Unzumutbarkeit der Verlegung des Familienwohnsitzes aus wirtschaftlichen Gründen
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Herrn x.y., vom 19. Juli 2004, gegen den Bescheid des Finanzamtes Judenburg Liezen vom 16. Juni 2004, betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2003, entschieden:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgaben sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber hat am 18. Februar 2004 bei seinem zuständigen Wohnsitzfinanzamt eine Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung für 2003 eingebracht, mit der er Aufwendungen für so genannte Familienheimfahrten an den Familienwohnsitz in Bosnien - Herzegowina in der Höhe von 3.500,00€ als Werbungskosten im Sinn des § 16 EStG 1988 geltend gemacht hat.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16 Juni 2004 hat das Finanzamt dieses Begehren im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Berufungswerber seit vielen Jahren in Österreich beschäftigt sei und keine Anhaltspunkte bestünden, dass Anstrengungen unternommen worden wären, den Familienwohnsitz nach Österreich zu verlegen. Da auch ein in der Vergangenheit an den Berufungswerber gerichteter Vorhalt unbeantwortet geblieben war, könne davon ausgegangen werden, dass private Erwägungen für die Entscheidung ausschlaggebend gewesen seien, den Familienwohnsitz im Ausland beizubehalten.
In der dagegen fristgerecht eingebrachten Berufung führt der Berufungswerber durch seinen bevollmächtigten Vertreter auszugsweise aus:
"Wie aus der in den Jahren 1998 bis 2002 vorgelegten Bescheinigung samt begl. Übersetzung hervorgeht, hat der Berufungswerber in Bosnien - Herzegowina eine kleine Landwirtschaft, welche für die Dauer der berufsbedingten Abwesenheit des Berufungswerbers in Österreich dessen Ehefrau bewirtschaften muss"
In der Folge wird mit dem Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 8.10.2003, G 119, 120/03, und mit einem weiteren Hinweis auf den Umstand, dass der Berufungswerber am Beschäftigungsort in Österreich nur über eine kleine Schlafstelle verfügt und die er sich überdies mit Arbeitskollegen geteilt habe, ausgeführt, dass und weshalb ein Antrag der Ehegattin des Berufungswerbers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung in Österreich zum Scheitern verurteilt gewesen wäre.
Nach zweimaliger Aufforderung des Finanzamtes, bestimmte Fragen zu beantworten, erschien der Berufungswerber am 1. November 2004 beim Finanzamt und erklärte dort (auszugsweise) zur Niederschrift:
"Ich besitze in meiner Heimatstadt Cukali, Srbac, Bosnien, eine kleine Landwirtschaft im Ausmaß von etwa 2 ha und besitze eine Kuh und etliche Schweine, welche ausschließlich der Eigenversorgung dienen. Diese Landwirtschaft wird von meiner Frau und den Kindern betreut. Diese Landwirtschaft wirft - außer der Eigenversorgung - keine Erträge ab. Meine Ehegattin hat keine eigenen Einkünfte.
Ich bin seit dem Jahre 1973 in Österreich und zwar ausschließlich bei der Firma z in Liezen tätig. In den Wintermonaten bezog ich Arbeitslosengeld. Die Baustelleneinsätze waren in den letzten 10 Jahren im Raum Liezen, wobei eine tägliche Heimfahrt zur Unterkunftstelle mit dem Firmenbus erfolgte. ... Ich habe niemals eine Zuzugsbewilligung für die Ehegattin beantragt bzw. Vorkehrungen für eine Verlegung des Familienwohnsitzes nach Österreich getroffen. Die Beibehaltung des Familienwohnsitzes in Bosnien ist privat veranlasst. Die Ehegattin hat keine Interesse an einer Übersiedlung nach Österreich. Während des Arbeitslosengeldbezuges habe ich mich überwiegend im Liezener Quartier aufgehalten. Seit August 2004 lebe ich in einer Mietwohnung in Liezen, ... (gemeinsam mit einem ehemaligen Arbeitskollegen). Im November 2004 erhielt ich meinen Pensionsbescheid (Pensionsbezug ab August 2004) von der PVA Graz. ..."
