Schätzung von Einkünften und res judicata
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat durch den Vorsitzenden HR Dr. Michael Mandlmayr und die weiteren Mitglieder HR Mag. Christoph Kordik, Josef Pointinger und Dr. Ernst Grafenhofer über die Berufung des Bw., Adresse., vertreten durch Gerhard Friedl, Steuerberater, Adresse2, gegen den Bescheid des Finanzamtes Wels vom 29. September 1998 betreffend Einkommensteuer 1989 nach der am 28. Jänner 2009 in 4020 Linz, Bahnhofplatz 7, durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird ersatzlos aufgehoben.
Entscheidungsgründe
Strittig waren im Ausgangsverfahren RV/0342-L/02 die beim Berufungswerber (Bw.) im Einkommensteuerbescheid vom 29. September 1998 angesetzten Einkünfte (Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung) in Millionenhöhe.
Das Vorliegen der unbeschränkten Steuerpflicht des Bws. wurde im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26.7.2000, 95/14/0145, bestätigt (Abweisung der Beschwerde gegen den Aufhebungsbescheid gem. § 299 BAO der Finanzlandesdirektion für OÖ. betreffend den ersten Einkommensteuer - Sachbescheid vom 9.Juni 1993).
Im Erkenntnis vom 28. Oktober 2008, 2006/15/0102, das den Anlass des gegenständlichen fortgesetzten Berufungsverfahrens bildet, hat der Verwaltungsgerichtshof zur genannten Berufungsentscheidung RV/0342-L/02 vom 17. Jänner 2006 Folgendes ausgeführt:
"Mit dem angefochtenen Bescheid gab die Behörde der (u.a.) gegen den Einkommensteuerbescheid 1989 vom 29. September 1998 erhobenen Berufung teilweise statt. Nach ausführlicher Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens hielt die belangte Behörde dem Einwand des Beschwerdeführers, die Einkommensteuerfestsetzung vom 29. September 1998 verstoße gegen das Verbot, in der selben Sache neuerlich zu entscheiden, entgegen, dass die Oberbehörde mit dem vom Verwaltungsgerichtshof bestätigten Bescheid vom 17. Februar 1995 den Einkommensteuerbescheid vom 9. Juni 1993, nicht jedoch den Wiederaufnahmebescheid vom selben Tag aufgehoben habe. Durch die neuerliche Wiederaufnahme mit Bescheid vom 29. März 1995 sei der Wiederaufnahmebescheid vom 9. Juni 1993 nur vorübergehend aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Mit Berufungsvorentscheidung vom 17. August 1998 sei nämlich dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers vom 21. April 1995 gegen den zweiten Wiederaufnahmebescheid vom 29. März 1995 durch dessen ersatzlose Aufhebung stattgegeben worden. Dadurch sei nicht nur der damit verbundene Sachbescheid vom 29. März 1995 ex lege aus dem Rechtsbestand ausgeschieden, sondern sei auch der erste Wiederaufnahmebescheid vom 9. Juni 1993 wieder aufgelebt. Solcherart stelle der Wiederaufnahmebescheid vom 9. Juni 1993 die rechtskräftige verfahrensrechtliche Grundlage für den am 29. September 1998 erlassenen, nunmehr angefochtenen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1989 dar.
In der Folge hat der VwGH die verfahrensrechtliche Situation des gegenständlichen Falles im Wesentlichen wie folgt beurteilt:
"Durch die Aufhebung des die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheides tritt das Verfahren gemäß § 307 Abs. 3 BAO in die Lage zurück, in der es sich vor seiner Wiederaufnahme befunden hat. Damit scheidet der im wiederaufgenommenen Verfahren erlassene Sachbescheid ex lege aus dem Rechtsbestand aus (vgl. mit Hinweisen auf die hg. Rechtsprechung Ritz, BAO3, § 307, Tz 8). Dies gilt jedoch nicht für den Fall, dass der im wiederaufgenommenen Verfahren ergangene neue Sachbescheid seine verfahrensrechtliche Deckung in einem anderen zuvor ergangenen und rechtskräftig gewordenen Wiederaufnahmebescheid findet (vgl. das schon eingangs angeführte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. 10. 1997). Gerade ein solcher Fall liegt gegenständlich vor.
Der (weitere) Wiederaufnahmebescheid vom 29. März 1995 wurde aufgehoben, weil das Finanzamt das Einkommensteuerverfahren 1989 bereits rechtskräftig mit Bescheid vom 9. Juni 1993 wiederaufgenommen hatte und das Verfahren infolge der Bescheidaufhebung gemäß § 299 Abs. 1 lit. c BAO noch nicht durch eine neue Sachentscheidung abgeschlossen war. Mit der vom Finanzamt in seiner Berufungsvorentscheidung vom 17. August 1998 beseitigten abermaligen Wiederaufnahme des Einkommensteuerverfahrens durch den Wiederaufnahmebescheid vom 29. März 1995 konnte dem mit gleichem Datum erlassenen Sachbescheid der verfahrensrechtliche Bestandsgrund im Sinne des § 307 Abs. 3 BAO nicht genommen werden, weil dieser schon im rechtskräftig gewordenen Wiederaufnahmebescheid vom 9. Juni 1993 gelegen war. Der Einkommensteuerbescheid war entgegen der vom Finanzamt in seinem Bescheid vom 17. August 1998 vertretenen Rechtsansicht somit wegen der Beseitigung des Wiederaufnahmebescheides vom 29. März 1995 durch die Berufungsvorentscheidung des Finanzamtes vom 17. August 1998 nicht aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Die Zurückweisung der vom Beschwerdeführer gegen den Sachbescheid des Finanzamtes vom 29. März 1995 erhobenen Berufung durch den vom Beschwerdeführer nicht fristgerecht bekämpften Bescheid des Finanzamtes vom 17. August 1998 hatte rechtlich den Eintritt der Rechtskraft dieses - aus dem Rechtsbestand tatsächlich nicht ausgeschiedenen - Einkommensteuerbescheides 1989 vom 29. März 1995 zur Folge. Der vom Finanzamt am 29. September 1998 für das Jahr 1989 neuerlich erlassene (händische) Einkommensteuerbescheid verstößt somit gegen die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides vom 29. März 1995.
Zum selben Ergebnis gelangt man auch, wenn man sich vor Augen führt, dass jede Wiederaufnahme eines Verfahrens begrifflich ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren voraussetzt. Lag wie im Beschwerdefall ein bereits auf Grund der (rechtskräftig gewordenen) Wiederaufnahmeverfügung vom 9. Juni 1993 anhängiges Einkommensteuerverfahren für das Jahr 1989 vor, musste der abermalige Wiederaufnahmebescheid vom 29. März 1995 ins Leere gehen und ohne Wirkung bleiben. Die "Aufhebung" eines derartigen (nicht wirksamen) Bescheides kann von vornherein nicht die Rechtsfolgen des § 307 Abs. 3 BAO nach sich ziehen.
Da der angefochtene Bescheid somit gegen die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides vom 29. März 1995 verstößt, war er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das in der Sache erstattete Beschwerdevorbringen einzugehen war ".
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß Artikel 131 Abs. 1 Z 1 B-VG kann, wer behauptet, durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde in seinen Rechten verletzt zu sein, nach Erschöpfung des Instanzenzuges Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erheben.
Gem. § 63 Abs. 1 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 idF BGBl. Nr. 470/1995, sind die Verwaltungsbehörden, wenn der VwGH einer Beschwerde nach Art. 131 B-VG stattgegeben hat, verpflichtet, in dem betreffenden Fall mit den ihnen zu Gebote stehenden Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen.
Der VwGH hat die Berufungsentscheidung vom 17. Jänner 2006, RV/0342-L/02, hinsichtlich der Einkommensteuer 1989 aufgehoben, weil der VwGH die Rechtsansicht vertritt, dass der vom Bw. in Berufung gezogene Bescheid des Finanzamtes vom 29. September 1998 gegen die Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides vom 29.März 1995 verstößt.
Der VwGH ist daher offensichtlich der Rechtsansicht, dass die neuerliche Sachentscheidung durch den vom Bw. bekämpften Bescheid vom 29. September 1998 wegen (durch den Bescheid vom 29. März 1995 bereits rechtskräftig) entschiedener Sache rechtswidrig ist.
Der Berufung war daher stattzugeben und der angefochtene Einkommensteuerbescheid 1989 vom 29. September 1998 ersatzlos aufzuheben.
Linz, am 28. Jänner 2009
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 63 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985 |
Schlagworte: | Schätzung, rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid |