UFS RV/0111-K/07

UFSRV/0111-K/0728.8.2007

Sicherstellungsauftrag, Umsatzsteuerkarussell, hinreichende Verdachtsgründe für ein Wissenmüssen.

 

Entscheidungstext

Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch Dr. Michael Prager, Rechtsanwaltsgesellschaft m.b.H., 1010 Wien, Seilergasse 9, vom 6. Juli 2006 gegen den Bescheid des Finanzamtes Baden Mödling, vertreten durch HR Mag. Christian Hrdina, vom 14. Juni 2006 betreffend Sicherstellungsauftrag gemäß § 232 BAO entschieden:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Entscheidungsgründe

Das Finanzamt Baden Mödling hat mit Bescheid - Sicherstellungsauftrag vom 14. Juni 2006 gemäß § 232 BAO in das Vermögen der A. als nunmehriger Berufungswerberin (Bw.) die Sicherstellung der Umsatzsteuer für das Jahr 2002 in der voraussichtlichen Höhe von € 1.432.496,00 angeordnet. Es hat dazu ausgeführt, die Sicherstellung dieser Abgabenansprüche könne sofort vollzogen werden. Eine Hinterlegung des genannten Betrages beim Finanzamt Baden Mödling würde dazu führen, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und diesbezüglich bereits vollzogenen Sicherstellungsmaßnahmen aufgehoben werden. Das Finanzamt Baden Mödling hat die sicherzustellenden Abgabenansprüche darauf gegründet, dass sich die Abgabennachforderung aus der Nichtanerkennung von Vorsteuern aus den Eingangsrechnungen der Firma B. ergebe. Dabei handle es sich ausschließlich um Vorsteuern aus jenen Lieferungen, welche in der Folge an die Firma C., Zypern, weiterfakturiert worden seien. Um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Abgabeneinbringung zu begegnen, könne die Abgabenbehörde nach dem Entstehen eines Abgabenanspruches (§ 4 BAO) bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226 BAO) einen Sicherstellungsauftrag (§ 232 BAO) erlassen. Das Finanzamt hat eine Gefährdung und Erschwerung der Einbringlichkeit der Abgaben darin erblickt, dass die Bw. weder über Anlage- noch über Umlaufvermögen in nennenswertem Umfange verfüge. Es handle sich bei der Bw. um eine reine Vertriebsorganisation die in angemieteten Räumen betrieben werde und seit Beginn des Jahres 2006 auch kein eigenes Warenlager in Österreich unterhalte. Zudem würden die Abgabenerklärungen der letzten Jahre sinkende Umsätze und hohe erstragsteuerliche Verluste ausweisen.

Dagegen richtet sich die Berufung vom 6. Juli 2006. Die Bw. wendet vor allem ein, ein Sicherstellungsauftrag könne von der Abgabenbehörde gemäß § 232 BAO erlassen werden, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen. Die einen Bescheid erlassende Behörde habe den Bescheid so zu begründen, dass aus ihm selbst nachvollzogen werden kann, warum und wodurch der Tatbestand verwirklicht sein soll, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen. Es gebe seit längerem ein von der Großbetriebsprüfung Wien Körperschaften geführtes Betriebsprüfungsverfahren. In diesem habe ihr die Großbetriebsprüfung Akteneinsicht gewährt und ihr mehrfach Vorhalte bzw. Antworten zukommen lassen. Die bisher einzige Argumentation der Großbetriebsprüfung sei jene, es würden keine umsatzsteuerbefreiten Ausfuhrlieferungen vorliegen, so dass aus Rechnungen, die die Bw. an die C. auf Zypern gelegt habe, Umsatzsteuer zu entrichten sein werde. Offensichtlich habe sich die Großbetriebsprüfung im Hinblick auf die Argumentation ihrer Meinung, dass die umsatzsteuerfreie Fakturierung an C. und Lieferung ins Ausland rechtens sei, angeschlossen aber gleichzeitig einen neuen Grund vorgegeben, wonach für sie trotzdem eine Umsatzsteuerhaftung im Ausmaß von rund € 1,4 Millionen bestehe. In der Bescheidbegründung des angefochtenen Bescheides beschreibe die den Bescheid erlassende erstinstanzliche Behörde keinen Tatbestand, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, sondern stelle nur die Behauptung auf, dass die Vorsteuer aus Eingangsrechnungen der Firma B. nicht anerkannt werden könne. Hinsichtlich des Vorliegens dieses Tatbestandes bestehe die volle Begründungspflicht der Behöre im Sinne von § 93 Abs. 3 BAO. Der Bescheid enthalte im Hinblick auf die Verwirklichung eines Tatbestandes überhaupt keine Begründung, sondern gebe lediglich die Meinung der Behörde wieder, dass die Vorsteuer betreffend bestimmte Rechnungen der B. nicht anzuerkennen sei. Da der gegenständlich angefochtene Bescheid gegen zahlreiche materielle und formelle Normen verstoße, werde - die ersatzlose Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes im formellen Sinn, da er nicht begründet sei, und - die ersatzlose Aufhebung des Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes im materiellen Sinn, da die Bw. keinen Tatbestand verwirklicht habe, an den die Abgabenvorschriften eine Abgabepflicht knüpfen, beantragt.