Aus einer aktenkundigen Ablichtung des Bescheides der Pensionsversicherungsanstalt, Landesstelle Steiermark, vom 29. Oktober 2004, geht hervor, dass dem Berufungswerber der Anspruch auf Invalididätspension ab 1. August 2004 anerkannt worden war. Die Pension wurde für den Monat August mit 637,93€, für die Zeit ab 1. September 2004 mit monatlich 680,60€ festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2004 reichte der bevollmächtigte Vertreter des Berufungswerbers eine Bestätigung nach, aus der hervorgeht, dass der Berufungswerber "zumindest seit dem Jahre 1998 bis Mai 2004" in einer Firmenunterkunft gewohnt hat. Er habe sich den Schlafraum mit mehreren Arbeitskollegen teilen müssen. Die Arbeitsquartiere seien ausschließlich den Arbeitern des Arbeitgebers zur Verfügung gestanden, die Unterbringung betriebsfremder Personen sei verboten gewesen.
Eine eingeholte Meldeauskunft hat schließlich ergeben, dass sich der Berufungswerber mit 2. September 2004 aus dem Bundesgebiet abgemeldet hat.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 16 Abs. 1 EStG 1988 sind Werbungskosten allgemein die Aufwendungen oder Ausgaben zur Erwerbung, Sicherung oder Erhaltung der Einnahmen. Sie sind bei der Einkunftsart abzuziehen, bei der sie erwachsen sind. Hingegen dürfen gemäß § 20 Abs. 1 EStG 1988 die für den Haushalt des Steuerpflichtigen und für den Unterhalt seiner Familienangehörigen aufgewendeten Beträge und Aufwendungen oder Ausgaben für die Lebensführung, selbst wenn sie die wirtschaftliche oder gesellschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt und sie zur Förderung des Berufes oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfolgen, bei den einzelnen Einkünften nicht abgezogen werden.
Liegt der Familienwohnsitz des Steuerpflichtigen außerhalb der üblichen Entfernung vom Beschäftigungsort, so können Familienheimfahrten vom Wohnsitz am Arbeitsort zum Familienwohnsitz unter bestimmten Voraussetzungen Werbungskosten sein, nämlich dann, wenn die Beibehaltung des Wohnsitzes außerhalb der üblichen Entfernung vom Arbeitsort aus beruflichen Gründen erfolgt. Ist die Wahl oder Beibehaltung des Familienwohnsitzes außerhalb der üblichen Entfernung vom Beschäftigungsort hingegen auf der privaten Sphäre zuzuordnende Gründe zurückzuführen, sind die daraus entstandenen Aufwendungen nicht abzugsfähig (vgl. VwGH 15.12.1994, 93/15/0083, und die dort zitierte Vorjudikatur).
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 18.10.2005, 2005/14/0046, zum wiederholten Male ausgesprochen hat, ist die Beibehaltung des Familienwohnsitzes aus der Sicht jener Erwerbstätigkeit, die in unüblicher Entfernung von diesem Wohnsitz ausgeübt wird, niemals durch diese Erwerbstätigkeit, sondern immer durch Umstände veranlasst, die außerhalb dieser Erwerbstätigkeit liegen. Berufliche Veranlassung der mit der doppelten Haushaltsführung verbundenen Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen und deren daraus resultierende Qualifizierung als Werbungskosten liegen nach ständiger Rechtsprechung nur dann vor, wenn dem Steuerpflichtigen die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Ort seiner Beschäftigung nicht zuzumuten ist, wobei die Unzumutbarkeit unterschiedliche Ursachen haben kann. Die Unzumutbarkeit der Wohnsitzverlegung kann ihre Ursache auch in weiteren Erwerbstätigkeiten des Steuerpflichtigen haben (vgl. etwa VwGH 28.9.2004, 2001/14/0178).
Der Berufungswerber hat in der Berufungsschrift aufgezeigt, dass seine Frau am Familienwohnsitz in Bosnien-Herzegowina für ihn seinen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb bewirtschaftet, welcher ausschließlich der Eigenversorgung der Familie mit landwirtschaftlichen Produkten dient. Für die Beurteilung der Bedeutung der Eigenversorgung einer Familie durch eine Landwirtschaft sind auch die wirtschaftlichen Umstände in dem betreffenden Land zu berücksichtigen. Diese werden für hier in Bosnien - Herzegowina wie folgt beschrieben: "Die Lebenshaltungskosten sind nicht wesentlich geringer als in der Bundesrepublik Deutschland, sodass ein Viertel bis ein Fünftel der Bevölkerung unter der Armutsschwelle lebt, was in diesem Fall bedeutet, dass ihr Einkommen nicht einmal für den Kauf der benötigten Lebensmittel ausreicht." (www.isoplan.de/mi/bh/bh7 , mit der Quellenangabe "bfai").
