UFS RV/0044-G/06

UFSRV/0044-G/0612.4.2007

Umsätze aus dem Betrieb einer mit Gewinnerzielungsabsicht betriebenen Telefonnotrufzentrale

 

Entscheidungstext

Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw., Pflegeheim und Hausnotrufzentrale, L., vertreten durch Mag. Sieglinde Pailer, Steuerberaterin, 8010 Graz, Morellenfeldgasse 19, vom 12. November 1999 gegen die Bescheide des Finanzamtes Weiz (nunmehr Oststeiermark) vom 13. und 11. Oktober 1999 betreffend Umsatzsteuerfestsetzung für die Kalendermonate Februar bis Dezember 1998 sowie Jänner bis Juli 1999 entschieden:

Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.

Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben sind den als Beilage angeschlossenen zwei Berechnungsblättern zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.

Entscheidungsgründe

Während der Verwaltungsgerichtshof in dem wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufhebenden Erkenntnis vom 23. September 2005, Zl. 2005/15/0070 im Beschwerdepunkt "Umsätze aus dem Betrieb des Pflegeheimes" den von der Finanzlandesdirektion für Steiermark in der Berufungsentscheidung vom 27. Juli 2000, RV 332/1-8/00, vertretenen Rechtsstandpunkt - steuerpflichtige Umsätze unter Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gemäß § 10 Abs. 2 Z 15 UStG 1994 - geteilt hat, hat er bezüglich der im Zusammenhang mit der Notrufzentrale erzielten Umsätze Nachstehendes eröffnet:

"Anders verhält es sich bei den vom Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Notrufzentrale erzielten Umsätzen. Zutreffend hat die belangte Behörde ausgeführt, dass die im Zusammenhang damit erbrachten Leistungen unter keinen der im § 6 Abs. 1 UStG 1994 normierten Befreiungstatbestände fallen. Sie hat jedoch die Rechtslage insoweit verkannt, als sie sich nicht mit dem Sachverhaltsvorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Notrufzentrale dahingehend auseinandergesetzt hat, dass bei dieser Tätigkeit - wie vom Beschwerdeführer schon im Verwaltungsverfahren ausdrücklich behauptet - eng mit der Sozialfürsorge und den sozialen Einrichtungen verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen erbracht würden und dass der Beschwerdeführer damit als eine Einrichtung sozialen Charakters anzuerkennen sei (Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie); hinsichtlich dieser von § 6 Abs. 1 UStG 1994 nicht erfassten Tätigkeiten wurde vom österreichischen Gesetzgeber auch keine Bedingung im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 2 der Sechsten Mehrwertsteuer-Richtlinie normiert.

Im fortzusetzenden Verfahren wird die belangte Behörde gegebenenfalls auch Feststellungen zu treffen haben, inwieweit die vom Beschwerdeführer genannten, mit ihm konkurrierenden Einrichtungen im Streitzeitraum als solche sozialen Charakters anerkannt waren und für die vergleichbaren Leistungen Steuerfreiheit genossen haben. Erst auf Grund solcher Feststellungen ist der Gerichtshof in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob durch die Nichtanerkennung des Betriebes des Beschwerdeführers als Einrichtung sozialen Charakters der Grundsatz der steuerlichen Neutralität verletzt wäre".

Das Finanzamt hat im fortgesetzten Verfahren über Ersuchen des unabhängigen Finanzsenates umfangreiche Ermittlungen bezüglich der vom Berufungswerber (Bw.) in der Vorhaltsbeantwortung vom 4. Oktober 2006 namhaft gemachten konkurrierenden Einrichtungen (S., T., U., W., X. und Y. und R.) im Hinblick auf deren Anerkennung als solche sozialen Charakters und bezüglich deren umsatzsteuerlichen Behandlung der Umsätze aus dem Telefonnotrufdienst durchgeführt. Im Ergebnis hat sich dabei gezeigt, dass im Wesentlichen alle vorhin angeführten Sozialeinrichtungen mit Ausnahme des R.s (ermäßigter Steuersatz) die Umsätze aus dem Telefonnotrufdienst (unecht) umsatzsteuerfrei behandeln.

Über die Berufung wurde erwogen:

Gemäß Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g) der 6. EG-RL befreien die Mitgliedstaaten unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen, von der Steuer.

Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige eine als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung im Sinne der vorhin zitierten Bestimmung ist (vgl. EuGH 10.9.2002, C-141/00, "Ambulanter Pflegedienst Kügler GmbH", Rn. 61).

Die für diese Beurteilung maßgeblichen Erwägungen des EuGH im Urteil vom 26.5.2005, C-498/03, "Kingscrest Associates Ltd und Montecello Ltd" lauten:

"Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h die Voraussetzungen und Modalitäten einer Anerkennung des sozialen Charakters von anderen Einrichtungen als solchen des öffentlichen Rechts nicht festlegt. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen diesen Einrichtungen eine solche Anerkennung gewährt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Dornier, Randnr. 64) [Rn. 49].

Der Erlass innerstaatlicher Vorschriften in diesem Bereich ist überdies in Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie vorgesehen, wonach [d]ie Mitgliedstaaten ... die Gewährung der unter Absatz 1 Buchstaben ... g) [und] h) ... vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der ... Bedingungen abhängig machen [können], die in dieser Bestimmung anschließend aufgezählt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Dornier, Randnr. 65) [Rn. 50].

Daraus folgt, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie, wie der Gerichtshof bereits zur erstgenannten dieser Bestimmungen festgestellt hat (vgl. Urteil Kügler, Randnr. 54), den Mitgliedstaaten ein Ermessen in der Frage einräumt, ob sie bestimmten Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, sozialen Charakter zuerkennen (Rn. 51).

Aus der Rechtsprechung ergibt sich jedoch auch, dass, wenn ein Steuerpflichtiger die Anerkennung der Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter anficht, die nationalen Gerichte zu prüfen haben, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie eingeräumten Ermessens bei der Anwendung der Gemeinschaftsgrundsätze, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung beachtet haben (Urteile Kügler, Randnr. 56, und Dornier, Randnr. 69) [Rn. 52].

Hierzu ist der Rechtsprechung zu entnehmen, dass die nationalen Behörden nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte ua. das Bestehen spezifischer Vorschriften - gleich ob es sich dabei um nationale oder regionale, um Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, um Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit handelt -, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und den Umstand zu berücksichtigen haben, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden (vgl. Urteile Kügler, Randnrn. 57 und 58, und Dornier, Randnr. 72) [Rn. 53].

Außerdem ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es insbesondere verbietet, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln (vgl. Urteile Kügler, Randnr. 30, und Kommission/Deutschland vom 23. Oktober 2003, Randnr. 20) [Rn. 54].

Im Ausgangsverfahren ist es somit Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller dieser Gesichtspunkte zu prüfen, ob die Anerkennung von Kingscrest als Einrichtung mit sozialem Charakter für die Zwecke der Steuerbefreiungen des Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben g und h der Sechsten Richtlinie zu einer Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Wirtschaftsteilnehmern führt, die die gleichen Leistungen in vergleichbaren Situationen erbringen (Rn. 55)".

Unter Berücksichtigung der vorhin dargelegten Rechtslage war der Berufung im Streitpunkt aus nachstehenden Erwägungen ein Erfolg beschieden:

Nach Ansicht des unabhängigen Finanzsenates sind die vom Bw. im Rahmen der Telefonnotrufzentrale angebotenen Dienstleistungen als "Soziale Dienste" im Sinne der in den Sozialhilfegesetzen der Länder geprägten Definition (Leistungen zur Befriedigung gleichartiger, regelmäßig auftretender, persönlicher, familiärer oder sozialer Bedürfnisse eines Menschen) [vgl. Schober, Soziale Dienste - Staatliche Bereitstellungsverantwortung und Ansprüche pflegebedürftiger Personen in JRP 2005, 63ff] zu qualifizieren. Denn gerade durch die Leistungen im Rahmen des Telefonnotrufdienstes wird für allein stehende und hilfsbedürftige Personen die Voraussetzung für einen möglichst langen Verbleib im eigenen Wohnbereich geschaffen; somit sind diese Leistungen jedenfalls unter "ambulante Dienste" im Sinne von sonstigen Hilfen für alte und pflegebedürftige Personen einzustufen und damit auch als "eng mit der Sozialfürsorge und den sozialen Einrichtungen verbundene Dienstleistungen und Lieferung von Gegenständen" im Sinne des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-RL zu qualifizieren.

Gemäß EuGH C-498/03 räumt Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-RL den Mitgliedstaaten - unabhängig von der Möglichkeit gemäß Art. 13 Teil A Abs. 2 Buchstabe a der 6. EG-RL die Befreiung von bestimmten Bedingungen abhängig zu machen (davon wurde aber vom österreichischen Gesetzgeber nicht Gebrauch gemacht - vgl. auch VwGH 23.9.2005, 2005/15/0070, Seite 11) ein Ermessen in der Frage ein, ob sie bestimmten privaten Einrichtungen mit Gewinnerzielungsabsicht sozialen Charakter zuerkennen (vgl. Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur Mehrwertsteuer, UStG 1994, Band IV, § 6 Abs. 1 Z 25, Anm. 32 und 36).

Es ist Sache der nationalen Behörden, nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte, insbesondere unter Berücksichtigung der Praxis der zuständigen Verwaltung in ähnlichen Fällen zu bestimmen, welche Einrichtungen als Einrichtungen mit sozialem Charakter iS von Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-RL anzuerkennen sind.

Dabei ist ua. Folgendes zu berücksichtigen (vgl. Scheiner/Kolacny/Caganek, Kommentar zur Mehrwertsteuer, UStG 1994, Band IV, § 6 Abs. 1 Z 25, Anm. 34):

Somit kann sich der Bw. zu Recht auf die unmittelbare Anwendung der Bestimmung des Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g der 6. EG-RL berufen.

Unter Bedachtnahme auf die obigen Ausführungen stellen sich die Umsatzsteuerbemessungsgrundlagen für die Kalendermonate 02-12/1998 und 01-07/1999 wie folgt dar (Beträge in ATS):

 

02-12/1998

01-07/1999

Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Umsätze lt. angefochtene Bescheide

1.331.994,29

1.059.946,71

- Verkauf Notruftelefone (lt. BE unecht steuerfrei)

218.579,90

67.687,41

- Dienstleistungen Notruftelefone (lt. BE unecht steuerfrei)

916.752,58

659.772,05

Gesamtbetrag der steuerpflichtigen Umsätze lt. BE

196.661,81

332.487,25

davon Umsätze 20 % lt. BE unverändert gegenüber angefocht. Bescheid (Kfz-Verkauf)

50.000,00

 

davon Umsätze 10 % lt. BE unverändert gegenüber angefocht. Bescheide (Pflegeheim)

146.661,81

332.487,25

Da gemäß Art. 17 Abs. 2 der 6. EG-RL die Befugnis des Steuerpflichtigen zum Vorsteuerabzug nur dann besteht, "soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden", sind im gegenständlichen Fall die geltend gemachten Vorsteuern den (unecht) steuerbefreiten Umsätzen aus dem Betrieb der Hausnotrufzentrale und den steuerpflichtigen (besteuerten) Umsätzen aus dem Betrieb des Pflegeheimes entsprechend zuzuordnen.

Die dem Betrieb des Hausnotruftelefons zurechenbaren (direkt, anteilsmäßig und nach dem Umsatzschlüssel) Vorsteuern wurden für die strittigen Voranmeldungszeiträume einvernehmlich (vgl. Niederschrift mit dem Bw. vom 12. März 2007) in nachstehender Höhe (Beträge in ATS) ermittelt:

Februar bis Dezember 1998

105.672,00

Jänner bis Juli 1999

78.487,00

Somit ändern sich die abzugsfähigen Vorsteuern (ohne Einfuhrumsatzsteuer) in den angefochtenen Umsatzsteuerfestsetzungsbescheiden (02-12/1998 und 01-07/1999) wie folgt (Beträge in ATS):

 

02-12/1998

01-07/1999

Vorsteuern lt. ange- fochtene Bescheide

90.256,03

95.879,09

- Kürzung lt. BE

105.672,00

78.487,00

abzugsfähige Vor- steuern lt. BE

- 15.415,97

17.392,09

Bezüglich des Streitpunktes "Umsätze aus dem Betrieb des Pflegeheimes" wird, um Wiederholungen zu vermeiden, auf die Ausführungen des diesbezüglich abweisenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 2005, Zl. 2005/15/0070, Seiten 6 bis 10, wonach die Umsätze zu Recht dem ermäßigten Steuersatz gemäß § 10 Abs. 2 Z 15 UStG 1994 unterworfen worden seien, verwiesen.

Es war daher wie im Spruch ersichtlich zu entscheiden.

Beilage: 2 Berechnungsblätter

Graz, am 12. April 2007

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchstabe g 6. Mehrwertsteuer-Richtlinie, RL 77/388/EWG , ABl. Nr. L 145 vom 13.06.1977 S. 1

Schlagworte:

Telefonnotrufzentrale, Sozialfürsorge, Einrichtung sozialen Charakters, Gewinnerzielungsabsicht

Verweise:

VwGH 23.09.2005, 2005/15/0070
EuGH 10.09.2002, Rs C-141/00
EuGH 26.05.2005, Rs C-498/03

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