Begünstigung für Auslandsmontage für Arbeitnehmer eines Schweizer Arbeitgebers aufgrund des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz?
Entscheidungstext
Der unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung des Bw, vertreten durch StbGes, vom 8. Mai 2006 gegen den Bescheid des Finanzamtes X vom 20. April 2006 betreffend Einkommensteuer 2004 entschieden:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil dieses Bescheidspruches.
Entscheidungsgründe
Der Berufungswerber (Bw) erzielte im Jahr 2004 nichtselbständige Einkünfte von einem Schweizer Arbeitgeber, die sich aus drei Kategorien zusammensetzten (vgl Telefax vom 3. April 2006, ANV-Akt Bl 3f und Berufungsschrift):
1.) Einkünfte für Innendienst in der Schweiz, wofür das Besteuerungsrecht unstrittig nicht bei Österreich liegt;
2.) Einkünfte für Montageeinsätze im Ausland (von der Schweiz aus betrachtet, dh inkl Österreich) mit bis einem Monat Aufenthalt im Staat des jeweiligen Einsatzlandes, wofür das Besteuerungsrecht unstrittig bei Österreich liegt;
3.) Einkünfte für zwei Montageeinsätze in Asien von jeweils mehr als einem Monat, wobei offenbar unstrittig wäre, dass der Bw hierfür die Steuerbefreiung gemäß § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 erhielte, wenn er bei einem österreichischen Arbeitgeber iSd § 3 Abs 1 Z 10 lit a EStG 1988 beschäftigt wäre.
Dem angefochtenen, mit 20. April 2006 datierten Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2004 legte das Finanzamt - in Österreich steuerpflichtige - Einkünfte in Höhe der Summe der o.a. Einkünftekategorien 2 und 3 zugrunde; zur Ermittlung des anzuwendenden (Durchschnitts-)Steuersatzes (für den Progressionsvorbehalt gemäß Art 23 Z 1 DBA Ö-CH) wurden auch die o.a. Einkünfte der Kategorie 1 herangezogen.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2006, eingebracht am 12. Mai 2006 (ANV-Akt Bl 13ff) wurde Berufung gegen diesen Bescheid erhoben mit der Anfechtung der Nichtgewährung der Steuerbefreiung gemäß § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 für die beiden, datumsmäßig dargestellten Montageeinsätze in Asien der o.a. Einkünftekategorie 3 und dem Begehren nach Ansatz der steuerpflichtigen Einkünfte laut Erklärung mit dem Betrag laut o.a. Einkünftekategorie 2.
Begründend wurde vorgebracht, dass der einzige Grund für die Nichtanwendung der Steuerbefreiung gemäß § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 durch das Finanzamt darin liege, dass der Arbeitgeber des Bw seinen Sitz im Ausland und keine inländische Betriebsstätte habe. Die Einschränkung der Begünstigung auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe sei wegen Ungleichbehandlung verfassungswidrig. Weiters wurde auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art 39 EGV, die Berufungsentscheidung des UFS vom 5. Oktober 2005 zu GZ. RV/0016-F/04 sowie das Freizügigkeitsabkommen (FZA) zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, in Kraft seit 1. Juni 2002, hingewiesen.
Bei der Vorlage der Berufung an den UFS verwies das Finanzamt darauf, dass die Steuerbefreiung des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 nach ihrem eindeutigen Wortlaut nur auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe anwendbar sei.
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß der für das Streitjahr 2004 anzuwenden Fassung des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 (vor BGBl I 2005/161 - AÄG 2005) sind von der Einkommensteuer befreit: "Einkünfte, die Arbeitnehmer inländischer Betriebe (lit. a) für eine begünstigte Auslandstätigkeit (lit. b) von ihren Arbeitgebern beziehen, wenn die Auslandstätigkeit jeweils ununterbrochen über den Zeitraum von einem Monat hinausgeht.
a) Inländische Betriebe sind Betriebe von inländischen Arbeitgebern oder inländische Betriebsstätten von im Ausland ansässigen Arbeitgebern.
b) Begünstigte Auslandstätigkeiten sind die Bauausführung, Montage, Montageüberwachung, Inbetriebnahme, Instandsetzung und Wartung von Anlagen, die Personalgestellung anläßlich der Errichtung von Anlagen durch andere Unternehmungen sowie die Planung, Beratung und Schulung, soweit sich alle diese Tätigkeiten auf die Errichtung von Anlagen im Ausland beziehen, weiters das Aufsuchen und die Gewinnung von Bodenschätzen im Ausland."
