Haushaltszugehörigkeit des Kindes bei mehrjährigem Schulbesuch im Ausland
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Frau X in XY, vom 22. Oktober 2007 gegen die Bescheide des Finanzamtes Graz-Stadt vom 15. Oktober 2007 betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum 1. Mai 2004 bis 28. Februar 2007 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert. (Die Rückforderung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum September 2003 bis April 2004 bleibt aufrecht.)
Entscheidungsgründe
Im Zuge der Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe wurde durch das Finanzamt Graz-Stadt festgestellt, dass der Sohn der Berufungswerberin seit September 2003 die Hauptschule in Budapest besucht und bei seinem Vater lebt, der auch die Familienbeihilfe für seinen Sohn bezogen hat.
Die Berufungswerberin ist ungarische Staatsbürgerin und hatte die Familienbeihilfe für den Sohn bis Februar 2007 in Österreich bezogen.
Im Schreiben vom 30. August 2007 gab die Berufungswerberin unter Punkt 3. an, dass bezüglich der Unterhaltszahlung eine mündliche Vereinbarung bestehe und dass sie seit September 2003 Alimente in Höhe von 60.- Euro bezahle. Dies ist der gleiche Betrag, den auch der Vater bis 2003 an sie bezahlt habe.
Das Finanzamt Graz-Stadt forderte die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum 1. September 2003 bis 28. Februar 2007 mit Bescheid vom 15. Oktober 2007 zurück.
Als Begründung wurde zusammenfassend ausgeführt, dass kein Anspruch bestehe, weil kein gemeinsamer Haushalt vorliegt.
Mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 brachte die Berufungswerberin das Rechtsmittel der Berufung ein und führte dazu aus, dass sie nicht gewusst habe, dass der Vater des Kindes die Familienbeihilfe in Ungarn bezogen habe und wenn er sie diesbezüglich informiert hätte, hätte sie die Differenzzahlung beantragt. Ihr Nettogehalt betrage nur 1.500.- Euro und sie muss auch den zweiten studierenden Sohn unterstützen, sodass sie den rückgeforderten Betrag nicht zurückzahlen könne.
Das Finanzamt erließ mit 3. Juli 2008 eine abweisende Berufungsvorentscheidung und verwies in der Begründung darauf, dass unbestritten ist, dass der Sohn seit September 2003 in Ungarn die Schule besucht und bei seinem Vater im gemeinsamen Haushalt gewohnt hat.
Die Wiedergabe der weiteren umfangreichen Begründung der Berufungsvorentscheidung erscheint nicht zweckmäßig, da sie der Berufungswerberin ohnehin bekannt ist.
Die Berufungswerberin stellte mit Schriftsatz vom 28. Juli 2008 den Antrag, die Berufung dem unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorzulegen. Die Berufung wurde mit Berufungsentscheidung vom unabhängigen Finanzsenat abgewiesen und in weiterer Folge vom VwGH mit Erkenntnis vom 24. Juni 2010 infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im fortgesetzten Verfahren wurden vom Finanzamt weitere Erhebungen durchgeführt und von Seiten der Berufungswerberin die fehlenden Unterlagen beigebracht.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichgesetzes 1967 - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Anspruch auf Familienbeihilfe hat nach § 2 Abs. 2 FLAG die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Zum Haushalt einer Person gehört nach § 2 Abs. 5 FLAG ein Kind dann, wenn es bei einheitlicher Wirtschaftsführung eine Wohnung mit dieser Person teilt. Die Haushaltszugehörigkeit gilt u. a. nicht als aufgehoben, wenn
sich das Kind nur vorübergehend außerhalb der gemeinsamen Wohnung aufhält (lit. a),
das Kind für Zwecke der Berufsausübung notwendigerweise am Ort oder in der Nähe des Ortes der Berufsausübung eine Zweitunterkunft bewohnt (lit. b).
Für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, besteht gemäß § 5 Abs. 3 FLAG kein Anspruch auf Familienbeihilfe.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG hat derjenige, der Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
§ 53 Abs. 1 FLAG lautet:
"§ 53. (1) Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sind, soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hiebei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten."
Gemäß § 33 Abs. 4 Z 3 lit. a EStG 1988 in der im Beschwerdefall noch anzuwendenden Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 59/2001 steht einem Steuerpflichtigen, dem auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 50,90 EUR für jedes Kind zu. Für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes anzuwenden.
Berufungszeitraum Mai 2004 bis Februar 2007
Der ständige Aufenthalt eines Kindes in Ungarn war in diesem Zeitraum gem. § 53 Abs. 1 FLAG "nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften" dem ständigen Aufenthalt in Österreich gleichzuhalten. Zur Antwort auf die Frage, ob wegen § 53 Abs. 1 FLAG der ständige Aufenthalt des Sohnes in Ungarn trotz § 5 Abs. 3 FLAG einem Beihilfenanspruch nicht entgegenstand, ist somit auf Unionsrecht abzustellen.
Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der konsolidierten Fassung ABlEG Nr. L 28 vom 30. Jänner 1997 (in der Folge Verordnung Nr. 1408/71 ), gilt nach ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, welche Familienleistungen betreffen. Die österreichische Familienbeihilfe ist eine Familienleistung im Sinn des Art. 1 Buchstabe u der Verordnung 1408/71 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. April 2007, 2004/15/0049, VwSlg 8.225/F).
Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt, dass - vorbehaltlich hier nicht interessierender Sonderbestimmungen - Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Soweit die hier nicht in Betracht kommenden Art. 14 bis 17 der zitierten Verordnung nicht etwas anderes bestimmen, gilt gemäß Art. 13 Abs. 2 Folgendes:
a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat.
Ausgehend vom unstrittigen Sachverhalt, dass die Beschwerdeführerin im in Rede stehenden Zeitraum von Mai 2004 bis Februar 2007 in Österreich erwerbstätig oder arbeitslos gewesen ist und hier gewohnt hat, unterlag sie im Sinn des Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 den Rechtsvorschriften Österreichs.
Nach Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, vorbehaltlich hier nicht interessierender Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.
Nach Art. 74 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein arbeitsloser Arbeitnehmer oder ein arbeitsloser Selbständiger, der Leistungen bei Arbeitslosigkeit nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats bezieht, vorbehaltlich hier nicht interessierender Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staates, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.
Als Familienangehöriger gilt nach Art. 1 Buchstabe f sublit. i der Verordnung Nr. 1408/71 jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird.
Bei dieser Beurteilung hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 26. November 2009 in der Rs. C-363/08 (Romana Slanina), Rn. 28, ausgeführt, es sei für die Frage, ob das Kind Familienangehöriger einer Person ist, ohne Bedeutung, dass diese Person, die zur Zahlung von Unterhalt für das Kind verpflichtet ist, diesen nicht gezahlt hat.
Der Anspruch auf Familienbeihilfe oder gegebenenfalls auf Ausgleichszahlung (§ 4 FLAG) für den Sohn der Berufungswerberin bestand daher dann, wenn er in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fiel und Familienangehöriger der Berufungswerberin im Sinn des Art. 1 Buchstabe f sublit. i der Verordnung Nr. 1408/71 war.
Im Erörterungsgespräch am 22. Oktober 2010 wurde die Vertreterin des Finanzamtes ersucht, weitere Erhebungen bezüglich der gesamten Unterhaltsleistungen der Berufungswerberin durchzuführen. Am 22. Februar 2011 wurden die fehlenden Unterlagen nachgereicht und um eine persönliche Vorsprache der Berufungswerberin ersucht. Die persönliche Vorsprache durch die Berufungswerberin erfolgte am 10. März 2011. Dabei wurden die nachgereichten Belege und Zusammenstellungen besprochen. Die überwiegende Kostentragung wurde außer Streit gestellt. Die Berufung wurde seitens der Berufungswerberin auf den Zeitraum Mai 2004 bis Februar 2007 eingeschränkt. Die Berufungswerberin gab weiters an, dass ihr Sohn seit dem Schuljahr 2008 das Gymnasium in G besuche (eine diesbezügliche Schulbesuchsbestätigung wurde vorgelegt).
Aus den vom Finanzamt vorgelegten Belegen, Zahlungsbestätigungen und Zusammenstellungen geht hervor, dass die Haushaltszugehörigkeit nicht aufgehoben war und auch die überwiegende Kostentragung durch die Kindesmutter erfolgt ist.
Die Berufung war daher wie im Spruch angeführt zu entscheiden.
Graz, am 18. März 2011
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise: |