UFS RV/0429-W/06

UFSRV/0429-W/0617.7.2006

Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen, Unfallrente

 

Entscheidungstext

 

Der unabhängige Finanzsenat hat durch den Vorsitzenden Hofrat Dr. Rudolf Wanke und die weiteren Mitglieder Oberrätin Mag. Irene Eberl, Reinhold Haring und LIM Karl Harrer im Beisein der Schriftführerin Christina Seper über die Berufung des Bw., Adr., vertreten durch Dr. Wolfgang Halm, Wirtschaftstreuhänder, 1090 Wien, Berggasse 10, gegen die Bescheide des Finanzamtes Bruck Eisenstadt Oberwart, vertreten durch ADir Eva Mößner, betreffend Wiederaufnahme des Verfahren hinsichtlich Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2003 sowie Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2003 nach der am 27. Juni 2006 in 7001 Eisenstadt, Neusiedlerstraße 46, durchgeführten mündlichen Berufungsverhandlung entschieden:

Der Berufung gegen den Bescheid betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 wird Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Die Berufung gegen den Bescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2003 wird als unzulässig geworden zurückgewiesen.

Entscheidungsgründe

Der Berufungswerber (Bw) ist Beamter und bezog im Streitjahr 2003 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2004 betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2003 wurde eine Einkommensteuer (Gutschrift) in Höhe von € 797,66 festgesetzt.

Mit Bescheid vom 30. Jänner 2006 wurde das Verfahren betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2003 vom 7. Juni 2004 wiederaufgenommen. Begründend wurde ausgeführt, dass das Verfahren gemäß § 303 Abs 4 BAO wiederaufgenommen worden sei, weil von einem Arbeitgeber (pensionsauszahlende Stelle) des Bw ein berichtigter oder neuer Lohnzettel übermittelt worden sei.

In den in der Folge mit gleichem Datum erlassenen Sachbescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2003 wurde eine von der V. ausbezahlte Unfallrente in Höhe von € 12.679,20 in die Einkommensteuerbemessungsgrundlage miteinbezogen und ergab dies eine Nachforderung in Höhe von € 5.260,99.

Mit Eingabe vom 6. Februar 2006 (eingelangt beim Finanzamt am 8. Februar 2006) erhob der steuerliche Vertreter des Bw gegen die oa Bescheide Berufung. Begründend wurde ausgeführt, dass wie sich aus dem in Kopie beigelegten Bescheid der V. vom 12. Juli 2005 ergebe, der Anspruch auf Unfallrente des Bw erst mit der Erlassung dieses Bescheides gegeben gewesen sei und der Bw habe - wie sich aus der gleichfalls in Fotokopie beigefügten Aufstellung ergebe - die Nachzahlungsbeträge im Jahr 2005 erhalten.

Da jedoch im Jahr 2005 Unfallrenten steuerfrei gewesen waren und weiterhin seien, seien die Zuflussregeln des § 19 EStG in Anwendung zu bringen, d.h. dass auch der nur im Jahr 2003 steuerpflichtige Rentenbezug in einem Jahr an ihn geflossen sei, in welchem für diesen eine Steuerpflicht nicht mehr bestanden habe.

Es sei auch ein Wiederaufnahmegrund überhaupt nicht gegeben, weil bestenfalls "nova producta" nicht jedoch "novae causae repertae" vorgelegen hätten.

Somit erscheine der Bescheid über die Wiederaufnahme an sich schon rechtswidrig; aber selbst wenn dieser rechtmäßig wäre, sei der Sachbescheid, nämlich der Einkommensteuerbescheid 2003 rechtswidrig, weil dem Bw im Jahr 2003 eine Rentenzahlung nicht zugeflossen sei.

Der steuerliche Vertreter des Bw beantrage hilfsweise eine Anfrage an die V., dass tatsächlich die Zahlung erst im Jahr 2005 an den Bw erfolgt sei.

Ergänzend sei auch noch darauf hinzuweisen, dass der Bw im Jahr 2003 überhaupt noch nicht gewusst habe, dass er einen Rentenanspruch haben werde, weil sich erst im Laufe des Jahres 2005 eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Bw bei der Nachkontrolle durch die V. im März 2005 herausgestellt habe.