Die Neufassung der lit b durch das AÄG 2005 ist gemäß § 124b Z 128 EStG 1988 idF BGBl I 2005/161 erstmalig auf die Veranlagung des Jahres 2006 anzuwenden, nicht daher auf das Streitjahr 2004.
Der zitierte Gesetzeswortlaut stünde nach den traditionellen innerstaatlichen Interpretationsregeln einer Anwendung der ggstdl Begünstigung auf den Fall des Bw entgegen. Eine verfassungskonforme Auslegung, die nur innerhalb des äußersten Wortsinnes möglich wäre, in Richtung des Berufungsbegehrens des Bw ist daher unmöglich.
Die laut Berufung gegebene Verfassungswidrigkeit des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 ist kein vom unabhängigen Finanzsenat aufgreifbares Argument, weil der Verfassungsgerichtshof das Monopol für die Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit von einfachgesetzlichen Bestimmungen hat.
Der Bw beruft sich aber auch auf europäisches Gemeinschaftsrecht und das davon abgeleitete FZA ("Abkommen zwischen der Europaeischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits ueber die Freizuegigkeit" vom 21. Juni 1999, in Kraft getreten am 1. Juni 2002). Jedenfalls dadurch unterscheidet sich der Fall des Bw von der Entscheidung des UFS vom 16. September 2004 zur GZ. RV/0165-F/03 laut FINDOK, deren Rechtssatz sich im vorgelegten Akt des Finanzamtes befindet.
Die Berufung des Einzelnen (als seine Willensentscheidung) auf innerstaatlich nicht umgesetztes Gemeinschaftsrecht - ähnlich dem ggstdl Vorbringen - erscheint etwa nach den Ausführungen des EuGH vom 19.1.1982, Rs 8/81 "Becker", Randnrn 25, 42 und 45 als wesentlich: "... können sich die Einzelnen in Ermangelung von fristgemäß erlassenen Durchführungsmaßnahmen auf Bestimmungen einer Richtlinie, die inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, gegenüber allen innerstaatlichen, nicht richtlinienkonformen Vorschriften berufen; Einzelne können sich auf diese Bestimmungen auch berufen, soweit diese Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht werden können ... In diesem Zusammenhang macht die Verwaltung in erster Linie geltend, die in der Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung könne je nach den Umständen für denjenigen, dem sie zustehe, ungünstig sein ... Die von der beklagten Verwaltung ... auf eine Störung der regelmäßigen Abwälzung der Mehrwertsteuerbelastung gestützten Argumente sind mithin nicht stichhaltig, wenn ein Steuerpflichtiger seinen Willen bekundet hat, die Steuerbefreiung nach der Richtlinie in Anspruch zu nehmen, und im übrigen die Konsequenzen seiner Entscheidung trägt."
Bei Vorrang des europäischen Gemeinschaftsrechtes wäre die entgegenstehende innerstaatliche Vorschrift nicht anzuwenden - im Sinne der Berufung wären also die Worte "inländisch(e/n)" in § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 nicht anzuwenden.
Dementsprechend wurde in der Entscheidung des UFS vom 5. Oktober 2005 zur GZ. RV/0016-F/04, auf die auch in der vorliegenden Berufung verwiesen wird, einem von seinem deutschen Arbeitgeber ins Ausland zur Montage entsandten österreichischen Arbeitnehmer die Begünstigung des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 gewährt. Weiters wurde in dieser Entscheidung des UFS auch begründet, warum § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 - zumindest in der auch für das Jahr 2004 anzuwendenden Fassung - keine verbotene Beihilfe darstellt, wobei auch in der vorliegenden Entscheidung diesen Argumenten gefolgt wird:
Artikel 87 EGV (vormals Artikel 92 EG) bestimmt: "Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche Beihilfen, gleich welcher Art, die durch Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen."
Sind die Voraussetzungen erfüllt, so ist die staatliche Maßnahme grundsätzlich gemeinschaftsrechtlich verboten. Eine Maßnahme kann allerdings von der Kommission nach Art 87 Abs. 2 und Abs. 3 EGV genehmigt werden. Neue Beihilfen, d.s. alle nach dem Beitrittstag zur Gemeinschaft gesetzten Maßnahmen, müssen von der Kommission schon vor ihrer Durchführung zur Beurteilung angemeldet werden. Unterbleibt diese Notifizierung, greift das unmittelbar anwendbare Durchführungsverbot des Art 88 Abs. 3 Satz 3 EGV.
Für Altbeihilfen - also alle schon zum Beitrittsjahr bestehenden Beihilfenregelungen - sieht Art 88 Abs.1 EGV dagegen lediglich eine fortlaufende Überprüfung durch die Kommission vor. Bis zum Erlass einer ausdrücklichen kommissionellen Unvereinbarkeitsbescheinigung gelten derartige Altbeihilfen als rechtmäßig und können nicht vor nationalen Instanzen zu Fall gebracht werden (vgl. SWI 2004, 4). Die in Rede stehende Vorschrift wurde mit BGBl. 1979/550 am 18. Dezember 1979 in § 3 Z 14a in das EStG 1972 aufgenommen und inhaltsgleich in das Einkommensteuergesetz 1988 übernommen. Die Steuerbefreiung des § 3 Z 10 EStG 1988 gilt daher, wenn sie denn überhaupt als staatliche Beihilfe eingestuft werden sollte (diese Frage kann hier offen bleiben), jedenfalls als Altbeihilfe im Sinne des oben Ausgeführten. Da eine kommissionelle Unvereinbarkeitsbescheinigung nicht vorliegt, ist diese Beihilfe als erlaubte Beihilfe anzusehen.
Aus der aufgrund der UFS-Entscheidung vom 5.10.2005, RV/0016-F/04, gegebenen Anwendbarkeit der ggstdl Begünstigung für in Österreich steuerpflichtige Arbeitnehmer auch im Fall der Beschäftigung bei einem in einem anderen Mitgliedschaft ansässigen Arbeitgeber schloss Feurstein in SWK 2005, S 972, dass dies aufgrund des zwischen der EG und der Schweiz abgeschlossenen Abkommens vom 21. Juni 1999 auch auf die Schweiz anwendbar sei, da nach ständiger Rechtsprechung des EuGH die internationalen Verträge gemeinschaftsintern einen integralen Bestandteil des acquis communautaire bildeten.
Soeben ist die stattgebende Entscheidung des UFS vom 29. Mai 2006 zur GZ. RV/0028-F/06 bekanntgeworden, die sachverhaltsmäßig dem Fall des Bw entspricht. Der im folgenden dargestellten rechtlichen Würdigung in der Entscheidung vom 29. Mai 2006 wird auch in der vorliegenden Entscheidung für den Fall des Bw gefolgt und dementsprechend dessen Berufung stattgegeben.
In seiner Entscheidung vom 5.10.2005, RV/0016-F/04, UFSaktuell 2005/Nr. 11-12, S 393 ff., hat der unabhängige Finanzsenat entschieden, dass die Einschränkung der Steuerfreiheit für Auslandsmontage auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe in § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 gegen den Grundsatz der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art 39 EGV verstoße und der auf die begünstigte Montagetätigkeit außerhalb Deutschlands entfallende Gehaltsteil eines (bei einem deutschen Unternehmen beschäftigten) Servicetechnikers mit Wohnsitz in Österreich somit steuerfrei zu belassen sei. Im vorliegenden Fall ist nun strittig, ob die Steuerfreiheit bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 auch zu gewähren ist, wenn der im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer bei einem Schweizer Arbeitgeber beschäftigt ist.
