Zulässigkeit einer Wiederaufnahme des Verfahrens
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Berufungswerbers, Adresse, vertreten durch Steuerberater, vom 7. November 2007 gegen den Bescheid des Finanzamtes FA vom 4. Oktober 2007 betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO betreffend Umsatzsteuer 2001 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Am 10. April 2002 wurde vom Steuerpflichtigen die Umsatzsteuererklärung des Jahres 2001 eingereicht. Mit Bescheid vom 22. Juli 2002 erfolgte eine antragsgemäße Veranlagung.
Auf Grund amtlicher Erhebungen wurde - wie aus einem Aktenvermerk vom 6. November 2002 hervorgeht - nachträglich festgestellt, dass in dem Gesamtbetrag der erklärten Vorsteuern für das Jahr 2001 ein Betrag von € 15.539,00 (betreffend [Anschaffung]) zu Unrecht geltend gemacht wurde. Das Umsatzsteuerverfahren 2001 wäre daher wiederaufzunehmen, worüber der Steuerpflichtige informiert wäre und womit dieser einverstanden sei. Dieser Vorsteuerbetrag wäre jedoch im Jahr 2002 abzugsfähig.
Daraufhin ergingen am 22. November 2002 ein Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens und damit verbunden ein neuer Umsatzsteuerbescheid 2001. In diesem wurden die abzugsfähigen Vorsteuern jedoch nicht um € 15.539,00, sondern von ATS 220.112,83 auf ATS 204.573,83, somit um lediglich ATS 15.539,00 (€ 1.129,26) gekürzt.
Ab dem Jahr 2002 erfolgten vorläufige Veranlagungen. Im Rahmen der Prüfung eines Antrages auf Erlassung von endgültigen Bescheiden für die Jahre ab 2002 wurde der Eingabefehler betreffend Umsatzsteuer 2001 bemerkt und festgestellt, dass der im Zusammenhang mit dem bereits oben erwähnten Wohnungskauf stehende gesamte Vorsteuerbetrag im Jahr 2002 abgezogen wurde.
Das Finanzamt erließ am 22. März 2006 einen Berichtigungsbescheid nach § 293b BAO, gegen den Berufung erhoben und der sodann mittels Berufungsvorentscheidung vom 28. Juni 2006 ersatzlos aufgehoben wurde.
In der Folge wurde beim Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung durchgeführt. Im Zuge dieser Prüfung wurde festgestellt, dass im Jahr 2001 "Erlöse aus Anlagenverkauf" erzielt, diese jedoch nicht der Umsatzsteuer unterzogen wurden. Dabei handelte es sich um Erlöse im Ausmaß von ATS 3.113,00 (€ 226,23), woraus eine Umsatzsteuermehrbelastung von ATS 622,60 (€ 45,24) resultierte.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2007 wurde das Umsatzsteuerverfahren betreffend 2001 neuerlich wiederaufgenommen. Im neu erlassenen Umsatzsteuerbescheid gleichen Datums wurden nunmehr - im Vergleich zum Umsatzsteuerbescheid vom 22. November 2002 - der Gesamtbetrag der Bemessungsgrundlagen für die Umsatzsteuer und die mit dem Normalsteuersatz von 20% zu versteuernde Umsatzsteuerbemessungsgrundlage um ATS 3.113,00 erhöht und die darauf entfallende Steuer mit einem Mehrbetrag von ATS 622,60 errechnet. Gleichzeitig erfolgte auch eine Kürzung der anzuerkennenden Vorsteuerbeträge um ATS 198.282,35 (€ 15.539,00 abzügl. € 1.129,26 = € 14.409,74). Die festgesetzte Umsatzsteuer erhöhte sich somit von ATS -156.175,43 (€ -11.349,71) auf ATS +42.729,52 (€ +3.105,28) und wurde eine Nachzahlung von ATS 198.904,95 (€ 14.454,99) vorgeschrieben.
Am 7. November 2007 wurde Berufung gegen den Bescheid über die Wiederaufnahme des Verfahrens zum Umsatzsteuerbescheid 2001 erhoben und nach Erlassung eines Mängelbehebungsbescheides mit Eingabe vom 27. November 2007 eine Begründung beigebracht.
