Ohne devolvierbares Anbringen (§ 85 BAO) kann Entscheidungspflicht nicht verletzt werden
Entscheidungstext
Bescheid
Der unabhängige Finanzsenat hat über den Devolutionsantrag des Dw. vom 26. Jänner 2005 wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Finanzamtes Wien 9/18/19 und Klosterneuburg bezüglich des Antrages auf Neufestsetzung der Umsatzsteuer 1995 vom 20. Juli 2004 entschieden:
Der Devolutionsantrag wird zurückgewiesen.
Rechtsbelehrung
Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 291 der Bundesabgabenordnung (BAO) ein ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig. Es steht Ihnen jedoch das Recht zu, innerhalb von sechs Wochen nach Zustellung dieser Entscheidung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof zu erheben. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof muss - abgesehen von den gesetzlich bestimmten Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt oder einem Wirtschaftsprüfer unterschrieben sein.
Entscheidungsgründe
Der Devolutionswerber (Dw) brachte am 26. Jänner 2005 den Devolutionsantrag vom selben Tag bezüglich des im Spruch angeführten Antrages ein. Am 27. Jänner 2005 erging das Aufforderungsschreiben gemäß § 311 Abs. 3 BAO an das Finanzamt, welches dieses am 31.1.2005 nachweislich übernahm. Außerhalb der Nachhol- und Berichtsfrist des § 311 Abs. 3 BAO faxte das Finanzamt am 19. Mai 2005 eine Ablichtung des devolvierten Antrages.
Die Entscheidungspflicht ist unbestreitbar auf den unabhängigen Finanzsenat übergegangen.
Der persönlich am 21. Juli 2004 beim Finanzamt eingebrachte Antrag vom 20. Juli 2004 lautet: "Ich stelle hiemit den Antrag auf Neufestsetzung der Umsatzsteuer 1995, da aufgrund der Entscheidung des EuGH vom 8.5.2003, Rs C-269/00 "Seeling", die ich von meinem Anwalt erhalten habe, mir der 100 %ige Vorsteuerabzug bezüglich meiner Liegenschaft in der K-Straße 13 als Unternehmer zusteht."
Das Verfahren "Umsatzsteuer für das Jahr 1995" wurde von der ehemaligen Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland mit den vorläufigen Umsatzsteuerbescheid 1995 vom 24. September 1996 endgültig erklärenden Bescheid vom 5. März 2002, GZ AO 670/23-06/01/99, rechtskräftig abgeschlossen.
Nach dem vorliegenden Veranlagungsakt und der Begründung des Umsatzsteuerbescheides 1995 vom 24.9.1996 gab der Dw für das Jahr 1995 keine Umsatzsteuererklärung ab, weshalb die Bemessungsgrundlagen wie folgt gemäß § 184 BAO zu schätzen waren: vereinnahmte, zur Gänze dem ermäßigten Steuersatz von 10 % unterliegende Entgelte mit ATS 290.000,-, Vorsteuern iHv ATS 73.419,-, was zu einer geschätzten Gutschrift von ATS 44.419,- führte.
Der Dw reicht zum Teil Anträge auf Wiederaufnahme von Verfahren und zum Teil Anträge auf Neufestsetzung einer bestimmten Abgabe, manchmal sogar zu einem Verfahren beide Varianten parallel ein. Dazu befragt, gab der Dw am 22. April 2005 niederschriftlich an, er stelle dann Anträge auf Neufestsetzung, wenn die Drei-Monatsfrist für die beantragte Wiederaufnahme bereits abgelaufen sei. Er sehe seine Anträge auf Neufestsetzung gestützt auf §§ 293, 295 und 299 BAO. Die Normen würden sich hier überschneiden.
Über den Devolutionsantrag wurde erwogen:
1.1. Rechtsgrundlagen zum Antrag auf Neufestsetzung: Die Abgabenbehörde kann gemäß § 293 BAO auf Antrag einer Partei (§ 78) oder von Amts wegen in einem Bescheid unterlaufene Schreib- und Rechenfehler oder andere offenbar auf einem ähnlichen Versehen beruhende tatsächliche oder ausschließlich auf dem Einsatz einer automationsunterstützten Datenverarbeitungsanlage beruhende Unrichtigkeiten berichtigen.
Gemäß § 293b BAO kann die Abgabenbehörde auf Antrag einer Partei (§ 78) oder von Amts wegen einen Bescheid insoweit berichtigen, als seine Rechtswidrigkeit auf der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht.
Gemäß § 295 Abs. 1 BAO lautet: Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.
Ist ein Bescheid von einem Abgaben-, Meß-, Zerlegungs- oder Zuteilungsbescheid abzuleiten, so gilt gemäß § 295 Abs. 2 BAO Abs. 1 sinngemäß.
Gemäß § 295 Abs. 3 BAO ist ein Bescheid ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, auch ansonsten zu ändern oder aufzuheben, wenn der Spruch dieses Bescheides anders hätte lauten müssen oder dieser Bescheid nicht hätte ergehen dürfen, wäre bei seiner Erlassung ein anderer Bescheid bereits abgeändert, aufgehoben oder erlassen gewesen. Mit der Änderung oder Aufhebung des Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des anderen Bescheides oder der nachträglich erlassene andere Bescheid rechtskräftig geworden ist.
Gemäß § 299 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde erster Instanz auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde erster Instanz aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist mit dem aufhebenden Bescheid der den aufgehobenen Bescheid ersetzende Bescheid zu verbinden.
Gemäß Abs. 3 leg. cit. tritt durch die Aufhebung des aufhebenden Bescheides (Abs. 1) das Verfahren in die Lage zurück, in der es sich vor der Aufhebung (Abs. 1) befunden hat.
Gemäß § 303 Abs. 1 BAO ist dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und a) der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder b) Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten, oder c) der Bescheid von Vorfragen abhängig war und nachträglich über eine solche Vorfrage von der hiefür zuständigen Behörde (Gericht) in wesentlichen Punkten anders entschieden wurde und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist der Antrag auf Wiederaufnahme gemäß Abs. 1 binnen einer Frist von drei Monaten von dem Zeitpunkt an, in dem der Antragsteller nachweislich von dem Wiederaufnahmsgrund Kenntnis erlangt hat, bei der Abgabenbehörde einzubringen, die im abgeschlossenen Verfahren den Bescheid in erster Instanz erlassen hat.
Gemäß § 302 Abs. 1 BAO sind Abänderungen, Zurücknahmen und Aufhebungen von Bescheiden, soweit nicht anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist, Aufhebungen gemäß § 299 jedoch bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides zulässig.
Darüber hinaus sind gemäß Abs. 2 leg. cit. zulässig: a) Berichtigungen nach § 293 innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft des zu berichtigenden Bescheides oder wenn der Antrag auf Berichtigung innerhalb dieses Jahres eingebracht ist, auch nach Ablauf dieses Jahres; b) Aufhebungen nach § 299 auch dann, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der sich aus Abs. 1 ergebenden Jahresfrist eingebracht ist; c) Aufhebungen nach § 299, die wegen Widerspruches mit zwischenstaatlichen abgabenrechtlichen Vereinbarungen oder mit Gemeinschaftsrecht der Europäischen Union erfolgen, bis zum Ablauf der Verjährungsfrist oder wenn der Antrag auf Aufhebung innerhalb dieser Frist eingebracht ist, auch nach Ablauf dieser Frist; d) Aufhebungen nach § 300 bis zum Ablauf von fünf Jahren ab Rechtskraft des angefochtenen Bescheides.
1.2. Rechtsgrundlagen zum Devolutionsantrag Gemäß § 311 Abs. 1 BAO sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen (§ 85) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.
Werden Bescheide der Abgabenbehörden erster Instanz der Partei nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt der Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekannt gegeben (§ 97), so kann jede Partei, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat, den Übergang der Zuständigkeit zur Entscheidung auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz beantragen (Devolutionsantrag). Devolutionsanträge sind bei der Abgabenbehörde zweiter Instanz einzubringen (§ 311 Abs. 2 BAO).
Die Abgabenbehörde zweiter Instanz hat gemäß § 311 Abs. 3 BAO der Abgabenbehörde erster Instanz aufzutragen, innerhalb einer Frist bis zu drei Monaten ab Einlangen des Devolutionsantrages zu entscheiden und gegebenenfalls eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die Abgabenbehörde erster Instanz das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Entscheidung unmöglich machen.
Gemäß § 311 Abs. 4 BAO geht die Zuständigkeit zur Entscheidung erst dann auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz über, wenn die Frist (Abs. 3) abgelaufen ist oder wenn die Abgabenbehörde erster Instanz vor Ablauf der Frist mitteilt, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt.
§ 85. (1) Anbringen zur Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen (insbesondere Erklärungen, Anträge, Beantwortungen von Bedenkenvorhalten, Rechtsmittel) sind vorbehaltlich der Bestimmungen des Abs. 3 schriftlich einzureichen (Eingaben).
2. Rechtliche Würdigung:Nach der niederschriftlichen Aussage des Dw stellt er immer dann einen (unzulässigen) Antrag auf Neufestsetzung, wenn er die für antragsgebundene Wiederaufnahme nach § 303 Abs. 1 BAO notwendige Einhaltung der Drei-Monatsfrist als abgelaufen ansieht. Der Antrag auf Neufestsetzung im Lichte der niederschriftlichen Erläuterung soll ein auf alle genannten Normen gleichermaßen gestützter Antrag sein. Wie der Dw dargelegt hat, sieht er hier eine Überschneidung von Normen, und nicht einander durch Bedingung ausschließende Anträge, weshalb Eventualanträge nicht angenommen werden können. Der Dw sieht vielmehr seinen Antrag auf Neufestsetzung auf alle genannten Normen gleichermaßen gestützt.
Die Devolution verlangt die Verletzung der Entscheidungspflicht zu einem Anbringen iSd § 85 BAO. Anbringen dienen demnach der Geltendmachung von Rechten oder zur Erfüllung von Verpflichtungen. Auch wenn es für die Beurteilung von Anbringen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen ankommt, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteinschrittes (Ritz, BAO-Kommentar2, § 85, Tz 1, mwN), so ist für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung das Erklärte, nicht das Gewollte maßgebend, wobei wiederum das Erklärte der Auslegung zugänglich ist (Ritz, aaO, mwN). Hat ein Anbringen einen unklaren oder einen nicht genügend bestimmten Inhalt, so hat die Behörde den Gegenstand des Anbringens von amtswegen zu ermitteln (VwGH vom 18.2.1991, 89/10/0188).
Die Verletzung der Entscheidungspflicht bedingt ein Anbringen iSd § 85. Der Antrag auf Neufestsetzung der Umsatzsteuer für das Jahr 1995 ist mangels Inhaltes kein Anbringen iSd § 85 BAO, denn es ist nicht erkennbar, welches Begehren dem Antrag auf Neufestsetzung wirklich zu Grunde liegt und auf welche Norm er sich konkret stützt. Gegenstand einer Entscheidungspflicht kann nur eine in der Rechtsordnung vorgesehene Erledigung normativen Inhaltes sein. Ohne ein unter § 85 Abs. 1 BAO subsumierbares Anbringen wird die Entscheidungspflicht nicht ausgelöst und kann ergo auch gar nicht verletzt werden. Die im Devolutionsantrag vom 26. Jänner 2005 behauptete Rechtsverletzung liegt demnach nicht vor.
3. obiter dictum: Das EuGH-Urteil "Seeling" geht beim Dw ins Leere, weil die Liegenschaft K-Straße 13 im Jahr 1989 - also noch im Geltungsbereich des UStG 1972 - renoviert wurde und im Jahr 1995 nach der Aktenlage lediglich Betriebskosten anfielen. Der im "Seeling"-Urteil dargelegte 100 %ige Vorsteuerabzug bei Liegenschaften kann jedoch nur dann zu einem umsatzsteuerlichen Vorteil führen, wenn ein gemischt genutztes Gebäude nach dem 31.12.1994 hergestellt oder renoviert wird. Diesfalls stünde nach den im Seeling-Urteil ins Treffen geführten Überlegungen des EuGH bei einem gemischt genutzten Grundstück aus den Herstellungs- bzw. Renovierungskosten der Vorsteuerabzug im Jahr der Herstellung bzw. Renovierung zu 100 % zu, während der anteilige Eigenverbrauch verteilt auf die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer (von meist 50 bis 67 Jahren) zu erfassen ist. Selbstverständlich führt auch Seeling nicht dazu, dass auf die Privatnutzung entfallende Vorsteuern abschließend abzugsfähig bleiben, lediglich die zeitliche Erfassung von Vorsteuerabzug und Eigenverbrauchsbesteuerung ist verschieden. Bisher wurden überdies keine Investitionskosten für das Jahr 1995 nachgewiesen, nicht einmal im Antrag auf Neufestsetzung.
Wien, 24. Mai 2005
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer, Finanzstrafrecht Verfahrensrecht |
betroffene Normen: | § 311 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Schlagworte: | Säumnis, Devolution, Verletzung der Entscheidungspflicht, devolvierbares Anbringen |