(Zum verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz siehe bereits oben.)
Der Berufungswerber begründet sein Vorbringen weiters mit dem Abkommen über den freien Personenverkehr zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits (Freizügigkeitsabkommen). Dieses Abkommen wurde am 21. Juni 1999 abgeschlossen und ist gemeinsam mit sechs weiteren sektoriellen Abkommen am 1. Juni 2002 in Kraft getreten. Formell handelt es sich bei diesem Abkommen um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft bzw. deren Mitgliedstaaten. Laut seiner Präambel bezweckt das Abkommen, die Freizügigkeit der Personen auf dem Hoheitsgebiet der Vertragsparteien auf der Grundlage der in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen. Dieses Ziel soll durch folgende Rechte erreicht werden (Art 1 des Freizügigkeitsabkommens):
a) Einräumung eines Rechtes auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien;
b) Erleichterung der Erbringung von Dienstleistungen im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien, insbesondere Liberalisierung kurzzeitiger Dienstleistungen.
c) Einräumung eines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien für Personen, die im Aufenthaltsstaat keine Erwerbstätigkeit ausüben;
d) Einräumung der gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer.
Artikel 2 FZA sowie Artikel 9, 15 und 19 Anhang I FZA normieren ein Diskriminierungsverbot.
Gemäß Artikel 11 Abs. 1 und 2 FZA haben die unter das Abkommen fallenden Personen das Recht, zur Durchsetzung ihrer Ansprüche unter dem FZA bei den zuständigen Behörden Beschwerde einzulegen, und Anspruch darauf, dass diese innert angemessener Frist behandelt wird.
Nach Artikel 16 Abs 1 FZA treffen die Vertragsparteien zur Erreichung der Ziele des Abkommens alle erforderlichen Maßnahmen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden. Und Artikel 16 Abs 2 FZA statuiert, dass, soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechtes herangezogen werden, die hierfür einschlägige Rechtsprechung der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt wird. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet.
Aus diesen Bestimmungen ergibt sich nach Meinung des unabhängigen Finanzsenates, dass mit dem Freizügigkeitsabkommen die Personenfreizügigkeit, wie sie nach den in der Europäischen Gemeinschaft geltenden Bestimmungen verwirklicht wird, auch gegenüber der Schweiz hergestellt wird.
Konkret handelt es sich dabei um folgende Freiheiten:
- Freizügigkeit der Arbeitnehmer (entspricht Art 39 EGV)
- Niederlassungsfreiheit der Selbständigerwerbenden (entspricht Art 43 EGV)
- Dienstleistungsfreiheit für bestimmte natürliche oder juristische Personen (auf der Basis von Art 49 EGV).
Weiters ergibt sich, dass das Abkommen direkt anzuwenden ist und dass sich jede unter das Abkommen fallende Person unmittelbar auf die durch das Abkommen gewährleisteten Rechte berufen kann.
Diese durch das Abkommen gewährleisteten Freizügigkeitsrechte sind auch für das Steuerrecht relevant. Nach Artikel 9 Abs 2 Anhang I FZA genießen ein Arbeitnehmer und seine in Artikel 3 dieses Anhangs genannten Familienangehörigen die gleichen steuerlichen Vergünstigungen wie entsprechende Inländer und deren Familienangehörigen. Diese Bestimmung entspricht Artikel 7 Abs 2 der Verordnung EWG Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. Auch der EuGH hat wiederholt darauf hingewiesen, dass die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fallen, dass diese Zuständigkeit aber unter Wahrung des Gemeinschaftsrechtes auszuüben ist. Die im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften enthaltenen Grundfreiheiten sind daher auch im Einkommensteuerrecht zu beachten (vgl. ua EuGH 14.2.1995, Rs C-279/93 , Schumacker).