Die Berufung richtet sich demnach "gegen die Ermessensübung der amtswegigen Wiederaufnahme gem. § 303 (4) BAO aufgrund Geringfügigkeit der Auswirkung, Missverhältnis der Auswirkung und Verschulden der Behörde".
Ungeachtet des Postulats der Rechtsrichtigkeit komme eine amtswegige Wiederaufnahme nicht in Betracht, wenn die Auswirkungen bloß (relativ bzw absolut) geringfügig seien. Die Geringfügigkeit wäre dabei an Hand der steuerlichen Auswirkungen der Wiederaufnahmegründe und nicht auf Grund der steuerlichen Gesamtauswirkungen zu beurteilen. Die Auswirkungen des Wiederaufnahmegrundes im gegenständlichen Fall würden lediglich ATS 622,60 (€ 45,25) bzw 1.29% vom bisher gemeldeten steuerbaren Umsatz (ATS 3.113,00 zu ATS 242.231,54) betragen. Verhältnismäßigkeitsüberlegungen wären völlig negiert worden. Bei Trennung zwischen Wiederaufnahmegrund und sonstigen Auswirkungen sei klar erkennbar, dass die Gesamtauswirkung dieser Maßnahme zu den Folgen des Wiederaufnahmegrundes außer jedem Verhältnis stehe.
In der abweisenden Berufungsvorentscheidung wurde auf den bisherigen Verfahrensablauf, insbesondere auf die im Jahr 2002 erfolgte "Umsatzsteuerprüfung" verwiesen. Dort sei klar festgestellt, besprochen und vom Berufungswerber akzeptiert worden, dass der auf die Anzahlung für den [Ankauf] entfallende Umsatzsteuerbetrag erst mit Vorliegen der Schlussrechnung (im Jahr 2002) abzugsfähig sei. Es müsse dem steuerlich kundigen Berufungswerber auch aufgefallen sein, dass das Finanzamt im Rahmen der sodann erfolgten Wiederaufnahme des Verfahrens im November 2002 fälschlich die Vorsteuer um einen viel zu geringen Betrag gekürzt habe. In Kenntnis dieses Umstandes wäre vom Berufungswerber in seiner im Jahr 2003 eingereichten Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2002 der gesamte Vorsteuerbetrag neuerlich abgezogen worden.
Ein Auseinanderklaffen von steuerlichen Auswirkungen stehe "keinesfalls regelmäßig" einer Wiederaufnahme des Verfahrens entgegen und sei im vorliegenden Fall ein "besonderes Augenmerk" auf das Gesamtverhalten des Abgabepflichtigen zu legen.
Daraufhin beantragte der Einschreiter die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Für 5. März 2012 wurden der Berufungswerber und das Finanzamt zu einem Erörterungsgespräch eingeladen. In diesem stellte der Berufungswerber erneut klar, dass er in keiner Weise dazu verpflichtet gewesen wäre, den Fehler des Finanzamtes im Zusammenhang mit der Kürzung der Vorsteuern etwa durch eine Berufung gegen den nach der ersten Wiederaufnahme des Verfahrens ergangenen Umsatzsteuerbescheid aufzuzeigen und aus dieser Vorgangsweise auch nicht ableitbar wäre, dass er sich eines (steuerlich) unredlichen Verhaltens schuldig gemacht hätte. In diesem Zusammenhang wäre auf einen Erlass des Bundesministeriums für Finanzen vom 9. März 2006, GZ BMF-010103/0020-VI/2006, hinzuweisen, welcher dies unter Bezugnahme auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ausdrücklich aussage. Auch in der deutschen Rechtsprechung finden sich entsprechende Judikate. Der Vertreter des Finanzamtes schließt sich dieser Rechtsansicht vollinhaltlich an und hält fest, dass die Aussagen während der Betriebsprüfung und die Ausführungen in der Begründung der Berufungsvorentscheidung, welche im Wesentlichen wörtlich aus der Literatur entnommen seien, beim Berufungswerber den Eindruck erweckt haben könnten, dass ihm vorgeworfen werde, dass er sich eines unredlichen Verhaltens schuldig gemacht habe, dies jedoch nicht beabsichtigt und gemeint gewesen sei. Über ausdrückliche Nachfrage des Referenten gibt der Berufungswerber an, dass im Zuge der Umsatzsteuerprüfung im Jahr 2002 die Korrektur der Vorsteuerbeträge des Jahres 2001 vereinbart worden sei und er dagegen keinerlei Einwendungen hatte.
