VfGH G124/2015

VfGHG124/20152.7.2015

Zurückweisung eines aus Anlass einer zweitinstanzlichen Gerichtsentscheidung eingebrachten Parteiantrags mangels Legitimation

Normen

B-VG Art140 Abs1 Z1 litd
B-VG Art140 Abs1 Z1 litd

 

Spruch:

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung

1. Die antragstellende Gesellschaft ist beklagte Partei in einem Verfahren auf Leistung (von € 540.829,24 nach Einschränkung des Klagebegehrens) aus dem Titel des Schadenersatzes vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.

2. In diesem Verfahren erhob die antragstellende Gesellschaft die Einrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges, die vom Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien mit Beschluss vom 20. November 2014, 58 Cg 55/14f, verworfen wurde.

3. Der gegen diesen Beschluss am 4. Dezember 2014 erhobene Rekurs wurde vom Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 16. Februar 2015, 11 R 18/15w, zurückgewiesen und der ordentliche Revisionsrekurs für nicht zulässig erklärt. Begründend führte das Oberlandesgericht Wien aus, dass über den bekämpften Beschluss vom 20. November 2014 nicht abgesondert verhandelt worden sei, sodass er nicht selbständig bekämpfbar sei.

4. Die antragstellende Gesellschaft hat gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 16. Februar 2015 rechtzeitig außerordentlichen Revisionsrekurs erhoben. Anlässlich der Erhebung dieses Rechtsmittels stellte sie auch den vorliegenden Parteiantrag auf Normenkontrolle gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG iVm §62a Abs1 erster Satz VfGG, da sie sich durch die angefochtenen Teile der Zivilprozessordnung in Rechten verletzt sieht.

5. Die antragstellende Gesellschaft begehrt die Aufhebung folgender Bestimmungen der Zivilprozessordnung (ZPO), RGBl. 113/1895 idF BGBl I 92/2014, als verfassungswidrig: In §261 Abs1 ZPO die Wortfolge "; wurde jedoch über diese Einreden und Anträge in Verbindung mit der Hauptsache verhandelt, so ist die Entscheidung, womit dieselben abgewiesen werden, nicht besonders auszufertigen, sondern in die über die Hauptsache ergehende Entscheidung aufzunehmen" und §261 Abs3; in eventu §261 Abs1 und 3 ZPO; in eventu §189 Abs2, §261 Abs1, §261 Abs2 und §261 Abs3 ZPO.

6. §189 ZPO enthält eine Regelung betreffend die Prozessleitung durch den Senat im Rahmen der mündlichen Verhandlung. Nach §189 Abs1 ZPO kann der Senat unter den dort genannten Voraussetzungen anordnen, dass die Verhandlung zunächst auf einen oder einige der darin genannten Streitpunkte beschränkt wird. Gemäß §189 Abs2 ZPO kann er insbesondere dann, wenn die Einrede der Unzuständigkeit des Gerichtes, der Streitanhängigkeit oder der rechtskräftig entschiedenen Streitsache erhoben wird, verfügen, dass zunächst über diese Einreden abgesondert verhandelt wird.

7. §261 ZPO regelt die verfahrensrechtliche Behandlung solcher Prozesseinreden. Gemäß §261 Abs1 ZPO ist über die wegen des Fehlens der inländischen Gerichtsbarkeit, wegen der Unzulässigkeit des Rechtsweges, wegen des Fehlens der sachlichen oder örtlichen Zuständigkeit, wegen der Streitanhängigkeit oder der Rechtskraft vorgebrachten Einreden oder Anträge nach vorgängiger mündlicher Verhandlung zu entscheiden. Die Entscheidung hat mittels Beschlusses zu erfolgen. Wurde über die Einrede oder den Antrag jedoch in Verbindung mit der Hauptsache verhandelt, so ist ein die Einrede bzw. den Antrag abweisender Beschluss nicht gesondert auszufertigen, sondern in die in der Hauptsache ergehende Entscheidung aufzunehmen.

8. Daneben kann der Senat gemäß §261 Abs2 ZPO auch dann, wenn die Einrede oder der Antrag in (von der Verhandlung über die Hauptsache) abgesonderter Verhandlung verworfen wird, nach Verkündung des Beschlusses auf Antrag oder von Amts wegen anordnen, dass die Verhandlung zur Hauptsache sogleich aufgenommen wird. In diesem Fall ist der verkündete Beschluss gleichfalls nicht gesondert auszufertigen, sondern in die Entscheidung aufzunehmen, die in der Hauptsache gefällt wird. Gegen diese Anordnung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

9. Wurde der abweisende Beschluss nach §261 Abs1 oder 2 ZPO in die über die Hauptsache ergehende Entscheidung aufgenommen, kann dieser gemäß §261 Abs3 ZPO nur mittels des gegen die Entscheidung in der Hauptsache offen stehenden Rechtsmittels angefochten werden.

10. Die antragstellende Gesellschaft rügt das Fehlen der Möglichkeit einer gesonderten Anfechtung des Beschlusses über die Zulässigkeit des Rechtsweges in §261 ZPO. Dazu verweist sie auf ihre verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B‑VG) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) sowie auf das auf dem Gleichheitsgrundsatz beruhende Sachlichkeitsgebot (Art7 B‑VG, Art2 StGG). Zudem würden die Bestimmungen, welche laut antragstellender Gesellschaft "unterdeterminiert" seien, dem Legalitätsprinzip iSd Art18 B‑VG widersprechen.

11. Die antragstellende Gesellschaft behauptet, dass es sich bei der Entscheidung durch das Oberlandesgericht Wien um eine Entscheidung funktional erster Instanz handle, da hier erstmalig der verfassungsrechtlich garantierte Rechtsschutz verweigert werde. Zwar enthalte die ZPO für den Fall der erstmaligen Verweigerung des Rechtsschutzes durch das Rekursgericht – bis auf die Bestimmung des §519 Abs1 Z1 ZPO – keine ausdrückliche Regelung, richtigerweise müsse in diesen Fällen zur Verhinderung von Wertungswidersprüchen innerhalb des Anfechtungssystems der ZPO aber der Vollrekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sein.

12. Die Bundesregierung tritt den Vorbringen der antragstellenden Gesellschaft in ihrer Äußerung besonders im Hinblick auf die Zulässigkeit wie folgt entgegen:

"2.1. Die Erhebung eines Parteiantrags auf Normenkontrolle ist gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG und §62a Abs1 VfGG nur im Zusammenhang mit einer 'von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache' zulässig. In den Erläuterungen wird zur Auslegung der 'die Rechtssache erledigende Entscheidung erster Instanz' auf die Judikatur zu den §§529 Abs1, 530 Abs1 ZPO (Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage) verwiesen, weil 'hier wie dort die in Rede stehenden Bestimmungen im Wesentlichen zum Ausdruck bringen, dass es sich bei einer 'entschiedenen Rechtssache/erledigten Sache' um die Entscheidung in der Hauptsache des jeweiligen Verfahrens handelt' (RV 263 BlgNR 25. GP , 6). Daneben wird die Notwendigkeit der nach §62a Abs1 VfGG vorgesehenen Ausnahmen damit begründet, dass es gerichtliche Entscheidungen gebe, die 'auch die Sache selbst betreffen können und einem ordentlichen Rechtsmittel zugänglich sind' (RV 263 BlgNR 25. GP , 3). Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG und §62a Abs1 VfGG beziehen sich somit nur auf Entscheidungen in der Hauptsache des jeweiligen Verfahrens (vgl. auch Reiter, Der Parteiantrag auf Normenkontrolle im zivilgerichtlichen Verfahren, RZ 2015, 55 [55]).

2.2. Ein Parteiantrag auf Normenkontrolle kann daher nur anlässlich eines Rechtsmittels gegen die erstinstanzliche Entscheidung eines ordentlichen Gerichts, das die Hauptsache des jeweiligen Verfahrens zur Gänze oder teilweise erledigt, erhoben werden. Zwischenentscheidungen, die die Hauptsache des Verfahrens nicht (und auch nicht teilweise) erledigen, sondern bloß über bestimmte, allein das Verfahren betreffende Begleitumstände absprechen, sind nicht erfasst (vgl. Reiter, RZ 2015, 55). Ein Parteiantrag auf Normenkontrolle, der anlässlich eines Rechtsmittels gegen eine derartige Zwischenentscheidung gestellt wird, wäre somit unzulässig.

2.3. Im vorliegenden Anlassverfahren richtet sich das Begehren der klagenden Partei im erstinstanzlichen Ausgangsverfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien auf Leistung aus dem Titel des Schadenersatzes bzw. der Gewährleistung. Die Hauptsache des Verfahrens besteht in diesem Leistungsbegehren. Eine 'entschiedene Rechtssache' würde somit nur vorliegen, wenn dieses Leistungsbegehren gänzlich oder teilweise erledigt würde. Als entsprechende Erledigung würden insbesondere ein Endurteil, Teilurteil oder ein Zwischenurteil betreffend das Leistungsbegehren sowie eine abschließende Formalerledigung des Leistungsbegehrens, die in rechtskraftfähiger Beschlussform ergeht (etwa ein Beschluss, mit dem die Klage zurückgewiesen wird, weil z.B. die Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen), in Betracht kommen.

2.4. Mit dem Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 20. November 2014 wurde die Einrede der antragstellenden (und beklagten) Partei auf Unzulässigkeit des Rechtsweges verworfen. Mit dem Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 18. Februar 2015 wurde der Rekurs gegen diesen Beschluss zurückgewiesen. Das Verfahren in der Hauptsache und das damit verfolgte Rechtschutzbegehren wurden durch diese Entscheidungen nicht (auch nicht bloß zum Teil) entschieden bzw. erledigt. Bei der Entscheidung über die Prozesseinrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges handelt [es] sich lediglich um die Entscheidung über einen Zwischenstreit im Zivilverfahren, mit der nicht in der Sache selbst, sondern bloß über bestimmte, allein das Verfahren betreffende Begleitumstände abgesprochen wird.

2.5. Der vorliegende Parteiantrag auf Normenkontrolle erweist sich nach Auffassung der Bundesregierung somit bereits mangels Vorliegens einer 'entschiedenen Rechtssache' als unzulässig.

2.6. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien, mit dem die Prozesseinrede der Unzulässigkeit des Rechtsweges der antragstellenden Partei zurückgewiesen wurde, im Hinblick auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien noch mit einem allfällig erhobenen Rechtsmittel gegen die in der Hauptsache ergehende Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien bekämpft werden könnte. Der antragstellenden Partei stünde es daher frei, gemeinsam mit einem solchen Rechtsmittel gegen die in der Hauptsache ergehende Entscheidung des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien einen Parteiantrag auf Normenkontrolle zu erheben.

3.1. Selbst wenn ein Parteiantrag auf Normenkontrolle auch anlässlich eines Rechtsmittels gegen eine – nicht die Hauptsache des Verfahrens betreffende – Zwischenentscheidung eines Gerichts gestellt werden könnte, wäre der vorliegende Antrag unzulässig, weil ihm keine 'in erster Instanz' entschiedene Rechtssache zugrunde liegt.

3.2. Dem vorliegenden Parteiantrag liegt der Beschluss über die Einrede der antragstellenden Partei über die Unzulässigkeit des Rechtsweges im Verfahren vor dem Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien zugrunde. Der Antrag wurde jedoch nicht anlässlich des Rekurses gegen diesen Beschluss, sondern erst anlässlich des außerordentlichen Revisionsrekurses gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 16. Februar 2015 gestellt.

3.3. Die Ausführungen der antragstellenden Partei, wonach die genannte Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien, mit der der Rekurs der antragstellenden und beklagten Partei zurückgewiesen wurde, einen 'funktional erstinstanzlichen Beschluss' darstellt, weil damit die 'erstmalige Verweigerung des verfassungsrechtlich garantierten Rechtsschutzes' erfolge[…], sind nicht nachvollziehbar. Im vorliegenden Fall war das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien in erster Instanz zur Entscheidung über die erhobene Einrede zuständig. Es hat die Einrede mit Beschluss vom 20. November 2014 verworfen. Dieser Beschluss stellt die erstinstanzliche Entscheidung dar. Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in zweiter Instanz entschieden.

Auch die von der antragstellenden Gesellschaft zur Begründung dieser Auffassung zitierte Bestimmung des §519 Abs1 Z1 ZPO führt zu keinem anderen Ergebnis, bezieht sich diese Bestimmung doch auf eine gänzlich anders gelagerte verfahrensrechtliche Konstellation, nämlich die Zurückweisung der Klage oder der Berufung durch das Berufungsgericht aus formellen Gründen ohne Sachentscheidung. Auch die Nachprüfbarkeit von Beschlüssen eines Rekursgerichts nach §519 Abs1 Z1 ZPO ist daher auf die erstmalige Zurückweisung von Prozesshandlungen zugeschnitten, die der Durchsetzung materieller Rechtsschutzbegehren dienen (Zechner in Fasching/Konecny2 §519 ZPO Rz 26). Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Verwerfung einer Prozesseinrede und somit gerade nicht um die Verweigerung der Einlassung 'in die Sache'. Die Hauptsache des Verfahrens – das eingeklagte Leistungsbegehren – ist vielmehr weiterhin zur Gänze streitanhängig geblieben.

Vor diesem Hintergrund hat das Oberlandesgericht Wien – auch funktional – in zweiter Instanz über die Prozesseinrede der antragstellenden und beklagten Partei entschieden. Nach Auffassung der Bundesregierung ist somit auch das Erfordernis einer 'in erster Instanz' entschiedenen Rechtssache nicht erfüllt."

13. Die Stadtgemeinde Klosterneuburg erstattete eine Äußerung, in der sie dem Vorbringen der antragstellenden Gesellschaft entgegentritt.

14. Der Äußerung der Bundesregierung tritt die antragstellende Gesellschaft in einer Replik entgegen.

I. Zulässigkeit

15. Der Antrag ist unzulässig.

16. Nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

17. Die antragstellende Gesellschaft hat den Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG aus Anlass eines außerordentlichen Revisionsrekurses gegen einen zweitinstanzlichen Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien erhoben. Damit hat die antragstellende Gesellschaft aber keinen Antrag aus Anlass einer "von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG (s. auch §62a Abs1 VfGG) gestellt.

18. Der Antrag wäre nämlich gleichzeitig mit dem am 4. Dezember 2014 eingebrachten Rekurs gegen den vom 20. November 2014 erlassenen Beschluss zu stellen gewesen (vgl. §62a Abs1 erster Satz VfGG). Das Oberlandesgericht Wien hat jedenfalls nicht als erste Instanz iSd Art140 Abs1 Z1 litd B‑VG entschieden.

19. Im Übrigen sind die Bestimmungen über den Parteiantrag auf Normenkontrolle erst mit 1. Jänner 2015 in Kraft getreten. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG musste die antragstellende Gesellschaft den Parteiantrag bereits nach der Verwerfung des Beschlusses durch das Landesgericht für Zivilrechtssachen gleichzeitig mit der Erhebung des Rekurses stellen. Da die Möglichkeit zur Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof zum Zeitpunkt der Rekurserhebung noch nicht bestanden hat, erweist sich der Antrag auch aus diesem Grund als unzulässig.

20. Der Antrag ist daher gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

21. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob der Antrag auch aus anderen Gründen unzulässig ist.

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