur auf Grund von Gesetzen, die aus den in Art8 Abs2 EMRK genannten Gründen notwendig sind und die ausreichend präzise, also für jedermann vorhersehbar, regeln, unter welchen Voraussetzungen die Ermittlung bzw die Verwendung personenbezogener Daten für die Wahrnehmung konkreter Verwaltungsaufgaben erlaubt ist (vgl VfSlg 16.369/2001, 18.146/2007, 18.643/2008, 18.963/2009, 19.886/2014, 19.892/2014, 20.213/2017). Der Gesetzgeber muss nach den Vorgaben des §1 Abs2 DSG somit eine materienspezifische Regelung in dem Sinn vorsehen, dass die Fälle zulässiger Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz konkretisiert und begrenzt werden (VfSlg 18.643/2008, 19.886/2014, 20.213/2017).

Sofern ihrer Art nach besonders schutzwürdige Daten verwendet werden sollen, darf die gesetzliche Grundlage solches, wie §1 Abs2 DSG (über Art8 Abs2 EMRK hinausgehend) weiters ausführt, überdies nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorsehen und müssen gleichzeitig angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen gesetzlich festgelegt werden.

2.2.2.2. Auch im Falle zulässiger Beschränkungen darf der Eingriff in das Grundrecht jedenfalls nur in der jeweils gelindesten, zum Ziel führenden Art vorgenommen werden. Hieraus folgt nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, dass an die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in das Grundrecht auf Datenschutz nach §1 DSG ein strengerer Maßstab angelegt werden muss, als er sich bereits aus Art8 EMRK ergibt (VfSlg 16.369/2001, 18.643/2008, 19.892/2014, 20.356/2019). Gemäß Art8 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts ist nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung strafbarer Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Die Sammlung und Speicherung von Daten bestimmter Personen durch die Sicherheitsbehörden kann einen Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstellen (EGMR 26.3.1987, Fall Leander, Appl 9248/81 [Z47 ff.]; 2.9.2010, Fall Uzun, Appl 35623/05 [Z43 ff.]), und zwar insbesondere dann, wenn solche Handlungen systematisch oder geheim erfolgen (vgl EGMR 6.9.1978, Fall Klass ua, Appl 5029/71 [Z41]; 24.4.1990, Fall Kruslin, Appl 11.801/85 [Z26]; 6.6.2006, Fall SegerstedtWiberg ua, Appl 62.332/00 [Z72 f.]; 2.9.2010, Fall Uzun, Appl 35623/05 [Z46]).

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist der Schutz personenbezogener Daten von grundlegender Bedeutung für das nach Art8 EMRK geschützte Recht einer Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Das innerstaatliche Recht muss geeignete Schutzvorkehrungen vorsehen, die verhindern, dass personenbezogene Daten in einer Weise verwendet werden, die mit den Garantien dieses Artikels nicht vereinbar ist. Die Notwendigkeit solcher Vorkehrungen ist noch größer, wenn es um den Schutz personenbezogener Daten geht, die einer automatischen Verarbeitung unterzogen werden, insbesondere wenn diese zu polizeilichen Zwecken genutzt werden. Das innerstaatliche Recht soll insbesondere sicherstellen, dass diese Daten für die Zwecke, zu denen sie gespeichert werden, erheblich sind und nicht darüber hinausgehen und dass sie insbesondere in einer Form aufbewahrt werden, welche die Identifizierung der Betroffenen nur so lange erlaubt, wie dies für den Zweck, zu dem diese Daten gespeichert werden, erforderlich ist (vgl EGMR 4.12.2008 [GK], Fall S. und Marper, Appl 30.562/04, [insb. Z103]).

2.2.3. Die angefochtenen Bestimmungen des §110 Abs1 Z1 und §111 Abs2 StPO räumen den Strafverfolgungsorganen die Befugnis zur Sicherstellung von Datenträgern und in einem weiteren Schritt die Befugnis zur Auswertung, Speicherung und Weiterverarbeitung unter anderem von (sensiblen) personenbezogenen Daten im Sinne des §1 DSG und des Art8 EMRK ein. Die Befugnis zur Sicherstellung von Datenträgern greift somit in das Recht auf Datenschutz nach §1 DSG sowie in das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art8 EMRK sowohl von Verdächtigen als auch von (nicht verdächtigen) Dritten ein.