Im Übrigen sei der Bescheid schon deswegen rechtswidrig, weil eine Steuerpflicht nicht bestehe. Er beantrage daher die Aufhebung der angefochtenen Bescheide, die Feststellung der Besteuerungsgrundlagen an Hand seiner Steuererklärung, sowie im Falle der direkten Vorlage seines Rechtsmittels an den Unabhängigen Finanzsenat die Abhaltung einer mündlichen Berufungsverhandlung sowie die Durchführung einer Senatsentscheidung.

Die Berufung wurde ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung direkt den Unabhängigen Finanzsenat zur Entscheidung vorgelegt.

Festzuhalten ist, dass mit Bescheid vom 12. Juli 2005 von der V. dem Bw für seinen am 1. März 2002 erlittenen Unfall eine Dauerrente ab 21. März 2002 im Ausmaß von 30 vH der Vollrente - zuerkannt worden ist. Die Nachzahlung der Versehrtenrente für die Zeit vom 21. März 2002 bis 31. Mai 2005 beträgt € 48.263,98 die laufende Zahlung beginnt ab 1. Juni 2005 im Nachhinein.

In der am 27. Juni 2006 im Finanzamt Eisenstadt abgehaltenen mündlichen Berufungsverhandlung wurde ergänzend ausgeführt:

Der steuerliche Vertreter des Bw brachte vor, dass der Bw für die Unfallrente nie einen Bezugszettel für das Jahr 2003 erhalten habe. Zudem würden keine der in § 303 Abs 4 BAO genannten Gründe für eine amtswegige Wiederaufnahme gegeben sein. Welcher Wiederaufnahmsgrund vom Finanzamt herangezogen worden sei, lasse sich nicht sagen, da der Wiederaufnahmsbescheid keine Begründung enthalten würde.

Wie bereits in der Berufung ausgeführt, seien im Jahr 2005 Tatsachen neu entstanden und nicht neue Beweismittel hervorgekommen.

Die Vertreterin des Finanzamtes verwies darauf, dass der von der V. neu übermittelte Lohnzettel der Wiederaufnahmsgrund gewesen sei, was auch in der Standardbegründung enthalte.

Nach Ansicht des Finanzamtes sei das für die Unfallrente kausale Ereignis bereits im Jahr 2002 entstanden, der Bescheid der V. würde auf diesem Unfall basieren.

Der steuerliche Vertreter hielt fest, dass bereits im Jahr 2002 eine Untersuchung stattgefunden habe, als deren Ergebnis sei damals kein Anspruch auf eine Rente festgestellt worden.

Zum Beweis werde der zuständige Referent der V. genannt sowie der Chefarzt der V..

Erst bei der neuerlichen Untersuchung im Jahr 2005 habe sich herausgestellt, dass ein Unfallrentenanspruch gegeben gewesen sei.

Über die Berufung wurde erwogen:

1. Wiederaufnahme des Verfahrens:

Gemäß § 303 Abs 4 BAO ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens von Amts wegen unter den Voraussetzungen des § 303 Abs 1 lit a und c BAO und in allen Fällen zulässig, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht worden sind, und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid ergeben hätte.

Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (VwGH vom 8.3.1994, Zl 90/14/0192). Es muss somit aktenkundig sein, dass dem Finanzamt nachträgliche Tatumstände zugänglich gemacht wurden, von denen es nicht schon zuvor Kenntnis hatte.

Entscheidend ist der Wissenstand der Behörde im Zeitpunkt der Erlassung des vorangegangenen Bescheides. Es darf somit nur eine Tatsache, die der Behörde im Erstverfahren noch nicht bekannt gewesen ist, zum Gegenstand einer amtswegigen Wiederaufnahme gemacht werden. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass als dem Finanzamt bekannt geworden zu gelten hat, was sich aus den Steuerakten ergibt.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende Umstände (zB VwGH 26.1.1999, 98/14/0038; 26.7.2000, 95/14/0094); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten. Solche Tatsachen sind zB der Zufluss von Einnahmen (vgl. Ritz, BAO, Kommentar, Tz 7 f zu § 303 und die dort angeführte Judikatur).

