Rückforderung erhöhter Familienbeihilfe
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der im März 2009 verstorbenen Bw., vertreten durch Mag. Gerhard-Josef Seidl, Rechtsanwalt, 1170 Wien, Dornbacherstraße 62, vom 17. Oktober 2001 gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf, vertreten durch ADir. Koller, vom 17. September 2001 betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. November 1993 bis 31. Juli 2001 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Mit Antrag vom 18. September 1997 begehrte die Bw. für das Kind A die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe für erheblich behinderte Kinder. Laut vorgelegtem ärztlichen Zeugnis (bescheinigtes Leiden: "schwere recidiv. obstrukt. Bronchitis und Hausstaubmilbenallergie") wurde der Grad der Behinderung (GdB) des Kindes A mit 50 v.H. bescheinigt; dem Antrag wurde stattgegeben und der Erhöhungsbetrag gelangte für das Kind A für den Zeitraum vom Jänner 1993 bis inkl. Juli 2001 zur Auszahlung.
Für das Kind P erfolgte die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe aufgrund vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen (bestehendes Leiden: "Neurodermitis" - GdB 50%) für den Zeitraum ab 1. November 1993 bis inkl. Juli 2001.
Im Zuge von Anspruchsüberprüfungen - nachdem bei Antragstellungen auf die Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe in mehreren Fällen Manipulationshandlungen bekannt geworden sind - wurden Sachverständigengutachten über die bestehenden Behinderungsgrade eingeholt. Laut den im gegenständlichen Berufungsfall erstellten Sachverständigengutachten (für beide Kinder ausgestellt am 20. August 2001) konnte bei den Kindern P und A kein einschätzungsrelevantes Leiden festgestellt werden.
Mit dem bekämpften Bescheid vom 17. September 2001 wurde für die beiden Kinder der Bw. der Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe rückgefordert. Das Finanzamt begründete seinen Bescheid damit, dass laut den im Zuge der Anspruchsüberprüfung erstellten Sachverständigengutachten für beide Kinder kein einschätzungsrelevantes Leiden festgestellt worden sei und die Beihilfenbeträge somit zu Unrecht bezogen worden seien.
In der gegen obigen Bescheid eingebrachten Berufung führt die Bw., vertreten durch die ausgewiesene Rechtsanwältin, im Wesentlichen aus, dass die am 20. August 2001 durchgeführten Befundaufnahmen ohne Bezugnahme auf die für beide Kinder vorgelegten Krankengeschichten erfolgt seien und bestehe demzufolge der Rückforderungsanspruch zu Unrecht.
Vorsorglich werde auch die Einrede der Verjährung "hinterzogener Abgaben" gemäß § 207 Abs. 2 BAO erhoben.
Das Finanzamt legte die Berufung der Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Entscheidung vor.
Mit Berufungsentscheidung der Finanzlandesdirektion vom 10. Juli 2002 wurde dem Rechtsmittel der Bw. insoweit Folge gegeben, als der Rückforderungsbetrag für das Kind A mit Null festgesetzt wurde.
Demgegenüber wurde der Rückforderungsanspruch in der Höhe von € 12.666,87 (ATS 157.800,00) betreffend das Kind P als zu Recht bestehend erkannt und insoweit der Berufung der Erfolg versagt.
Hierbei wurde begründend ausgeführt, dass die Einstufung eines Grad der Behinderung von 20 v.H für letztgenanntes Kind laut dem Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen den tatsächlichen Gegebenheiten entspreche und demzufolge eine erhebliche, den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe berechtigende Behinderung niemals vorgelegen sei.
Gegen obige Berufungsentscheidung wurde betreffend die Bestätigung des Rückforderungsanspruches für das Kind P mit Schriftsatz vom 30. September 2002 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben und begründend ausgeführt, die belangte Behörde habe - ohne eine wie immer geartete Auseinandersetzung mit der im Berufungsschriftsatz erhobenen Verjährungseinrede zu pflegen - übersehen, dass der Rückforderung des Erhöhungsbetrages für die Jahre 1993 bis 1995 des Rechtsinstitut der Verjährung entgegengestanden sei.
Ungeachtet dessen habe sich die belangte Behörde in merito ausschließlich auf das Gutachten Dris. S bezogen, ohne dass eine Auseinandersetzung mit den Befunden der den Sohn P behandelnden Doktoren Po und R erfolgt sei.
