VfGH V102/2021

VfGHV102/202122.9.2021

Gesetzwidrigkeit eines – wegen einer Baustelle im Jahr 1999 eingerichteten – Parkverbots mangels Erforderlichkeit; Wegfall der Erforderlichkeit war – trotz fehlender behördlicher Überprüfung – bereits bei Erlassung der Verordnung nach Baustellenbeendigung absehbar

Normen

B-VG Art139 Abs1 Z1
StVO 1960 §43 Abs1, §44, §96 Abs2
ParkverbotsV des Stadtsenates der Stadt Graz vom 29.04.1999
VfGG §7 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VFGH:2021:V102.2021

 

Spruch:

I. Die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 29. April 1999, ZA 10/1‑I‑214/54‑1999, kundgemacht durch Aufstellung von Verkehrszeichen, wird als gesetzwidrig aufgehoben.

II. Die Steiermärkische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B‑VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, der Verfassungsgerichtshof möge "die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 29.04.1999, GZ: A10/1‑I‑214/54‑1999," als gesetzwidrig aufheben.

II. Rechtslage

1. Die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 29. April 1999, ZA 10/1‑I‑214/54‑1999, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):

"VERORDNUNG

Gemäß §43 StVO 1960, BGBl Nr 159/1960, in der derzeit gültigen Fassung, wird aufgrund des Verhandlungsergebnisses vom 7.4.1999 für die Ostseite des Grieskais gegenüber der Liegenschaft Nr 58, von der gegenüberliegenden nördlichen Hauskante in Richtung Süden, auf eine Länge von 15 m, ein Parkverbot werktags Montag bis Freitag von 7.00 Uhr bis 19.00 Uhr und Samstag von 7.00 Uhr bis 13.00 Uhr verordnet.

Die Kosten für die Beschaffung, Aufstellung und Erhaltung der Verkehrszeichen sind vom Antragsteller zu tragen.

Diese Verordnung ist gem. §44 StVO 1960 durch die entsprechenden Verkehrszeichen kundzumachen und tritt am Tage der Anbringung in Kraft."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt:

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. […]

c) wenn ein erhebliches wirtschaftliches Interesse von einem oder von mehreren umliegenden Unternehmungen vorliegt, Straßenstellen für die unbedingt notwendige Zeit und Strecke für Ladetätigkeiten durch Parkverbote, wenn jedoch eine Ladetätigkeit unter Berücksichtigung der zur Verfügung stehenden Abstellflächen und deren beste Ausnützung erfahrungsgemäß durch ein Parkverbot nicht gewährleistet ist, durch Halteverbote freizuhalten (Ladezonen);

d) […].

(1a) – (11) […]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. Parteien im Sinne des §8 AVG ist die Einsicht in einen solchen Aktenvermerk und die Abschriftnahme zu gestatten. Als Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen die Vorschriftszeichen sowie die Hinweiszeichen 'Autobahn', 'Ende der Autobahn', 'Autostraße', 'Ende der Autostraße', 'Einbahnstraße', 'Ortstafel', 'Ortsende', 'Internationaler Hauptverkehrsweg', 'Straße mit Vorrang', 'Straße ohne Vorrang', 'Straße für Omnibusse' und 'Fahrstreifen für Omnibusse' in Betracht. Als Bodenmarkierungen zur Kundmachung von im §43 bezeichneten Verordnungen kommen Markierungen, die ein Verbot oder Gebot bedeuten, wie etwa Sperrlinien, Haltelinien vor Kreuzungen, Richtungspfeile, Sperrflächen, Zickzacklinien, Schutzwegmarkierungen oder Radfahrerüberfahrtmarkierungen in Betracht.

(1a) – (5) […]

§96. Besondere Rechte und Pflichten der Behörde.

(1) – (1a) […]

(2) Die Behörde hat mindestens alle fünf Jahre unter Beiziehung des Straßenerhalters alle angebrachten Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs daraufhin zu überprüfen, ob sie noch erforderlich sind. Nicht mehr erforderliche Einrichtungen dieser Art sind zu entfernen.

(3) – (7) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Beim Landesverwaltungsgericht Steiermark ist ein Verfahren über eine Beschwerde gegen ein Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Graz anhängig. Dem Beschwerdeführer vor dem antragstellenden Landesverwaltungsgericht wird zur Last gelegt, er habe am 20. April 2020 um 12.32 Uhr ein nach dem Kennzeichen näher bestimmtes Kraftfahrzeug am Grieskai, gegenüber der Hausnummer 58, im Bereich des Vorschriftszeichens "Parken verboten" mit der Zusatztafel "Werktags Mo.-Fr. 7:00 – 19:00 Sa. 7.00 – 13.00" geparkt und damit eine Verwaltungsübertretung gemäß §24 Abs3 lita StVO 1960 begangen. Über den Beschwerdeführer wurde daher gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von € 50,– (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von einem Tag) verhängt.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Steiermark gemäß Art139 Abs1 Z1 B‑VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 29. April 1999, ZA 10/1‑I‑214/54‑1999, als gesetzwidrig aufheben und führt zur Präjudizialität der angefochtenen Verordnung aus, dass es diese im Beschwerdeverfahren unmittelbar anzuwenden habe.

3. Das antragstellende Landesverwaltungsgericht legt seine Bedenken gegen die angefochtene Verordnung folgendermaßen dar:

3.1. Am 8. Februar 1999 habe das an der Adresse Grieskai 58, 8020 Graz, ansässige Unternehmen beim Straßen- und Brückenbauamt des Magistrates der Stadt Graz um die Errichtung einer Ladetätigkeitszone im Bereich des Hauses Grieskai 58 angesucht. Zur Begründung dieses Ansuchens sei vorgebracht worden, dass auf Grund der ab März 1999 stattfindenden Bautätigkeiten im Zuge der Erneuerung der Synagoge mit starken Parkproblemen im Bereich dieses Hauses zu rechnen sei. Um die Ladetätigkeitsmöglichkeit für den Betrieb aufrecht zu erhalten, werde um Errichtung einer Ladetätigkeitszone während der Zeit der Bauarbeiten angesucht.

Am 7. April 1999 habe seitens des Straßen- und Brückenbauamtes der Stadt Graz eine Verhandlung zur Überprüfung von Anträgen auf Erlassung von Verkehrsanordnungen stattgefunden. Bezüglich der beantragten Ladezone sei im Protokoll festgehalten worden, dass bisher sämtliche Ladetätigkeiten des antragstellenden Unternehmens auf dem nördlich der Liegenschaft durch eine Schrankenanlage von der öffentlichen Verkehrsfläche getrennten Privatparkplatz ausgeführt worden seien. Mit Baubeginn der Synagoge werde dieser im Eigentum der Israelitischen Kultusgemeinde stehende Platz zur Materiallagerung bzw zur Aufstellung von Baucontainern und Gerätschaften benötigt. Daraufhin sei im Konsens die Verordnung des nunmehr angefochtenen Parkverbotes vorgeschlagen und festgehalten worden, dass dadurch zukünftig einerseits die Möglichkeit bestehe, Ladetätigkeiten ohne zeitliche Einschränkungen an dieser Örtlichkeit durchzuführen, und andererseits für Kunden die Möglichkeit geschaffen werde, für eine maximale Dauer von zehn Minuten ihr Fahrzeug abzustellen. Der Stadtsenat der Stadt Graz habe am 29. April 1999 die angefochtene Verordnung erlassen.

3.2. Aus einem Aktenvermerk des Straßen- und Brückenbauamtes vom 8. Juli 1999 sei ersichtlich, dass die angefochtene Verordnung durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen kundgemacht worden sei. Der diesem Aktenvermerk beiliegenden Skizze sei jedoch zu entnehmen, dass das Verkehrszeichen "Parken verboten Ende" samt Zusatztafel nicht auf Höhe der nördlichen Hauskante des gegenüberliegenden Hauses Grieskai 58 angebracht worden sei, sondern etwas weiter südlich. Durch vom Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren vorgelegte Lichtbilder sowie einen vom erkennenden Richter des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes am 23. Februar 2021 durchgeführten Ortsaugenschein sei bestätigt worden, dass das Verkehrszeichen "Parken verboten Ende" etwa zwei Meter südlich der nördlichen Hauskante des gegenüberliegenden Hauses Grieskai 58 angebracht worden sei. Eine Abweichung des Aufstellungsortes von Verkehrszeichen von zwei Metern bei einem 15 Meter langen Parkverbotsbereich sei zweifellos als erheblich anzusehen, sodass zum einen das Bedenken bestehe, dass die angefochtene Verordnung nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden ist.

3.3. Die angefochtene Verordnung sei aber auch im Hinblick auf die Bestimmung des §96 Abs2 StVO 1960 gesetzwidrig, wonach die Behörde alle fünf Jahre unter Beiziehung des Straßenerhalters alle angebrachten Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs daraufhin zu überprüfen habe, ob sie noch erforderlich seien und nicht mehr erforderliche Einrichtungen dieser Art zu entfernen habe. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zu straßenpolizeilichen Verordnungen könnten diese durch eine Änderung des zugrunde liegenden Sachverhaltes gesetzwidrig werden, auch wenn sie im Zeitpunkt ihrer Erlassung gesetzmäßig gewesen seien. Eine Anpassung der Verordnung an den geänderten Sachverhalt müsse zwar nicht unverzüglich erfolgen, eine Verzögerung sei jedoch im Allgemeinen nur so lange tolerabel, bis der Verordnungsgeber von der Änderung des Sachverhaltes Kenntnis erlangt habe bzw erlangen habe müssen und ihm die Anpassung der Verordnung daher zumutbar sei.

Die angefochtene Verordnung sei im Jahr 1999 aus Anlass von befürchteten Parkproblemen im Zusammenhang mit Bautätigkeiten anlässlich des Neubaus der Synagoge erlassen worden. Die Übergabe der Synagoge sei am 9. November 2000 im Rahmen eines Festaktes erfolgt. Danach sei über einen Zeitraum von 20 Jahren keine Überprüfung dahingehend durchgeführt worden, ob das verordnete Parkverbot noch erforderlich sei. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, dass das Unternehmen sein Geschäft mittlerweile am Samstag geschlossen halte. Auf Grund des Wegfalls der tatsächlichen Grundlage für die Erlassung der angefochtenen Verordnung – sie sei nicht mehr erforderlich im Sinne des §43 StVO 1960 – sei diese gesetzwidrig geworden.

4. Die verordnungserlassende Behörde hat den Akt betreffend das Zustandekommen der angefochtenen Verordnung vorgelegt und eine Äußerung erstattet, in der den im Antrag dargelegten Bedenken wie folgt entgegengetreten wird:

4.1. Die Verschiebung des Parkverbotsbereiches durch die Aufstellung des Verkehrszeichens südlich der nördlichen Hauskante des gegenüberliegenden Hauses Grieskai 58 sei aus Rücksicht auf mögliche Sichteinschränkungen im Hinblick auf die beiden vorhandenen Baumstandorte erfolgt. In der dem Kundmachungsvermerk beiliegenden Skizze werde bereits auf die lagemäßig veränderte Kundmachung hingewiesen und die Gesamtlänge des kundgemachten Parkverbotes entspreche dem Verordnungstext.

4.2. Die straßenpolizeilichen Maßnahmen würden im Grazer Stadtgebiet dem gesetzlichen Auftrag folgend laufend evaluliert bzw gemäß §96 Abs2 StVO 1960 überprüft. Diese Überprüfungen könnten jedoch auf Grund ihrer Vielzahl aus Personalgründen nicht lückenlos protokolliert werden.

Im Bereich des verfahrensgegenständlichen Parkverbotes seien immer wieder ladende/haltende Fahrzeuge festgestellt worden. Aus behördlicher Sicht müssten sich die Zeiträume der Gültigkeit eines Parkverbotes nicht zwangsweise mit den aktuellen Betriebszeiten der antragstellenden Wirtschaftsbetriebe decken, eine ständige Anpassung an Öffnungszeiten sei aus verwaltungstechnischen Gründen auch nicht möglich. Bei entsprechender Bebauung ohne zugeordnete Stellplätze werde im Grazer Stadtgebiet davon ausgegangen, dass Parkverbote auch durch Anwohner für Ladetätigkeiten und kurze Haltevorgänge, die sich noch nicht unter den Begriff der Ladetätigkeit subsumieren ließen, genutzt werden könnten. Zusätzlich würden Parkverbote auch Inhabern eines Ausweises gemäß §29 Abs2 StVO 1960 die Möglichkeit zum Parken ihres Fahrzeuges einräumen. Sowohl die Parkplatzsituation der Anwohner an der in Rede stehenden Örtlichkeit als auch die Nähe der Synagoge mit einem größeren Benutzerkreis – mitunter Menschen mit Behinderungen – würden für die Beibehaltung des Parkverbotes auch an einem Samstag sprechen.

Im Hinblick auf diese Ausführungen sei die telefonische Auskunft des Inhabers des Unternehmens, wonach die Geschäftszeiten im Jahr 2016 geändert worden seien und seit 1. Jänner 2016 kein Verkauf an Samstagen stattfinde, nicht weiter verfolgt worden.

5. Die Steiermärkische Landesregierung hat weder Akten vorgelegt, noch eine Äußerung erstattet.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B‑VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B‑VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Verordnung wurde ausweislich des vorgelegten Verordnungsaktes durch Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen samt Zusatztafeln kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B‑VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B‑VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B‑VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. §96 Abs2 StVO 1960 sah in seiner bis zum 5. Oktober 2015 in Geltung stehenden Fassung vor, dass die Behörde alle zwei Jahre unter Beiziehung des Straßenerhalters alle angebrachten Einrichtungen zur Regelung und Sicherung des Verkehrs daraufhin überprüfen musste, ob sie noch erforderlich waren und nicht mehr erforderliche Einrichtungen dieser Art zu entfernen hatte. Mit BGBl I 123/2015 erfuhr diese Bestimmung insoweit eine Änderung, als die Behörde diese Überprüfung nunmehr mindestens alle fünf Jahre vorzunehmen hat.

2.4. Die Verletzung der Überprüfungspflicht nach §96 Abs2 StVO 1960 begründete nach der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zur zweijährigen Frist) für sich allein noch keine Gesetzwidrigkeit von Verordnungen, deren Überprüfung unterblieben war (vgl VfSlg 12.290/1990). Dementsprechend ist regelmäßig davon auszugehen, dass eine Verordnung für die in §96 Abs2 StVO 1960 festgelegte Zeit auch dann gesetzlich gedeckt ist, wenn die Voraussetzungen für ihre Erlassung in der Folge wegfallen. Dies gilt allerdings dann nicht, wenn der Behörde solche Umstände vorzeitig angezeigt wurden oder für sie bereits vorher erkennbar waren bzw sie davon Kenntnis haben musste (vgl VfSlg 12.290/1990, 16.366/2001 mwN). Diese Rechtsprechung kann auch auf die geltende Rechtslage, nach der eine Überprüfungspflicht nicht mehr alle zwei Jahre, sondern "mindestens alle fünf Jahre" vorgesehen ist, übertragen werden (vgl in diesem Sinne auch die Erläut zur RV zur 27. StVO-Novelle [2015], 775 BlgNR 25. GP , 4).

2.5. Das mit dem vorliegenden Antrag angefochtene Parkverbot wurde ausweislich des Verordnungsaktes ausschließlich aus dem Grund erlassen, den Betrieb des im Jahr 1999 um Errichtung einer Ladezone ansuchenden Unternehmens während der Durchführung von Bautätigkeiten im Zusammenhang mit der (Neu-)Errichtung der Synagoge ungestört aufrechterhalten zu können. Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Ansuchen des Unternehmens ("[…] ist aufgrund der Bautätigkeit mit starken Parkproblemen im Bereich dieses Hauses zu rechnen. Wir ersuchen daher um Herstellung einer Ladetätigkeitszone […] während der Zeit der Bauarbeiten […]") und zum anderen aus der von der verordnungserlassenden Behörde vorgelegten Gedächtnisniederschrift vom 13. April 1999 ("Bisher wurden sämtliche Ladetätigkeiten auf dem nördl. der Liegenschaft durch eine Schrankenanlage von der öffentl. Verkehrsfläche getrennten Privatparkplatz ausgeführt. Mit Baubeginn der Synagoge wird jedoch dieser […] Platz zur Materiallagerung bzw zur Aufstellung von Baucontainern und Gerätschaften benötigt. Um seinen Betrieb ungestört aufrecht erhalten zu können, wäre es für den Antragsteller wünschenswert […]"). Das Unternehmen wurde in der angefochtenen Verordnung auch ausdrücklich zur Kostentragung für die Beschaffung, Aufstellung und Erhaltung der Verkehrszeichen verpflichtet.

Die angefochtene Verordnung war daher bereits nach Abschluss der Bautätigkeiten im Zusammenhang mit der (Neu-)Errichtung der Synagoge im Jahr 2000 nicht mehr erforderlich im Sinne von §43 Abs1 StVO 1960. Es ist davon auszugehen, dass dieser Umstand für die verordnungserlassende Behörde nicht nur nach Abschluss der Bautätigkeiten, sondern schon bei Erlassung der angefochtenen Verordnung erkennbar bzw vorhersehbar war. Im Übrigen war die Erforderlichkeit der angefochtenen Verordnung (auch) durch die Änderung der Geschäftszeiten des betreffenden Unternehmens (insbesondere durch die gänzliche Schließung des Betriebes am Samstag) im Jahr 2016 nicht mehr in dem ursprünglich verordneten Umfang gegeben. Mag auch die fehlende Überprüfung der angefochtenen Verordnung gemäß §96 Abs2 StVO 1960 für sich genommen nicht zu deren Gesetzwidrigkeit geführt haben, so wurde sie damit aber jedenfalls durch den erkennbaren Wegfall der tatsächlichen Grundlage für ihre Erlassung gesetzwidrig.

2.6. Diesem Ergebnis steht auch der Umstand nicht entgegen, dass allenfalls andere Gründe vorliegen könnten, die die Erlassung eines Parkverbotes in dem in der angefochtenen Verordnung angegebenen Bereich notwendig erscheinen lassen. Die verordnungserlassende Behörde führt in ihrer Äußerung aus, dass bei entsprechender Bebauung ohne zugeordnete Stellplätze im Grazer Stadtgebiet davon ausgegangen werde, dass Parkverbote auch durch die Anwohner für Ladetätigkeiten und kurze Haltevorgänge, die sich noch nicht unter den Begriff der Ladetätigkeit subsumieren lassen, genutzt werden könnten. Im Übrigen würden Parkverbote auch Inhabern eines Ausweises gemäß §29 Abs2 StVO 1960 die Möglichkeit zum Parken ihres Fahrzeuges einräumen. Schließlich würden sowohl die Parkplatzsituation der Anwohner an der in Rede stehenden Örtlichkeit als auch die Nähe der Synagoge mit einem größeren Benutzerkreis für die Beibehaltung des Parkverbotes auch an Samstagen sprechen. Diese Ausführungen können die Gesetzwidrigkeit der angefochtenen Verordnung aber nicht sanieren, weil die Erforderlichkeit der angefochtenen Verordnung unter diesen Aspekten laut der Gedächtnisniederschrift vom 13. April 1999 nicht geprüft wurde (vgl zB VfGH 13.3.2019, V83/2018, mwN).

2.7. Da die angefochtene Verordnung schon aus diesem Grund gesetzwidrig ist, erübrigt sich ein Eingehen auf weitere Bedenken des antragstellenden Landesverwaltungsgerichtes.

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Stadtsenates der Stadt Graz vom 29. April 1999, ZA 10/1‑I‑214/54‑1999, ist als gesetzwidrig aufzuheben.

2. Die Verpflichtung der Steiermärkischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B‑VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z7 Steiermärkisches Kundmachungsgesetz.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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