Für den Verfassungsgerichtshof steht fest, dass es sich bei dem durch §§110 ff StPO angestrebten Ziel der Verfolgung strafbarer Handlungen mittels Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) von Beweismitteln, zu denen auch Datenträger zählen, um ein legitimes Ziel im Sinne des §1 Abs2 DSG und Art8 Abs2 EMRK handelt. Die in §§110 ff StPO vorgesehenen Befugnisse der Strafverfolgungsorgane sind auch abstrakt geeignet, dieses (legitime) Ziel zu erreichen.

2.2.4. Weitere Voraussetzung für die Verhältnismäßigkeit und damit die Zulässigkeit des Eingriffes in das Grundrecht auf Datenschutz gemäß §1 DSG und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK ist, dass die Schwere des konkreten Eingriffes nicht das Gewicht und die Bedeutung der mit dem Eingriff verfolgten Ziele übersteigt (zB VfSlg 19.738/2013, 19.892/2014; EGMR 4.12.2008 [GK], Fall S. und Marper, Appl 30.562/04, [Z101]). Im Hinblick auf besonders schutzwürdige Daten sieht §1 Abs2 zweiter Satz DSG als weitere Eingriffsschranke vor, dass die Verwendung solcher Daten nur zur Wahrung wichtiger öffentlicher Interessen vorgesehen werden darf und dass das jeweilige Gesetz angemessene Garantien für den Schutz der Geheimhaltungsinteressen der Betroffenen festlegen muss.

Die angefochtenen Bestimmungen genügen diesen Anforderungen nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht.

2.2.5. Wie auch die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof gezeigt haben, ist die Sicherstellung von Datenträgern und insbesondere deren Auswertung gemäß §110 Abs1 Z1 und §111 Abs2 StPO nicht mit der Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) sonstiger (beweglicher, körperlicher) Gegenstände vergleichbar:

Der Zugriff auf potentiell sämtliche auf einem Datenträger gespeicherte Daten ermöglicht den Strafverfolgungsorganen nicht bloß ein punktuelles Bild über das Verhalten des Verdächtigen oder des Betroffenen (im Sinne des §48 Abs1 Z1 und 4 StPO). Die auf einem sichergestellten Datenträger, wie zB einem Laptop, einem PC oder einem Smartphone, (lokal oder extern) gespeicherten Daten, auf welche die Strafverfolgungsorgane potentiell im Rahmen der Auswertung Zugriff haben, ermöglichen den Strafverfolgungsorganen vielmehr einen umfassenden Einblick in wesentliche Teile des bisherigen und aktuellen Lebens der betroffenen Person. Den Strafverfolgungsorganen wird die Befugnis in die Hand gegeben, sämtliche Inhalts- und Verbindungsdaten aus sämtlichen (unter Umständen auch bereits gelöschten) Kommunikationsvorgängen zu ermitteln, zu speichern und mit anderen, insbesondere im Internet oder in Datenbanken verfügbaren Daten zu verknüpfen, abzugleichen und zu systematisieren. Auf diese Weise können umfassende Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellt werden, die detailreiche Rückschlüsse auf das Verhalten, die Persönlichkeit und die Gesinnung des Betroffenen zulassen. Die auf dem Datenträger gespeicherten Verbindungsdaten können auch Vermutungen über Kommunikationsinhalte nahelegen, weil offengelegt wird, ob, wann, wie oft und mit wem auf welchem Weg Kontakt aufgenommen wurde (vgl dazu schon VfSlg 19.892/2014; EuGH 8.4.2014, Digital Rights Ireland ua, C-293/12 ua, Rz 27; EuGH 13.5.2014, Google Spain und Google, C‑131/12 , Rz 80 ff; EuGH 21.12.2016, Tele2 Sverige AB, C‑203/15 , Rz 98 f.).

