Normen
§ 4 Abs. 4 EStG
§ 12 Nr. 1 EStG
Tatbestand:
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betreibt einen Reformwaren-Einzelhandel mit Hauptgeschäft in Berlin-N. Die eheliche Wohnung befindet sich in Berlin-F, mehr als 25 km entfernt. Die Klägerin war im Jahre 1968 beinahe ständig im Hauptgeschäft tätig. Sie kehrte mittags nicht nach Hause zurück, sondern ließ sich das Essen von einer Angestellten ins Geschäft bringen. Die Abwesenheit von der Wohnung betrug von Montag bis Freitag etwa 13 Stunden und an Sonnabenden etwa 9 1/2 Stunden.
Der Beklagte und Revisionskläger (das FA) lehnte es bei der Gewerbesteuerveranlagung 1968 ab, einen Verpflegungsmehraufwand in Höhe von 695 DM (Pauschbetrag von 2,50 DM täglich) anzuerkennen. Der Einspruch wurde abgewiesen. Die Klage hatte Erfolg. Das FG hat dargelegt: Bei selbständig Tätigen müsse wie bei Arbeitnehmern ein Verpflegungsmehraufwand ohne weiteren Nachweis anerkannt werden, wenn der Steuerpflichtige längere Zeit von seiner Wohnung abwesend sei. Dieser Aufwand sei entsprechend der lohnsteuerrechtlichen Regelung auf 2,50 DM täglich zu schätzen und auch für Sonnabende anzuerkennen, da die lohnsteuerrechtliche Begrenzung des Abzugs auf eine mehr als zwölfstündige Abwesenheit auf einer unzulässigen typisierenden Betrachtungsweise beruhe.
Das FA rügt mit der Revision eine Verletzung von § 4 Abs. 4, § 12 Nr. 1 EStG: Selbständig Tätige könnten einen Verpflegungsmehraufwand nur in eng begrenzten, hier nicht gegebenen Ausnahmefällen als Betriebsausgaben geltend machen (Urteil des BFH vom 11. April 1961 I 205/60 S, BFHE 73, 535, BStBl III 1961, 461). Ein Vergleich mit Arbeitnehmern scheide aus. Arbeitnehmer seien im Gegensatz zu selbständig Tätigen fest in den Arbeitsprozeß eingegliedert und könnten zeitlich nicht frei disponieren.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Vorentscheidung für zutreffend und macht zusätzlich geltend: Bei ihr liege ein Ausnahmefall im Sinne des BFH-Urteils I 205/60 S vor. Sie habe nicht frei disponieren können, sondern sich in der Mittagszeit im Geschäftslokal aufhalten müssen, weil den angestellten Fachkräften eine Mittagspause zugestanden habe.
Entscheidungsgründe
Der IV. Senat des BFH hat entschieden, daß Mehraufwendungen für Verpflegung wegen regelmäßiger mehr als zwölfstündiger Abwesenheit von der Wohnung bei selbständig Tätigen nicht als Betriebsausgaben anerkannt werden können (Urteil vom 8. Juni 1972 IV R 130/71, BFHE 106, 300, BStBl II 1972, 855; zuvor schon Urteil vom 27. November 1970 IV 168/64, BFHE 100, 528, BStBl II 1971, 103). Er hat darauf abgestellt, daß nicht im Sinne des § 12 Nr. 1 EStG nach objektiven Merkmalen leicht nachprüfbar festzustellen ist (BFH-Beschlüsse vom 19. Oktober 1970 Gr. S. 2/70 und Gr. S. 3/70, BFHE 100, 309 und 317, BStBl II 1971, 17 und 21), ob überhaupt ein betrieblich bedingter Verpflegungsmehraufwand entsteht oder ob er auf der persönlichen Lebensweise des Unternehmers beruht. Unerheblich sei, daß der entsprechende Mehrverpflegungsaufwand bei Arbeitnehmern als Werbungskosten anerkannt werde (u. a. BFH-Urteile vom 4. August 1967 VI R 322/66, BFHE 90, 23, BStBl III 1967, 782; vom 9. November 1971 VI R 283/70, BFHE 103, 512, BStBl II 1972, 145; Abschn. 24 Abs. 4 LStR 1968). Unternehmer könnten in dieser Beziehung nicht Arbeitnehmern gleichgestellt werden. Sie seien in der Regel in der Lage, Vorrichtungen zu treffen, die es ihnen erlaubten, sich am Ort der Betriebstätte ebenso billig zu verpflegen wie zu Hause. Sie dürften ihre Arbeitszeit frei bestimmen und seien nicht gehalten, während der ganzen Öffnungszeit im Betrieb beruflich tätig zu werden. Wenn bei bestimmten Arbeitnehmergruppen (z. B. Vorstandsmitgliedern von Kapitalgesellschaften) ähnliche Verhältnisse anzutreffen sein sollten, könne dies allenfalls dazu führen, insoweit die Begünstigung für Arbeitnehmer einzuschränken.
Der erkennende Senat schließt sich der Auffassung des IV. Senats an. Unternehmer bestimmen -- anders als Arbeitnehmer -- die Zeit, die Art und Weise ihrer Tätigkeit selbst. Sie sind frei in der Entscheidung, wann sie bei einer Anwesenheit im Betrieb Essenspausen einlegen. Selbst wenn sie sich den Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer anpassen oder sich gar freiwillig härteren Bedingungen unterwerfen, bleibt zu berücksichtigen, daß sie in ihrem Betrieb arbeiten, die Arbeitsbedingungen selbst gestalten und mit ihren persönlichen Belangen abstimmen können. Der selbständig Tätige und sein Betrieb gehören zusammen. Verteuert sich seine Lebenshaltung (u. a. das Essen) infolge der Arbeit im Betrieb, liegt ein Fall des § 12 Nr. 1 EStG vor. Erst wenn der Unternehmer aus betrieblichen Gründen außerhalb seines Betriebs tätig werden muß (z. B. auf Geschäftsreisen), ist ein Tatbestand gegeben, der abgrenzbar aus dem Rahmen der gewöhnlichen gewerblichen oder beruflichen Tätigkeit herausfällt und zur Anerkennung eines Verpflegungsmehraufwands als Betriebsausgabe führen kann. Hiermit übereinstimmend ist in dem Urteil des erkennenden Senats I 205/60 S ausgeführt, Verpflegungsmehraufwand sei im "Normalfall des außerhalb seines Betriebsortes wohnenden selbständigen Unternehmers" nicht abzugsfähig.
Der Streitfall weist keine Besonderheiten auf. Die Klägerin wohnt zwar weit vom Betrieb entfernt und kann deswegen mittags nicht nach Hause zurückkehren. Sie schafft sich aber im Geschäft zumindest zeitweise eine häusliche Sphäre, indem sie hier täglich das ihr gebrachte Essen verzehrt. Es kann dahingestellt bleiben, ob sie aus betrieblichen Gründen (vorrangige Mittagspause für die Angestellten) zur Essenseinnahme im Betrieb gezwungen ist und nicht außerhalb der Mittagspause der Angestellten in einem Restaurant oder in einer Kantine essen könnte. Auch ein Unternehmer, der sein Essen in Unterbrechung der Arbeit in seinem Betrieb einnimmt, wird im Bereich der Lebensführung tätig.