Wie gesagt, ist mit dem Freizügigkeitsabkommen eine Gleichstellung mit den in den Europäischen Gemeinschaften geltenden Personenfreiheiten hergestellt. Eine wesentliche Personenfreiheit im Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaften wie auch im Freizügigkeitsabkommen ist die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 39 EGV; Art 1 und 2 FZA und Art 2 Anhang I FZA). Sowohl Art 39 EGV als Art 1 und 2 FZA und Art 2 Anhang I FZA enthalten ihrem Wortlaut nach nur ein Diskriminierungsverbot. Der EuGH betrachtet steuerliche Maßnahmen aber selbst dann als diskriminierend, wenn zwar eine steuerliche Vorschrift nicht unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpft, aber die Gefahr besteht, dass sich eine steuerliche Regelung besonders zum Nachteil von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirkt. Die Vorschriften über die Gleichbehandlung verbieten daher nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Diskriminierungen, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen könnten (vgl. zB EuGH 14. 2. 1995, Rs C-279/93 , Schumacker, Randnummer 26). Darüber hinaus hat der EuGH seit dem Urteil vom 15.12. 1995, Rs C-415/93 , Bosman, das Diskriminierungsverbot zu einem Beschränkungsverbot erweitert. Danach sollen sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen. Vorschriften, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher eine Beschränkung dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden. Auch wenn die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer nach ihrem Wortlaut insbesondere die Inländerbehandlung im Aufnahmestaat sichern sollen, verbieten sie es doch auch, dass der Herkunftsstaat die freie Annahme und Ausübung einer Beschäftigung durch einen seiner Staatsangehörigen in einem anderen Staat behindert (vgl. EuGH 12.12.2002, Rs C-385/00 , F.W.L. de Groot, Randnummern 77 und 78, und EuGH 13.11.2003, Rs C-209/01 , Schilling, Randnummern 24 und 25). Da die Rechtsprechung des EuGH zum Beschränkungsverbot bereits zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Freizügigkeitsabkommens bestanden hat, war diese gemäß Art. 16 Abs. 2 FZA auch bei der Interpretation der Arbeitnehmerfreizügigkeit nach dem Freizügigkeitsabkommens zu beachten. Dass dieses Beschränkungsverbot im Freizügigkeitsabkommen nur hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit (Art. 17a Anhang I FZA) ausdrücklich enthalten ist, schadet dem nicht, da auch der EGV das Beschränkungsverbot im Zusammenhang mit der Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich erwähnt und hinsichtlich der Arbeitnehmerfreizügigkeit lediglich ein Diskriminierungsverbot enthält.
Die Einschränkung der Steuerfreiheit des § 3 Abs. 1 Z 10 EStG 1988 auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe stellt daher auch eine Beschränkung der durch das Freizügigkeitsabkommen gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit dar.
Allerdings sind Beschränkungen der Personenfreizügigkeit nur dann unzulässig, wenn sie ungerechtfertigt sind. Rechtfertigungsgründe sind im Freizügigkeitsabkommen selbst, und zwar in Art. 5 Anhang I FZA (ordre public) und in Art. 21 FZA vorgesehen. Eine Rechtfertigung der Einschränkung des § 3 Abs. 1 Z 10 EStG 1988 aus Gründen der Wahrung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit (ordre public) ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Relevanter scheint der Rechtfertigungsgrund des Art. 21 Abs. 2 FZA. Danach ist keine Bestimmung dieses Abkommens so auszulegen, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich - insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes - nicht in vergleichbaren Situationen befinden. Dieser Rechtfertigungsgrund greift im vorliegenden Fall nicht. Denn hinsichtlich ihres Wohnsitzes sind Arbeitnehmer im Sinne des § 3 Abs 1 Z 10 EStG ja gerade in der gleichen und nicht nur vergleichbaren Situation. Der Unterschied besteht nur hinsichtlich des Ortes des Betriebes des Arbeitgebers. Dieser Unterschied erlaubt aber nach Ansicht des unabhängigen Finanzsenates keine Ungleichbehandlung, denn die Wendung "insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes" lässt darauf schließen, dass eine Differenzierung bei der Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse beschränkt Steuerpflichtiger ermöglicht werden soll. Auch nach der herrschenden Schweizer Lehrmeinung erlaubt Art. 21 Abs. 2 FZA eine Ungleichbehandlung in der Form, dass bei beschränkt steuerpflichtigen Personen nach dem Anteil ihrer Einkünfte im Aufnahmestaat eine Quellenbesteuerung anstelle einer Veranlagung vorgenommen werden kann (vgl. Hinny, Das Diskriminierungsverbot des Personenfreizügigkeitsabkommens im Schweizer Steuerrecht, S 179 ff.).