Der Verwaltungsgerichtshof schloss sich in weiterer Folge den Beschwerdeausführungen an und hob mit Erkenntnis vom 15. Februar 2006 die Berufungsentscheidung vom 10. Juli 2002 ob Nichtauseinandersetzung mit der im Berufungsschriftsatz erhobenen Verjährungseinrede auf.
Mit Berufungsentscheidung vom 12. April 2006, RV/0640-W/06 wurde dem Berufungsbegehren seitens des unabhängigen Finanzsenates teilweise Folge gegeben, indem der Erhöhungsbetrag für das Kind P im als im Zeitraum vom 1. Jänner 1995 bis zum 31. Juli 2001 als zu Unrecht bezogen erachtet und im Ausmaß von € 9.789,03 (ATS 134.700,00) rückgefordert wurde.
Einer gegen vorgenannte Berufungsentscheidung erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war insoweit Erfolg beschieden als das Höchstgericht mit Erkenntnis vom 20. Oktober 2009, 2006/13/0105 den angefochtenen Bescheid infolge Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben hat.
Hierbei vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, dass die vom unabhängigen Finanzsenat als (die Verjährung des Jahres 1995 unterbrechende) Amtshandlung zur Geltendmachung des Abgabenanspruchs qualifizierte, mit 15. September 1997 erfolgte Übersendung des Formblattes "Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe" nicht näher begründet worden sei.
Mit Berufungsentscheidung vom 16. März 2010, RV/3950-W/09, wurde in Ansehung letztgenannter höchstgerichtlicher Ausführungen der Berufung teilweise Folge gegeben und der Rückforderungszeitraum nunmehr auf den 1. Jänner 1996 bis zum 31. Juli 2001 eingeschränkt, respektive der Rückforderungsbetrag auf € 8.350,11 (ATS 114.900,00) reduziert.
Einer gegen diese Berufungsentscheidung erhobenen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof war wiederum Erfolg beschieden und hat das Höchstgericht den Bescheid der belangten Behörde mit Erkenntnis vom 25. November 2010, 2010/16/0068 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Hierbei wurde begründend die Auffassung vertreten, dass in Ansehung der Tatsache, dass die aus dem Jahr 1997 stammende "Ärztliche Bescheinigung" den Grad der Behinderung des Kindes P mit 50 v. H. beziffert hat, demgegenüber dem Gutachten Dris. S keinerlei Bezugnahme auf dieses sowie der weiteren im Berufungsverfahren vorgelegten Befunden zu entnehmen sei, die belangte Behörde gehalten gewesen wäre, auf eine Ergänzung des Gutachtens Dris. S dahingehend hinzuwirken, dass zum Zwecke einer zuverlässigen retrospektiven Betrachtung aktenkundige Vorbefunde in den Befund des Sachverständigen miteinbezogen werden und letztendlich von diesem nachvollziehbar dargelegt wird, aus welchen Gründen er zu einer anderen Einschätzung gelangt als andere Ärzte vor ihm.
In Anbetracht vorstehender Ausführungen wurde im fortgesetzten Verfahren nachstehendes mit 1. Februar 2011 datiertes Schriftstück an das Bundessozialamt übermittelt:
Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen Babenbergerstraße 5 1010 Wien | GZ. RV/0175-W/11 Vordere Zollamtsstraße 7 1030 Wien Fax: 05 0250 5977100 Referent: Hofrat Mag. Wolfgang Ryda Telefon: 05 0250-577260 eMail: Wolfgang.Ryda@bmf.gv.at DVR: 2108837 | ||
Betrifft: | Bw1St.Nr.: x; Berufung vom 17. Oktober 2001 gegen den Bescheid vom 17. September 2001 betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und erhöhter Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. November 1993 bis 31. Juli 2001 | ||
Bezug: | Ergänzung des do. Sachverständigengutachtens vom 16. Jänner 2002 betreffend PR | ||
Beilagen: | Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 2010, 2010/16/0068; Ambulanzakt des AKH vom 28. Dezember 1992; Antrag auf Heilverfahren und Kuraufenthalt vom 29. Juli 1997; Ärztliche Bescheinigung vom 11. September 1997 einer Behinderung von 50% (gefertigt von den Drn. R und dem Polizeiamtsarzt M) samt Durchschrift; Ärztliche Bescheinigung Frau Drs. R vom 11. September 2000 ohne Angabe des Prozentsatzes der Behinderung; Befundaufnahme Frau Drs. R vom 8. August 2001; Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom 20. August 2001; Sachverständigengutachten des Bundessozialamtes vom 16. Jänner 2002 (Grad der Behinderung 20%) |
Zum Zweck der Erledigung obiger Berufung ist es nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes auf Seite 7 letzter Absatz des Erkenntnisses vom 25. November 2010, 2010/16/0068 unumgänglich das do. Gutachten vom 16. Jänner 2002, welches den Behinderungsgrad Herrn PRs mit 20% ausweist, dahingehend zu ergänzen, dass die Einschätzung des Grades der Behinderung nunmehr unter Einbeziehung der (nochmals) in der Beilage verzeichneten Vorbefunde zu erfolgen hat, respektive in schlüssiger Art und Weise das Abgehen von der Einschätzung der anderen Ärzte (insbesondere von der ärztlichen Bescheinigung vom 11. September 1997) darzulegen ist.
