Großes oder kleines Pendlerpauschale?
Anmerkungen:
Abweichend LStR 2002 Rz 255.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw. gegen den Bescheid des Finanzamtes C vom 23. Juni 2009 betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2008 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen. Sie bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruchs.
Entscheidungsgründe
Die Berufungswerberin (kurz: Bw.) machte in ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 ein Pendlerpauschale von 196,75 € geltend. Da ihr Arbeitgeber bereits ein Pendlerpauschale von 1.720,50 € berücksichtigt hatte (Lohnzettel), wurde der Betrag von 1.720,50 € bei der Erlassung des Einkommensteuerbescheides (mit Ausfertigungsdatum 23.6.2009) storniert. Der in der Steuererklärung ausgewiesene Betrag (von 196,75 €) wurde anerkannt. Die Bw. wandte in der Berufung ein, dass ihr beim Ausfüllen der Erklärung ein Fehler unterlaufen sei und ersuchte um Korrektur des Bescheides (mit einer Nachforderung von 551,67 €). Über Ersuchen des Finanzamtes vom 9.7.2009 legte sie mit Schreiben vom 20.7.2009 ihre (vom Arbeitgeber abgezeichneten) Zeitaufzeichnungen des Jahres 2008 vor.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 28.7.2009 wurde die Nachforderung auf 182,04 € herabgesetzt. Begründend wurde ausgeführt, dass zwischen dem Wohnort (B) und dem Ort der Arbeitsstätte (C), also auf mehr als der Hälfte der Fahrtstrecke, sowohl zu Arbeitsbeginn als auch am Arbeitsende ein Massenbeförderungsmittel verkehre, dessen Benutzung auch unter Berücksichtigung der täglichen Fahrtzeit zumutbar sei (erster Zug ab B: 04.52 Uhr, letzter Zug ab C Hauptbahnhof: 23.23 Uhr; dazwischen regelmäßiger Taktverkehr). Es könne somit nur das kleine Pendlerpauschale ab 40 km (1.161 €) berücksichtigt werden.
Die Bw. wandte (in ihrem Antrag vom 4.8.2009) dagegen ein, dass der Bahnhof in B nur nach einem Fußmarsch von 20 Minuten zu erreichen sei. Da sie auf Grund ihrer unregelmäßigen und ungewöhnlichen Arbeitszeiten des Öfteren auch den Zug um 04.52 Uhr hätte benützen müssen und dementsprechend früh am Morgen in C angekommen wäre, hätte sie den Weg zur Arbeitsstätte (D) wiederum zu Fuß zurücklegen müssen, da in diesem Bereich zu dieser Zeit kein regelmäßiger Busverkehr gegeben sei. Der Weg betrage wiederum etwa 2,5 km und hätte einen neuerlichen Fußmarsch von ca. 30 Minuten bedeutet. Die Arbeitszeiten hätten sich bisweilen auch bis 20.00 Uhr erstreckt. Diesfalls hätte der Zug um 23.23 Uhr genommen werden müssen. Dies hätte eine Rückfahrtszeit von 2 Stunden 30 Minuten bedeutet.
Über die Berufung wurde erwogen:
1.) Die maßgebliche Rechtslage gestaltet sich wie folgt (§ 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988): Werbungskosten sind auch die Ausgaben des Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Diese Ausgaben sind bei einer einfachen Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bis 20 km grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag (§ 33 Abs. 5) abgegolten. Beträgt die einfache Fahrtstrecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, die der Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend zurücklegt, mehr als 20 km und ist die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zumutbar, dann werden zusätzlich bestimmte Pauschbeträge berücksichtigt (sog. kleines Pendlerpauschale). Ist dem Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum überwiegend die Benützung eines Massenbeförderungsmittels zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke nicht zumutbar, dann werden (anstelle der genannten Pauschbeträge) höhere Pauschbeträge berücksichtigt (sog. großes Pendlerpauschale).
Mit dem Verkehrsabsetzbetrag und den Pauschbeträgen sind alle Ausgaben für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte abgegolten. Die Pauschbeträge sind auch für Feiertage sowie für Lohnzahlungszeiträume zu berücksichtigen, in denen sich der Arbeitnehmer im Krankenstand oder auf Urlaub (Karenzurlaub) befindet.
2.) In sachverhaltsmäßiger Hinsicht ist davon auszugehen, dass die Bw. - wie sich aus den von ihr vorgelegten Aufstellungen ergibt - stark unterschiedliche Arbeitszeiten hatte. Die Arbeitszeit begann nicht selten um 6.00 Uhr. An anderen Arbeitstagen endete die Dienstzeit zB erst um 20.00 Uhr, 21.00 Uhr oder 22.00 Uhr.
Die Fahrtstrecke von der Wohnung bis zur Dienststelle betrug mit dem Pkw rund 43 km. Der größte Teil der Strecke kann aber (grundsätzlich) auch mit den ÖBB zurückgelegt werden (Bahnhof B - Bahnhof C; rd. 38 km). Die Wegstrecke von der Wohnung zum Bahnhof beträgt laut Google maps rd. 1,4 km (Fahrtzeit mit dem Pkw rd. 3 Minuten); die Wegstrecke von C Hauptbahnhof zur Dienststelle beträgt rd. 3,1 km (Fahrtzeit mit dem Pkw rd. 7 Minuten).
3.) Das Finanzamt bejaht die Zumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel mit dem Hinweis auf regelmäßigen Taktverkehr der ÖBB auf mehr als der Hälfte der Fahrtstrecke. Die Bw. wendet dagegen ein, dass insbesondere die erste Fahrt nach C und die letzte Fahrt nach B als unzumutbar anzusehen sei, da sich dabei Gesamtreisezeiten von 88 Minuten (4.32 bis 6.00 Uhr) bzw. 150 Minuten ergäben (22.00 bis 0.30 Uhr).
4.) Die Finanzverwaltung geht von einer Zeitstaffel aus und bejaht die Zumutbarkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels bei einer Strecke über 40 km (wie im vorliegenden Fall) erst, wenn eine Wegzeit von zweieinhalb Stunden (150 Minuten) überschritten ist (von dieser Auffassung geht offenkundig auch das Finanzamt aus; AS 31). Das ist überzogen. Nach den Gesetzesmaterialien (RV 620 BlgNR XVII GP , 75) richtet sich die Zumutbarkeit nach dem Verhältnis der Fahrtdauer mit dem Massenbeförderungsmittel einerseits und dem Pkw andererseits. Unzumutbar ist die Fahrt mit dem öffentlichen Verkehrsmittel danach jedenfalls, wenn sie mehr als dreimal so lange dauert wie mit dem eigenen Pkw (vgl. VwGH 24.9.2008, 2006/15/0001) und - so wird zu ergänzen sein - 90 Minuten überschreitet (vgl. VwGH 28.10.2008, 2006/15/0319).
5.) Nach dem Gesetzeswortlaut muss die Unzumutbarkeit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels zumindest hinsichtlich der halben Fahrtstrecke vorliegen. Ist - wie im vorliegenden Fall abends und früh morgens - weniger als die halbe Fahrstrecke betroffen (Wohnung - Bahnhof B) führt die erforderliche Benützung eines Kfz nicht automatisch zur Unzumutbarkeit hinsichtlich der gesamten Fahrtstrecke. Die für die Beurteilung der Zumutbarkeit maßgebliche Fahrtdauer ergibt sich dann aus der Gesamtfahrzeit. Dabei ist eine optimale Kombination von Massen- und Individualbeförderungsmitteln (zB "park and ride") zu unterstellen. Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass für die Strecke Wohnung - Bahnhof B eine (reine) Fahrtzeit mit dem Pkw von rd. 3 Minuten anzusetzen ist.
6.) Nach den Plänen der ÖBB (Winterfahrplan 2007 ab 1.1.2008, Sommerfahrplan 2008 vom 8.6.2008 bis 13.12.2008, Winterfahrplan 2008 bis 31.12.2008) standen nach einem Arbeitsende um 19.00, 20.00, 21.00 und 22.00 Uhr Züge der ÖBB um 19.52, 20.52, 21.52 und 23.30 Uhr zur Verfügung. Diese benötigten für die Strecke nach B jeweils 39 Minuten. Unter Berücksichtigung einer weiteren Pkw-Fahrtzeit von drei Minuten wäre die Bw. bei einer unterstellten Kombination von Massen- und Individualbeförderungsmitteln 94 Minuten bzw. 132 Minuten (letzter Zug) unterwegs gewesen. Das ist mehr als das Dreifache der Pkw-Fahrtzeit von der Wohnung zur Arbeitsstätte, die - auf Grund der Verwendung einer Autobahn auf dem größten Teil der Strecke - mit 26 Minuten anzusetzen ist (und mehr als 90 Minuten).
Vergleichbares gilt zwar nicht für die erste Fahrt von B nach C (Abfahrt B, Bahnhof um 4.52 bzw. 4.56 Uhr), da die Arbeitsstätte in C nach der Ankunft mit dem Zug mit öffentlichen Verkehrsmitteln um 6.00 Uhr erreicht werden konnte (sofern man mangels an Fahrplänen unterstellt, dass die Verkehrsmittel im Jahr 2008 in annähernd demselben Takt gefahren sind wie zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Berufung). Wohl aber ergaben sich für die Fahrten nach C zu einem Dienstbeginn um zB 8.00 Uhr, 9.00 Uhr oder 10.00 Uhr Fahrtzeiten von 92 Minuten (6.28 bis 8.00 Uhr; 8.28 Uhr bis 10.00 Uhr) bzw. 94 Minuten (7.26 bis 9.00 Uhr), also mehr als 78 Minuten (3 x 26 Minuten).
7.) Unter diesen Voraussetzungen erwies sich die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - mit Ausnahme der Monate, in denen Urlaub genommen wurde - in der überwiegenden Anzahl der tatsächlichen Arbeitstage aber als unzumutbar. Da die Pauschbeträge auch für Lohnzahlungszeiträume zu berücksichtigen sind, in denen sich der Arbeitnehmer auf Urlaub befindet, ergebt sich daraus eine Unzumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel für alle Monate des Jahres 2008.
8.) Unter Bedachtnahme auf die Anhebung der Beträge mit Juli 2008 beträgt der anzusetzende Betrag 2.206,50 € (1.026 € erstes Halbjahr, 1.180,50 € zweites Halbjahr).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Innsbruck, am 21. Jänner 2010
Zusatzinformationen | |
---|---|
Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: |