Zu prüfen ist weiter, ob die in Frage stehende Einschränkung aufgrund des EGV gerechtfertigt werden kann. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist eine Einschränkung (ergänzt) der Arbeitnehmerfreizügigkeit nur dann gerechtfertigt, wenn sie einen berechtigten Zweck verfolgt, der mit dem Vertrag vereinbar und aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In einem derartigen Fall muss die Anwendung einer solchen Maßnahme auch geeignet sein, die Verwirklichung des in Rede stehenden Zweckes zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist (vgl. zB EuGH 30.11.1995, C-55/94 , 17.3.2005, Rs C-109/04 ). Als Rechtfertigungsgründe anerkennt der EuGH insbesondere die Kohärenz des Steuersystems und die Wirksamkeit der Steueraufsicht.
Von einer Kohärenz eines Steuersystems wird gesprochen, wenn steuerliche Vorschriften so aufeinander abgestimmt sind, dass ein steuerlicher Vorteil durch einen steuerlichen Nachteil ausgeglichen wird. Mit dem Urteil vom 28.1.1992, Rs C-204/90 , Bachmann, hat der EuGH eine derartige Kohärenz als Rechtfertigungsgrund zugelassen. Das Finanzamt sieht nun im vorliegenden Fall eine steuerliche Kohärenz dadurch gegeben, dass dem Steuervorteil beim Arbeitnehmer ein Steuernachteil beim Arbeitgeber gegenübersteht, indem infolge der Entlastung bei den Lohnkosten durch die Steuerfreiheit beim Arbeitgeber höhere Gewinne entstehen, die in der Folge zu einer höheren Besteuerung führen. Diesen Überlegungen vermag der unabhängige Finanzsenat nicht zu folgen. In einem derartig weiten und nur vagen Zusammenhang steuerlicher Wirkungen kann keine steuerliche Kohärenz gesehen werden. Von einer solchen könnte nur dann gesprochen werden, wenn der Befreiungsbestimmung des § 3 Abs. 1 Z 10 EStG 1988 eine Bestimmung gegenüber stünde, die mit der Steuerfreiheit direkt korrespondieren und den Steuervorteil wieder kompensieren würde. Das ist aber nicht der Fall. (Anm: Unter "Finanzamt" im Sinne dieses Absatzes ist das vorlegende Finanzamt zur GZ. RV/0028-F/06 und nicht das Finanzamt X zu verstehen; das Eingehen auf das Vorbringen des ersteren ist aber auch für die vorliegende Entscheidung von Interesse, um die Rechtslage möglichst umfassend zu beleuchten.)
Fraglich ist aber, ob die Beschränkung der Steuerfreiheit auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe im Verhältnis zur Schweiz nicht durch die Notwendigkeit gerechtfertigt ist, die Wirksamkeit der Kontrolle zu gewährleisten. Der EuGH hat derartige in Vorabentscheidungsverfahren immer wieder vorgebrachte Rechtfertigungen in der Regel mit dem Hinweis auf die Richtlinie 77/99 , die eine umfassende Amtshilfe im Gemeinschaftsgebiet gewährleistet, abgelehnt. Außerdem hindere nichts die Steuerbehörden daran, vom Steuerpflichtigen alle Belege abzuverlangen, die für die Beurteilung der entscheidungswesentlichen Frage notwendig seien (vgl. etwa EuGH 3.10.2002, Danner, Rs C-136/00 ).
Mit der Schweiz besteht nun kein der Richtlinie 77/99 vergleichbares Rechts- und Vollstreckungshilfeabkommen. Das bedeutet aber, dass den inländischen Steuerbehörden eine Überprüfung der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988, wie bei Arbeitnehmern, die bei inländischen Betrieben oder bei Betrieben in anderen EU-Mitgliedstaaten beschäftigt sind, nicht möglich ist. Die von der steuerlichen Vertretung ins Treffen geführten Art. 26 DBA-Schweiz und das Verwaltungsübereinkommen über die Sicherung der steuerlichen Gleichbehandlung österreichischer Grenzgänger, AÖF 1998/84, vermögen das Fehlen einer umfassenden Rechts- und Vollstreckungshilfe nicht zu ersetzen. Der in Art. 26 DBA-Schweiz vereinbarte Informationsaustausch zwischen den zuständigen Behörden der Vertragsstaaten ist lediglich insoweit vereinbart, als er "für eine richtige Durchführung dieses Abkommens" notwendig ist. Diese Bestimmung ermöglicht aber keinen Informationsaustausch für die Beurteilung von in innerstaatlichen Vorschriften normierten Voraussetzungen für die Gewährung einer Steuerfreiheit (wie ob überhaupt eine begünstigte Auslandstätigkeit vorliegt und ob diese jeweils ununterbrochen über den Zeitraum von einen Monat hinausgeht).
Auch das Verwaltungsübereinkommen über die Sicherung der steuerlichen Gleichbehandlung österreichischer Grenzgänger gewährleistet keine vergleichbare Rechtshilfe, weil dieses Übereinkommen aufgrund § 68 Abs. 8 EStG 1988 abgeschlossen wurde und nur für die dort genannten Zuschläge Gültigkeit besitzt.
Die steuerlichen Kontrollmöglichkeiten der inländischen Steuerbehörden sind somit gegenüber Sachverhalten, die ihre Wurzeln in der Schweiz haben, eingeschränkt.
Damit ist die Berufung aber noch nicht zu Ungunsten des Berufungswerbers entschieden. Wie bereits weiter oben ausgeführt, anerkennt der EuGH Beschränkungen einer Grundfreiheit nur, wenn diese einem berechtigten Zweck dient, die Anwendung einer die Grundfreiheit beschränkenden Maßnahme auch geeignet ist, die Verwirklichung dieses Zweckes zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des Zweckes erforderlich ist (vgl. zB EuGH 30.11.1995, C-55/94 , 17.3.2005, Rs C-109/04 ).
Nun ist es nicht der Zweck der Einschränkung der Steuerfreiheit des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 auf Arbeitnehmer inländischer Betriebe, die Steueraufsicht zu wahren. Mit der in Rede stehenden Befreiungsbestimmung sollen vielmehr bestimmte Auslandstätigkeiten durch inländische Betriebe gefördert werden, in dem die auf die begünstigten Auslandstätigkeiten entfallenden Arbeitslöhne der Arbeitnehmer steuerbefreit und damit die Lohnkosten dieser Betriebe reduziert werden. Gleichzeitig soll damit Arbeitnehmern inländischer Betriebe ein Anreiz geboten werden, bestimmte Tätigkeiten im Ausland auszuüben. Dementsprechend führen die Erläuterungen zur Regierungsvorlage, 113 BlgNR XV. GP ., zur rechtspolitischen Absicht aus:
"Da sich auf dem Sektor des Anlagenbaus die Konkurrenzverhältnisse zunehmend verschärfen, wirkt sich die derzeitige steuerliche Behandlung der Arbeitslöhne von ins Ausland entsendeten Arbeitnehmern im Vergleich mit anderen Ländern (zB Bundesrepublik Deutschland) für österreichische Unternehmen wettbewerbsnachteilig aus. Die vorliegende Novelle sieht daher eine Steuerbefreiung für alle Fälle einer Auslandstätigkeit von inländischen Arbeitnehmern vor, die mit der Errichtung von Anlagen im Ausland im Zusammenhang steht".
§ 3 Abs. 1 Z 10 EStG 1988 bezweckt somit die Unterstützung der Wettbewerbsfähigkeit des heimischen Anlagenbausektors im Ausland, nicht aber die Wahrung der nationalen Steueraufsicht.
Zudem wäre die generelle Ablehnung der Steuerfreiheit begünstigter Auslandstätigkeiten von Arbeitnehmern, die bei Schweizer Betrieben beschäftigt sind, unverhältnismäßig. Das Ziel der steuerlichen Kontrolle kann auch dadurch erreicht werden, dass im Einzelfall die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung überprüft werden. Da ein Auslandssachverhalt vorliegt, trifft die die Steuerbefreiung geltend machende Partei eine erhöhte Mitwirkungspflicht (vgl. Ritz, BAO³, § 115, Tz 10). Mit dieser Mitwirkungspflicht sollen die eingeschränkte Ermittlungsmöglichkeit der Behörden bei Auslandssachverhalten und fehlende Amtshilfemöglichkeiten kompensiert werden. Es kann daher vom Abgabepflichten verlangt werden, dass er die Voraussetzungen der Steuerfreiheit des § 3 Abs. 1 10 leg. cit. nachweist. Dabei kann es ihm zugemutet werden, dass er auch entsprechende Unterlagen von seinem Arbeitgeber beibringt und selbst Vorsorge für den Nachweis trifft. Die Abgabenbehörde hat dann unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Gelingt der Nachweis der Voraussetzungen für die Steuerfreiheit nicht, so trifft die Beweislast, da es sich um steuerbegünstigende Tatsachen handelt, den Abgabepflichtigen (vgl. Kotschnigg in ÖStZ 1992, S 82 ff., Doralt-Ruppe, Grundriss des österreichischen Steuerrechts, II, 4. Auflage, 264 sowie VwGH 28.2.1995, 95/14/0016).
(Auch im vorliegenden Fall ist der Sachverhalt unstrittig.)
Zum während der mündlichen Verhandlung (im Verfahren zu RV/0028-F/06) vom Vertreter des Finanzamtes vorgebrachten Ersuchen, der unabhängige Finanzsenat möge prüfen, ob die durch das AbgÄG 2005 (BGBl I 2005/161 vom 30.12.2005) vorgenommene Änderung des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 eine Erweiterung einer (an sich zulässigen) Altbeihilfe darstelle und ob diese Steuerbefreiung mangels Notifikation durch die Europäische Kommission überhaupt noch anzuwenden sei, ist abschließend zu sagen, dass das Beihilfeverbot des Artikel 87 EGV nicht gegenüber der Schweiz gilt und daher eine Prüfung im Sinne des Finanzamtes sich bereits aus diesem Grunde erübrigt.
Schließlich ist auch darauf zu verweisen, dass die Änderung des § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 durch das AÄG 2005 erstmalig auf die Veranlagung des Jahres 2006 anzuwenden ist (s oben), sodass eine Umwandlung in eine unzulässige neueingeführte Beihilfe für das Streitjahr 2004 nicht vorliegen kann.
Es werden daher stattgebend nur die o.a. Einkünfte der Kategorie 2 als steuerpflichtig angesetzt; der - nicht angefochtene - Progressionsvorbehalt hinsichtlich der o.a. Einkünfte der Kategorie 1 bleibt gemäß Art 23 Z 1 DBA Ö-CH aufrecht.
Ergeht auch an Finanzamt X zu St.Nr. Y
Beilage: 1 Berechnungsblatt
Wien, am 22. Juni 2006
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | Art. 2 Abkommen EG - Schweiz - Freizügigkeit, ABl. Nr. L 114 vom 30.04.2002 S. 6 |
Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht |