Großes oder kleines Pendlerpauschale?
Beachte:
abweichend Lohnsteuerrichtlinien 2002 Rz 255
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw, vom 2. Juni 2009 gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom 8. Mai 2008 betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2008 entschieden:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.
Entscheidungsgründe
Die Abgabepflichtige bezog im berufungsgegenständlichen Zeitraum Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit aus zwei unterschiedlichen Dienstverhältnissen. In der Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2008 wurde unter der Kz 718 "Pendlerpauschale" ein Betrag in Höhe von 588 € eingetragen.
In weiterer Folge erließ das Finanzamt mit Ausfertigungsdatum 8. Mai 2009 einen erklärungsgemäßen Bescheid betreffend Einkommensteuer und berücksichtigte das Pendlerpauschale in Höhe von 588 €.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2009 erhob die Abgabepflichtige Berufung und beantragte die Berücksichtigung des ("großen") Pendlerpauschales in Höhe von 1.263,73 €.
Mit Schreiben vom 8. Juni 2009 ersuchte das Finanzamt die Abgabepflichtige Bestätigungen beider Arbeitgeber über Beginn und Ende ihrer täglichen Arbeitszeiten vorzulegen sowie um Angabe der Arbeitsorte.
Hiezu wurde eine Bestätigung des Arbeitgebers, zu welchem die Abgabepflichtige im Zeitraum 1. September bis 31. Dezember in einem Arbeitsverhältnis stand, vorgelegt, wonach ihrer Arbeitszeiten von Montag bis Donnerstag jeweils von 7.30 Uhr bis 16.45 Uhr bzw. jeweils am Freitag von 7.30 Uhr bis 12.50 Uhr betrugen.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 24. Juni 2009 wurde die Berufung abgewiesen und begründend ausgeführt, dass das "große Pendlerpauschale" jenen Steuerpflichtigen zustehe, denen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar sei. Dies liege vor, wenn zu Beginn bzw. Ende der Arbeitszeit auf der Hälfte der Strecke kein Verkehrsmittel fahre oder die Wegzeit unzumutbar lang sei (bei einer Strecke ab 20 Km über zwei Stunden) betrage. Da keiner dieser Gründe vorliege, sei der Berufung der Erfolg zu versagen.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2009 stellte die Abgabepflichtige den Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG sind Werbungskosten auch die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, wobei für die Berücksichtigung dieser Aufwendungen gilt:
a) Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5 EStG) abgegolten.
b) Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich Pauschbeträge ("kleines Pendlerpauschale") gestaffelt nach der Entfernung berücksichtigt.
c) Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann wird anstelle der Pauschbeträge nach lit. b das "große Pendlerpauschale" - ebenfalls nach der Fahrtstrecke gestaffelt - berücksichtigt.
Es ist sohin die Frage zu klären, ob im konkreten Fall die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke zumutbar ist.
Die Frage, wann die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar bzw. möglich ist, wird in § 16 Abs. 1 Z 6 EStG nicht geregelt und ist somit im Wege der Gesetzesinterpretation zu beantworten. Nach der Verwaltungspraxis, übereinstimmend mit Lehre und Rechtsprechung, ist die Benutzung des Massenbeförderungsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar oder nicht möglich, wenn zB. ein Massenbeförderungsmittel überhaupt nicht oder nicht zur erforderlichen Zeit verkehrt. Zu beachten ist jedoch, dass eine optimale Kombination von Massenbeförderungsmitteln und Individualverkehr (Park and Ride) zu unterstellen ist (vgl. Jakom/Lenneis, EStG, § 16 Rz 28).
Ob die Überwindung des Arbeitsweges bei Kombination eines Individualverkehrsmittels mit den Massenbeförderungsmitteln dem Steuerpflichtigen zumutbar ist, ist den Materialien zufolge (RV 620 BlgNR XVII. GP , 75) auf Grund der Fahrzeiten zu prüfen. Unzumutbar - so die Regierungsvorlage - sind im Vergleich zu einem KFZ jedenfalls mehr als dreimal so lange Fahrzeiten (unter Einschluss von Wartezeiten während der Fahrt bzw. bis zum Arbeitsbeginn) mit dem Massenbeförderungsmittel als mit dem eigenen Kfz; im Nahbereich von 25 km ist die Benützung des Massenbeförderungsmittels entsprechend den Erfahrungswerten über die durchschnittliche Fahrtdauer aber auch dann zumutbar, wenn die Gesamtfahrzeit für die einfache Fahrtstrecke nicht mehr als 90 Minuten beträgt. Kann auf mehr als der halben Strecke ein Massenbeförderungsmittel benützt werden, dann ist die für die Zumutbarkeit maßgebliche Fahrtdauer aus der Gesamtfahrtzeit (KFZ und Massenbeförderungsmittel) zu errechnen (vgl. VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001).
Ist die Wegzeit bei Hinfahrt und Rückfahrt unterschiedlich lang, gilt die längere. Stehen verschiedene Verkehrsmittel zur Verfügung, dann ist bei Ermittlung der Wegzeit stets von der Benützung des schnellsten Massenbeförderungsmittels (zB. Zug statt Bus) auszugehen.
In quantitativer Hinsicht ist auf das Überwiegen im Lohnzahlungszeitraum abzustellen: Ist an mehr als der Hälfte der Arbeitstage im jeweiligen Lohnzahlungszeitraum (also mehr als 10 Tage im Kalendermonat) die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels unzumutbar, so besteht Anspruch auf das große Pendlerpauschale.
Nach den nunmehr vorliegenden Mitteilungen der Arbeitgeber hatte die Berufungswerberin im Berufungszeitraum nachstehende Arbeitszeiten und Dienstorte:
Vom 01. Jänner 2008 bis 31. Mai 2008:
wöchentlich abwechselnd Schichtdienst jeweils von Montag bis Freitag von 12.50 Uhr bis 21.05 Uhr bzw. von 04.45 Uhr bis 13.00 Uhr (Dienstort U)
Vom 01. Juni 2008 bis 29. August 2008:
jeweils von Montag bis Donnerstag von 06.30 Uhr bis 18.00 Uhr und am Freitag von 06.30 Uhr bis 14.00 Uhr (Dienstort U ).
Vom 1. September bis 31. Dezember:
jeweils von Montag bis Donnerstag von 07.30 Uhr bis 16.45 Uhr und am Freitag von 07.30 Uhr bis 12.50 Uhr (Dienstort X).
Für den Beschäftigungszeitraum 1. Jänner bis 29. August betrug die Wegstrecke von der Wohnadresse bis zum Arbeitsplatz insgesamt ca. 39 Kilometer. Diese Strecke kann mit dem PKW in ca. 27 Minuten zurückgelegt werden.
Nach der Judikatur des VwGH wäre die Überwindung des Arbeitsweges bei Kombination eines Individualverkehrsmittels mit den Massenbeförderungsmitteln der Berufungswerberin sohin nicht zumutbar, wenn die Gesamtfahrtzeit dabei 90 Minuten überschreiten würde. Aus der vorstehend angeführten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich implizit zu entnehmen, dass eine Fahrtzeit von bis zu 90 Minuten für alle Distanzen zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und nicht nur für jene im Nahebereich von bis zu 25 Kilometer als zumutbar anzusehen ist.
Da nach den weiteren Erhebungen des Finanzamtes der Berufungswerberin
für den Dienstbeginn um 4.45 Uhr überhaupt kein öffentliches Verkehrsmittel zumindest für die halbe Fahrtstrecke zur Verfügung stand,
die Anfahrtszeit unter optimaler Kombination von Massenverkehrsmittel und Privat-PKW (Park and Ride) zur Arbeitsstätte bei Dienstbeginn 12.50 Uhr 1 Stunde und 53 Minuten sowie
die Fahrtzeit unter optimaler Kombination von Massenverkehrsmittel und Privat-PKW (Park and Ride) zur Wohnung bei Dienstende um 21.05 Uhr 1 Stunde und 38 Minuten betragen hätte,
war der Berufungswerberin für den Zeitraum in dem die Berufungswerberin Schichtdienst zu verrichten hatte (1. Jänner bis 31. Mai) die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittel nicht möglich bzw. nicht zumutbar, da die Fahrtzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittel (bei unterstelltem "park and ride"-System) jeweils mehr als dreimal so lange dauert wie die Fahrtzeit mit dem privaten Pkw und jeweils 90 Minuten überschreitet.
Nach den weiteren Erhebungen des Finanzamtes verkehrte auch im Zeitraum 1. Juni bis 29. August für den Dienstbeginn um 6.30 Uhr kein öffentliches Verkehrsmittel zumindest auf mehr als der Hälfte der Strecke bzw. betrug die Fahrtzeit von der Dienststelle zur Wohnadresse bei Dienstende um 18.00 Uhr unter optimaler Kombination von Massenbeförderungsmitteln und Individualverkehr (Park and Ride) 1 Stunde und 57 Minuten.
Somit war der Berufungswerberin auch in diesem Beschäftigungszeitraum die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittel nicht möglich bzw. nicht zumutbar, da die Fahrtzeit mit dem öffentlichen Verkehrsmittel (bei unterstelltem "park and ride"-System) mehr als dreimal so lange dauert wie die Fahrtzeit mit dem privaten Pkw und 90 Minuten überschreitet.
Für den Beschäftigungszeitraum 1. September bis 31. Dezember betrug die Wegstrecke von der Wohnadresse bis zum Arbeitsplatz insgesamt ca. 23 Kilometer. Diese Strecke kann mit dem PKW in ca. 21 Minuten zurückgelegt werden.
Nach den Fahrplänen der ÖBB standen der Berufungswerberin vor Dienstbeginn ein Zug der ÖBB um 6:31 Uhr ab W nach X bzw. nach Arbeitsende um 17:43 Uhr ab X nach W zur Verfügung. Die Fahrzeit betrug dabei 18 bzw. 20 Minuten. Unter Berücksichtigung einer weiteren PKW-Fahrzeit von 3 Minuten zwischen Bahnhof W und Wohnadresse (Park and Ride) und einer Fahrzeit mit dem Bus zwischen Bahnhof X und Dienststelle (Linie F) von 7 Minuten sowie einem weiteren Fußweg zwischen der Bushaltestelle und der Dienststelle von ca. 3 Minuten, betrug die Fahrt zum Arbeitsplatz ca. 1 Stunde und 2 Minuten bzw. die Fahrt zur Wohnung rund 1 Stunde und 21 Minuten.
Da die Fahrtstrecke unter 25 Kilometer und die Fahrzeit unter optimaler Kombination von Massenbeförderungsmitteln und Individualverkehr (Park and Ride) jeweils unter 90 Minuten betragen hat, war sohin im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keine Unzumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel gegeben.
Insgesamt war daher für den Zeitraum 1. Jänner bis 29. August das "große Pendlerpauschale" und für den Zeitraum 1. September bis 31. Dezember das "kleine Pendlerpauschale" als Werbungskosten zu berücksichtigen.
Unter Bedachtnahme auf die Anhebung der Beträge mit Juli 2008 ergibt sich insgesamt ein Betrag in Höhe von 1.025,50 € (1. Jänner bis 30. Juni: 589,50 €, 1. Juli bis 29. August: 226 €, 1. September bis 31. Dezember: 210 €)
Sohin war spruchgemäß zu entscheiden.
Innsbruck, am 24. Februar 2010
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte: | Pendlerpauschale, Zumutbarkeit, Verkehrsmittel, Park and Ride |
Verweise: |