Dem bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz am 21. März 2011 eingelangten Antwortschreiben des Bundessozialamts wurde ein, in Folge wörtlich wiedergegebenes Aktengutachten Dris. S betreffend Herrn PR beigelegt:
"Meine Begutachtung vom 24.1. 2002 ergab in der Anamnese: ein seit Geburt zeitweises Auftreten von neurodermitisch- typischen Effloresenzen in den großen Beugen in distaler Ausprägung.", therapeutisch waren laut Angabe des Vaters Pflegesalben (Ultrabas, Ultrasic) und gelegentlich Cortisonsalben und sonst keine weiteren Maßnahmen ausreichend, sowie die Untersuchung "lediglich im Bereich der linken Ellenbeuge Kratzspuren, das restliche Integument frei, im Besonderen die Neurodermitis- spezifischen Areale", so dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem ähnlichen Hautbild und damit fast völliger Beschwerdefreiheit in den vorangehenden Jahren (vor 2002) ausgegangen werden kann und somit die Neueinstufung zwingend resultierte."
Mit Schriftsatz vom 21. März 2011 wurde dem rechtsfreundlichen Vertreter der Bw. obige Stellungnahme Dris. S zur Kenntnis gebracht, wobei dieser am 24. März 2011 wie folgt replizierte:
Herr Dr. S habe nach wortwörtlicher Wiedergabe seines Befundes vom 16. Jänner 2002 seine Schlussfolgerung nicht mehr in der Möglichkeitsform verfasst, sondern nunmehr plötzlich eine völlige Beschwerdefreiheit "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" attestiert.
Hierbei lasse Dr. S jede Begründung vermissen, weshalb er nunmehr - nach neun Jahren - plötzlich zu einem anderen Ergebnis als am 16.01. 2002 gelangt.
Dieser "Sinneswandel" sei in keiner Weise plausibel, nachvollziehbar oder glaubwürdig und stelle somit das neun Jahr nach dem ersten Gutachten erstellte Gutachten kein taugliches Beweismittel dar.
Im Ergebnis laufe das Gutachten Dris. S darauf hinaus, dass die rund viereinhalb Jahre vor dessen Begutachtung durchgeführte Befundung des Jahres 1997 auf Basis eines falschen Gutachtens erfolgt sei.
Abgesehen davon, dass das Gutachten Dris. S generell aktenkundigen Diagnosen und Behandlungen von Herrn PR widerstreite und es auch seitens der Abgabenbehörde verabsäumt worden sei, die zwischenzeitig verstorbene Bw. als Zeugin zu vernehmen, bestehe keine Veranlassung dem aus dem Jahr 2002 stammenden Gutachten mehr Glauben zu schenken, als dem zeitnahen Gutachten vom 11. September 1997.
Mit anderen Worten ausgedrückt, sei ein 14 Jahre danach erstelltes Gutachten kein taugliches Beweismittel für die Unrichtigkeit der ursprünglichen amtsärztlichen Bestätigung.
Zusammenfassend sei das Gutachten Dris. S unrichtig und begründe das unverständliche Vorgehen des Arztes einen Amtshaftungsanspruch der Einschreiter.
Folge man jedoch den Schlussfolgerungen Dris. S spreche dies - ob eines aufgrund einer notwendigen Kreditaufnahme, zur Bedienung des Rückforderungsbetrags eintretenden Schadens - wiederum auch für einen Amtshaftungsanspruch gegenüber dem im Jahr 1997 grob fahrlässig handelnden Amtsarzt spreche.
