Normen
§ 4 Abs. 4 EStG
§ 12 Nr. 1 EStG
Tatbestand:
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute. Die Klägerin betreibt einen als stehendes Gewerbe angemeldeten Handel mit Fleisch- und Wurstwaren, Butter, Eiern und Käse auf drei Wochenmärkten im Umkreis von 20 bis 40 km Entfernung von ihrem Wohnort. Am Wohnort unterhält sie Betriebsräume (Lager- und Kühlraum), woselbst sie die Ware für den Verkauf vorbereitet und auch -- von ihrer Wohnung aus -- den Einkauf und die Wareneingangskontrolle vornimmt sowie Eingangsrechnungen bearbeitet.
Streitig ist die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen, die der Klägerin in den Streitjahren (1965 bis 1967) anläßlich ihrer Fahrten zu den Wochenmärkten entstanden sind und die sie mit den Pauschsätzen aus Abschn. 119 EStR bei ihrer Einkommensermittlung gewinnmindernd berücksichtigt hat. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) folgte der Rechtsauffassung der Klägerin nicht, da es sich bei ihren Fahrten nicht um Geschäftsreisen gehandelt habe. Die nach erfolglosem Einspruch zum FG erhobene Klage blieb ohne Erfolg. Das FG führte aus:
Nur ausnahmsweise sei die Berücksichtigung von Kosten der Lebensführung als Betriebsausgaben möglich. Ein solcher Ausnahmefall sei hinsichtlich der Mehraufwendungen für Verpflegung bei Geschäftsreisen gegeben. Geschäftsreisen (vgl. Urteil des BFH vom 27. November 1970 IV 168/64, BFHE 100, 528, BStBl II 1971, 103) seien im Streitfalle jedoch nicht gegeben, da die Klägerin an den Marktorten eigene Betriebstätten -- die ihr zugewiesenen Standplätze -- aufgesucht habe. Sie habe dort auch über eine Geschäftseinrichtung -- nämlich ihren Verkaufswagen -- verfügt und die für ihr Handelsgewerbe ausschlaggebende Tätigkeit des Verkaufens ausgeübt. Daß sie ihre Mahlzeiten außerhalb ihrer Wohnung in Gaststätten eingenommen habe, könne eine Steuerermäßigung nicht begründen. Es sei als eine Entscheidung im privaten Lebensbereich anzusehen, wenn ein Gewerbetreibender seine Betriebstätte soweit von seiner Wohnung entfernt einrichte, daß er seine Wohnung tagsüber zu den Mahlzeiten nicht aufsuchen könne; das gelte selbst dann, wenn er durch die Wahl des Ortes der Betriebstätte seine gewerbliche Tätigkeit erfolgreicher gestalten könne. Im Streitfalle unterhalte die Klägerin insgesamt vier Betriebstätten. Das Schwergewicht ihrer Tätigkeit liege in den Betriebstätten an den drei Marktorten, so daß von einer Hauptbetriebstätte am Wohnort und Geschäftsreisen zu Nebenbetriebstätten nicht gesprochen werden könne.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Kläger mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen. Zur Begründung lassen sie vortragen:
Entgegen der Annahme des FG verfüge die Klägerin keineswegs an den drei Marktorten an allen Markttagen und für alle Zeiten über je einen festen Standplatz. Die Zuweisung der Standplätze erfolge vielmehr an jedem Marktort und für jeden Markttag zu Beginn der Marktbetriebszeit, wie die Marktordnung der Stadt R beweise. Auch werde der Markt nicht in allen Fällen stets an der gleichen Stelle abgehalten, so z. B., wenn der für gewöhnlich für den Markt vorgesehene Platz für eine andere Veranstaltung benötigt oder benutzt werde. Eine Betriebstätte sei aber bei einem Wochenmarkthändler nach dem Beschluß des RFH vom 11. Oktober 1939 VI B 15/39 (RStBl 1939, 1095) nur dann gegeben, wenn ihm eine bestimmte Stelle auf dem Markt für ständig fest zugewiesen sei. Daß für die Zerlegung der Gewerbesteuermeßbeträge jeder Markt als eine Betriebstätte angesehen werde, ändere hieran nichts und berühre insbesondere nicht die Tatsache, daß der Klägerin durch die Wahrnehmung der verschiedenen Marktveranstaltungen Mehraufwendungen für Verpflegung erwüchsen. Der vom FA ermittelte Zerlegungsmaßstab weise aber den Wohnort der Klägerin als deren Hauptbetriebstätte aus, so daß die Fahrten zu den Marktorten als Geschäftsreisen von der Hauptbetriebstätte zu Nebenbetriebstätten anzusehen seien.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
1. Der BFH hat in den Urteilen vom 8. Juni 1972 IV R 130/71 (BFHE 106, 300, BStBl II 1972, 855) und vom 1. Februar 1973 I R 95/71 (BFHE 108, 351, BStBl II 1973, 306) ausgeführt, daß Mehraufwendungen für Verpflegung bei selbständig Tätigen (Freiberuflern, Gewerbetreibenden -- im Gegensatz zu Arbeitnehmern) in aller Regel keinen Betriebsaufwand im Sinne von § 4 Abs. 4 EStG darstellen, da sie ihre Arbeitsbedingungen selbst gestalten und mit ihren persönlichen Belangen abstimmen können. Dieser Umstand schließt es aus, einen durch eine selbst mehr als 12 Stunden dauernde Abwesenheit bedingten Verpflegungsmehraufwand als ausschließlich oder doch ganz überwiegend beruflich oder betrieblich bedingt anzusehen. Verteuert sich infolge ihrer Arbeit im Betrieb ihre Lebensführung hinsichtlich des Essens durch Einnahme von Mahlzeiten in Gaststätten, so liegt ein Fall des § 12 Nr. 1 EStG vor; denn sie sind in aller Regel in der Lage, Vorrichtungen zu treffen, die es ihnen erlauben, sich am Ort ihrer Betriebstätte ebenso billig zu verpflegen wie zu Hause. Das gilt grundsätzlich auch für solche Gewerbetreibende, die Marktveranstaltungen wahrnehmen und so durch ihre Tätigkeit gezwungen sind, ein oder mehrere Mahlzeiten außer Haus einzunehmen.
2. Der Klägerin kann nicht darin zugestimmt werden, daß sie am Ort und am Tag der von ihr besuchten Marktveranstaltungen keine Betriebstätte unterhalte.
Der Beschluß des RFH VI B 15/39 betrifft die Frage, ob auch eine Omnibushaltestellentafel als Betriebstätte, d. h. als eine feste örtliche Einrichtung anzusehen sei, was im Vergleich mit einem Droschkenstandplatz oder dem einen Wochenmarkthändler ständig zugewiesenen Standplatz verneint wurde. Der RFH hat als wesentliches Merkmal einer Betriebstätte "das Vorhandensein einer festen örtlichen Anlage oder Einrichtung" angesehen (vgl. BFH-Urteil vom 13. Februar 1974 I R 218/71, BFHE 111, 416). In dieser Form hat der Begriff in die Vorschrift des § 16 Abs. 1 StAnpG Eingang gefunden. Danach ist eine Betriebstätte im Sinne der Steuergesetze jede feste örtliche Anlage oder Einrichtung, die der Ausübung des Betriebs eines stehenden Gewerbes dient. Das Merkmal der festen örtlichen Anlage oder Einrichtung setzt einen bestimmten, auf die Dauer angelegten Bezug der Einrichtung zu einem bestimmten Teil der Erdoberfläche voraus, wie ihn vornehmlich Gebäude, aber auch Anlagen der in § 16 Abs. 2 Nr. 2 StAnpG genannten Art -- etwa Geschäftseinrichtungen, die dem Unternehmer zur Ausübung seines Gewerbes dienen -- aufweisen. Daß es insbesondere hinsichtlich solcher Geschäftseinrichtungen nicht einer mit dem Grund und Boden fest verbundenen Einrichtung bedarf, vielmehr auch eine als Betriebsvorrichtung zu bezeichnende Einrichtung wie etwa leicht auf- und abbaubare Buden oder Zelte (vgl. den gemeinsamen Ländererlaß zur Abgrenzung des Grundvermögens von den Betriebsvorrichtungen vom 31. März 1967, BStBl II 1967, 127, Abschn. B Nr. 7 Abs. 2) oder die Aufstellung eines mobilen Verkaufsstandes (Verkaufswagen) auf einem dem Händler für die jeweilige Marktveranstaltung zugewiesenen Platz genügt, bedarf keiner Begründung. Das Moment der Dauer richtet sich nach den Umständen des einzelnen Falles und ist in Ansehung von Marktveranstaltungen, die sich ständig in mehr oder weniger großen zeitlichen Abständen an meist auch gleicher Stelle wiederholen, in Fällen wie dem vorliegenden als gegeben anzunehmen.
Danach hat die Klägerin an ihrem Wohnort und an den drei von ihr regelmäßig (wöchentlich je zweimal) besuchten Marktorten Betriebstätten unterhalten, die der Ausübung ihres Gewerbes dienten, ohne daß etwa die Betriebstätte am Wohnort als die Hauptbetriebstätte bezeichnet werden könnte. Denn spielt sich dort auch fast ausschließlich die Vorbereitung der Verkaufstätigkeit der Klägerin ab, so kommt der Verkaufstätigkeit selbst an den drei Marktorten keine mindere, nachgeordnete Bedeutung zu. Die Ausführungen im BFH-Urteil IV 168/64 finden deshalb hier sinngemäß Anwendung, so daß die Fahrten der Klägerin von ihrer Betriebstätte in S, ihrem Wohnort, zu den drei Marktorten nicht als Geschäftsreisen anzusehen sind. Sie stellen vielmehr Fahrten von einer ihrer Betriebstätten zu jeweils einer anderen Betriebstätte dar.