Am Ende des Erörterungsgespräches wurden vom Berufungswerber die Anträge auf Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung und Entscheidung durch den gesamten Berufungssenat zurückgenommen.
Über die Berufung wurde erwogen:
Im vorliegenden Fall ist unstrittig davon auszugehen, dass
- der Berufungswerber in seiner Umsatzsteuererklärung 2001 einen Vorsteuerbetrag von € 15.539,00 angesetzt hat, welcher in diesem Jahr (noch) nicht abzugsfähig war,
- die Veranlagung zur Umsatzsteuer 2001 mit Bescheid vom 22. Juli 2002 erklärungsgemäß erfolgte,
- das Finanzamt im Zuge einer Umsatzsteuerprüfung im Jahr 2002 diesen Fehler erkannte und mit dem Berufungswerber ein Einvernehmen erzielte, dass betreffend das Jahr 2001 eine Berichtigung zu erfolgen hat und die in Rede stehende Vorsteuer im Jahr 2002 abgezogen wird,
- das Finanzamt mit Bescheid vom 22. November 2002 im wiederaufgenommenen Verfahren die abzugsfähige Vorsteuer für das Jahr 2001 nicht - wie vereinbart - um € 15.539,00, sondern lediglich um ATS 15.539,00 kürzte,
- der Berufungswerber am 25. März 2003 die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2002 beim Finanzamt einreichte und in dieser den in Rede stehenden Vorsteuerbetrag zur Gänze ansetzte,
- der Fehler im Bescheid vom 22. November 2002 vom Finanzamt bis ins Jahr 2006 unentdeckt blieb und in der Folge eine mit Bescheid vom 22. März 2006 durchgeführte Bescheidberichtigung gem § 293b BAO im vom Berufungswerber angestrengten Berufungsverfahren durch Aufhebung des genannten Bescheides keine Auswirkungen nach sich zog,
- der Berufungswerber im Jahr 2007 einer Betriebsprüfung unterzogen wurde, bei welcher - das Jahr 2001 betreffend - nicht erklärte Umsätze in Höhe von € 226,23 festgestellt wurden,
- das Finanzamt daraufhin eine Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2001 verfügte und im neuen Sachbescheid nicht nur die auf die nicht erklärten Umsätze entfallende Umsatzsteuer festsetzte, sondern auch die abzugsfähigen Vorsteuern im Sinne der bereits im Jahr 2002 erkannten Unrichtigkeit korrigierte.
Nach § 303 Abs 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des § 303 Abs 1 lit a und c BAO und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gegenständlich ist unstrittig, dass im Zuge der Prüfung im Jahr 2007 neu hervorgekommen ist, dass vom Berufungswerber steuerpflichtige Umsätze nicht in die Umsatzsteuererklärung des Jahres 2001 aufgenommen und erklärt wurden und somit ein Wiederaufnahmegrund vorliegt.
Ebenso unstrittig ist, dass die "Vorsteuerproblematik" im Jahr 2007 keinen Wiederaufnahmegrund darstellt, da diese der Abgabenbehörde bereits seit dem Jahr 2002 bekannt war und aus diesem Grund das Verfahren - wenn auch mit einer fehlerhaften Berechnung der Abgabenbehörde - bereits im Jahr 2002 wiederaufgenommen wurde.
Ist ein Wiederaufnahmegrund gegeben, liegt die tatsächliche Verfügung einer Wiederaufnahme im Ermessen der Abgabenbehörde. Der vorliegende Fall ist daher nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit und der Billigkeit zu prüfen. Unter dem Begriff "Zweckmäßigkeit" ist dabei das öffentliche Interesse insbesondere an der Einhebung der Abgaben zu verstehen; "Billigkeit" bedeutet, dass die Behörde berechtigte Interessen der Partei angemessen berücksichtigen muss (vgl zB VwGH 14.3.1990, 89/13/0115, oder VwGH 21.9.1990, 89/17/0050). Die Entscheidung ist unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen.
Strittig ist im vorliegenden Fall, ob das Neuhervorkommen von Umsätzen in Höhe von € 226,23 im Jahr 2007 im Rahmen der von der Abgabenbehörde vorzunehmenden Ermessensprüfung eine Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens rechtfertigt.
Aus der Judikatur und Literatur (vgl Ritz, BAO4, § 303 Tz 40ff, und die dort angeführte Rechtsprechung) ergibt sich, dass amtswegige Wiederaufnahmen grundsätzlich (vgl VwGH 12.4.1994, 90/14/0044: "... in der Regel ...") dann nicht zu verfügen sind, wenn die steuerlichen Auswirkungen (absolut und relativ) bloß geringfügig sind. Eine derartige Sichtweise ist insbesondere nach dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit angezeigt, da das verwaltungsbehördliche Handeln in Form der Erstellung neuer Bescheide Kosten verursacht. Sind diese Kosten durch das erhöhte Steueraufkommen nicht (zumindest) gedeckt, erscheint die Verfügung der Wiederaufnahme und die Erlassung eines neuen Sachbescheides aus verwaltungsökonomischer Sicht nicht geboten, selbst wenn diese Sichtweise (bezogen auf den betroffenen Steuerpflichtigen) dem Prinzip der Gleichmäßigkeit der Besteuerung zuwiderläuft.
Nun gibt es Fälle, in welchen zwar die Wiederaufnahmegründe für sich gesehen keine großen steuerlichen Auswirkungen nach sich ziehen, in Verbindung mit anderen Änderungen (Berichtigungen) in den neuen Sachbescheiden jedoch nicht unbeträchtliche Erhöhungen der Zahllast eintreten. In derartigen Fällen liegt klar auf der Hand, dass Zweckmäßigkeitsüberlegungen (iS eines "Kosten-Nutzen-Vergleiches") im oben dargestellten Sinn nicht mehr die Grundlage dafür bilden können, keine Wiederaufnahme des Verfahrens durchzuführen. Aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes lässt sich dazu jedoch entnehmen, dass die Zweckmäßigkeit lediglich anhand der steuerlichen Auswirkungen des konkreten Wiederaufnahmegrundes zu beurteilen ist und andere, nicht auf dem konkreten Wiederaufnahmegrund beruhende Auswirkungen bei dieser Prüfung nicht ausschlaggebend sind. Damit steht fest, das bei (absoluter oder relativer) Geringfügigkeit der auf Basis der Wiederaufnahmegründe festzusetzenden Abgabenforderungen - auch wenn diese auf Grund des Gesamtergebnisses durchaus zweckmäßig wäre - möglicherweise keine Wiederaufnahme des Verfahrens durchzuführen ist, weil dieser gewichtige Billigkeitsgründe entgegenstehen.
Zusammengefasst ergibt sich dazu aus der Judikatur: Ein absolutes Verbot der Verfügung einer Wiederaufnahme des Verfahrens bei - bezogen auf die Wiederaufnahmegründe - Geringfügigkeit der Auswirkungen ist aus der Rechtsprechung nicht ableitbar. Dies ergibt sich klar zB aus dem oa Erkenntnis vom 12.4.1994, nach dem es eines "Hinzutretens von besonderen Umständen" bedarf, um eine Wiederaufnahme in diesen Fällen "noch als billig" erscheinen zu lassen, oder aus VwGH 10.7.1996, 92/15/0101, wonach die Behörde verpflichtet gewesen wäre "darzutun, weswegen sie bei derartig geringen Änderungen in der Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 1982 bis 1985 und somit im Eingriff in die Rechtskraft KEINE UNBILLIGKEIT gegenüber dem Beschwerdeführer erblickt hat". Im Erkenntnis VwGH 22.11.2001, 98/15/0157, hob der Gerichtshof den bekämpften Bescheid auf, weil die Behörde die Ermessensübung trotz Geringfügigkeit der Änderungen lediglich mit dem bloßen Hinweis auf die Gleichmäßigkeit der Besteuerung (und somit die Zweckmäßigkeit) begründet hatte. Der Gerichtshof führt jedoch weiter aus, dass ein Grund, weshalb keine Unbilligkeit, die die Zweckmäßigkeit überwiegt, vorgelegen wäre, darin zu finden hätte sein können, dass "es der Beschwerdeführerin bewusst sein musste, dass privater Konsum (privates Wohnbedürfnis) umsatzsteuerlich nicht entlastet werden darf".
Aus der letztgenannten Entscheidung kann abgeleitet werden, dass - wie auch das Finanzamt bereits ausgeführt hat - bei der Anwendung von Billigkeitsüberlegungen alle Umstände des konkreten Falles und somit auch das gesamte Verhalten des Steuerpflichtigen zu beachten ist. Unbilligkeit und damit "Schutzwürdigkeit" könnte etwa aus dem Umstand abgeleitet werden, dass sich ein Steuerpflichtiger im Rahmen seiner steuerlichen Vorgangsweisen nach den gesetzlichen Grundlagen oder den veröffentlichten ministeriellen Richtlinien, der Literatur oder der Judikatur verhält und ihm sodann eine spätere, zum Zeitpunkt der Verfassung und Abgabe der Steuererklärungen noch nicht bekannte Änderung von Rechtsansichten aus Billigkeitsgründen nicht angelastet werden kann und zu einer Bescheidänderung führen soll, wenn der Wiederaufnahmegrund für sich allein gesehen wegen dessen Geringfügigkeit eine solche (allein aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen) nicht rechtfertigen würde. Andererseits kann in einem Verhalten, das vom Steuerpflichtigen selbst auf Grund von Unkenntnis, falscher Gesetzesauslegung oder gar im Wissen um die steuerliche Unrichtigkeit gesetzt wurde, kein im Rahmen der Billigkeit schützenswerter Umstand erblickt werden.
Im vorliegenden Fall ist nun festzustellen, dass dem Berufungswerber - wie im Erörterungsgespräch klar ausgesprochen - vom Finanzamt nicht unterstellt wird, dass bewusst ein unrichtiger, zu frühzeitiger Vorsteuerabzug vorgenommen worden wäre. Vielmehr wäre der Berufungswerber (erst) im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung auf eine unrichtige Vorgangsweise in Bezug auf den Zeitpunkt des Vorsteuerabzuges aufmerksam gemacht worden und hat er - wie aus dem Verwaltungsakt und der Aussage im Rahmen des Erörterungsgespräches klar hervorgeht - einer Berichtigung des Vorsteuerabzuges im Jahr 2001 auch sofort zugestimmt.
Nun ist dem Finanzamt jedoch bei dem nach Wiederaufnahme des Verfahrens erlassenen neuen Umsatzsteuerbescheid 2001 ein Fehler passiert, indem an Stelle einer Kürzung um einen €-Betrag eine Kürzung nur um einen Schillingbetrag erfolgte. Dem Berufungswerber ist in diesem Zusammenhang durchaus zuzustimmen, dass für ihn keine (gesetzliche) Verpflichtung bestanden hat, diesen Fehler des Finanzamtes aufzuzeigen; eine besondere Schutzwürdigkeit des Berufungswerbers (iSv berechtigtes Vertrauen auf einen rechtskräftigen Bescheid) kann dadurch aber nicht entstehen.
Wenn dann in der Folge vom Finanzamt ein falscher verfahrensrechtlicher Titel zur Sanierung dieses Fehlers herangezogen wird, steht es dem Berufungswerber natürlich frei, das dadurch erzielte (an sich materiellrechtlich richtige) Ergebnis durch Erhebung einer auf rein verfahrensrechtlichen Gründen beruhenden Berufung zu bekämpfen. Wiederum muss jedoch festgehalten werden, dass dadurch keine besondere Schutzwürdigkeit (iSv berechtigtes Vertrauen auf einen rechtskräftigen Bescheid) begründet werden kann.
Unbestritten ist weiters, dass die in Rede stehende Vorsteuer in voller Höhe im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung für das Jahr 2002 berücksichtigt und somit im Ergebnis ein und derselbe Vorsteuerbetrag zwei Mal abgezogen wurde und für den in steuerlichen Angelegenheiten nicht unkundigen Berufungswerber im Zeitpunkt der Abgabe der Umsatzsteuererklärung 2002 am 25. März 2003 der Fehler des Finanzamtes bei der (ersten) Wiederaufnahme des Umsatzsteuerverfahrens 2001 (Bescheid vom 22. November 2002) erkennbar war; dieser Umstand steht wiederum einer besonderen "Schutzwürdigkeit" klar entgegen.
