Praktikum in Behindertenbetreuungseinrichtung, Berufsausbildung ja oder nein?
Beachte:
VwGH-Beschwerde zur Zl. 2006/15/0076 (früher 2005/14/0107) eingebracht. Mit Erk. v. 20.2.2008 als unbegründet abgewiesen.
Entscheidungstext
Der Unabhängige Finanzsenat hat über die Berufung der Bw., vertreten durch RA., vom 28. Dezember 2004 gegen den Bescheid des Finanzamtes Innsbruck vom 16. Dezember 2004 betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum 1. Oktober 2004 bis 31. Dezember 2004 entschieden:
Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.
Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.
Entscheidungsgründe
Mit Bescheid vom 16.12.2004 forderte das Finanzamt Innsbruck von der Berufungswerberin (Bw.) für die Tochter Kind1 für den Zeitraum 1.10. - 31.12.2004 Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge im Gesamtbetrag von 583,80 € zurück. In der Begründung führte das Finanzamt aus, dass die angeführte Tochter der Bw. ab 6.9.2004 als Praktikantin beschäftigt gewesen sei und dies keine Berufsausbildung darstelle. Die Familienbeihilfe müsse daher rückgefordert werden.
Gegen den angeführten Bescheid erhob die Bw. form- und fristgerecht Berufung. In der Berufungsschrift, in der die ersatzlose Bescheidaufhebung bzw. hilfsweise die Aufhebung unter Zurückverweisung der Rechtssache an das Finanzamt beantragt wird, wird begründend vorgebracht:
"Wie sich aus beiliegendem Inskriptionsbogen 2004 ergibt, ist Kind11 seit 30.03.2004 im A. (X.-Anstalt) inskribiert. Sie befindet sich beim X.-Anstalt in der "Warteliste" und hat lediglich in Vorbereitung der Ausbildung und des Schulbesuches im A. vorübergehend eine Praktikantentätigkeit aufgenommen. Es handelt sich hiebei um eine berufsausbildende Tätigkeit, wofür sie lediglich "ein Taschengeld" erhält. Von einem Beschäftigungsverhältnis kann in keiner Weise ausgegangen werden. Es handelt sich bei der Tätigkeit von Kind11 um eine berufsspezifische Ausbildung und besteht daher der Anspruch auf Familienbeihilfe. Dies sowohl nach § 2 (1) lit b), als auch nach § 2 (6) des FLAG. Wenn die Rechtsauffassung der Erstbehörde richtig wäre, so würde dies bedeuten, dass jemand ein "Pro Forma Studium" auf irgend einer Universität beginnt und dann bis zum 26. Lebensjahr Familiebeihilfe bezieht und keinerlei Interesse an einer Berufsausbildung oder an einem Abschluss bei einer Universität hat. Es kann wohl nicht so sein, dass ein "Tachinierer" besser gestellt wird, als jemand, der sich einer Berufsausbildung unterzieht und im Sozialbereich (um "Gottes Lohn") Tätigkeiten für die Allgemeinheit verrichtet."
Mit Berufungsvorentscheidung vom 24.5.2005 wies das Finanzamt Innsbruck die Berufung als unbegründet ab. Begründet wurde die Abweisung wie folgt :
"Gemäß § 2 Abs.1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 hat eine Person, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, Anspruch auf Familienbeihilfe und analog dazu den Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs.4 Z. 3 lit. a des Einkommensteuergesetzes 1988 für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. An Sachverhalt ergibt sich folgendes: Die Tochter der Bw. hat sich am 30.3.2004 um Aufnahme in die "Akademie für den Diät- und Ernährungsmedizinischen Beratungsdienst" beim A. (Y.-Anstalt) beworben. Am 22.6.2004 hat sie die Reifeprüfung bestanden und am 6.9.2004 als geringfügig beschäftigte Angestellte im A-Einrichtung in X-Ort zu arbeiten begonnen. Für den Diät und Ernährungsmedizinischen Beratungsdienst wurde sie laut Auskunft der Personalabteilung A. nicht aufgenommen. Zu prüfen ist daher, ob sich die Tochter der Bw. im strittigen Zeitraum in Berufsausbildung befunden hat. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 23.6.2002, 98/13/0042) ist es das Ziel einer Berufsausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 lit b FLAG, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Dazu gehört zweifellos die schul- bzw. lehrgangsmäßige Ausbildung an einer Allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflegeschule. Ein Praktikum ist weder für die Aufnahme an einer Krankenpflegeschule gefordert, noch wird ein vorher absolviertes Praktikum auf die Ausbildung angerechnet (vgl. UFSI, GZ RV/0123-I/03). Laut Personalabteilung A-Einrichtung in X-Ort ist die Tätigkeit von Kind11 nahezu als freiwillige Arbeitsleistung anzusehen, welche nur wegen sozialversicherungsrechtlichen Aspekten in geringem Ausmaß entlohnt wird. Für die Tochter der Bw. findet kein berufsbegleitendes (Theorie + Praxis) Praktikum statt. Die zu verrichtende Tätigkeit beim A-Einrichtung in X-Ort ist als Hilfstätigkeit einzustufen. Festzuhalten ist somit, dass mit dem Bestehen der Reifeprüfung vorerst einmal eine Berufsausbildung abgeschlossen wurde. Die Tochter war ab September 2004 erwerbstätig und befand sich im Sinne des § 2 FLAG entgegen der Ansicht des Vertreters weder in Berufsausbildung noch wurde sie in einem Beruf an einer Fachschule fortgebildet. Ein Praktikum/Hilfstätigkeit für einen neuen, anderen Beruf kann weder Beginn einer neuen Berufsausbildung noch Ausbildung in einem lehrgangsmäßigen Kurs für einen speziellen Beruf sein (vgl. VwGH 23.10.1990, 87/14/0031). Durch das Fehlen der Voraussetzungen einer Berufsausbildung erfolgte die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zu Recht. "
Mit Schreiben vom 21.6.2005 beantragte die Bw. die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde II. Instanz, wobei im Vorlageantrag folgendes ergänzendes Vorbringen erstattet wird:
"Den Ausführungen in der Berufungsvorentscheidung ist darüber hinaus zu entgegnen, dass unter den Begriff "Berufsausbildung" alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung fallen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten in einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird. Nach dieser vom VwGH in seinem Erkenntnis vom 23.06.2002 zu 98/13/0042 aufgestellten Definition war die Tätigkeit der Tochter der Bw. im A-Einrichtung sehr wohl als Berufsausbildung anzusehen, da sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht berufstätig war und dieses Praktikum als Einstieg in die Gesundheits- und Krankenpflege geplant war, in welchem ihr das für diesen Arbeitsbereich erforderliche Wissen vermittelt werden sollte und auch vermittelt wurde. Ergänzend wird noch hinzugefügt, dass die Oberbehörden gemäß § 26 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz ermächtigt sind, in Ausübung des Aufsichtsrechtes die nachgeordneten Abgabenbehörden anzuweisen, von der Rückforderung des unrechtmäßigen Bezuges abzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre. Selbst wenn man nämlich davon ausgeht, dass die Bw. die Beträge unrechtmäßig bezogen hat - was ausdrücklich bestritten wird - ist die Rückforderung der angeblich zu Unrecht bezogenen Beträge vom 16.12.2004 unbillig. Die Tochter der Bw. hat sich nämlich durch ihr Praktikum im A-Einrichtung in X-Ort in den Dienst der Allgemeinheit gestellt und nichts anderes als einen Sozialdienst verrichtet, wofür sie lediglich ein "Taschengeld" erhalten hat. Wenn nunmehr das Finanzamt diese bezogenen Beträge zurückfordert, dann ist dies unbillig und stellt sich die Frage, wann denn sonst, wenn nicht in solchen Fällen der § 26 Abs. 4 FLAG zur Anwendung kommen soll."
Über die Berufung wurde erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 besteht Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 26. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einen erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Unter den Begriff "Berufsausbildung" fallen alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildung, in deren Rahmen noch nicht berufstätige Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem bestimmten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt wird (VwGH 23.1.1999, 87/14/0031, und 18.11.1987, 87/13/0135). Ein Praktikum fällt nur dann unter diesen Begriff, wenn es z.B. eine unbedingte Voraussetzung für die Aufnahme an einer Lehranstalt darstellt. Der bloße Umstand, dass durch den Besuch des Praktikums z.B. die Aufnahmechancen an einer Ausbildungseinrichtung erhöht werden, reicht nicht aus. Gegen die Annahme einer Berufsausbildung spricht weiters der Umstand, dass die Tochter der Bw. nach den Erhebungen der Vorinstanz (AV auf Bl. 8 d.A.) im Zuge des Praktikums nur einfache Hilfetätigkeiten verrichtet hat und keine spezielle Ausbildung erfolgt ist. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass ein Praktikum insoweit keine Berufsausbildung darstellt, als es nicht zwingender Teil der Ausbildung für den angestrebten speziellen Beruf (insbes. Aufnahmevoraussetzung für Ausbildungseinrichtung bzw. Voraussetzung für die Aufnahme der Berufstätigkeit nach der Ausbildung) ist. Daran vermag auch der Umstand nichts zu ändern, dass die im Praktikum gewonnenen Erfahrungen -wie im gegenständlichen Fall- für die künftige Berufsausbildung bzw. -ausübung wertvoll sind. Im gegenständlichen Fall wurde daher mit der Ablegung der Reifeprüfung die Berufungsausbildung vorerst beendet, weshalb ab 1.10.2004 die Familienbeihilfe nicht mehr zusteht. Lediglich der Vollständigkeit halber sei bemerkt, dass die Höhe der von der Tochter der Bw. erzielten Einkünfte (2004 nur € 1.299,11 brutto) nicht von entscheidungswesentlicher Bedeutung ist, da das primäre Anspruchserfordernis der Absolvierung einer Berufsausbildung im gegenständlichen Fall fehlt. Da somit die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge im Streitzeitraum zu Unrecht bezogen wurden, waren sie gemäß § 26 Abs. 1 FLAG rückzufordern. Die Verpflichtung zur Rückzahlung nach § 26 Abs. 1 FLAG ist sehr weitgehend; sie beruht ausschließlich auf objektiven Sachverhalten und nimmt auf subjektive Elemente, wie Verschulden und Gutgläubigkeit, keine Rücksicht (vgl. Wittmann/Papacek, Der Familienlastenausgleich, Kommentar, P. 1 zu § 26 sowie VwGH 25.1.2001, 2000/15/0183). Hinsichtlich der von der Berufung weiters ins Treffen geführten Bestimmung des § 26 Abs. 4 FLAG ist festzuhalten, dass die angeführte Norm die Oberbehörden ermächtigt, im Zugeder Dienstaufsicht Unterbehörden anzuweisen, von der Rückforderung zu Unrecht bezogener Beihilfenbeträge anzusehen, wenn die Rückforderung unbillig wäre. Aus dem Wortlaut der angeführten Bestimmung ergibt sich, dass zu Maßnahmen (Weisungen) im Sinne des § 26 Abs. 4 FLAG nur Oberbehörden als Dienstaufsichtsbehörden, nicht jedoch der Unabhängige Finanzsenat (UFS) als reine Rechtsmittelbehörde (ohne Dienstaufsichtsfunktion) berechtigt ist. Für die Anwendung des § 26 Abs. 4 FLAG, auf die im übrigen kein Rechtsanspruch besteht und deren Nichtanwendung auch nicht mit Berufung bekämpfbar ist, besteht daher im Rechtsmittelverfahren vor dem UFS kein Raum (siehe hiezu Wittmann/Papacek, Der Familienlastenausgleich, Kommentar, P 3 zu § 26). Da die Berufung somit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht aufzuzeigen vermochte, muss ihr ein Erfolg versagt bleiben.
Innsbruck, am 30. August 2005
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, FLAG, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Schlagworte: | Praktikum, Behindertenbetreuungseinrichtung, Berufsausbildung |