Über die Berufung wurde erwogen:

Das Verfahren über eine Berufung gegen einen Sicherstellungsauftrag hat sich auf die Überprüfung der Frage zu beschränken, ob die diesbezüglichen Voraussetzungen im Zeitpunkt der Erlassung des erstinstanzlichen Sicherstellungsauftrages gegeben waren (ständige Rechtsprechung des VwGH, zB E vom 9.12.1974, 746/73 oder E vom 28.11.2002, 2002/13/0045).

In Ausübung der den Abgabenbehörden zweiter Instanz bei Verfahren über eine Berufung gesetzlich eingeräumten Befugnisse wurde der Arbeitsbogen der Betriebsprüfung eingesehen.

Dem nun bekämpften Sicherstellungsauftrag liegt als Sachverhalt zugrunde, dass es sich bei der Bw. um eine Großhändler handelt. Die Bw. beschäftigt sich mit dem Vertrieb von Computern und Computerteilen. Der Umsatz der Bw. im CPU-Handel ist mit dem Auftreten der B. angestiegen. Ab Beginn des Jahres 2002 ist es, aufbauend auf der bestehenden Unternehmerkette D. - B. - Bw., zu einem atypischen Umsatzanstieg bei der Bw. gekommen. Von der B. wurden CPU´s in versiegelten Boxen (Sealt Boxes) bezogen. Der Einstieg in dieses Geschäft wurde von Al.T. - Einkäufer der Bw. - vorgeschlagen. Ziel des Handels in verschlossenen Boxen war nach der Lage der Akten die Erschleichung von Vorsteuern. Die von der B. in versiegelten Boxen bezogene Ware wurde von der Bw. den vorliegenden Ausgangsrechnungen und Zollpapieren zufolge offiziell an die C. verkauft. Dieser Abnehmer wurde der Bw. von Ge.H., der Gesellschafterin und Geschäftsführerin der B., somit vom Lieferanten der Ware, genannt. Abfragen von Wirtschaftsauskunftsdiensten zufolge handelt es sich bei der C. um eine Briefkastenfirma. Tatsächlich gelangte die Ware nie nach Zypern, sondern wurde lediglich in die Slowakei transportiert, dort mit neuen Zollpapieren ausgestattet und wieder nach Österreich an die damalige Adresse der B. in die X-Straße, W., verbracht. Beim Reimport wurde die Ware zudem stark unterfakturiert um Eingangsabgaben niedrig zu halten. Als offizieller Importeur der Ware trat die D. auf. Diese nahm die Waren mit den unterfakturierten Werten in die Bücher auf, wobei die Ware als Import aus den USA dargestellt wurde. In der Folge stellte die D. fingierte Ausgangsrechnungen mit einem geringen Aufschlag auf den unterfakturierten Einkaufspreis an beliebige, aber tatsächlich existente Adressaten aus, die jedoch weder Faktura noch Ware erhalten haben und denen auch nichts über das die Rechnung ausstellende Unternehmen und dessen Geschäfte bekannt war. Durch diese Deckungsrechnungen entstand bei der D. unter Berücksichtigung der abgezogenen Einfuhrumsatzsteuer eine nur geringe Umsatzsteuerzahllast. Tatsächlich erhielt die reimportierte Ware die B.. Diese wies in ihren Eingangsrechnungen, in welchen als Rechnungsaussteller die D. aufscheint, einen um ein Vielfaches höheren Warenwert aus. Die B. bezahlte den Bruttobetrag der Eingangsrechnungen auf ein zypriotisches Bankkonto und machte den vollen Vorsteuerabzug geltend. Hier kommt es zum Systembruch, weil die D. die korrespondierende Umsatzsteuer nicht (bzw. nur jene aus den betragsmäßig ungleich geringeren Deckungsrechnungen) abgeführt hat. Die Ware wurde daraufhin von der B. mit einem fremdüblichen Aufschlag auf den höheren Wert an die Bw. und daneben an weitere Abnehmer weiterfakturiert. Die Bw. bezahlte den Bruttobetrag der Rechnung, macht den Vorsteuerabzug aus den Eingangsrechnungen geltend und lieferte offiziell steuerbefreit nach Zypern. Tatsächlich gelangte die Ware jedoch über die Slowakei sofort wieder nach Österreich. Die versiegelten Boxen waren nur für den Export durch die Bw. bestimmt und landeten, der Typologie eines Karussellbetruges entsprechend, nicht bei einem Endabnehmer zum Verbrauch, sondern wurden immer wieder in den Kreislauf eingebracht. Die Bw. hat von dieser Vorgangsweise zum einen durch den starken Umsatzanstieg (Erfüllung von konzerninternen Zielvorgaben) und zum anderen durch den Gewinnaufschlag auf die gehandelte Ware profitiert. Der Einstieg der Bw. in das Geschäft mit "Sealt Boxes" und damit in das Umsatzsteuerkarussell wurde nach der Aktenlage von Al.T., der die B. als Lieferanten für CPU´s eingebracht hatte, vorgeschlagen. Al.T. wurde von der Gesellschafterin und Geschäftsführerin der B. in Form der C. praktischerweise gleich ein Abnehmer für die Ware genannt. Dieses eigenartige Angebot wurde firmenintern hinterfragt, zumal die B. ja auch gleich selbst exportieren und so auch die Spanne der Bw. mitverdienen hätte können. Das Geschäft wurde letztendlich dennoch wie beschrieben abgewickelt. Der damalige Geschäftsführer der Bw., Ri.H., hat angegeben, bei diesen Exportgeschäften immer etwas Bauchweh gehabt zu haben. Er hat sich vorbehalten, bei jedem einzelnen Geschäft informiert zu werden, um die Finanzierung abzuklären. Die Ware wurde erst dann bei der B. eingekauft, wenn eine entsprechende Bestellung und eine Bestätigung für eine Swift-Überweisung seitens des Abnehmers C. vorlagen, wenn die Ware vom Abnehmer somit bezahlt war. Dies zeigt, dass man seitens der Bw. bei diesen Geschäften - offenbar mit gutem Grund - keinerlei finanzielles Risiko einzugehen bereit war. Entgegen den üblichen Gepflogenheiten durften die "Sealt Boxes" durch die Bw. auch nicht für Kontrollzwecke geöffnet werden. Al.T. hat bei diesen Geschäften immer mit der Begründung Druck zu machen versucht, dass der Lieferant der B. in Fernost bei nicht zeitgerechter Überweisung die günstige Ware an jemand anderen weiterverkaufen würde. Aus Zeugeneinvernahmen von Mitarbeitern der Bw. sowie der beauftragten Botendienste und Speditionen kann die Vorgangsweise weiter rekonstruiert werden. Danach wurde die Ware von der B. durch die beiden Botendienstfahrer Fr.H. und Al.T. sen. (Vater des Einkäufers der Bw.) zur Bw. transportiert. Die Bw. gab, sobald die Ware vom Empfänger bezahlt war, diese zur Abholung durch einen Beauftragten des Abnehmers, die Spedition E., frei. Die Spedition E. am Flughafen Wien Schwechat hat die Ware verzollt und die entsprechenden Papiere ausgestellt, hat die Ware jedoch nicht weiter zur Flugfracht gegeben. Die Ware wurde stattdessen durch einen Fahrer der Spedition F. abgeholt und über das Zollamt Kittsee in die Slowakei, nach Bratislava transportiert. Dort wurden für dieselbe Ware durch die Spedition G. am Stadtrand von Bratislava neue Zollpapiere ausgestellt, die Ware am Zollamt Raca wieder verzollt und nach Österreich reimportiert. In Österreich wurde die Ware bei der Spedition H. verzollt und dann wieder zur B. in die X-Straße, W. geliefert, wo die Ware in Empfang genommen wurde. Die Ware blieb dabei immer beim Fahrer der Spedition F., ohne verändert und umgepackt zu werden. Der Transport durch die Spedition F. über Kittsee bis zur B. wurde innerhalb eines Tages durchgeführt. Mit der Anlieferung zur B. war dieselbe Ware neuerlich im Kreislauf. Die gesamte Abwicklung erfolgte im Auftrag von Va.F.. Dieser hat die Spedition angewiesen und auch bezahlt. Die Speditionsrechnungen sind auf die C. ausgestellt.

Gemäß § 232 Abs. 1 BAO kann eine Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabepflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung der Abgabe zu begegnen. Der Abgabenpflichtige kann durch Erlag eines von der Abgabenbehörde zu bestimmenden Betrages erwirken, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

Der Abgabenanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Abgabepflicht knüpft (§ 4 Abs. 1 BAO). Abgabenschuldigkeiten, die nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet werden, sind in dem von der Abgabenbehörde festgesetzten Ausmaß vollstreckbar; solange die Voraussetzungen für die Selbstberechnung einer Abgaben durch den Abgabepflichtigen ohne abgabenbehördliche Festsetzung gegeben sind, tritt an die Stelle des festgesetzten Betrages der selbst berechnete und der Abgabenbehörde bekannt gegebene Betrag (§ 226 BAO).

Gemäß § 232 Abs. 2 BAO hat der Sicherstellungsauftrag (Abs. 1) zu enthalten: a) die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld; b) die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgaben ergibt; c) den Vermerk, dass die Anordnung der Sicherstellung sofort in Vollzug gesetzt werden kann; d) die Bestimmung des Betrages, durch dessen Hinterlegung der Abgabepflichtige erwirken kann, dass Maßnahmen zur Vollziehung des Sicherstellungsauftrages unterbleiben und bereits vollzogene Maßnahmen aufgehoben werden.

Ein Sicherstellungsauftrag muss mithin gemäß § 232 Abs. 2 Buchstabe a BAO die voraussichtliche Höhe der Abgabenschuld enthalten. Ein Sicherstellungsauftrag ist aber kein abschließender Bescheid, sondern eine dem Bereich der Abgabeneinbringung zuzuordnende Sofortmaßnahme. Es liegt in der Natur einer solchen Maßnahme, dass sie nicht erst nach Erhebung sämtlicher Beweise, sohin nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, gesetzt werden kann, sondern dass es genügt, dass die Abgabenschuld dem Grunde nach mit der Verwirklichung des abgabenrechtlich relevanten Sachverhaltes entstanden ist und gewichtige Anhaltspunkte für ihre Höhe sowie für die Gefährdung oder wesentliche Erschwerung ihrer Einbringung gegeben sind (ständige Rechtsprechung des VwGH; zB E vom 17.12.1996, 95/14/0130 oder E vom 26.11.2002, 99/15/0076).

Der Bw. wurde ua mit Schreiben vom 15. Juni 2004 der Stand der Prüfungshandlungen mitgeteilt. In diesen Bericht ist auch eine Tabelle betreffend eine Aufstellung der Exporte an die C. integriert. Weil die Ware nur zum Zweck der Vortäuschung einer steuerfreien Lieferung über die Grenzen bewegt worden war, sollte der Bw. zunächst die Steuerfreiheit für die Ausfuhrlieferungen an die C. versagt werden.

Gemäß § 289 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde zweiter Instanz außer in den Fällen des Abs. 1 immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde erster Instanz zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Berufung als unbegründet abzuweisen.

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 21. Februar 2006, Rs. C-255/02 (Halifax), zur missbräuchlichen Praxis ausgeführt, die Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie sei dahin auszulegen, dass sie dem Recht des Steuerpflichtigen auf Vorsteuerabzug entgegensteht, wenn die Umsätze, die dieses Recht begründen, eine missbräuchliche Praxis darstellen.

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 6. Juli 2006, Rs. C-439/04 (Axel Kittel und die damit verbundene Rs. Recolta Recycling SPTL, C-440/04 ), neuerlich über Karussellbetrugsfälle entschieden und ua ausgeführt, Art. 17 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie sei dahin auszulegen, dass er in dem Fall, dass eine Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen Betrug einbezogen war, einer nationalen Vorschrift entgegensteht, wonach die Nichtigkeit des Kaufvertrages aufgrund einer zivilrechtlichen Bestimmung, nach der dieser Vertrag nichtig ist, weil er wegen eines in der Person des Verkäufers unzulässigen Grundes gegen die öffentliche Ordnung verstößt, zum Verlust des Rechtes auf Abzug der von diesem Steuerpflichtigen entrichteten Vorsteuer führt. Dabei spielt keine Rolle, ob diese Nichtigkeit auf einer Mehrwertsteuerhinterziehung oder einem sonstigen Betrug beruht. Steht dagegen aufgrund objektiver Umstände fest, dass die Lieferung an einen Steuerpflichtigen vorgenommen wird, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war, so hat das nationale Gericht diesem Steuerpflichtigen den Vorteil des Rechts auf Vorsteuerabzug zu verweigern.

Im Sinne dieser vom EuGH angesprochenen objektiv nahe liegenden Kenntnis vom Mehrwertsteuerbetrug führt die Beteiligung an Karussellgeschäften mit dem Ziel des Vorsteuerbetruges zum Verlust des Rechts auf Vorsteuerabzug, wenn aufgrund "objektiver Umstände auf der Basis hinreichender Verdachtsgründe" feststeht, dass die Lieferung an einen Unternehmer vorgenommen wurde, der wusste oder hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligt hat, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war. Für den Vorsteuerabzug ist dabei ohne Bedeutung, ob die Mehrwertsteuer, die für die vorausgegangenen oder nachfolgenden Verkäufe der betreffenden Gegenstände geschuldet war, tatsächlich an den Fiskus entrichtet wurde. Eine Lieferung an einen Unternehmer, der weder wusste noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen (vom Verkäufer begangenen) Betrug einbezogen war, hingegen führt nicht zum Verlust des Vorsteuerabzugsrechts. Wirtschaftsteilnehmer, die alle die Umstände des Einzelfalles berücksichtigenden Maßnahmen treffen, die vernünftigerweise von ihnen verlangt werden können, um sicherzustellen, dass ihre Umsätze nicht in einen Betrug einbezogen sind, müssen auf die Rechtmäßigkeit dieser Umsätze vertrauen können, ohne Gefahr zu laufen, ihr Recht auf Vorsteuerabzug zu verlieren.

Zur Frage der Beurteilung, ob ausreichende Verdachtsgründe für ein Kennenmüssen vorliegen, hat der EuGH beispielsweise in seinem Urteil vom 11. Mai 2006, Rs. C-384/04 (Technological Industries), Begriffserklärungen gegeben. Der EuGH hat hier das "Wissenmüssen" mit dem Begriff des "Bestehens hinreichender Verdachtsgründe" beschrieben. Es ist demnach ist in jedem konkreten Fall eine Gesamtbetrachtung anzustellen. Je stärker die vorliegenden Verdachtsgründe sind, desto höher werden dann in jedem konkreten Fall die Anforderungen an die vom Steuerpflichtigen vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt sein müssen. Von einem Unternehmen darf im Hinblick auf seine Vorlieferanten ein durchaus nennenswertes Maß an Sorgfalt erwartet werden. Unternehmen ist es zumutbar, wachsam zu sein und sich über den Hintergrund der Gegenstände, mit denen sie Handel treiben, zu informieren. Auch Erkundigungen über Beteiligte an einer Lieferkette mit denen keine unmittelbare Geschäftsbeziehung bestehen sind zumutbar; dies umso mehr, wenn Waren bezogen werden, die in der Branche als betrugsanfällig bekannt sind.

Aus dem erhobenen Sachverhalt ergeben sich insbesondere hinsichtlich der Geschäfte mit der C. hinreichende Verdachtsgründe dafür, dass die Bw. vom diesbezüglichen Karussellbetrug zumindest wissen hätte müssen. Bei den Verdachtsgründen ist auf ein intellektuelles Momentum, auf die Sicht eines Durchschnittsbeteiligten abzustellen. Bei juristischen Personen ist dabei auf die Person (Personen) abzustellen, die als Organe im Rahmen ihrer Obliegenheiten für die juristische Person tätig waren. Wer sich als juristische Person eines Mitarbeiterstabes zur Erfüllung von Aufgaben bedient, muss sich dessen Wissen zurechnen lassen.

Bei der Beurteilung des Tatbestandsmerkmales Kennenmüssen wird man von grundsätzlich widerlegbaren Verdachtsgründen ausgehen müssen, von Verdachtsgründen die ihre Ursache in einer unübliche Preisgestaltung, in einer ungewöhnliche Geschäftsanbahnung, in ungewöhnlichen Zahlungs- und Lieferbedingungen, in einer Ungewöhnlichkeit der Zahlungsabwicklung und/oder Zwischenschaltung einer weiteren Handelsstufe haben können.

Weil aber Sicherstellungsaufträge eine Sofortmaßnahme darstellen, ist es nicht notwendig, sämtliche Beweise zu erheben oder sämtliche erhobenen Beweise dem Abgabepflichtigen zur Kenntnis zu bringen (VwGH vom 17.12.1996, 95/14/0130).

Aus dem erhobenen Sachverhalt wie er sich im Zeitpunkt der Erlassung des diesem Verfahren zugrunde liegenden Sicherstellungsauftrages dargestellt hat, ergeben sich die nachfolgend angeführten für ein Wissenmüssen hinreichenden Verdachtsgründe: - Es fällt auf, dass die B. als Lieferant der Waren bei doch sehr geringen Margen im Handel mit Computerhardware auch den Abnehmer (Zeugenaussage von An.S. vom 26. Februar 2003; Zeugenaussage von Al.T. vom 27. Februar 2003) gestellt/genannt hat. - Im Vergleich mit der übrigen Geschäftsgebarung bei der Bw. wurde dieser bei den Geschäften mit C. auf untypische Weise die logistische Abwicklung (An- und Abtransport der Chips) abgenommen. - Das wirtschaftliche Risiko bei Geschäften mit CPU´s in verschlossenen Behältnissen (Sealt Boxes) wurde bewusst minimiert. C. hat die Ware vorneweg mit Swift-Überweisungen bezahlt und auch vorneweg bestellt, bevor die Bw. die bestellte und bezahlte Ware bei der B. geordert hat (Zeugenaussage von Ho.S. am 14. April 2003, Zeugenaussage von Ri.H. am 3. März 2003). Die Bw. war im Hinblick auf die Geschäfte mit der C. von jedem sonst üblichen wirtschaftlichen Risiko entbunden. - Der Geschäftsführer der Bw., Ri.H., hat am 3. März 2003 als Zeuge ua ausgesagt, bei diesen Geschäften immer etwas Bauchweh gehabt zu haben. - Der Einkäufer der Bw. hat im Hinblick auf die Überweisungen an die B. immer Druck gemacht und sogar darauf gedrängt, auch den Verkauf an die C. abwickeln zu dürfen (Zeugenaussage von Ri.H. am 3. März 2003 und am 23. Februar 2006). - Bei der C. hat es sich um eine Offshore-Gesellschaft in einem für Sitzgesellschaften typischen Land gehandelt. Die Gesellschaft hat ihre Geschäfte über eine russische Telefonnummer mit einem gewissen "Vladimir" als Kontaktmann abgewickelt, der nach eigenen Angaben für eine Firma I. aufgetreten ist und dabei verlangt hat, dass die Lieferscheine auf die C. ausgestellt werden (Zeugenaussage von Ho.S. am 14. April 2003). - Beim Lieferanten, der B., hat es sich um ein im Jänner 2001, damit erst wenige Monate vor der Aufnahme der Geschäftsbeziehungen gegründetes Unternehmen gehandelt (Ausführungen der Ge.H. am 13. Jänner 2003). - Gerade weil die von der Lieferantin bezogenen Ware in der Branche als betrugsanfällig bekannt ist, wäre dem Umstand, dass der Lieferant für die von ihm gelieferte Ware gleich auch einen Abnehmer aus einem für Sitzgesellschaften bekannten Land genannt hat, besonderes Augenmerk zu widmen gewesen. - Die Einschaltung eines Großhändlers - broker - als Exporteur ist deshalb von Vorteil, weil bei einem solchen auf Grund der hohen Umsätze aus den übrigen Geschäften große Umsatzsteuerzahllasten anfallen, und sich daher selbst bei größeren Exporten noch immer monatliche Zahllasten und keine auffälligen Vorsteuergutschriften ergeben. Die Lieferantin hat bei der Bw. für einen schlagartigen Umsatzanstieg gesorgt. Der Bw. hätte auffallen müssen, dass die Lieferantin ihre Geschäfte durch lediglich eine Gesellschafter-Geschäftsführerin und eine weiteren Arbeitskraft besorgt hat.

Beim sicherzustellenden Abgabenbetrag handelt es sich um die Vorsteuern aus bestimmten Eingangsrechnungen der B. und dabei um ausschließlich jene Lieferungen, die in der Folge von der Bw. an die C. weiterfakturiert wurden. Die Abgabennachforderung ergibt sich aus der Nichtanerkennung von Vorsteuern aus den Eingangsrechnungen, wie dies in der folgenden Tabelle dargestellt ist. In der Eingangsrechnung vom 8. Juli 2002 sind mehrere Positionen enthalten. Die Vorsteuern für jene Positionen, die in weiterer Folge an die C. weitergeliefert wurden, mussten aus der entsprechenden Ausgangsrechnung unter Anwendung eines durchschnittlichen Aufschlages von 2,95% ermittelt werden.

Darstellung der Entstehung und Ermittlung der sicherzustellenden Abgabenansprüche:

Datum

AR - Nr. J.

Betrag brutto

Betrag netto

Vorsteuer

11.01.2002

200399

93.730,68

78.108,90

15.621,78

21.01.2002

200409

103.685,40

86.404,50

17.280,90

24.01.2002

200414

43.358,98

36.132,48

7.226,50

01.02.2002

200420

204.600,00

170.500,00

34.100,00

25.02.2002

200447

198.180,00

165.150,00

33.030,00

19.03.2002

200475

314.060,54

261.717,12

52.343,42

02.05.2002

200520

341.193,60

284.328,00

56.865,60

17.05.2002

200532

407.420,93

339.517,44

67.903,49

05.06.2002

200552

340.416,00

283.680,00

56.736,00

13.06.2002

200556

545.218,56

454.348,80

90.869,76

13.06.2002

200564

666.688,56

555.573,80

111.114,76

14.06.2002

200569

666.688,56

555.573,80

111.114,76

17.06.2002

200572

665.971,20

554.976,00

110.995,20

08.07.2002

200602

317.233,20

264.361,00

52.872,20

12.07.2002

200610

644.889,60

537.408,00

107.481,60

22.07.2002

200638

247.311,36

206.092,80

41.218,56

23.08.2002

200662, 200663

255.899,52

213.249,60

42.649,92

06.09.2002

200680

622.080,00

518.400,00

103.680,00

13.09.2002

200693

632.448,00

527.040,00

105.408,00

16.09.2002

200699

641.088,00

534.240,00

106.848,00

20.09.2002

200700

642.816,00

535.680,00

107.136,00

  

8.594.978,69

7.162.482,24

1.432.496,45

Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 17. Oktober 2001, GZ 96/13/0055, ua zur Verwirklichung des Tatbestandes an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen ausgeführt, dass ein Abgabenanspruch auch der Rückforderungsanspruch eines zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerüberhanges ist und es dabei nicht darauf ankommt, ob ein Guthaben ausbezahlt worden ist.

Gegen die Gründe, aus denen sich die Gefährdung oder Erschwerung der Einbringung der Abgaben ergibt, wurden in der Berufung keine Einwendungen erhoben.

Eine Überprüfung der diesbezüglichen Ausführungen im bekämpften Bescheid, es werde eine Gefährdung und Erschwerung der Einbringlichkeit der Abgaben darin erblickt, dass die Bw. weder über Anlage- noch über Umlaufvermögen in nennenswertem Umfange verfüge, dass es sich bei der Bw. um eine reine Vertriebsorganisation, die in angemieteten Räumen betrieben werde und die seit Beginn des Jahres 2006 auch kein eigenes Warenlager in Österreich unterhalte und dass die Abgabenerklärungen der letzten Jahre sinkende Umsätze und hohe erstragsteuerliche Verluste ausweisen würden, hat erbracht, dass diese Verhältnisse eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung begründen. Tatsächlich sinken die Umsätze ab Dezember 2005. Ab Oktober 2006 werden laut den Voranmeldungen überhaupt keine Handelsumsätze mehr getätigt. Darüber hinaus weisen die körperschaftssteuerlichen Ergebnisse der Bw. ab dem Jahr 2003 hohe Verluste aus. Die Bilanzen ergeben ein Bild, wonach die Bw. weder über ein Anlage- noch ein Umlaufvermögen in nennenswertem Umfang verfügt.

Bei der Übung des Ermessens nach § 20 BAO musste die Behörde berechtigte Interessen der Bw. mit öffentlichen Interessen an der Einbringung der Abgaben abwägen. Schon die Notwendigkeit der Sofortmaßnahme lässt dabei vor allem in Anbetracht der Höhe der Abgabenschuldigkeit und aus der Sicht des sich als Betrugsszenario darstellenden Sachverhaltes die Interessen der Bw. gegenüber jenen an der Einbringung der Abgaben in den Hintergrund treten.

Die Abgabenbehörde zweiter Instanz ist zu dem Schluss gekommen, dass die Voraussetzungen für die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages gegeben waren und den in der Berufung vorgetragenen Argumenten kein Erfolg beschieden sein kann.

Graz, am 28. August 2007

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 232 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 232 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Sicherstellungsauftrag, Umsatzsteuerkarussell, hinreichende Verdachtsgründe, Wissenmüssen, kein Recht auf Vorsteuerabzug, objektive Umstände, Kennenmüssen.

Verweise:

EuGH 21.02.2006, Rs. C-255/02
EuGH 06.07.2006, Rs. C-439/04
EuGH 11.05.2006, Rs. C-384/04
VwGH 28.11.2002, 2002/13/0045
VwGH 26.11.2002, 99/15/0076
VwGH 17.12.1996, 95/14/0130
VwGH 17.10.2001, 96/13/0055

Stichworte