Darüber hinaus haben Strafverfolgungsorgane – unabhängig von Kommunikationsvorgängen des Betroffenen – potentiell Zugriff auf alle sonstigen auf dem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten (sensiblen oder sonstigen personenbezogenen) Daten unterschiedlicher Art. Dies kann etwa Fotos, Videos, Standortdaten, Suchverläufe oder Gesundheitsdaten betreffen, die insgesamt den Strafverfolgungsorganen gemeinsam mit den oben erwähnten, gespeicherten Kommunikationsinhalten die Erstellung eines vollständigen Profils des Betroffenen ermöglichen.

Eine weitere Besonderheit der Auswertung von auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Daten liegt darin, dass bei Vorhandensein bestimmter Daten(mengen) über die betroffene Person mittels prädiktiver Analyse sogar dann Rückschlüsse auf das Verhalten, die Vorlieben, die Gesinnung und damit ganz allgemein auf die Persönlichkeit des Betroffenen gezogen werden können, wenn diesbezüglich keine konkreten Daten auf dem sichergestellten Datenträger vorhanden sind.

Weiterhin ist wesentlich, dass dieser potentiell umfassende Einblick der Strafverfolgungsorgane in die auf einem sichergestellten Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Daten sich nicht bloß auf Datenträger bezieht, die im Gewahrsam der einer Straftat verdächtigen Person sind, sondern auch Datenträger erfasst, die ein (der Tat nicht verdächtiger) Dritter innehat.

Angesichts der auf Datenträgern (wie zB PC, Notebook und Smartphone) in der Regel vorhandenen Datenmenge, des Dateninhaltes und der Möglichkeit, die ermittelten Daten mit anderen Daten zu verknüpfen, abzugleichen und unter Umständen gelöschte Daten wiederherzustellen, kann die Sicherstellung eines Datenträgers und insbesondere die Auswertung der darauf (lokal oder extern) gespeicherten Daten nicht mit der Sicherstellung und Auswertung anderer Gegenstände im Sinne des §109 Z1 lita StPO verglichen werden. Die Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) von Datenträgern bzw der (lokal oder extern) gespeicherten Daten wirft darüber hinausgehende verfassungsrechtliche Fragen auf.

2.2.6. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes kommt der Ermittlungsmaßnahme der Sicherstellung von Datenträgern gemäß §110 Abs1 Z1 und §111 StPO eine besondere Eingriffsintensität zu:

Zum Ersten können die Strafverfolgungsorgane die in §110 Abs1 Z1 und §111 StPO vorgesehenen Maßnahmen (Sicherstellung von Datenträgern und Auswertung der darauf gespeicherten Daten) bereits bei einem Anfangsverdacht im Sinne des §1 Abs3 StPO ergreifen; zum Zweiten genügt der Verdacht irgendeiner Straftat und nicht einer Straftat bestimmter Schwere; zum Dritten können diese Maßnahmen nicht nur gegenüber einem Verdächtigen, sondern auch gegenüber einem (nicht verdächtigen) Dritten erfolgen; zum Vierten haben die Strafverfolgungsorgane potentiell Zugriff auf sämtliche (auch sensible) Daten, die auf dem sichergestellten Datenträger (lokal oder extern) gespeichert sind oder gespeichert waren, somit zu allen inhaltlichen Daten und Verbindungsdaten. Die Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) von auf Datenträgern wie PC, Notebook oder Mobiltelefon gespeicherten Daten ermöglicht den Zugriff auf Informationen über sämtliche Lebensbereiche der betroffenen Person. Durch die (technische) Möglichkeit, bereits gelöschte Daten zu rekonstruieren, erstreckt sich die den Strafverfolgungsorganen durch die Sicherstellung von Datenträgern ermöglichte Einsicht auch auf Daten, die (potenziell unbegrenzt) in der Vergangenheit auf dem Datenträger verfügbar waren. Von der Ermittlungsmaßnahme betroffen sind nicht nur Personen, gegen die ein Anfangsverdacht der Begehung einer Straftat besteht, sondern sämtliche Personen, deren Daten sich auf dem sichergestellten Datenträger befinden.

All dies zeigt, dass die durch §1 Abs1 DSG iVm Art8 Abs1 EMRK geschützte Grundrechtssphäre durch die Befugnisse der Strafverfolgungsorgane gemäß §110 Abs1 Z1 und §111 StPO im Hinblick auf die Intensität des Eingriffes in besonderer Weise bedroht ist.

2.2.7. In diesem Zusammenhang kann auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte hingewiesen werden, der wiederholt die Gefahr betont, dass Systeme der (geheimen) Überwachung die Demokratie – unter dem Schutzmantel ihrer Verteidigung – untergraben oder gar zerstören können. Ausgehend von diesem Gedanken setzt der Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Prüfung die Bestimmtheit der gesetzlichen Grundlage, Art und Dauer der Maßnahme, die für die Genehmigung, Durchführung und Kontrolle der Maßnahme zuständigen Behörden, den Rechtsschutz und vorgesehene Garantien gegen Missbrauch in Relation zueinander (vgl grundlegend EGMR 6.9.1978, Fall Klass, Appl 5029/71, [Z49 f.]; sowie zB EGMR 4.12.2015 [GK], Fall Zakharov, Appl 47.143/06, [Z232 f.], und 12.1.2016, Fall Szabó und Vissy, Appl 37.138/14, [Z57 und 77 mwN]).

Bei der in Rede stehenden Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) von Datenträgern handelt es sich zwar insofern um keine "geheime" bzw "verdeckte" Ermittlungsmaßnahme, als der von der Sicherstellung Betroffene Kenntnis davon hat, dass die Strafverfolgungsorgane den Datenträger sichergestellt haben. Von einer tatsächlich "offenen" Maßnahme (vgl Reindl-Krauskopf/Salimi/Stricker, aaO, Rz 5.13; Tipold/Zerbes, §111 StPO, in: Höpfel/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zur StPO, rdb.at, Stand 1.3.2021, Rz 17) kann nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes jedoch nicht gesprochen werden, weil für den Betroffenen nicht ersichtlich ist, in welcher Form die Auswertung der auf dem Datenträger (extern oder lokal) gespeicherten Daten erfolgt (ob zB gelöschte Daten wiederhergestellt werden, eine Verknüpfung mit anderen Daten vorgenommen wird etc.).

2.2.8. Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass staatliches Handeln durch die rasche Verbreitung der Nutzung "neuer" Kommunikationstechnologien (zB Mobiltelefonie, E-Mail, Informationsaustausch im Rahmen des World Wide Web etc.) in vielerlei Hinsicht – nicht zuletzt auch im Rahmen der Bekämpfung der Kriminalität, der die Sicherstellung von Datenträgern dienen soll – vor besondere Herausforderungen gestellt wurde und wird. Dieses geänderte Umfeld polizeilicher Ermittlungen ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes maßgeblich (vgl zB VfSlg 16.149/2001, 16.150/2001, 18.830/2009, 18.831/2009, 19.657/2012). Dabei ist aber auch zu veranschlagen, dass die Erweiterung der technischen Möglichkeiten der Strafverfolgungsorgane auch dazu führt, dass den Gefahren, die diese Erweiterung für die Freiheit des Menschen birgt, in einer dieser Bedrohung adäquaten Weise entgegengetreten werden muss (VfSlg 19.892/2014, 20.356/2019).

2.2.9. §1 DSG iVm Art8 EMRK erfordern in einer solchen Konstellation, in welcher der Gesetzgeber den Strafverfolgungsorganen weitgehende Eingriffsbefugnisse einräumt, einen wirksamen Rechtsschutz, durch den das Vorliegen der erforderlichen Voraussetzungen für die Sicherstellung genauso wie die Auswertung der auf einem sichergestellten Datenträger gespeicherten Daten ebenso effektiv geprüft wie ein Befugnismissbrauch unterbunden wird. Dies umso mehr im vorliegenden Fall der Verarbeitung von (unter anderem) Daten, die im Sinne des §1 Abs2 zweiter Satz DSG als besonders schutzwürdig gelten (etwa Gesundheitsdaten).

Wie der Verfassungsgerichtshof schon in VfSlg 19.892/2014 zum Ausdruck gebracht hat, setzt ein wirksamer Rechtsschutz eine richterliche Kontrolle voraus, weil im Hinblick auf die hier zu beurteilenden weitreichenden und eingriffsintensiven Befugnisse der Strafverfolgungsorgane und die damit erforderliche Missbrauchsprävention nur durch die Kontrolle eines Gerichtes effektiver Grundrechtsschutz gewährleistet wird.

Angesichts der umfassenden Zugriffsmöglichkeiten der Strafverfolgungsorgane gemäß §110 Abs1 Z1 und §111 Abs2 StPO hat das Gericht im Falle der Bewilligung der Sicherstellung eines Datenträgers und dessen (nachfolgender) Auswertung festzulegen, welche Datenkategorien, Dateninhalte, in Bezug auf welchen Zeitraum zu welchen (Ermittlungs‑)Zwecken ausgewertet werden dürfen.

2.2.9.1. Für den Verfassungsgerichtshof ist gerade im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Datenträgern und der (nachfolgenden) Auswertung der darauf gespeicherten Daten auch kein sachlich gerechtfertigter Grund zu finden, dass nur für die Beschlagnahme von (in der Regel zunächst sichergestellten) Gegenständen im Sinne des §109 Z1 lita StPO – und nicht schon für die Sicherstellung – eine richterliche Bewilligung erforderlich ist (vgl §115 Abs2 StPO).

Bei sichergestellten Datenträgern ist nämlich nach der – grundsätzlich zulässigen – Auswertung der auf dem Datenträger gespeicherten Daten in aller Regel kein "Mehrwert" in der Beschlagnahme des Datenträgers gemäß §115 StPO zu sehen; die für die Strafverfolgungsorgane wesentlichen Ermittlungsschritte erschöpfen sich in aller Regel in der Speicherung sämtlicher auf dem sichergestellten Datenträger (lokal und extern) gespeicherter Daten auf einem Medium der Strafverfolgungsorgane und der nachfolgenden Auswertung der auf dem sichergestellten Datenträger gespeicherten Daten. Durch die Auswertung der auf dem sichergestellten Datenträger gespeicherten Daten und der Speicherung oder sonstigen Aufbewahrung der seitens der Strafverfolgungsorgane ermittelten Daten werden diese der Sache nach beschlagnahmt, ohne dass dafür die Kautelen des §115 Abs2 StPO einzuhalten sind.

2.2.9.2. Die durch §110 Abs1 Z1 und §111 Abs2 StPO eingeräumte Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft (und der Kriminalpolizei), ohne dass diese einer vorhergehenden Bewilligung durch das Gericht bedarf, verstößt daher gegen §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 EMRK (vgl dazu auch VfSlg 19.892/2014).

2.2.10. Die angefochtenen Bestimmungen verstoßen auch aus einem weiteren Grund gegen §1 Abs2 DSG iVm Art8 Abs2 EMRK. Es ist nämlich in der Strafprozeßordnung 1975 nicht gewährleistet, dass die von einer Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) von Datenträgern Betroffenen während des Ermittlungsverfahrens und im anschließenden (Haupt-)Verfahren einen angemessenen Rechtsschutz haben.

2.2.10.1. Die Bundesregierung vertritt in ihrer Äußerung wie auch in ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof die Auffassung, dass dem Betroffenen im Zusammenhang mit der Sicherstellung von Datenträgern und deren Auswertung von Gesetzes wegen hinreichende Rechtsschutzmöglichkeiten offen stehen:

So könne ein Betroffener die gerichtliche Aufhebung oder Fortsetzung der Sicherstellung nach §110 Abs4 StPO beantragen. Ferner sei der Betroffene berechtigt, gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft Einspruch wegen Rechtsverletzung an das Landesgericht (§106 StPO) sowie gegen dessen Entscheidung Beschwerde an das Oberlandesgericht zu erheben (§107 Abs3 StPO). Darüber hinaus könne ein Betroffener nach §75 StPO die Löschung von entgegen den Bestimmungen der Strafprozeßordnung 1975 ermittelten personenbezogenen Daten beantragen. Dazu zählen jedenfalls solche personenbezogenen Daten, die nicht der Aufklärung strafbarer Handlungen dienen (vgl OGH 13.10.2020, 11 Os 56/20z; 1.6.2021, 14 Os 35/21k).