Es würde darüber hinaus auch der Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit widerstreite, wenn der rechtsunterworfene Bürger auf ein zeitnahes amtsärztliches Gutachten nicht mehr vertrauen dürfe, sondern vielmehr befürchten müsste, dass 14 Jahre später ein Gutachter seinen Kollegen korrigiere, mit der Konsequenz, dass der den Erhöhungsbetrag gutgläubig Verbrauchende, diesen nunmehr zu retournieren habe.
In Ansehung der ob langen Verfahrensdauer vorliegenden unbilligen Härte und - vollkommen unpräjudiziell zu dem nach wie vor unveränderten Rechtsstandpunkt, demgemäß ein Rückforderungsanspruch der Abgabenbehörde im vorliegenden Fall als nicht bestehend zu erachten sei -, werde gemäß § 26 Abs. 4 FLAG angeregt von der Rückforderung abzusehen.
Zusammenfassend sei die wirtschaftlicher Existenz der Einschreiter, welche durch die Krankheiten der Herrn A und PR in Jugendtagen sowie den Verlust der Mutter ohnehin schwer getroffen sei, bedroht.
In einem fernmündlichen Gespräch vom 15. April 2011 mit dem stellvertretenden Chefarzt des Bundessozialamts wurde seitens der Abgabenbehörde zweiter Instanz moniert, dass das Gutachten Dris. S - entgegen der Ausführungen im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. November 2010, 2010/16/0068 und des Vorhalts vom 1. Februar 2011 nach wie vor eine Auseinandersetzung mit den nachweislich übermittelten aktenkundigen Vorbefunden sowie der ärztlichen Bescheinigung vom 11. September 1997 vermissen lasse und demzufolge als unvollständig zu qualifizieren sei.
Am 16. Mai 2011 langte bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz ein mit 12. Mai 2011 datierter Schriftsatz des Bundessozialamts ein, welchem die Ergänzung der Stellungnahme Dris S vom 9. März 2011 beigelegt worden ist.
Die ergänzende Stellungnahme lautet hierbei wörtlich wie folgt:
"Ergänzend zur Stellungnahme vom 9.3. 2011 ist hinzuzufügen, dass vor 2002 wahrscheinlich ein ähnliches Hautbild und damit geringer Befall vorgelegen hat, jedoch auch nicht auszuschließen ist, dass der Begutachtung aus dem Jahr 2000 einen entsprechende Klinik mit stärkerem Befall zugrunde gelegen hat, noch dazu in dem Wissen, dass gerade bei der Neurodermits häufig eine signifikante Verbesserung im Vergleich von Kindes- Jugend- und Erwachsenenalter zu beobachten ist."
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 erhöht sich die Familienbeihilfe für jedes erheblich behinderte Kind.
Als erheblich behindert gilt gemäß § 8 Abs. 5 FLAG 1967 i. d. F BGBl. Nr. 531/1993 ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht.
Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren.
Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 v.H. betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152 in der jeweils geltenden Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9.6.1965, BGBl. Nr. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens nach fünf Jahren neu festzustellen, soweit nicht Art und Umfang eine Änderung ausschließen.
Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist gemäß Abs. 6 leg. cit. durch eine Bescheinigung eines inländischen Amtsarztes, einer inländischen Universitätsklinik, einer Fachabteilung einer inländischen Krankenanstalt oder eines Mobilen Beratungsdienstes der Bundesämter für Soziales und Behindertenwesen nachzuweisen.
Kann auf Grund dieser Bescheinigung die erhöhte Familienbeihilfe nicht gewährt werden, hat das Finanzamt einen Bescheid zu erlassen.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ist zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe rückzuzahlen. Zurückzuzahlende Beträge können auf fällige oder fällig werdende Familienbeihilfen angerechnet werden.
Die Feststellung des Behinderungsgrades eines Kindes, für welches erhöhte Familienbeihilfe nach § 8 Abs 4 FLAG beantragt wurde, hat nach den Bestimmungen des § 8 Abs. 6 FLAG auf dem Wege der Würdigung ärztlicher Sachverständigengutachten zu erfolgen. Für das Kind P wurde laut dem Sachverständigengutachten Dris. S , Facharzt für Dermatologie vom 16. Jänner 2002 eine auch in der Vergangenheit nicht stärker ausgeprägte Beeinträchtigung durch "Neurodermitis" (Richtsatzposition IX/a/696) und der daraus resultierende Behinderungsgrad mit 20 v. H festgestellt.
