UFS RV/0384-I/12

UFSRV/0384-I/1211.7.2012

Ausschluss von Dienstleistungsbetrieben von der Rückvergütung von Energieabgaben auf Grund des Budgetbegleitgesetzes 2011; keine Zuständigkeit des Unabhängigen Finanzsenates zur erstmaligen Festsetzung der Energieabgabenvergütung

 

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., vertreten durch die Dr. Messing Wirtschaftstreuhand - Steuerberatungsgesellschaft mbH, vom 23. April 2012 gegen den Bescheid des Finanzamtes Landeck Reutte vom 11. April 2012 betreffend Abweisung eines Antrages auf Vergütung von Energieabgaben für das Kalenderjahr 2011 entschieden:

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

Der Abgabepflichtige betreibt ein Hotel. Mit Antrag vom 22. März 2012 (Datum der Einbringung beim Finanzamt) begehrte er die Vergütung von Energieabgaben für das Kalenderjahr 2011 mit einem Betrag von 1.573,27 €.

Mit Bescheid vom 11. April 2012 wies das Finanzamt den Antrag vom 22. März 2012 betreffend Energieabgabenvergütung für das Kalenderjahr 2011 als unbegründet ab (Abweisungsbescheid). Gemäß § 2 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 7 EnAbgVergG in der Fassung BudBG 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, sei für Antragszeiträume nach dem 31. Dezember 2010 eine Energieabgabenvergütung nur noch für Betriebe zulässig, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter bestehe. Für so genannte "Dienstleistungsbetriebe" sei die Energieabgabenvergütung für Zeiträume nach dem 31. Dezember 2010 somit ausgeschlossen. Da es sich bei dem - dem Antrag zugrunde liegenden - Betrieb um einen solchen Dienstleistungsbetrieb handle, sei der Antrag auf Energieabgabenvergütung als unbegründet abzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid erhob der Abgabepflichtige am 23. April 2012 fristgerecht Berufung, mit der er die Festsetzung der Energieabgabenvergütung gemäß dem ursprünglich eingereichten Antrag begehrte. Die in der Bescheidbegründung zitierte Bestimmung des § 2 Abs. 1 iVm § 4 Abs. 7 EnAbgVergG in der Fassung BudBG 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, widerspreche dem Art. 7 Abs. 1 B-VG. Eine Einschränkung der Vergütung ab 2011 auf Betriebe, die ihren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter hätten, stelle eine Bevorzugung von Produktionsbetrieben gegenüber Dienstleistungsbetrieben mit ebenfalls hohen Energiekosten dar. Vom Grundgedanken der Energieabgabenvergütung, energieintensive Betriebe, welche durch die Energieabgaben stärker belastet werden, durch die teilweise Vergütung zu entlasten, sollte bei Hotelbetrieben nicht abgegangen werden. Für diese Differenzierung sei eine sachliche Rechtfertigung nicht erkennbar.

Auch bei den Gastwirtschafts- und Beherbergungsbetrieben falle auf Grund der "Produktion" von Speisen und dem Bereitstellen von umfassenden, energieintensiven Wellnessangeboten, welche für die Wettbewerbsfähigkeit im Tourismussektor dringend notwendig seien, eine deutliche Mehrbelastung durch die Energieabgaben an, sodass auch hier die der Vergütungsregelung zugrunde liegenden Erwägungen des Gesetzgebers Anwendung finden müssten. Die Einschränkung rein auf Produktionsbetriebe sei daher unsachlich und verfassungswidrig. Eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung sei aber nicht anzuwenden. Beantragt werde die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Über die Berufung wurde erwogen:

1. Nach § 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Vergütung von Energieabgaben (EAVG) in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, besteht ein Anspruch auf Vergütung nur für Betriebe, deren Schwerpunkt nachweislich in der Herstellung körperlicher Wirtschaftsgüter besteht und soweit sie nicht die in § 1 Abs. 3 genannten Energieträger oder Wärme (Dampf oder Warmwasser), die aus den in § 1 Abs. 3 genannten Energieträgern erzeugt wurde, liefern.

§ 2 EAVG in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, ist vorbehaltlich der Genehmigung durch die Europäische Kommission auf Vergütungsanträge anzuwenden, die sich auf einen Zeitraum nach dem 31. Dezember 2010 beziehen (§ 4 Abs. 7 EAVG).

2. Nach dem Amtsblatt der Europäischen Union vom 30.9.2011 (C-288/20 f.) handelt es sich bei der Einschränkung des § 2 EAVG auf Produktionsbetriebe um eine Beihilfe, die auf der Grundlage der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (Nr. 800/2008; kurz: AGVO) gewährt wird.

Die Anwendung der AGVO ermöglicht einem Mitgliedstaat die sofortige Gewährung einer Beihilfe, ohne dass eine vorherige Anmeldung bei der Kommission erforderlich ist. Der Mitgliedstaat muss die Kommission lediglich binnen 20 Arbeitstagen ab Inkrafttreten der Beihilfe anhand eines Informationsblatts über die Beihilfe informieren (vgl. Bieber, ÖStZ 2012/89, 60).

3. Nach dem Formblatt, das der Kommission übermittelt wurde, hat die Beihilfe eine Laufzeit vom "1.2.2011 - 31.12.2013" (ABl. 2011, C-288, 21). Folglich konnte sich auch eine "Genehmigung der Europäischen Kommission" iSd § 4 Abs. 7 EAVG nur auf diese Zeit beziehen. Damit mangelt es aber offenkundig an der Erfüllung des Vorbehalts iSd § 4 Abs. 7 EAVG für den Monat Jänner 2011:

a.) Unter "Laufzeit" ist nach der Fußnote 3 des Formblatts (Anhang III der AGVO) der Zeitraum zu verstehen, "in dem die Bewilligungsbehörde sich zur Gewährung von Beihilfen verpflichten kann". Handelt es sich um eine "Beihilferegelung" im Sinne der AGVO (Art. 2 Z 2 AGVO), und zwar um eine Rückvergütung von Abgaben, die nach einem nationalen Abgabengesetz für einen bestimmten Zeitraum erfolgen soll, kann unter "Laufzeit" nur der Zeitraum verstanden werden, für den sich der Staat zur Leistung solcher Beihilfen verpflichtet hat. Die "Laufzeit" ist daher anspruchsbezogen zu verstehen. Auf den Zeitpunkt, in dem über solche Ansprüche bescheidmäßig abgesprochen wird, kommt es nicht an. Als Bewilligungszeitpunkt für "Ad-hoc-Beihilfen" (Einzelbeihilfen, die nicht auf der Grundlage einer Beihilferegelung gewährt werden; Art. 2 Z 4 AGVO) kommt gleichfalls nur der Zeitpunkt in Betracht, zu dem "der Beihilfenempfänger nach dem mitgliedsstaatlichen Recht einen Anspruch auf die Beihilfe erwirbt" (Anhang III der AGVO, Fußnote 4; Erwägungsgrund Nr. 36 der AGVO). Für ein anspruchsbezogenes Verständnis spricht auch die englische Fassung der Fußnote 3 des Anhangs III der AGVO ("Period during which the granting authority can commit itself to grant the aid").

b.) Unter der "Regelung" des im vorliegenden Fall verwendeten Standardformulars (Erwägungsgrund Nr. 33 der AGVO) ist das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 111/2010 zu verstehen. Bei den in diesem Gesetz normierten "Ansprüchen auf Vergütung" handelt es sich - auch aus innerstaatlicher Sicht - um nichts anderes als "negative Abgabenansprüche". Solche Ansprüche entstehen (wie die Abgabenansprüche im engeren Sinn) kraft Gesetzes jeweils zu dem Zeitpunkt, in dem ein gesetzlicher Tatbestand, mit dessen Konkretisierung das Gesetz Abgabenrechtsfolgen verbindet, verwirklicht wird. Auf die Bescheiderlassung kommt es nicht an. Mit dem Bescheid wird lediglich die Durchsetzung des Anspruchs gegenüber der Abgabenbehörde bewirkt, nicht aber das Entstehen des Anspruchs (zB VwGH 21.9.2006, 2006/15/0072, mwN).

c.) Nach Art. 9 der AGVO, der mit "Transparenz" überschrieben ist, übermittelt der betreffende Mitgliedstaat der Kommission binnen 20 Arbeitstagen ab Inkrafttreten einer Beihilferegelung eine Kurzbeschreibung der Maßnahme. Mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und von der Anmeldepflicht nach Art. 88 Abs. 3 EG-Vertrag freigestellt sind - nach Art. 3 der AGVO - aber nur "Beihilferegelungen, die alle Voraussetzungen des Kapitels I" der AGVO (darunter befindet sich Art. 9 AGVO) erfüllen sowie den einschlägigen Bestimmungen des Kapitals II der AGVO (im vorliegenden Fall Art. 25 AGVO) entsprechen. Wäre die Mitteilung iSd Art. 9 AGVO zu spät übermittelt worden (wofür das Registrierungsdatum "7.2.2011" zu SA.32526 sprechen könnte), kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass die Beihilfe für einen Zeitraum vor dem 1.2.2011 genehmigt worden wäre.

d.) Es widerspräche der AGVO, die von den Grundsätzen der "Transparenz und einer wirksamen Beihilfenkontrolle" geprägt ist, wenn es den Mitgliedstaaten erlaubt wäre, der Kommission unzutreffende Angaben über die "Durchführung der Beihilferegelung" zu machen (vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 33 der AGVO). Als "Inkrafttreten" der nationalen Beihilferegelung iSd Art. 9 Abs. 1 AGVO kann daher nur der 1.1.2011 (und nicht der 1.2.2011) in Frage kommen. Ein Mitgliedstaat könnte sich ansonsten darauf beschränken, nach versäumter Meldefrist zunächst einmal keine Vergütungsbescheide zu erlassen, die Meldung nachzuholen und anschließend Vergütungen für beliebige und ggf. weit zurückreichende Anspruchszeiträume zu gewähren.

4. Nach § 4 Abs. 7 EAVG sind die Neufassungen der §§ 2 und 3 vorbehaltlich der Genehmigung durch die Europäische Kommission auf Vergütungsanträge anzuwenden, die sich auf einen Zeitraum nach dem 31.12.2010 beziehen. Abgesehen davon, dass sich die Laufzeit der Beihilfen, auf die sich die Genehmigung durch die Europäische Kommission zu erstrecken hätte, zweifellos nur auf einen Zeitraum ab dem 1.1.2011 beziehen kann, ist auch das "Inkrafttreten" der Beihilferegelung iSd Art. 9 Abs. 1 AGVO einwandfrei bestimmt, nämlich mit 1.1.2011. Die "Freistellungsvoraussetzungen" des Art. 3 Abs. 1 AGVO können für den Monat Jänner 2011 nicht als erfüllt angesehen werden.

Sind Vergütungsansprüche, die sich auf den Monat Jänner 2011 beziehen, von der Anmeldepflicht nach Art. 88 Abs. 3 EG-Vertrag aber nicht freigestellt, mangelt es an der von § 4 Abs. 7 EAVG vorausgesetzten Genehmigung. Die zitierte Bestimmung kann nur so verstanden werden, dass sich die Genehmigung durch die Europäische Kommission bzw. eine ihr gleichgestellte Freistellung nach der AGVO auf einen Zeitraum nach dem 31.12.2010 beziehen muss. Der Mitteilung genau dieses Zeitraums dient die im Formblatt vorgesehene Angabe zur "Laufzeit" der Beihilfe, weil es der Europäischen Kommission ansonsten gar nicht möglich wäre, ua. die Einhaltung der Frist des Art. 9 Abs. 1 AGVO zu überprüfen.

5. Von diesem Verständnis gehen offenbar auch die Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage des Budgetbegleitgesetzes 2011 aus: "Voraussetzung für die Anwendung der geänderten Bestimmungen ist die Zustimmung der Europäischen Kommission. Die Änderung tritt für die Verwendung der Energie nach dem 31. Dezember 2010 in Kraft. [...] Wird die Änderung des Energieabgabenvergütungsgesetzes von der Europäischen Kommission genehmigt, dann ist die gesetzlich vorgesehene Einschränkung auf Produktionsbetriebe mit 1. Jänner 2011 anzuwenden, sodass ab diesem Zeitpunkt Dienstleistungsbetriebe für die Verwendung von Energie keinen Anspruch auf Energieabgabenvergütung haben" (981 Blg XXIV. GP).

6. Der auf den Monat Jänner 2011 entfallende Vergütungsbetrag steht dem Berufungswerber daher zu.

7. Der Ansicht, dass eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung nicht anzuwenden ist, kann nicht gefolgt werden. Eine Normprüfungskompetenz kommt dem Unabhängigen Finanzsenat nicht zu. Er ist an die bestehenden und ordnungsgemäß kundgemachten Gesetze gebunden, was zur Folge haben muss, dass hinsichtlich des restlichen Zeitraums des Kalenderjahres (Februar bis Dezember 2011) der Vergütungsbetrag nicht zusteht.

8. Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in den Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.

Die Abänderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die "Sache" beschränkt. "Sache" des Berufungsverfahrens ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des angefochtenen Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hat (zB VwGH 20.12.2001, 2001/16/0490, 0516; VwGH 26.2.2004, 2002/16/0071; VwGH 29.1.2009, 2008/16/0055, 2008/16/0086; VwGH 29.7.2010, 2009/15/0152). Die Abgabenbehörde zweiter Instanz darf sohin in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen war, nicht einen Sachbescheid - im Ergebnis erstmals - erlassen (vgl. VwGH 7.6.1989, 88/13/0205). Die aus § 289 Abs. 2 BAO sich ergebende Abänderungsbefugnis findet somit dort ihre Grenze, wo ein Eingriff in die sachliche Zuständigkeit der Abgabenbehörde erster Instanz vorliegt (zB VwGH 18.9.1969, 383/68; VwGH 19.3.1990, 89/15/0033; VwGH 16.9.1991, 91/15/0064).

9. Mit Bescheid vom 11. April 2012 wurde der Antrag auf Vergütung von Energieabgaben für das Kalenderjahr 2011 als unbegründet abgewiesen (Abweisungsbescheid). Der - mit Berufung angefochtene - Bescheid des Finanzamtes ist kein Abgabenbescheid, sondern ein Bescheid, mit dem ein Antrag auf Festsetzung von Abgaben abgewiesen worden ist. Als Abgabenbehörde zweiter Instanz (§ 260 BAO) kommt dem Unabhängigen Finanzsenat eine Zuständigkeit zur erstmaligen Festsetzung von Abgaben nicht zu (vgl. VwGH 26.1.2006, 2004/15/0064; vgl. auch Ritz, BAO4, § 289 Tz 39). Der angefochtene Bescheid ist somit aufzuheben.

10. Da durch die vorliegende Berufungsentscheidung über die Vergütung von Energieabgaben für das Kalenderjahr 2011 noch nicht abgesprochen wurde, steht diese Aufhebung einer neuen, nun erstmaligen Festsetzung durch die Abgabenbehörde erster Instanz nicht entgegen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Innsbruck, am 11. Juli 2012

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 2 Abs. 1 Energieabgabenvergütungsgesetz, BGBl. Nr. 201/1996
Art. 88 Abs. 3 EGV, EG-Vertrag, ABl. Nr. C 241 vom 29.08.1994 S. 1
§ 289 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Abweisungsbescheid, Abgabenbescheid, Festsetzung, Energieabgabenvergütung, Identität der Sache

Verweise:

VwGH 26.01.2006, 2004/15/0064

Stichworte