Änderung der Judikatur - kein Wiedereinsetzungsgrund gemäß § 308 BAO
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2011/15/0192 eingebracht. Mit Erk. v. 2.10.2014 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt betreffend die Abweisung eines Antrages auf Wiedereinsetzung gemäß § 308 BAO betreffend Vorsteuererstattung an ausländische Unternehmer für die Zeiträume 1-12/2002, 1-12/2003 und 1-4/2004 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (=Bw.) ist ein Telekommunikationsdienstleistungsunternehmen, das im Streitzeitraum im Drittland ansässig war. Die Bw. schloss mit österreichischen Netzwerk-Betreibern Roamingverträge, wodurch die Bw. ihren im Drittland ansässigen Kunden das Telefonieren in Österreich ermöglichte. Die dafür vom österreichischen Netzbetreiber an die Bw. verrechneten Roaminggebühren waren mit österreichischer Umsatzsteuer belastet.
Mit Antrag vom 31. Oktober 2007, eingelangt beim Finanzamt am 5 November 2007 begehrte die Bw., die Vergütung dieser Vorsteuern aus Roaminggebühren für die Zeiträume 1-12/02, 1-12/03 und 1-4/04. Sie bezog sich diesbezüglich auf den Erlass des Bundesministeriums für Finanzen, Gz. 010219/16 USt, sowie auf VwGH vom 22. November 2006, 2005/15/0104.
Da die Antragsfrist für die Vorsteuererstattung für sämtliche Zeiträume bereits verstrichen war, stellte die Bw. in dieser Eingabe vorsichtshalber auch den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 308 BAO wegen Versäumnis der Antragsfrist.
Die Bw. verwies diesbezüglich auf die Günstigkeitsregel des Art. 56 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung wurde nicht weiter begründet.
Das Finanzamt wies den Wiedereinsetzungsantrag mit Bescheid vom 10. Mai 2010 ab.
Dagegen brachte die Bw. mit Eingabe vom 31. Mai 2010 Berufung ein.
Die Bw. machte
-erheblichen Verfahrensmangel und
-unrichtige rechtliche Beurteilung
geltend.
1) ad Verfahrensmangel:
Die erkennende Behörde habe hinsichtlich des Wiedereinsetzungsantrages die Erlassung eines Mängelbehebungsauftrages verabsäumt. Der Bw. sei dadurch die Möglichkeit genommen worden, alle notwendigen inhaltlichen Verbesserungen (Konkretisierung des unvorhergesehenen Ereignisses und Nachweis des fehlenden groben Verschuldens an der Fristversäumnis) nachzuholen. Soferne der Bw. aus diesem Verfahrensmangel ein Nachteil vor der Berufungsbehörde erwachsen sollte, weil diese der Ansicht sei, dass der Wiedereinsetzungsantrag in erster Instanz nicht ordnungsgemäß ausgeführt worden sei und bereits aus diesem Grunde zurückzuweisen sei, werde dieses Versäumnis der Abgabenbehörde erster Instanz als Verfahrensmangel gerügt. Die Erlassung eines Mängelbehebungsauftrages liege nämlich nicht im Ermessen der Behörde (VwGH 14.09.1992, 91/15/0135; VwGH 17.09.1996, 92/14/0081; VwGH 4.4.1990, 89/13/0190; VwGH 23.05.19978,595, 658, 659/78).
Sollte die Abgabebehörde zweiter Instanz der Ansicht sein, dass der strittige Wiedereinsetzungsantrag die Inhaltserfordernissen nicht erfülle, werde beantragt den Abweisungsbescheid aufzuheben und der Behörde erster Instanz aufzutragen der Berufungswerberin den Wiedereinsetzungsantrag - unter Erlassung eines Mängelbehebungsauftrages - innerhalb angemessener Frist zurück zu übermitteln.
Sollte die Abgabenbehörde zweiter Instanz davon ausgehen,
-dass der Wiedereinsetzungsantrag die Inhaltserfordernisse gerade noch erfülle, da erkennbar war, dass dieser innerhalb der 3-Monatsfrist ab Wegfall des Hinderungsgrundes eingebracht wurde und
-die Bw. an der Fristversäumnis für die Einbringung der Vorsteuererstattungsanträge kein grobes Verschulden treffe und
-die Bw. durch den Entfall der Vorsteuererstattung einen Rechtsnachteil erlitten habe,
werde die unrichtige rechtliche Beurteilung des strittigen Abweisungsbescheides geltend gemacht.
2) Ad unrichtige rechtliche Beurteilung
2a) Bei der versäumten Handlung handle es sich um die Säumnis einer Fallfrist, die prinzipiell wiedereinsetzungsfähig sei.
2b) Hätte die Bw. Kenntnis von der Änderung der Rechtsauslegung im Sinne des Erlasses Gz. BMF-0102l9/0448-Vl/4/2007 vom 24.0ktober 2007 (Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien 2000) gehabt, hätte sie die Erstattungsanträge rechtzeitig gestellt.
2c) Durch die Klarstellung der Gesetzeslage liege ein der Wiederseinsetzung zugängliches unvorhersehbares Ereignis vor. Ein Ereignis sei jedes Geschehen, also auch eine Änderung bzw allenfalls auch eine bloße Klarstellung der Gesetzeslage. Die Änderung der Gesetzeslage sei für die Bw. mit Sicherheit nicht vorhersehbar gewesen (über hellseherische Fähigkeiten wie und in welchem Ausmaß sich Verordnungen und Gesetze in der Zukunft entwickeln oder abändern, verfüge die Bw. leider nicht).
Selbst Rechtsunkenntnis oder gar Rechtsirrtum würden unter bestimmten Umständen als ein wiedereinsetzungsfähiges "unvorhergesehenes" Ereignis anerkannt. Auch die erkennende Behörde räume dies im angefochtenen Bescheid auf Seite 2, vorletzter Absatz, letzter Satz ein. Wenn aber in Ausnahmefallen sogar Rechtsunkenntnis oder Rechtsirrtum als Wiedereinsetzungsgründe herangezogen werden könnten, müsse umso eher eine Rechtsänderung als Wiedereinsetzungsgrund heranziehbar sein. Genau solch ein Ausnahmefall liege im Berufungsfall vor. Das Finanzamt räume selbst ein, dass der Unabhängige Finanzsenat (UFS) noch mit Entscheidung vom 07.06.2006, RV/0009-G/06 die Erstattungsfähigkeit der Vorsteuer im Zusammenhang mit Roaminggebühren für in Österreich nicht ansässige Unternehmen verneinte.
Erst durch die -für die Bw. jedenfalls nicht vorhersehbare -Berufungsentscheidung des UFS Außenstelle Graz unter GZ RV/0315-G/07 vom 10. August 2007 und durch eine anschließend erfolgte Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien 2000 in diesem Punkt durch Gz.: BMF-010219/0448-VI/4/2007, die für die Bw. ebenfalls mit Sicherheit nicht vorhersehbar gewesen sei, sei die Vorsteuererstattungsfähigkeit für nicht im Inland ansässige Unternehmen hinsichtlich Roaminggebühren eindeutig möglich geworden.
Die Nichtanerkennung der Änderung der Judikatur und Gesetzeslage als Wiedereinsetzungsgrund wäre gleichheitswidrig, unsachlich und jedenfalls mit der ständigen Judikatur zu den möglichen Wiedereinsetzungsgründen nicht in Einklang zu bringen.
Es sei daher davon auszugehen, dass ein Wandel in der Judikatur und eine daraufhin erfolgte Gesetzesänderung, die im Nachhinein zu genau dem konträren Ergebnis wie davor führten, für eben diese davor liegenden Fallfristen als Wiedereinsetzungsgrund heranziehbar seien .
2d) Es sei abschließend zu prüfen, ob die Bw. an der Versäumung der Frist grobes Verschulden treffe. Viele Jahre sei es nicht nur strittig, sondern ständige Judikatur gewesen, dass Vorsteuern aus Roaminggebühren für in Österreich nicht ansässige Unternehmen nicht erstattungsfähig seien. Erst ab Sommer 2006 sei die Judikatur geändert worden. Es könne mit Sicherheit nicht als grobes Verschulden gewertet werden, wenn ein nach einem Judikaturwandel und einer Gesetzesänderung plötzlich zum Vorsteuerabzug Berechtigter, nicht schon zu einem Zeitpunkt, zu dem mit der Aussichtslosigkeit des Erstattungsantrages zu rechnen war, entsprechende Anträge gestellt hat.
Die Unterlassung der Antragstellung innerhalb der vom Gesetz vorgesehen Frist, könne daher höchstens als geringer Grad des Versehens gewertet werden.
Als Reaktion auf die neue Rechtslage habe die Bw. umgehend mit Eingabe vom 5. November 2007 die versäumten Anträge nachgeholt. Der Wiedereinsetzung sei daher innerhalb von drei Monaten nach Wegfall des Hindernisses eingebracht worden.
Die Erstattungsansprüche seien auch noch nicht verjährt.
In Anbetracht all dieser besonderen Umstände des Einzelfalles stellt die Bw. den
Antrag:
-der Berufung vollinhaltlich Folge zu geben und den Wiedereinsetzungsantrag zu bewilligen.
Über die Berufung wurde erwogen:
Unstrittig ist, dass die Bw. die Anträge auf Erstattung von Vorsteuern für die Zeiträume 1-12/2002, 1-12/2003 und 1-4/2004 nicht innerhalb der im § 3a Verordnung BGBl 279/1995 (fußend auf § 21 Abs. 9 UStG 1994) geregelten Frist von sechs Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, einbrachte.
Diese Frist ist nicht erstreckbar ist und stellt deren Versäumnis ein materiell rechtliches Hindernis für die Zuerkennung der Vergütung der Vorsteuern dar.
Die Bw. bringt nun vor, dass sie auf Grund der vom unabhängigen Finanzsenat und den Umsatzsteuerrichtlinien vertretenen Rechtsansicht für die strittigen Zeiträume keine Anträge auf Vorsteuererstattung innerhalb der im Gesetz geregelten Fallfrist gestellt habe, da mit einer positiven Erledigung nicht zu rechnen gewesen sei. Erst durch die Entscheidung des UFS vom 10.08.2007, RV/0315-G/07, wenn nicht erst durch die Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien im Oktober 2007 sei klargestellt worden, dass diese Vorsteuern vergütungsfähig seien. Die Bw. sei demnach durch ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis verhindert gewesen die Vergütung rechtzeitig geltend zu machen.
Zu diesem Vorbringen ist auszuführen:
Nach § 308. Abs. 1 BAO ist gegen die Versäumung einer Frist (§§ 108 bis 110) auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.....
Nach Absatz 3 dieser Gesetzesstelle muss der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen einer Frist von drei Monaten nach Aufhören des Hindernisses bei der Abgabenbehörde, bei der die Frist wahrzunehmen war, bei Versäumung einer Berufungsfrist oder einer Frist zur Stellung eines Vorlageantrages (§ 276 Abs. 2) bei der Abgabenbehörde erster oder zweiter Instanz eingebracht werden. Spätestens gleichzeitig mit dem Wiedereinsetzungsantrag hat der Antragsteller die versäumte Handlung nachzuholen.
Gemäß § 309a BAO hat der Wiedereinsetzungsantrag zu enthalten:
a) die Bezeichnung der versäumten Frist;
b) die Bezeichnung des unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses (§ 308 Abs. 1);
c) die Angaben, die zur Beurteilung des fehlenden groben Verschuldens an der Fristversäumung
notwendig sind;
d) die Angaben, die zur Beurteilung der Rechtzeitigkeit des Antrags notwendig sind.
Ad 1)
Der Bw. ist beizupflichten, dass der im Erstattungsantrag vom 30. Oktober 2007 gestellte Wiedereinsetzungsantrag nicht dezidiert die im § 309a BAO geforderten Angaben enthält. Aus dem Kontext mit den Erstattungsanträgen geht aber klar hervor, dass die Bw. den Wiedereinsetzungsgrund in der geänderten Rechtsanschauung laut Erlass des BMF Gz.: 010219/16-USt und im zuvor ergangenen Judikat 2005/15/0104 sieht.
Das Finanzamt lehnte mit Bescheid vom 10. April 2009 die Erstattung der Vorsteuern für 1-12/2002, 1-12/2002 und 1--4/2004 ab. In der dagegen erhobenen Berufung vom 28. Mai 2009 brachte die Bw. vor, dass sie bereits innerhalb von 12 Tagen nach Änderung der Umsatzsteuerrichtlinien die versäumten Handlungen (Einbringung der Erstattungsanträge) nachgeholt und gleichzeitig die Wiedereinsetzung der Verfahren beantragt habe. In dieser Berufung, obwohl sie gegen die Ablehnung der beantragten Erstattung gerichtet war, legte die Bw. ausführlich die Gründe dar, die ihres Erachtens die Wiedereinsetzung rechtfertigten.
Dadurch hat die Bw. den Erfordernissen der Bestimmungen § 308 BAO und § 309a BAO genüge getan. Die Bw. hat auf diese Weise, wenn auch in einem anderen Verfahren, die fehlenden Merkmale des § 309a BAO erfüllt. Ein Mängelbehebungsauftrag war daher nicht mehr erforderlich und das Finanzamt war berechtigt den angefochtenen Abweisungsbescheid vom 10. Mai 2010 zu erlassen.
Der unter Punkt 1) der Berufung geltend gemachte Verfahrensmangel in Form der Nichterlassung eines Mängelbehebungsauftrages liegt daher nicht vor.
Ad 2)
Mit Erkenntnis des VwGH vom 30.06.2005, 2003/15/0059 hat der VwGH erstmals über die Frage der Erstattungsfähigkeit von Vorsteuern aus Roaminggebühren an im Drittland ansässige Telekommunikationsunternehmer, die ihren im Drittland ansässige Kunden das Telefonieren in Österreich ermöglichen, entschieden.
Laut VwGH ist die VO BGBl II 1997/102 über die Verlagerung des Ortes der sonstigen Leistung bei Telekommunikationsdiensten ins Inland richtlinienwidrig ist. Der Steuerpflichtige ist daher befugt, sich zu seinen Gunsten auf die unmittelbare Anwendung des Art 9 Abs. 2 Buchstabe e) der Richtlinie 77/388/EWG zu berufen. Danach führen sie mit diesen Leistungen keine Umsätze im Sinne des § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 in Österreich aus.
Die vom Netzwerk-Betreiber mit den Roamingentgelten verrechnete österreichische Umsatzsteuer kann daher im Erstattungsverfahren gemäß der Verordnung BGBl 279/1995 vergütet werden.
In einem weiteren Erkenntnis VwGH vom 22.11.2006, 2006/15/0243 brachte der Gerichtshof abschließend zum Ausdruck, dass die Leistungen der österreichischen Netzbetreiber nach innerstaatlichem Recht steuerbar und steuerpflichtig und daher auch erstattungsfähig sind.
Ab diesem Zeitpunkt war diese Frage abschließend geklärt. Die von der Bw. behauptete Ungewissheit ist spätestens mit Veröffentlichung dieser Entscheidung im Rechtsinformationssystem des Bundes am 27. Dezember 2006 weggefallen. Der gegenständliche Antrag auf Wiedereinsetzung langte aber erst am 5. November 2007 beim Finanzamt ein.
Demnach wäre die im § 308 BAO normierte Dreimonatsfrist nicht gewahrt und der Wiedereinsetzungsantrag schon aus diesem Grunde abzuweisen.
Die Bw. gibt nun an, erst nach Anpassung der österreichischen Umsatzsteuerrichtlinien mit Erlass des BMF-010219/0448-VI/4/2007 vom 24. Oktober 2007 von der Änderung der Rechtsprechung zu diesem Thema Kenntnis erlangt zu haben. Die Einbringung der Wiedereinsetzungsanträge am 5. November 2007 sei demnach rechtzeitig erfolgt.
Es mag dahingestellt bleiben, ob die Veröffentlichung einer Entscheidung im RIS oder die spätere Erlassänderung auf Grund einer Entscheidung durch den VwGH als maßgeblicher Zeitpunkt für den Wegfall eines "behaupteten" unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses anzusehen ist.
Unabhängig vom Zeitpunkt des Wegfalles des vermeintlich unabwendbaren oder ungewissen Ereignisses, stellt ein Judikat oder die Änderung der Verwaltungspraxis dem Grunde nach keinen Wiedereinsetzungsgrund dar. Dass nämlich die Bw. auf Grund der gewähnten Aussichtslosigkeit nicht tätig wurde und nicht den Rechtsweg beschritten hat, stellt kein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis dar. Es liegt darin eine bewusste, willentliche Entscheidung, keine Erstattungsanträge einzubringen.
Wenn auf Grund einer vorherrschenden Verwaltungspraxis vom Antrag auf Vorsteuererstattung für ausländische Unternehmer Abstand genommen wurde und folglich durch die Versäumnis einer Fallfrist der Anspruch auf Erstattung der Vorsteuern verwirkt ist, kann ein späteres, die Entscheidungen des Unabhängigen Finanzsenates und die Verwaltungspraxis korrigierendes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht zu einer Wiedereinsetzung nach § 308 BAO führen. Die Klärung einer Rechtsfrage durch den Verwaltungsgerichtshof führt nicht zum Wegfall eines unabwendbaren oder unvorhergesehenen Ereignisses, das die Bw. an der Verfolgung ihres Rechtsanspruchs gehindert hatte.
Die Bw. war nämlich trotz der ablehnenden Verwaltungspraxis nicht daran gehindert, die Erstattungsanträge rechtzeitig einzubringen und eine Entscheidung durch den VwGH zu erwirken bzw. im Falle eines zu dieser Rechtsfrage bereits anhängigen Verfahrens eine Aussetzung nach § 281 BAO zu beantragen.
Vor den Erkenntnissen VwGH vom 30.06.2005, 2003/15/0059 und VwGH vom 22.11.2006, 2006/15/0243 war das Höchstgereicht mit der Erstattungsfähigkeit von Vorsteuern aus Roaminggebühren, die an im Drittland ansässige Telekommunikationsdienstleister verrechnet werden, nicht befasst.
Feststeht, dass der VwGH bis zum Ablauf der maßgeblichen Antragsfristen nicht mit dieser Rechtsfrage befasst war. Eine in der Folge von der der Verwaltungspraxis abweichende Entscheidung des VwGH und die daraus abgeleitete Änderung der UStRL kann daher schon aus diesem Grunde weder ein unabwendbares noch ein unvorhergesehenes Ereignis sein.
Würde man von der Verwaltungspraxis bzw. von einer Berufungsentscheidung abweichende oberstgerichtliche Entscheidungen als Wiedereinsetzungsgrund betrachten, führte dies zu einer allgemeinen Rechtskraftdurchbrechung, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sein kann. Dies würde bedeuten, dass in allen Fällen der Änderung der Rechtsauslegung innerhalb des Verjährungszeitraumes eine unterlassene Anträge nachgeholt werden könnten und die Korrektur sämtlicher davon betroffenen, rechtskräftigen Bescheide möglich wäre. Dies führte zu einer sanktionierten Rechtskraftdurchbrechung und allgemeinen Rechtsunsicherheit, die rechtspolitisch nicht zu vertreten wäre.
Erst ein höchstgerichtliches Erkenntnis kann Sicherheit in der Gesetzesauslegung bieten und steht daher auch jedem Steuerpflichtigen der Weg zu den Höchstgereichten offen, auch wenn eine anderslautende Verwaltungspraxis vorherrscht.
Aber selbst wenn - wovon aber nicht auszugehen ist - die Entscheidung des VwGH und die Anpassung der UStRL als unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignisse zu werten wären, trifft die Bw. an der Versäumnis der Antragstellung kein bloß geringes Verschulden. Die Bw. hätte wissen müssen, dass abschlägige UFS-Entscheidungen beschwerdefähig sind und die von der Bw. zitierten Anschauung in den UStRL keinen normativen Charakter hat, dass also jederzeit eine abweichende Auslegung durch den VwGH möglich war. Mangels bloß geringem Verschulden an der versäumten Handlung ist die Berufung auch unter diesem Aspekt nicht erfolgversprechend.
Der Verweis der Bw. auf die Günstigkeitsregel des Unionsrechtes hat keine Relevanz für die Wiedereinsetzung, da sich diese Regel nur auf Richtlinienrecht und nicht auf nationales Verfahrensrecht bezieht. Der VwGH hat in der Entscheidung 2003/15/0059 klargestellt, dass sich die Beschwerdeführerin auf Grund des abweichenden, für sie nachteiligen nationalen Rechts direkt auf die für sie günstigere Richtlinienregelung berufen konnte. Er kam daher zum Ergebnis, dass die Telekommunikationsdienstleister, indem sie ihren Kunden das Telefonieren in Österreich ermöglichen, keine steuerbaren Umsätze in Österreich bewirken und die Vorsteuern aus Roaminggebühren daher auch erstattungsfähig sind. Diese Aussagen betreffen die Erstattungsfähigkeit dem Grund nach, also lediglich die Bestimmungen des materiellen Rechts. Daraus kann aber kein Recht auf Wiedereinsetzung abgeleitet werden.
Die Berufung war daher spruchgemäß abzuweisen.
Graz, am 28. Oktober 2011
Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 308 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise: | VwGH 22.11.2006, 2005/15/0104 |