Dieser Einstufung des GdB hat sich der Ärztliche Dienst des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen Wien, Niederösterreich und Burgenland am 24. Jänner 2002 angeschlossen.
Was nun die schlussendlich als Grundlage der in Streit stehenden Rückforderung der erhöhten Familienbeihilfe dienende "Vergangenheitsprognose" Dris. S betreffend die Ausprägung der Neurodermitis für das Kind P anlangt, hat - gemäß obiger Darstellung des Verwaltungsgeschehens - vorgenannter Dermatologe zunächst im Gutachten vom 16. Jänner 2002 ausgeführt, dass ob Vorliegens äußerst geringer Veränderungen, diese auch in der Vergangenheit nicht stärker ausgeprägt vorgelegen haben dürfte.
Nämliche Schlussfolgerung wurde in der fachärztlichen Stellungnahme vom 9. März 2011 nicht nur bekräftigt, sondern geradezu verstärkt, in dem Dr. S nunmehr ins Treffen führt, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem ähnlichen, des in der Begutachtung vom 24. Jänner 2002 festgestellten Hautbildes des Kindes P auch in den vorangegangenen, sprich vor 2002 gelegenen Jahren auszugehen ist.
Demgegenüber wird nunmehr in dem auf Urgenz des unabhängigen Finanzsenates erstellten und seitens des ärztlichen Dienstes zugestimmten Ergänzungsschriftsatz Dris S zwar nach wie vor ein ähnliches, der Begutachtung vom 24. Jänner 2002 entsprechendes Hautbild in den Jahren vor 2002 als wahrscheinlich erachtet, aber aus Anlass einer erstmals erfolgten Auseinandersetzung mit einer Vorbegutachtung 2000 (nach dem Dafürhalten der Abgabenbehörde richtig wohl gemeint die einen Behinderungsgrad von 50 v. H attestierende Begutachtung vom 11. September 1997) eingeräumt, dass zum damaligen Zeitpunkt das Vorliegen einer entsprechenden Klinik mit stärkerem Befall auch nicht auszuschließen ist.
Letztere Schlussfolgerung gründet sich auf dem Wissen um eine bei Neurodermitis häufig beobachtete signifikante Verbesserung von Kindes- Jugend- und Erwachsenenalter.
Bei Ziehung eines inhaltlichen Vergleiches der bisher zu dem in Jahren vor 2002 bestehenden Krankheitsbild des Kindes P getätigten Aussagen zu jener des im höchstgerichtlichen Auftrag ergänzten, nunmehr auch mit Vorbefunden auseinandersetzenden Stellungnahme, gelangt die Abgabenbehörde zweiter Instanz zur Überzeugung, dass im Ergebnis zwar nicht eo ipso auf einen gänzlichen Wertungswiderspruch zu schließen ist, sondern vielmehr sowohl die Rückprojizierung des Zustandes im Zeitpunkt der Begutachtung Dris. S als auch das Vorliegen eines stärkeren Befalls in der Vergangenheit als gleich wahrscheinlich erachtet werden.
In Ansehung vorstehender Ausführungen und unter Einbeziehung des ebenfalls im fortgesetzten Verfahrens erstmals seitens des Facharztes zu Papier gebrachten Aspektes, dass bei Neurodermitis mit steigendem Lebensalter tendenziell eine Verbesserung des Krankheitsbildes verbunden ist, ist es nach dem Dafürhalten des unabhängigen Finanzsenates nicht auszuschließen, dass der Behinderungsgrad des Kindes P in der Zeit vor der Begutachtung, durch das Bundessozialamtes sprich so hin in den Jahren des Rückforderungszeitraumes mindestens 50 v H betragen hat.
Summa summarum ist somit der Rückforderung der erhöhten Familienbeihilfe für den Zeitraum 1. November 1993 bis 31. Juli 2001 der gesetzliche Boden entzogen und erweist sich vice versa eine Auseinandersetzung mit der eventualiter erhobenen Verjährungseinrede als obsolet.
Es war daher der angefochtene Bescheid aufzuheben.
Wien, am 19. Mai 2011
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |