Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., Adr.1, vertreten durch Stb., gegen die Bescheide des Finanzamtes N. betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs 4 BAO betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2003, 2004, 2005,2006 und 2007 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Die Bw. (Berufungswerberin) brachte Einkommensteuererklärungen für die Jahre 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007 ein und erklärte damit Einkünfte aus Gewerbebetrieb und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Es erfolgten erklärungsgemäße Veranlagungen zur Einkommensteuer.
Mit Bescheiden betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007 jeweils vom 6. Juli 2009 nahm das Finanzamt die Verfahren betreffend Einkommensteuer hinsichtlich der angeführten Jahre wieder auf und begründete die Wiederaufnahme wie folgt:
"Begründung:
Das Verfahren war gemäß § 303 (4) BAO wiederaufzunehmen, weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt wurde. Die Wiederaufnahme wurde unter Abwägung von Biligkeits- und Zweckmäßigkeitsgründen (§ 20 BAO) verfügt. Im vorliegenden Fall überwiegt das Interesse der Behörde an der Rechtsrichtigkeit der Entscheidung das Interesse der Rechtsbeständigkeit, und die Auswirkungen können nicht als gering angesehen werden."
In den mit gleichem Datum erlassenen Sachbescheiden (Einkommensteuer) wurde jeweils ein bisher zur Berechnung des Einkommens nicht herangezogener Lohnzettel berücksichtigt.
In der u.a. gegen die Wiederaufnahmebescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO betreffend Einkommensteuerbescheide 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007 eingebrachten Berufung verweist der steuerliche Vertreter der Bw. darauf, dass in allen Bescheidbegründungen die gleiche Begründung verwendet werde, nämlich dass das Verfahren gemäß § 303 Abs. 4 BAO wiederaufzunehmen sei, weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei. Diese Begründung sei tatsachenwidrig und belaste den Wiederaufnahmebescheid mit einem schweren Mangel.
Laut Auskunft der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Pensionsservice Niederösterreich, seien die Jahreslohnzettel der Jahre 2002 bis 2007 laufend zur normal üblichen Zeit wie alle anderen auch übermittelt worden. Es gebe weder einen berichtigten noch einen neuen Lohnzettel. Gemäß den Vorschriften des § 84 Abs. 2 EStG 1988 habe der Arbeitgeber die elektronische Übermittlung der Lohnzettel bis Ende Februar des folgenden Kalenderjahres durchzuführen. Das bedeute, dass in allen Wiederaufnahmebescheiden die in § 303 Abs. 2 BAO genannte Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich Kenntnis erlangt habe, sogar im Jahr 2007 bei weitem verstrichen sei.
Nachdem die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Pensionsservice Niederösterreich, mitgeteilt habe, dass die Lohnzettel regelmäßig und laufend übermittelt worden seien, sei bereits die Grundvoraussetzung gemäß § 303 Abs. 1 lit. b für die Argumentation nach § 303 BAO nicht gegeben, nämlich dass es sich um Tatsachen oder Beweismittel handle, die neu hervorgekommen seien. Sie seien ja, wie die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Pensionsservice Niederösterreich mitteile, von 2002 bis 2007 laufend dem zuständigen Finanzamt übermittelt worden.
Der Verwaltungsgerichtshof habe sich bereits in einer Reihe von Erkenntnissen mit der Problematik auseinandergesetzt, die das amtswegige Verfahren der Veranlagung der Lohnzettel im Veranlagungsverfahren mit sich bringe. Insbesondere werde auf die Entscheidung GZ 2003/15/0141 vom 22.11.2006 verwiesen, in der nicht nur die Behörde sondern auch der UFS versucht hätten, mit durchaus brauchbaren Gründen die vom Finanzamt vorgenommene Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO zu verteidigen. Hier sei eine seltene Belehrung des Verwaltungsgerichtshofes gegenüber dem UFS zu erwähnen, in dem der Gerichtshof der Berufungsbehörde unmissverständlich klar mache, dass für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme nur die vom Finanzamt angenommenen Wiederaufnahmegründe von Bedeutung seien, aber keinesfalls dürfe sich die Behörde nachträglich auf eventuell vorhandene andere Wiederaufnahmegründe stützen.
Gemäß Erkenntnis vom 21.11.2007, GZ 2006/13/0107 sei daher eine Wiederaufnahme des mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen sei, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können.
Eindeutig gebe es weder berichtigte noch neue Lohnzettel auf die sich die Begründung der Wiederaufnahme in allen Jahren stütze, sondern gebe es von 2002 bis 2007 laufend übermittelte Lohnzettel und damit keine neuen Tatsachen oder Beweismittel.
Aus allen diesen Gründen ersuche der steuerliche Vertreter der Bw., sämtliche Wiederaufnahmebescheide von 2002 bis 2007 aufzuheben und die darauf gestützten materiellen Einkommensteuerbescheide 2002 bis 2007, alle vom 6. Juli 2009, aufzuheben
In einer Ergänzung zur angeführten Berufung übermittelte der steuerliche Vertreter der Bw. eine Bestätigung der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Pensionsservice Niederösterreich, betreffend die Übermittlung der Lohnzettel 2002 bis 2007.
Dieser Bestätigung sei zu entnehmen, dass die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Pensionsservice Niederösterreich, fristgerecht folgende Lohnzettel zu folgenden Daten an das Finanzamt N. übermittelt habe:
... Lohnzettel 2003 am 01.03.2004 Lohnzettel 2004 am 03.02.2005 Lohnzettel 2005 am 12.01.2006 Lohnzettel 2006 am 29.12.2006 Lohnzettel 2007 am 17.12.2007
Diese Tatsache schließe eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO, weil ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei, definitiv aus, da diese Lohnzettel dem Finanzamt N. bereits bei Erlassung der Erstbescheide bekannt waren und diesbezüglich keinesfalls vom Hervorkommen neuer Tatsachen im Jahr 2009 gesprochen werden könne.
Das Finanzamt wies die Berufung mit Berufungsvorentscheidung vom 20. August 2009 als unbegründet ab und führte begründend - auszugsweise zitiert - dazu aus:
Die Einkommensteuererklärungen für die Kalenderjahre 2002 und 2003 seien in Papierform am 31.3.2004 bzw. am 26.2.2005 beim Finanzamt eingebracht worden. Die Einkommensteuererklärungen 2004 bis 2007 seien in elektronischer Form am 29.11.2005, 28.2.2007, 30.4.2008 und 29.4.2009 eingebracht worden. Die Einkommensteuer für die Kalenderjahre 2002 - 2007 seien erklärungsgemäß veranlagt worden (26.4.2004, 4.3.2005, 1.12.2005, 2.3.2007, 2.5.2008 und 30.4.2009).
Den für die Jahre 2002 und 2003 eingebrachten Einkommensteuererklärungen sei zu entnehmen, dass im Feld "Versicherungsnummer" eine fiktive Versicherungsnummer eingetragen worden sei und nicht jene vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger vergebene Versicherungsnummer. In den Jahren 2004 bis 2007 sei durch die elektronische Übermittlung der Einkommensteuererklärung die Angabe einer fiktiven Versicherungsnummer nicht zulässig gewesen.
Sämtlichen für die Jahre 2002 bis 2007 eingebrachten Einkommensteuererklärungen sei gemeinsam, dass im Feld "Bezugs-, Pensionsauszahlende Stellen im Jahr ..., Anzahl" jedwede Angabe unterlassen worden sei. Das Finanzamt habe schon aus diesem Grund zum Zeitpunkt der erklärungsgemäßen Einkommensteuerveranlagung davon ausgehen müssen, dass in sämtlichen Jahren keine nichtselbständigen Einkünfte vorhanden gewesen seien.
Durch die angegebene fiktive Versicherungsnummer sei der Einkommensteuerakt beim Finanzamt unter der Steuernummer ohne das zusätzlich Identitätsmerkmal der vom Hauptverband der Sozialversicherungsträger vergebenen Versicherungsnummer geführt worden. Von der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft seien für sämtliche Kalenderjahre die Jahreslohnzettel elektronisch eingebracht worden und zwar unter der vom Hauptverband vergebenen tatsächlichen Versicherungsnummer. Ein elektronischer Abgleich sei eben wegen der fiktiven Versicherungsnummer nicht möglich gewesen; das Finanzamt sei wegen der Unterlassung der Angabe der Anzahl der pensionsauszahlenden Stellen auch vom Nichtvorliegen von nichtselbständigen Einkünften ausgegangen und habe die Einkommensteuerveranlagung ohne die Pensionsbezüge durchgeführt.
Im Zuge von Überprüfungshandlungen des Finanzamtes im Jahr 2009 sei festgestellt worden, dass Jahreslohnzettel für die Kalenderjahre 2002 bis 2007 mit gültiger Versicherungsnummer vorgelegen seien und seien diese dem Einkommensteuerakt hinzugefügt worden. Das Finanzamt habe damit erst durch die Überprüfungshandlung Kenntnis von neuen Tatsachen erlangt, die im Erstverfahren vom Finanzamt noch nicht geltend gemacht werden konnten. Diese Kenntnis der neuen Tatsachen führe zu einem im Spruch anderslautenden Bescheid. Die gesetzlichen Bestimmungen des § 303 Abs. 4 BAO seien damit hinlänglich erfüllt und die Wiederaufnahme des Verfahrens daher zulässig.
Durch die Nichtbekanntgabe der pensionsauszahlenden Stelle und der teilweise angeführten fiktiven Versicherungsnummer sei das Vorhandensein von Pensionsbezügen nicht bekannt gewesen und habe durch das Finanzamt bei der Einkommensteuerveranlagung nicht geltend gemacht werden können.
Des Weiteren werde auf die Bestimmungen des § 119 BAO hingewiesen. Bei Einhaltung der Offenlegungsverpflichtung zumindest durch Angaben zum Pensionsbezug hätten Einkommensteuerbescheide ergehen können, die einen anderslautenden Spruch gehabt hätten als die bisher erlassenen erklärungsgemäßen Erstbescheide.
Der steuerliche Vertreter der Bw. brachte mit Schriftsatz vom 2. September 2009 einen Vorlageantrag ein und führte u.a. begründend an, dass bei dem offengelegten Sachverhalt die Berufungsvorentscheidung argumentiere, dass durch Überprüfungshandlungen des Finanzamtes im Jahr 2009 festgestellt worden sei, dass Jahreslohnzettel für die Jahre 2003 bis 2007 vorliegen würden, sei ein internes Problem, habe aber nach außen keine Wirkung.
Der Bw. weise darauf hin, dass eine gesetzlich eingerichtete Behörde für sich eine Einheit bilde und keine Unzuständigkeit eingewendet werden könne, wenn eine besondere Abteilung dieser zuständigen Behörde entscheide (vgl. Reeger-Stoll, Bundesabgabenordnung, Wien 1966, S. 214 und VfGH vom 07.10.1957, Slg. 3225). In diesem Sinne seien laut Stoll, BAO-Kommentar Band 1, Wien 1994, S 583 auch die Erkenntnisse des VfGH vom 26.06.1970, B 34/69 und VwGH vom 21.11.1984, 81/11/77 zu verstehen, die feststellten, dass "Behörde" die gesetzlich eingerichtete Verwaltungseinheit in ihrer Gesamtheit, das heiße alle ihre Stellen als Ganzes zusammengefasst, darstelle. Die aufgrund von organisatorisch gebotenen Gegebenheiten eingerichteten Abteilungen, Stellen oder Arbeitsbereiche stellten folglich keine eigene "Behörde" dar.
Es sei daher festzuhalten, dass dem Finanzamt (möglicherweise in verschiedenen Abteilungen) im Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide alle Informationen vorgelegen seien. Der § 303 Abs. 4 BAO sei kein taugliches Mittel für die Sanierung fehlender Kommunikation zwischen den Abteilungen und einer daraus resultierenden falschen Würdigung der vorliegenden Informationen.
Das heiße, wenn von der Behörde aus innerorganisatorischen Gründen fristgerecht offengelegte Sachverhalte falsch oder gar nicht beurteilt würden, ändere es nichts an der bewiesenen Tatsache, dass die Umstände offengelegt worden seien und daher im Jahr 2009 keine wie auch immer geartete Feststellung einer neuen Tatsache möglich gewesen sei.
Über die Berufung wurde erwogen:
Strittig ist im gegenständlichen Verfahren, ob die vom Finanzamt herangezogenen Wiederaufnahmsgründe eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen zulässig machen (Ansicht des Finanzamtes) oder keine für eine Wiederaufnahme tauglichen Gründe vorliegen (Ansicht der Bw.).
Der Unabhängige Finanzsenat hat folgenden Sachverhalt als erwiesen angenommen:
Tatsache ist der Pensionsbezug im Jahre 2003. Die Übermittlung des Lohnzettels (Beweismittel) für das Jahr 2003 erfolgte am 01.03.2004. Die Einkommensteuererklärung für 2003 wurde beim Finanzamt am 28.02.2005 eingereicht. Der Erstbescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2003 datiert mit 04.03.2005. Die Zuordnung des Lohnzettels, welcher schon am 01.03.2004 übermittelt worden war, zum Einkommensteuerverfahren der Bw. erfolgte am 03.07.2009. Der Wiederaufnahmebescheid hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 datiert vom 06.07.2009.
Tatsache ist der Pensionsbezug im Jahre 2004. Die Übermittlung des Lohnzettels (Beweismittel) für das Jahr 2004 erfolgte am 03.02.2005. Die Einkommensteuererklärung für 2004 wurde beim Finanzamt am 29.11.2005 eingereicht. Der Erstbescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2004 datiert mit 01.12.2005. Die Zuordnung des Lohnzettels, welcher schon am 03.02.2005 übermittelt worden war, zum Einkommensteuerverfahren der Bw. erfolgte am 03.07.2009. Der Wiederaufnahmebescheid hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 datiert vom 06.07.2009.
Tatsache ist der Pensionsbezug im Jahre 2005. Die Übermittlung des Lohnzettels (Beweismittel) für das Jahr 2003 erfolgte am 12.01.2006. Die Einkommensteuererklärung für 2005 wurde beim Finanzamt am 28.2.2007 eingereicht. Der Erstbescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2005 datiert mit 02.03 2007. Die Zuordnung des Lohnzettels, welcher schon am 01.03.2004 übermittelt worden war, zum Einkommensteuerverfahren der Bw. erfolgte am 03.07.2009. Der Wiederaufnahmebescheid hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 datiert vom 06.07.2009.
Tatsache ist der Pensionsbezug im Jahre 2006. Die Übermittlung des Lohnzettels (Beweismittel) für das Jahr 2006 erfolgte am 29.12.2006. Die Einkommensteuererklärung für 2006 wurde beim Finanzamt am 30.04.2008 eingereicht. Der Erstbescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2006 datiert mit 02.05.2008. Die Zuordnung des Lohnzettels, welcher schon am 29.12.2006 übermittelt worden war, zum Einkommensteuerverfahren der Bw. erfolgte am 03.07.2009. Der Wiederaufnahmebescheid hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 datiert vom 06.07.2009.
Tatsache ist der Pensionsbezug im Jahre 2007. Die Übermittlung des Lohnzettels (Beweismittel) für das Jahr 2007 erfolgte am 17.12.2007. Die Einkommensteuererklärung für 2007 wurde beim Finanzamt am 29.04.2009 eingereicht. Der Erstbescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2007 datiert mit 30.04.2007. Die Zuordnung des Lohnzettels, welcher schon am 17.12.2007 übermittelt worden war, zum Einkommensteuerverfahren der Bw. erfolgte am 03.07.2009. Der Wiederaufnahmebescheid hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 datiert vom 06.07.2009.
Die angesprochenen Lohnzettel wurden der Finanzverwaltung unstrittig zu den von der steuerlichen Vertretung der Bw. angegebenen Daten übermittelt.
Die Lohnzettel betreffend die Pensionsbezüge der Bw. konnten aber erst am 3. Juli 2009 dem jeweiligen Einkommensteuerverfahren der Bw. zugeordnet.
In den Einkommensteuerverfahren der Bw. für die Jahre 2003 bis 2007 war die Tatsache des Pensionsbezuges und das Beweismittel Lohnzettel für die Einkommensteuerveranlagung der Bw. zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung nicht bekannt.
Das Finanzamt begründete die Wiederaufnahmen gemäß § 303 Abs. 4 BAO damit, dass ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei.
Der steuerliche Vertreter der Bw. führte in der Berufung, vom Finanzamt in der Folge unwidersprochen, aus, dass es weder einen berichtigten noch einen neuen Lohnzettel gebe.
Dieser Sachverhalt war rechtlich wie folgt zu beurteilen:
Ein neues Beweismittel ist laut Literatur ein neu entstandes Beweismittel, und ist ein solches kein Wiederaufnahmegrund, denn nur Neuhervorgekommenes ist als Wiederaufnahmsgrund heranziehbar.
Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (vgl. Ritz, BAO³, §303 Tz 13)
Das Finanzamt hatte die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend die Einkommensteuer für 2003 bis 2007 ausdrücklich damit begründet, dass ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei.
Die Begründung des Finanzamtes ist eindeutig so auszulegen, dass neue oder berichtigte Lohnzettel nach dem Erlassen der Einkommensteuerbescheide an das Finanzamt übermittelt worden wären. Tatsächlich sind die Beweismittel Lohnzettel aber schon vor der Erlassung der Einkommensteuerbescheide der Finanzverwaltung vorgelegen.
Damit liegt der vom Finanzamt in allen angefochtenen Jahren herangezogene Wiederaufnahmsgrund nicht vor.
Wenn in der Begründung der Berufungsvorentscheidung darauf verwiesen wird, dass das Vorhandensein von Pensionsbezügen nicht bekannt war, so ist dies ein nicht zulässiges Nachschieben einer Begründung. Es kann die in den Wiederaufnahmsbescheiden angeführte - für die Wiederaufnahme im gegenständlichen Fall nicht taugliche - Begründung durch eine allenfalls taugliche Begründung in der Berufungsvorentscheidung nicht ersetzt werden.
Wenn der steuerliche Vertreter der Bw. ausführt, im Hinblick auf die Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 4 BAO sei die Behörde als Einheit zu betrachten, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Hervorkommen von Tatsachen und Beweismitteln nach herrschender Ansicht aus der Sicht des jeweiligen Verfahrens zu beurteilen ist (vgl. Ritz, BAO³, § 303 Tz 14 sowie VwGH v. 29.9.2004, 2001/13/0135).
Daher können zB Kenntnisse der Bewertungsstelle oder des Lohnsteuerprüfer für die Einkommensteuerveranlagung neu hervorkommen. Maßgebend ist überdies der Wissensstand des jeweiligen Veranlagungsjahres (vgl. Ritz, BAO³, § 303 Tz 14).
Nach Ansicht des Unabhängigen Finanzsenates wäre im streitgegenständlichen Verfahren ein tauglicher Wiederaufnahmsgrund, die für die Einkommensteuerveranlagung neu hervorgekomme Tatsache des Vorhandenseins von Pensionsbezügen der Bw. in den streitgegenständlichen Jahren gewesen.
Ein weiterer tauglicher Wiederaufnahmsgrund im gegenständlichen Verfahren wäre das Neuhervorkommen des Beweismittels Lohnzettel für das jeweilige Einkommensteuerverfahren der Bw. gewesen.
Die angeführten Tatsachen und Beweismittel haben schon vor Erlassung der jeweiligen Einkommensteuerbescheide bestanden.
Die angeführten Wiederaufnahmsgründe waren aber nicht Grundlage der angefochtenen Wiederaufnahmsbescheide gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich Einkommensteuer für die Jahre 2003, 2004, 2005, 2006 und 2007.
Zur Frage, ob die Abgabenbehörde zweiter Instanz die Wiederaufnahme auf Grund von neu hervorgekommenen Tatsachen oder Beweismitteln bestätigen darf, die vom Finanzamt nicht herangezogen wurden, ist auf Folgendes zu verweisen:
Eine Wiederaufnahme von Amts wegen ist gemäß § 303 Abs. 4 u.a. dann zulässig, wenn Tatsachen oder Beweismitel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Eine Wiederaufnahme eines mit Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist dann ausgeschlossen, wenn der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung hätte gelangen können. Ein behördliches Verschulden an der Nichtfeststellung der maßgeblichen Tatsachen bzw. Beweismittel im Erstverfahren schließt die Wiederaufnahme von Amts wegen nicht aus (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. Juli 2006, 2003/15/0016, mwN).
Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 Abs. 1 BAO der Abgabenbehörde zu, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen die gemäß § 305 Abs. 1 leg. cit. zuständige Behörde.
Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in hier nicht interessierenden Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenhörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.
Bei einer Berufung gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gemäß § 305 Abs. 1 BAO zuständige Finanzamt ist Sache, über welche die Abgabenbehörde zweiter Instanz gemäß § 289 Abs. 2 BAO zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde erster Instanz gebildet hatte. Bei einem verfahrensrechtlichen Bescheid wie dem der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens von Amts wegen wird die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, 2002/15/0076, mwN).
Aufgabe der Berufungsbehörde bei Entscheidungen über ein Rechtsmittel gegen die amtswegige Wiederaufnahme durch ein Finanzamt ist es daher, zu prüfen, ob dieses Verfahren aus den vom Finanzamt gebrauchten Gründen wieder aufgenommen werden durfte, nicht jedoch, ob die Wiederaufnahme auch aus anderen Wiederaufnahmegründen zulässig gewesen wäre. Liegt der vom Finanzamt angenommene Wiederaufnahmsgrund nicht vor (oder hat dieses die Wiederaufnahme tatsächlich auf keinen Wiederaufnahmegrund gestützt), muss die Berufungsbehörde den vor ihr bekämpften Wiederaufnahmebescheid des Finanzamtes ersatzlos beheben. Am Finanzamt liegt es dann, ob es etwa von der Berufungsbehörde entdeckte andere Wiederaufnahmegründe aufgreift und zu einer (auch) neuerlichen Wiederaufnahme heranzieht (vgl. etwa das Erkenntnis vom 2. Februar 2000, 97/13/0199).
Die Berufungsinstanz darf daher die Wiederaufnahme nicht auf Grund von Tatsachen bestätigen, die vom Finanzamt nicht herangezogen wurden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 2. März 1993, 91/14/003).
Daher war spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am 8. März 2010
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 2 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte: | Wiederaufnahme von Amts wegen, taugliche Wiederaufnahmsgründe, Neuhervorkommen von Tatsachen, Begründungsmängel |
Verweise: |