Wenn das Finanzamt dann in weiterer Folge keine (zulässige) Berichtigung des Bescheides nach § 293 BAO vorgenommen und stattdessen das Ergebnis einer zwischenzeitlich abgeführten abgabenbehördlichen Prüfung in die Verwaltungshandlungen mit einbezieht, so ist dies aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen nicht zu beanstanden (vgl Ritz, BAO4, § 303 Tz 56: "Liegen neben die Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigenden Wiederaufnahmegründen auch Unrichtigkeiten iSd § 293b vor, so wird idR der Verfügung der Wiederaufnahme der Vorzug zu geben sein, da im neuen Sachbescheid alle Unrichtigkeiten beseitigbar sind ..."; Gleiches gilt nach der Überschrift auch für Unrichtigkeiten iSd § 293 BAO). Demnach gebietet die Zweckmäßigkeit es geradezu, dass die Abgabenbehörde, welche bereits in Kenntnis eines (nach § 293 BAO) berichtigungsfähigen Fehlers ist und somit ohnehin einen neuen Sachbescheid erlassen muss, auch bei nur geringfügigen - auf Wiederaufnahmegründen beruhenden - steuerlichen Auswirkungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens vornimmt und dabei alle bekannten und neu hervorgetretenen Umstände zur Erreichung eines "vollkommen richtigen" Bescheidinhaltes berücksichtigt.
Letztlich darf im vorliegenden Fall nicht außer Acht gelassen werden, dass - wie oben bereits mehrfach ausgeführt - der Berufungswerber der Berichtigung des unrichtigen Vorsteuerabzuges im Jahr 2001 ausdrücklich zugestimmt hat. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben hat jeder, der am Rechtsleben teilnimmt, zu seinem Wort (und seinem Verhalten) zu stehen und darf sich nicht ohne trifftigen Grund in Widerspruch zu dem setzen, was er früher vertreten hat und worauf andere vertraut haben (vgl Ritz, BAO4, § 114 Rz 6, und die dort angeführte Judikatur). Dieser Grundsatz ist nicht nur von den Abgabenbehörden, sondern auch von den Abgabepflichtigen zu beachten und kann daher im gegenständlichen Fall bei der Billigkeitsprüfung miteinbezogen werden. Hat der Berufungswerber der Berichtigung des Vorsteuerabzuges für das Jahr 2001 zugestimmt und diese Vorsteuer in der Folge im Rahmen der Umsatzsteuerveranlagung 2002 zur Gänze berücksichtigt erhalten, musste ihm klar sein, dass ein Doppelabzug nicht rechtens sein kann und konnte ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand des (rechtskräftig gewordenen) Umsatzsteuerbescheid vom 22. November 2002 auch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht entstehen.
Wie sich aus obigen Ausführungen ergibt, bestehen im vorliegenden Fall keine Gründe, die eine Unbilligkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens aufzuzeigen vermögen. Es kann gegenständlich aus den oben dargestellten Gründen kein Vertrauen des (durchaus sachkundigen) Berufungswerbers in die Rechtsbeständigkeit des in Rede stehenden Umsatzsteuerbescheides vom 22. November 2002 gegeben haben, wurde von ihm ausdrücklich einer Korrektur des Umsatzsteuerveranlagungsverfahrens in der Folge des Umsatzsteuerprüfungsverfahrens zugestimmt und liegen keine Umstände vor, die sonst eine (besondere) Schutzwürdigkeit entstehen lassen haben können.
Da im gegenständlichen Fall Zweckmäßigkeitsüberlegungen klar und eindeutig für eine Wiederaufnahme des Verfahrens sprechen und Billigkeitsgründe der Wiederaufnahme nicht entgegenstehen, war wie im Spruch ausgeführt zu entscheiden.
Innsbruck, am 22. März 2012
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 293b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise: | VwGH 14.03.1990, 89/13/0115 |