Angesichts dieses Umstandes vertritt der unabhängige Finanzsenat die Auffassung, dass in Bosnien - Herzegowina auch einer kleinen Landwirtschaft im Ausmaß von nur rd. 2 ha besonders große wirtschaftliche Bedeutung zukommt, ist doch auch schon ein derart kleiner landwirtschaftlicher Betrieb geeignet, eine Familie mit den den sonst kaum leistbaren Lebensmitteln zu versorgen.
Schließlich ist aktenkundig, dass der Berufungswerber seit 16. Dezember 2003 keiner Arbeit mehr nachgehen konnte, sondern nur Arbeitslosengeld und Krankengeld bezog. Seit seiner krankheitsbedingten Pensionierung per 1. August 2004 bezieht er eine Invalididätspension von monatlich ca. 680,00€.
Es kann kein Zweifel bestehen, dass es dem Berufungswerber wirtschaftlich ungleich leichter fällt, den Unterhalt für sich und seine Ehegattin in Bosnien - Herzegowina zu bestreiten, wo er wohnversorgt ist und wo auch der Eigenbedarf an Lebensmitteln weitgehend aus der eigenen kleinen Landwirtschaft gesichert ist, als einen gemeinsamen Familienwohnsitz in Österreich zu nehmen. Auf die vom Vertreter des Berufungswerbers hingewiesene Erschwernis, wenn nicht für längere Zeit sogar Unmöglichkeit, eine Niederlassungsbewilligung für die Ehegattin des Berufungswerbers in Österreich zu erhalten, sei hier noch ergänzend hingewiesen.
Bei dieser Sachlage erweist sich die im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck gebrachte Ansicht des Finanzamtes, die Verlegung des Familienwohnsitzes an den Arbeitsort des Beschwerdeführers in Liezen sei zumutbar gewesen, nach Auffassung des unabhängigen Finanzsenates als unzutreffend (vgl. dazu das zu einem im Wesentlichen gleichen Sachverhalt ergangene Erkenntnis des VwGH vom 18.10.2005, 2005/14/0046, und Zorn, "Familienheimfahrt: Übersiedlung aus Bosnien unzumutbar?", in RdW 2005, 784, Heft 12 vom 15.12.2005).
Im Folgenden bleibt noch die Höhe der als Werbungskosten abzuziehenden Kosten der Familienheimfahrten festzustellen. Der Berufungswerber am 1. November 2004 im Finanzamt zur Niederschrift erklärt: " ...Die Heimfahrten wurden in den vergangenen Jahren durchschnittlich alle zwei Wochen vorgenommen. Als Verkehrsmittel diente überwiegend ein Bus aus Linz; die Fahrtkosten betrugen durchschnittlich 50€ für die Hin- und Rückfahrt. Wenn kein Platz mehr vorhanden war, fuhr ich mit Arbeitskollegen in deren PKW mit, welche ebenfalls durchschnittlich 50€ für die Hin- und Rückfahrt verlangten. ..."
Da sich diese Kosten im Wesentlichen mit den der Bahnreise decken, hat der unabhängige Finanzsenat keinen Zweifel an der Richtigkeit der Angaben. Auch scheint die Anzahl der in einer Beilage zur Erklärung mit 22 angegebenen Anzahl der Heimreisen bei der Entfernung von rund 470 km zwischen Arbeitsort und Familienwohnort angesichts der persönlichen Verhältnisse des Berufungswerbers glaubhaft und angemessen.
Die Kosten der Familienheimfahrten betrugen daher im Kalenderjahr 2003 insgesamt 1.100,00€ (22 Fahrten mit Kosten von je 50,00€) und sind in dieser Höhe als Werbungskosten von seinen Einkünften des Jahres 2003 abzuziehen.
Da der Berufungswerber die Fahrtkosten mit insgesamt 3.520€ beziffert hat, diese jedoch tatsächlich nur 1.100,00€ betrugen, konnte der Berufung, wie im Spruch geschehen, insgesamt nur teilweise Folge gegeben werden.
Beilage: 1 Berechnungsblatt
Graz, am 7. Juli 2006
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 16 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Schlagworte: | Bosnier, Familienheimfahrten, Kaufkraft, Selbstversorger, Bauer, Landwirtschaft, Pension |
Verweise: |