Nachträgliche Änderung der EStRL: keine neue Tatsache nach § 303 BAO
Beachte:
VfGH-Beschwerde zur Zl. B 242/12 eingebracht. Behandlung der Beschwerde mit Beschluss vom 20.06.2012 abgelehnt. VwGH-Beschwerde zur Zl. 2012/15/0147 eingebracht. Mit Erk. vom 22.11.2012 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des J.A., Adresse, vertreten durch steuerlichen.Vertreter, vom 18. Juni 2009 gegen den Bescheid des Finanzamtes Freistadt Rohrbach Urfahr vom 4. Mai 2009 betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommensteuer 2007 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
1. Verwaltungsgeschehen: Der Berufungswerber (= Bw) war im berufungsgegenständlichen Zeitraum als Oberarzt im Krankenhaus XY tätig. In der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2007 erklärte er bei den Einkünfte aus selbstständiger Arbeit Sonderklassegebühren, wobei er im Sinne des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichthofes vom 22.02.2007, 2002/14/0019, hinsichtlich der Sonderklassegebühren keine Basispauschalierung im Sinne des § 17 EStG zur Anwendung brachte. Der am 9. Dezember 2008 erlassene Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2007 erwuchs in Rechtskraft.
Mit Schriftsatz vom 2. März 2009 stellte der steuerliche Vertreter des Bw hinsichtlich des Einkommensteuerbescheides 2007 gemäß § 303 BAO einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und beatragte die Berücksichtigung des Betriebsausgabenpauschales hinsichtlich der Sonderklassegebühren laut beiliegender berichtigter Einkommensteuererklärung 2007.
Begründend wurde ausgeführt, dass die Einkommensteuererklärung 2007 im Sinne des VwGH-Erkenntnisses vom 22.02.2007, 2002/14/0019 erstellt worden sei. Da nunmehr laut Einkommensteuererlass 4116b im Jahr 2007 die Basispauschalierung doch möglich sei, sei die Einkommensteuererklärung dahingehend berichtigt worden. In der beiliegenden berichtigten Einkommensteuerklärung wurde unter Einkünfte aus selbstständiger Arbeit ein Betrag in Höhe von 143.607,07 € (ohne Anwendung der Basispauschalierung bisher 165.997,04 €) ausgewiesen.
Mit Bescheid vom 7. April 2009 erließ das zuständige Finanzamt einen Mängelbehebungsauftrag, wobei dem Bw bis zum 24. April 2009 gemäß § 303a Abs 2 BAO die Behebung folgender Mängel aufgetragen wurde: - die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrages notwendig sind und - bei einem auf § 303 Abs 1 lit b BAO gestützten Antrag die Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren notwendig sind. Weiters wurde darauf hingewiesen, dass bei Fristversäumnis die Eingabe als zurückgenommen gilt.
Mit Schreiben vom 23. April 2009 beantwortete der steuerliche Vertreter den Mängelbehebungsauftrag wie folgt:
"Im VwGH-Urteil vom 22.2.2007 wurde klargestellt, dass ein Betriebsausgabenpauschale nach § 17 Abs EStG 1988 nicht zusteht, wenn die Krankenanstalt bei der Abrechnung der Beträge von dem Anteil, der auf den Arzt entfällt, für die Nutzung der Einrichtung der Krankenanstalt einen "Hausanteil" abzieht. Gemäß diesem Urteil sowie gem EStR Rz 4116b (Stand 1.10.2008) wurde die Steuererklärung erstellt. Nunmehr wurden die EStR Rz 4111b (Stand 1.3.2009) veröffentlicht vom BMF am 12.1.2009, BMF-010203/0016-VI/6/2009 dahingehend geändert, dass obiges Urteil erst ab Veranlagung 2008 anzuwenden ist. Des Weiteren wurde in der Rz 4116b (neu) darauf hingewiesen, dass für Veranlagungszeiträume vor 2008 keine Bedenken bestehen, wenn in derartigen Fällen das Pauschale auch bei Abzug eines Hausanteils als Betriebsausgabe berücksichtigt wurde. Somit wurde unsererseits der Antrag innerhalb von 3 Monaten rechtzeitig gestellt. Des Weiteren ergibt sich daraus, dass uns kein grobes Verschulden an der Nichtgeltendmachung im abgeschlossenen Verfahren trifft, da die Anwendung bevor die EStR 4116b geändert wurde, nicht möglich war. Sollten Bedenken gegen die Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 1 BAO vorliegen, ersuchen wir um amtswegige Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 4 BAO."
Mit Bescheid vom 4. Mai 2009 wies die Abgabenbehörde erster Instanz den Antrag gemäß § 303 BAO hinsichtlich Einkommensteuerbescheid 2007 ab.
Als Begründung führte das Finanzamt aus: "Gemäß § 303 Abs 1 BAO ist dem Antrag der Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte. Aus der Begründung Ihres Antrages ist ersichtlich, dass es sich dabei um einen Antrag im Sinne der lit b) handelt. Eine der Voraussetzungen, um einen solchen Antrag stattgebend erledigen zu können ist, dass neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen. Laut Bundesabgabenordnung, Kommentar Ritz, Tz 9 zu § 303, sind neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob die späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (VwGH 19.5.1993, 91/13/0224; 19.11.1998, 96/15/0148) keine neuen Tatsachen. Die geänderte Auslegung von Gesetzen (z.B. Änderung von Richtlinien) zählt zu den oben angeführten Punkten und sind somit auch nicht als neue Tatsachen anzusehen. Da - dem obigen Absatz entsprechend - keine neuen Tatsachen vorliegen, kann hinsichtlich Ihres Antrages auf Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne des § 303 Abs 1 lit b bzw. dem Antrag auf amtswegige Wiederaufnahme gem § 303 Abs 4 BAO betreffend Einkommensteuer 2007 keine stattgebende Erledigung erfolgen."
Nach einem über FINANZonline eingebrachten Antrag auf Verlängerung der Rechtsmittelfrist erhob der steuerliche Vertreter am 18. Juni 2009 Berufung gegen den Bescheid vom 4. Mai 2009, wobei er begründend Folgendes ausgeführte:
Es sei erst im Zuge der Antragsstellung auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO vom 2. März 2009 festgestellt worden, dass neben der Nichtbeantragung des Betriebsausgabenpauschales auch GSVG-Beiträge in Höhe von 370,68 € nicht berücksichtigt worden wären. Nach Ansicht des Bw wären für die Ermessensübung nicht nur die steuerlichen Auswirkungen der GSVG-Beiträge zu berücksichtigen, sondern es wären auch die steuerlichen Auswirkungen des Betriebsausgabenpauschales maßgeblich.
Das zuständige Finanzamt legte mit Berufungsvorlage vom 10. August 2009 die gegenständliche Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.
Über die Berufung wurde erwogen:
2. Der Entscheidung wurde folgender unstrittig festgestellter Sachverhalt zugrunde gelegt: Der Bw, ein Oberarzt im Krankenhaus XY , bezog im Jahr 2007 neben seinen Einkünften aus nicht selbständiger Tätigkeit auch Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Form von Sonderklassegebühren. Das Finanzamt veranlagte mit Bescheid vom 9. Dezember 2009 die Einkommensteuer 2007 erklärungsgemäß, d.h. - wie vom Bw erklärt - ohne Anwendung der Basispauschalierung des § 17 EStG auf die Einnahmen aus Sonderklassegebühren. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft. Am 2. März 2009 stellte der steuerliche Vertreter einen Antrag auf Wiederaufnehme des Verfahrens den Einkommensteuerbescheid 2007 betreffend. Er begehrte die Anwendung der Basispauschalierung auf die Einnahmen aus Sonderklassegebühren mit der Begründung, dass die geänderten Einkommensteuerrichtlinien - Rz 411b - für die Veranlagung 2007 dies zulassen. Der mit Bescheid vom 7. April 2009 aufgetragenen Mängelbehebung gemäß § 303a Abs 2 BAO kam der Bw fristgerecht nach. In dieser Eingabe regte er in eventu auch eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen an.
Das Finanzamt wies mit Bescheid vom 4. Mai 2009 den Antrag auf Wiederaufnahme mangels Vorliegen neuer Tatsachen ab. Aus eben diesem Grund wurde auch die Anregung einer Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 4 BAO verneint. in der gegen diesen Bescheid gerichteten Berufung brachte der Bw zusätzlich zum bisherigen Vorbringen als neue Tatsache die Nichtberücksichtigung von GSVG-Beiträgen in Höhe von 370,68 € vor.
3. Rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes: § 303 Abs 1 BAO bestimmt, dass dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens stattzugeben ist, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Abs 2 der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 ist binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
Abs 3 Wenn die Zuständigkeit zur Abgabenerhebung ......
Abs 4 eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen ist unter den Voraussetzungen des Abs. 1 lit. a und c und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
A) Neuerungstatbestand (§ 303 Abs 1 lit b BAO): Wie das Finanzamt im Abweisungsbescheid vom 4. Mai 2009 richtig feststellte, handelt es sich beim gegenständlichen Antrag des Bw auf Wiederaufnahme des Verfahrens um einen Antrag gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO. Voraussetzung für die Anwendung des Neuerungstatbestandes ist das Hervorkommen neuer Tatsachen oder Beweismittel, die ohne grobes Verschulden der Partei im abgeschlossenen Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten. Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova repterta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (vgl. Ritz, BAO4, § 303 Tz 13 und die dort zitierte Judikatur).
Änderung der Einkommensteuerrichtlinien 2000 (Rz 4116b) nach Eintritt der Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides für 2007: Gegenständlich erfolgte die Änderung der Einkommensteuerrichtlinien nach dem rechtskräftigen Abschluss der Einkommensteuerveranlagung 2007. Es ist die Frage zu klären, ob diese vom Bw behauptete neue "Tatsache" einen Wiederaufnahmegrund darstellt. Laut Lehre und Rechtsprechung sind Tatsachen ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (VwGH 26.1.1999, 98/14/0038; VwGH 26.7.2000, 95/14/0094). Also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (VwGH 23.4.1998, 95/15/0108; VwGH 19.11.1998, 96/15/0148; VwGH 26.7.2000, 95/14/0094). Tatsachen sind aber nicht nur sinnlich wahrnehmende Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB. die Zahlungsunwilligkeit, VwGH 14.6.1982, 82/12/0056).
Keine Tatsachen im Sinne von Wiederaufnahmegründen sind jedoch ua neue Erkenntnisse in Bezug auf die rechtliche Beurteilung von Sachverhaltselementen, gleichgültig, ob diese späteren rechtlichen Erkenntnisse durch die Änderung der Verwaltungspraxis oder Rechtsprechung oder nach vorhergehender Fehlbeurteilung oder Unkenntnis der Gesetzeslage eigenständig gewonnen werden (VwGH 19.5.1993, 91/13/0224; VwGH 19.11.1998, 96/15/0148), Entscheidungen von Gerichten oder Verwaltungsbehörden (VwGH 20.4.1995, 92/13/0076; VwGH 27.11.2000, 96/17/0373; VwGH 26.6.2003, 2002/16/0286-0289), Hervorkommen von Rechtsirrtümern (VwGH 17.9.1990, 90/15/0118), unterschiedliche Beweiswürdigung durch eine Verwaltungsbehörde einerseits und durch eine Verwaltungsstrafbehörde oder durch ein Gericht andererseits (VwGH 17.5.1990, 89/16/0037; VwGH 15.7.1998, 97/13/0269, 0270; VwGH 25.3.1999, 96/15/0108) oder höchstgerichtliche Erkenntnisse (VwGH 8.9.1988, 88/16/0157-0161; VwGH 29.9.1997, 97/17/0257-0279; VwGH 25.2.1998, 98/14/0015).
Für den Berufungsfall bedeutet dies: Der Bw behauptete als "neue Tatsache" eine Änderung der Einkommensteuerrichtlinien 2000. Diese haben keinen Gesetzescharakter, sie sind als Auslegungsbehelf zum EStG 1988 zu qualifizieren. Das BMF hat mit der Änderung der Rz 4116b (neu) für einen begrenzten Zeitraum - bis einschließlich Veranlagungsjahr 2007 - seine Verwaltungspraxis geändert. Die Änderung der Verwaltungspraxis stellt jedoch - wie obenstehend ausgeführt - keinen Wiederaufnahmegrund dar, weshalb diese "Tatsache" auch für das an Erlässe gebundene Finanzamt unbeachtlich ist.
Aber selbst wenn die Änderung der Verwaltungspraxis für die Abgabenbehörde erster Instanz von Bedeutung wäre, wäre der Berufung vor dem Unabhängigen Finanzsenat trotzdem kein Erfolg beschieden: Der Unabhängige Finanzsenat ist weder an Einzelauskünfte noch an Erlassregelungen gebunden. Die Einkommensteuerrichtlinien 2000 sind nicht im Bundesgesetzblatt kundgemacht. Somit sind sie für den Unabhängigen Finanzsenat keine verbindliche Rechtsquelle. Als Auslegungsbehelf begründen sie keine über gesetzliche Bestimmungen hinausgehende Rechte und Pflichten; sie haben Erlasscharakter und - wie bereits ausgeführt - ist die Abgabenbehörde zweiter Instanz als unabhängige Verwaltungsbehörde (§ 1 UFSG) nicht an Erlässe gebunden.
Da die Nichtanwendung des Betriebsausgabenpauschale auf die Sonderklassegebühren keinen Wiederaufnahmsgrund darstellt, geht diesbezüglich die Anregung des Bw auf eine amtswegige Wiederaufnahme ebenfalls ins Leere
B) Wiederaufnahme von Amts wegen (§ 303 Abs 4 BAO):
Nachträgliche Geltendmachung von GSVG-Beiträgen in Höhe von 370,68 €: In der Ergänzung zum Mängelbehebungsauftrag regte der Bw in eventu zur beantragten Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs 1 BAO eine Wiederaufnahme von Amts wegen an, da seinerseits erst bei Stellung des Wiederaufnahmeantrages festgestellt wurde, dass GSVG-Beiträge in Höhe von 370,68 € bei der Einkommensteuerveranlagung nicht berücksichtigt wurden.
Die Verfügung der amtswegigen Wiederaufnahme liegt im Ermessen (Ritz, BAO4, § 303 Tz 37). Zweck des § 303 BAO ist es, eine neuerliche Bescheiderlassung dann zu ermöglichen, wenn Umstände gewichtiger Art hervorkommen; Ziel ist ein insgesamt rechtmäßiges Ergebnis. Daher ist bei der Ermessensübung grundsätzlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit (der Gleichmäßigkeit der Besteuerung) der Vorrang vor jenem der Rechtsbeständigkeit (Rechtskraft) zu geben; dies gilt unabhängig davon, ob sich die Wiederaufnahme letztlich zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde (Ritz, § 303 Tz 38).
Ein (allfälliges) Verschulden der Behörde an der Nichtausforschung von Sachverhaltselementen (an der Nichtfeststellung maßgeblicher Tatsachen) schließt die amtswegige Wiederaufnahme nicht aus. Ein solches behördliches Verschulden ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes gegebenenfalls (unter Umständen) bei der Ermessensübung zu berücksichtigen (Ritz4, § 303 Tz 16, Tz 53); einer Wiederaufnahme von Amts wegen steht nicht entgegen, dass der Prüfer bei gehöriger Aufmerksamkeit mit Hilfe der ihm bereits vorliegenden Urkunden, allenfalls unter Heranziehung der Mitwirkung des Abgabepflichtigen, die maßgeblichen Tatsachen bereits hätte feststellen können (Ritz, BAO4, § 303, Tz 53, mit Judikaturnachweis). Gegenständlich ist ein Verschulden der Behörde an der Nichtfeststellung maßgeblicher Tatsachen nicht gegeben. Dadurch, dass der Bw die von ihm geleisteten GSVG-Beiträge in der Einkommensteuererklärung bzw. in einem innerhalb der Rechtsmittelfrist möglich gewesenen Berufungsverfahren nicht als Betriebsausgaben geltend machte, ist vielmehr von einem Verschulden des Bw auszugehen. Das Verschulden des Bw an der behördlichen Unkenntnis entscheidungsrelevanter Umstände steht einer amtswegigen Wiederaufnahme zu Gunsten des Bw zwar grundsätzlich nicht entgegen (vgl. Ritz, BAO4,Tz 17), allerdings hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 28.10.2009, 2008/15/0209 zur Unterlassung der Geltendmachung von Betriebsausgaben Folgendes ausgeführt: "Die Beseitigung der Folgen einer Unterlassung der Geltendmachung von Betriebsausgaben, sei es auf Grund Unkenntnis gesetzlicher Vorschriften oder auf Grund unzutreffender rechtlicher Würdigung, durch die Beschwerdeführerin kann nicht durch die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgen. Das Wiederaufnahmeverfahren hat nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen. Die Auffassung der belangten Behörde, die Wiederaufnahme nach § 303 BAO diene nicht dazu, fehlende formale Tatbestandselemente nachträglich zu erfüllen, ist daher nicht als rechtswidrig zu erkennen."
Aus diesen Ausführungen ergibt sich, dass die Abgabenbehörde erster Instanz zutreffend erkannt hat, dass die unterlassene Geltendmachung der GSVG-Beiträge keinen Wiederaufnahmsgrund darstellt. Sie ist somit richtigerweise der Anregung des Bw auf amtswegige Wiederaufnahme nicht gefolgt.
Die amtswegige Wiederaufnahme scheitert jedoch nicht nur am fehlenden Wiederaufnahmegrund, sondern im Rahmen der Ermessensübung an der Geringfügigkeit der steuerlichen Auswirkung in diesem konkreten Fall. Die steuerliche Auswirkung ist immer anhand des konkreten Wiederaufnahmegrundes - bisher nichtberücksichtigte GSVG-Beiträge in Höhe von 370,68 € - zu beurteilen: Eine Verringerung der Einkünfte aus selbstständiger Arbeit in Höhe von 165.997,04 € (Beilage 1) um die bisher nicht berücksichtigten GSVG-Beiträge in Höhe von 370,68 € (Beilage 2) würde zu einer Verringerung der Einkommensteuer 2007 um 0,7%, das sind 185,34 €, führen. Bei einem Gesamtbetrag der Einkünfte in Höhe von 228.749,35 € ist das als geringfügig zu beurteilen.
Wenn nun der Bw in der mit FINANZonline eingebrachten Ergänzung zur Berufung vorbringt, dass bei der Ermessensentscheidung nicht nur die steuerlichen Auswirkungen der GSVG-Beiträge sondern auch des Betriebsausgabenpauschales zu berücksichtigen wären, so ist dies unrichtig. Da die nachträgliche Geltendmachung des Betriebsausgabenpauschales im Zusammenhang mit den Sonderklassegebühren - wie ausführlich unter Punkt A) dargestellt - keinen Wiederaufnahmegrund bildet, ist dessen steuerliche Auswirkung auch bei der Prüfung der Geringfügigkeit nicht zu berücksichtigen. Deshalb, da die Geringfügigkeit nur anhand der steuerlichen Auswirkungen des konkreten Wiederaufnahmegrundes zu beurteilen ist und nicht aufgrund der steuerlichen Gesamtauswirkung (vgl. Ritz, BAO4, Tz 40). Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass sich diese bei einer Entscheidung der Abgabenbehörde zweiter Instanz ohnehin nicht ändern würde, da - wie bereits ausgeführt - der Unabhängige Finanzsenat nicht an Erlässe gebunden ist.
Aus den obenstehenden Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Linz, am 19. Jänner 2012
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise: | VwGH 19.05.1993, 91/13/0224 |