2.2.10.2. Diese Rechtsschutzmöglichkeiten sind allerdings nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht ausreichend, um den unter dem Blickwinkel des §1 DSG iVm Art8 EMRK angemessenen Rechtsschutz des Betroffenen gegen die den Strafverfolgungsorganen in §110 Abs1 Z1 und §111 Abs2 StPO eingeräumten, weitreichenden Ermittlungsbefugnisse sicherzustellen:

§110 Abs4 StPO ermöglicht dem Betroffenen, die Aufhebung der Sicherstellung unter den in dieser Bestimmung vorgesehenen Voraussetzungen zu beantragen; dies bietet aber keinen Rechtsschutz dahin, ob die (bereits erfolgte) Sicherstellung eines Datenträgers und die nachfolgende Auswertung der auf dem Datenträger gespeicherten Daten rechtens durch die Staatsanwaltschaft angeordnet und durch die Kriminalpolizei durchgeführt wurde.

§106 StPO, der jedem von einer Ermittlungsmaßnahme der Staatsanwaltschaft Betroffenen den Einspruch wegen Rechtsverletzung einräumt, und §75 StPO, der jeder betroffenen Person das Antragsrecht einräumt, unrichtige, unvollständige oder entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes ermittelte personenbezogene Daten unverzüglich richtig zu stellen, zu vervollständigen oder zu löschen, mögen zwar teilweise einen geeigneten Rechtsschutz gegen eine als rechtswidrig angesehene Sicherstellung von Datenträgern und die Auswertung der darauf gespeicherten Daten ermöglichen. Es handelt sich dabei aber um keine umfassende Gewährleistung von Rechtsschutz, weil ein Betroffener vielfach gar nicht Kenntnis von möglichen Rechtsverletzungen, aber auch ganz allgemein keine Kenntnis von der tatsächlichen Vorgangsweise der Staatsanwaltschaft (und der Kriminalpolizei) bei der Auswertung der auf dem Datenträger gespeicherten Daten erhalten kann. Dieser Umstand hat wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Verteidigungsmöglichkeiten des Verdächtigen im Ermittlungsverfahren (und im nachfolgenden Hauptverfahren), aber auch auf einen vom strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Übrigen nicht Erfassten (einen nicht verdächtigen Dritten).

2.2.10.3. Nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes reicht es im Lichte des §1 DSG und Art8 EMRK auch nicht aus, dass die im Ermittlungsverfahren befassten Organe bei der Ausübung ihrer Befugnisse den in §5 StPO normierten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten haben.

Wie bereits dargelegt, setzt die Sicherstellung eines Gegenstandes aus Beweisgründen, wie jede andere Ermittlungsmaßnahme, einen Anfangsverdacht voraus, weshalb bestimmte Anhaltspunkte dafür gegeben sein müssen, dass eine Straftat begangen worden ist (§1 Abs2 und 3 StPO). Der sicherzustellende Gegenstand muss darüber hinaus dazu geeignet sein, Beweis über diese Straftat zu liefern, mithin bedarf es also der Annahme, dass der Gegenstand zur Aufklärung der Straftat beiträgt (vgl Tipold/Zerbes, §110 StPO, in: Fuchs/Ratz [Hrsg.], Wiener Kommentar zur StPO, rdb.at, Stand 1.3.2021, Rz 5). Gemäß §3 Abs1 StPO sind Strafverfolgungsorgane zur Objektivität verpflichtet und haben belastende sowie entlastende Umstände mit gleicher Sorgfalt zu ermitteln.

Es ist Sache der Strafverfolgungsorgane, unter Beachtung des in §5 StPO normierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und mit Blick auf die betroffenen Grundrechte den Eingriff so gering wie möglich zu halten (dazu OGH 28.7.2020, 11 Os 51/20i; 13.10.2020, 11 Os 56/20z). Folglich ist die Sicherstellung von Datenträgern nur dann zulässig, wenn keine andere, weniger eingreifende Maßnahme zum selben Ziel führt (§5 Abs2 erster Satz StPO). Überdies muss die durch die Sicherstellung (Zugriff und nachfolgende Auswertung) bewirkte Rechtsgutbeeinträchtigung in einem angemessenen Verhältnis zum Gewicht der vermuteten Straftat stehen (§5 Abs1 zweiter Satz StPO).

Angesichts der im Zusammenhang mit der Auswertung der auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Daten den Strafverfolgungsorganen zur Verfügung stehenden, mannigfaltigen technischen Möglichkeiten und rechtlichen Befugnisse, welche intensive Eingriffe in das Grundrecht auf Datenschutz gemäß §1 DSG und das Grundrecht auf Privat- und Familienleben gemäß Art8 EMRK ermöglichen, genügt es nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes nicht, wenn der Gesetzgeber den Strafverfolgungsorganen die Wahrung des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in §5 StPO aufträgt.

Dies ergibt sich zum einen aus dem Umstand, dass sich die Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in der Beurteilung erschöpft, ob eine Sicherstellung vorzunehmen ist oder nicht. Dabei wird in aller Regel nur zu prüfen sein, ob ein konkreter Beweis auch auf andere Weise erhoben werden kann als durch die Sicherstellung des Gegenstandes im Sinne des §109 Z1 lita StPO. Ist dies nicht der Fall, ist der fragliche Gegenstand sicherzustellen und damit endet die Verhältnismäßigkeitsprüfung.

Zum anderen hat der Gesetzgeber gerade dann, wenn er den Strafverfolgungsorganen derart umfassende und weitreichende Ermittlungsbefugnisse einräumt, welche intensive Eingriffe in die Grundrechte der davon Betroffenen ermöglichen, selbst die wesentlichen Schranken für die Zulässigkeit der jeweils zu setzenden Ermittlungsschritte festzulegen.

2.2.10.4. Im Fall der Sicherstellung von Datenträgern und deren Auswertung handelt es sich nämlich – wie bereits oben unter Punkt 2.2.5. und 2.2.7 dargelegt – insofern um eine umfassende und weitreichende Ermittlungsbefugnis, als es (aus technischer Sicht) möglich ist, auf sämtliche auf einem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherte Daten zuzugreifen und diese auszuwerten. Dazu kommt, dass von einem sichergestellten Datenträger aus auch auf externe Speichermedien (zB Netzwerksysteme oder Clouds) zugegriffen werden kann. All dies ergibt zum Ersten eine Zugriffsmöglichkeit der Strafverfolgungsorgane auf weit in der Vergangenheit liegende Daten des Betroffenen. Zum Zweiten ermöglicht die außerordentliche Streubreite der auf dem Datenträger (lokal oder extern) gespeicherten Daten die Erstellung eines umfassenden Verhaltens- und Bewegungsprofils des Betroffenen. Zum Dritten haben die von den Strafverfolgungsorganen zur Erstellung des Verhaltens- und Bewegungsprofils, aber auch ganz allgemein eingesetzte Filter (zB in Form von Algorithmen oder Suchbegriffen), Auswirkungen auf das Ergebnis der Auswertung. Zum Vierten steht es den Strafverfolgungsorganen offen, die auf dem Datenträger vorhandenen Daten mit anderen den Strafverfolgungsorganen zur Verfügung stehenden Daten zu verknüpfen. Dazu kommt – wie die mündliche Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof gezeigt hat –, dass bei einer etwaigen Veränderung der Daten durch die auswertenden Organe (nach dem derzeitigen Stand der Technik) im Nachhinein nur festgestellt werden kann, dass eine Veränderung stattgefunden hat; welche konkrete Änderung vorgenommen wurde, lässt sich hingegen nicht feststellen.

2.2.10.5. Ein vom Verfassungsgerichtshof als erforderlich angesehener Richtervorbehalt (siehe oben Punkt 2.2.9.) bloß zu Beginn, nämlich bei der Bewilligung der Anordnung der Sicherstellung (Zugriff und Auswertung) eines Datenträgers, stellt im Lichte der angeführten technischen Möglichkeiten und rechtlichen Befugnisse der Strafverfolgungsorgane unter dem Blickwinkel des §1 DSG und Art8 EMRK keinen ausreichenden Rechtsschutz für die von einer Sicherstellung von Datenträgern Betroffenen dar (vgl auch VfSlg 20.356/2019).

Der Gesetzgeber hat bei der Ausgestaltung der strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahme der Sicherstellung von Datenträgern und der Auswertung der darauf (lokal oder extern) gespeicherten Daten das öffentliche Interesse an der Verfolgung und Aufklärung von Straftaten einerseits und die grundrechtlich geschützten Interessen der Betroffenen, insbesondere den Schutz der Geheimhaltungsinteressen und den Schutz der Privatsphäre und des Familienlebens gemäß §1 DSG bzw Art8 EMRK, andererseits gegeneinander abzuwägen und entsprechend in Ausgleich zu bringen.

Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an diesen Ausgleich in Bezug auf die Sicherstellung von Datenträgern und die Auswertung der darauf (lokal oder extern) gespeicherten Daten zum Zweck der Strafrechtspflege variieren abhängig von der durch die konkrete gesetzliche Ausgestaltung bewirkten Intensität des Eingriffes. Bei dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung hat der Gesetzgeber insbesondere folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

Es kann grundsätzlich einen Unterschied machen, ob der Gesetzgeber die Möglichkeit der Sicherstellung von Datenträgern und der Auswertung der darauf (lokal oder extern) gespeicherten Daten bei einem Anfangsverdacht der Begehung einer Straftat einerseits unabhängig von ihrer Schwere, von dem mit dem Straftatbestand geschützten Rechtsgut oder von dem bei der Begehung einer Straftat typischerweise eingesetzten Datenträger ("Cyberkriminalität") oder aber andererseits nur bei bestimmten Straftaten vorsieht.

Überdies kann es bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Ermittlungsmaßnahme der Sicherstellung von Datenträgern darauf ankommen, ob der Gesetzgeber Vorkehrungen dahin getroffen hat, dass die Auswertung der sichergestellten Datenträger auf das erforderliche Maß beschränkt ist und in organisatorischer und technischer Hinsicht in einer Weise geschieht, welche die Vorgehensweise und allenfalls eingesetzte Analysemittel nachvollziehbar und überprüfbar macht (vgl auch VfSlg 19.592/2011 [Pkt. III.2.4.1.]).

Der Gesetzgeber hat zu gewährleisten, dass die von der Sicherstellung eines Datenträgers und der Auswertung der darauf (lokal oder extern) gespeicherten Daten Betroffenen in geeigneter Weise jene Informationen erhalten (können), die zur Wahrung ihrer Rechte im (Ermittlungs- und möglicherweise nachfolgenden Haupt‑)Verfahren notwendig sind.

Überdies kann es auch bedeutsam sein, dass der Gesetzgeber für Betroffene – im Hinblick auf die Art und den Umfang der auf einem sichergestellten Datenträger zugänglichen Daten und deren Auswertung – in Abwägung mit dem entgegenstehenden Interesse an der Strafrechtspflege effektive Maßnahmen einer unabhängigen Aufsicht vorsieht, bei welcher überprüft wird, ob sich die Strafverfolgungsorgane bei der Auswertung der auf dem Datenträger gespeicherten Daten im Rahmen der gerichtlichen Bewilligung und gesetzlichen Vorkehrungen bewegt haben sowie ob die Rechte der Betroffenen auf Schutz der Privatsphäre und Geheimhaltungsinteressen in verhältnismäßiger Weise im Prozess der Auswertung bzw Verarbeitung der sichergestellten Datenträger gewahrt worden sind, auch wenn die Betroffenen bei der Auswertung des Datenträgers nicht anwesend sind.

2.2.10.6. Da die angefochtenen Bestimmungen des §110 Abs1 Z1 und Abs4 sowie §111 StPO den dargelegten Anforderungen nicht genügen, widersprechen sie auch aus diesen Gründen §1 DSG und Art8 EMRK.

2.3. Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die vom Antragsteller gegen die angefochtenen Bestimmungen dargelegten Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art2 StGG und Art7 B‑VG einzugehen.

V. Ergebnis

1. §110 Abs1 Z1 und Abs4 sowie §111 Abs2 StPO sind als verfassungswidrig aufzuheben.

Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B‑VG. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 B‑VG.

2. Die Verpflichtung des Bundeskanzlers zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B‑VG und §64 Abs2 VfGG iVm §3 Z3 BGBlG.

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