Hat die Abgabenbehörde abgabenrechtlich bedeutsame Tatsachen nicht oder nicht vollständig ermittelt, weil sie den erhobenen Sachverhalt für ausreichend und weitere Tatsachenfeststellungen für unmaßgebend oder bedeutungslos hält, kann diesfalls das spätere Hervorkommen neuer entscheidungswesentlicher Tatsachen oder Beweismittel in Bezug auf diesen Sachverhalt einen Wiederaufnahmegrund bilden, und zwar dann, wenn bisher unbekannt gebliebene Sachverhalte überhaupt oder in ihrem vollen Ausmaß erst später bewusst und bekannt werden. Selbst wenn der Behörde an der Nichtfeststellung der maßgebenden Tatsachen oder Beweismittel im Erstverfahren vorzuwerfen ist, bildet die spätere Feststellung einen Wiederaufnahmegrund (vgl. Stoll, BAO, Kommentar, § 303, 2932).

Wiederaufnahmsgründe sind nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung existente Tatsachen, die später hervorkommen (nova reperta). Später entstandene Umstände (nova producta) sind keine Wiederaufnahmsgründe (zB VwGH 23.9.1997, 93/14/0065; 20.11.1997, 96/15/0221).

Im gegenständlichen Fall stützt das Finanzamt seine Wiederaufnahme im Wesentlichen darauf, dass ein neuer Lohnzettel von der V. übermittelt worden und das für die Unfallrente kausale Ereignis bereits im Jahr 2002 entstanden sei. Zudem würde der Bescheid der V. aus dem Jahr 2005 auf dem Unfall basieren.

Nach Ansicht des Senates übersieht das Finanzamt jedoch dabei, dass nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existente Tatsachen bzw Beweismittel Wiederaufnahmsgründe sind. Nach der Bescheiderlassung neu entstandene Tatsachen (sogenannte novae causae supervenientes) oder später zustandegekommene Beweismittel bilden keine taugliche Grundlage für eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass der von der V. ergangene Bescheid vom 12. Juli 2005, in welchem ausgesprochen wurde, dass dem Bw aufgrund des Dienstunfalles rückwirkend eine Unfallrente zugesprochen wird, keinen tauglichen Wiederaufnahmsgrund darstellt. Dies deswegen, weil dieser erst nach der Rechtskraft des Einkommensteuerbescheides vom 7. Juni 2004 ergangen ist. Erst die Untersuchung im Jahr 2005 zeigte die Verschlechterung des Leidens, die den Pensionsanspruch begründet, während die Untersuchung im Jahr 2002 keinen Rentenanspruch nach sich zog. Es ist daher davon auszugehen, dass die pensionsrelevante Verschlechterung erst im Jahr 2005 eingetreten ist. Wiederaufnahmsgrund kann nur eine im Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits existente Tatsache oder Beweismittel sein und nicht erst eine später neu hervorgekommene.

Es ist daher dem steuerlichen Vertreter des Bw beizupflichten, wenn er ausführt, dass der Bw im Jahr 2003 überhaupt noch nicht gewusst habe, dass er einen Rentenanspruch haben werde, weil sich erst im Laufe des Jahres 2005 eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes herausgestellt habe, welche sich dann auch in der Bescheiderlassung durch die V. im Jahr 2005 und die rückwirkende Zuerkennung einer Unfallrente niedergeschlagen hat.

2. Einkommensteuer für das Jahr 2003:

Da aufgrund er oa Ausführungen eine Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Einkommensteuer für das Jahr 2003 nicht zulässig ist, scheidet der Bescheid betreffend Einkommensteuer für das Jahr 2003 (vom 30. Jänner 2006) aus dem Rechtsbestand aus. Die Berufung gegen den nicht mehr dem Rechtsbestand angehörigen Bescheid ist daher gemäß § 273 BAO als unzulässig (geworden) zurückzuweisen.

Der Sachbescheid vom 7. Juni 2004 lebt wieder auf.

Es war daher aus oa Gründen spruchgemäß zu entscheiden.

Ergeht auch an Finanzamt

Wien, am 17. Juli 2006

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht

betroffene Normen:

§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

Wiederaufnahmegründe, Bescheiderlassung, neu entstandene Tatsachen, neu zustande gekommene Beweismittel

Stichworte