Verlängerung des Familienbeihilfenanspruchs bei einem Studium infolge der COVID-19-Krise
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2022:RV.6100200.2022
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinIBV in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom 1. Februar 2022 gegen den Rückforderungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom 11. Jänner 2022 betreffend Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für die Monate April 2021 bis September 2021 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Am 31.08.2021 übermittelte das Finanzamt (kurz: FA) der Beschwerdeführerin (kurz: Bf) das "Datenblatt zur Überprüfung des Anspruches auf Familienbeihilfe" betreffend die Tochter T (kurz: To) und ersuchte um Vorlage des Studienerfolgsnachweises.
Am 21.09.2021 wurde dieses Überprüfungsschreiben des FA unter Beilegung eines Leistungsnachweises der Fachhochschule des BFI A beantwortet.
In einer "Mitteilung über den Wegfall des Anspruches auf Familienbeihilfe" des FA vom 23.11.2021 wurde die Bf über das Anspruchsende im September 2021 hinsichtlich der Familienbeihilfe für die Tochter To informiert.
In einer "Mitteilung über den Bezug der Familienbeihilfe" vom 11.01.2022 informierte das FA die Bf über den Umfang des Anspruches auf Familienbeihilfe für die Tochter To. Demnach sei von Jänner 2014 bis Oktober 2016 und von September 2020 bis März 2021 Familienbeihilfe zu gewähren.
Mit Bescheid vom 11.01.2022 forderte das FA von der Bf die an diese für die Tochter To für die Monate April 2021 bis September 2021 ausbezahlte Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge unter Hinweis auf die §§ 2 Abs 1, 15 Abs 1 u 26 Abs 1 FLAG 1967 mit folgender Begründung zurück:
Seit dem Wintersemester 2020/21 sei die Tochter To ordentlich Studierende. Ihre Tochter habe das 24. Lebensjahr im Jänner 2021 vollendet. Ein Anspruch auf Familienbeihilfe habe bis März 2021 festgestellt werden können.
Die Bf brachte am 01.02.2022 via FinanzOnline Beschwerde ein und begründete diese im Wesentlichen wie folgt:
Laut Auskunft des FA stehe aufgrund der Pandemie zusätzlich ein Covid-Semester zu. Dies sei in diesem Fall das Sommersemester 2021, das mit September 2021 ende. Die Rückforderung für den Zeitraum April 2021 bis September 2021 sei daher nicht gesetzeskonform. Mit 03.02.2021 sei der Bf eine Bestätigung über den Bezug der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge für ihre Tochter für den Zeitraum September 2020 bis September 2021 ausgestellt worden. Als Nachweis dafür, dass To noch Studierende sei, würden die Inskriptionsbestätigungen für das Sommersemester 2021 und das Wintersemester 2021/22 beigelegt werden.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 24.03.2022 erfolgte eine Abweisung der Beschwerde:
Als Covid-19 Krisenzeitraum werde das Sommersemester 2020 angesehen. Da die Tochter To in diesem Zeitraum kein Studium absolviert habe, sei ihr nur die Verlängerung nach § 15 FLAG 1967 zugestanden. Dieser besage, dass bei einem Studium im Zeitraum von März 2020 bis Februar 2021 grundsätzlich noch Anspruch bis März 2021 bestehe. Deshalb habe auch in den Monaten Februar 2021 und März 2021 über das 24. Lebensjahr hinaus Familienbeihilfe gewährt werden können.
Die Bf reichte am 20.04.2022 via FinanzOnline die "Bestätigung über den Bezug der Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag" vom 03.02.2021 nach.
Des Weiteren stellte die Bf am 20.04.2022 den Antrag auf Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht:
Warum das FA offensichtlich davon ausgehe, dass To im Sommersemester 2020 studiert hätte, sei nicht nachzuvollziehen. Es sei als Studienbeginn der Monat September 2020 bekannt gegeben worden. Auch sei immer aktenkundig gewesen, dass To mit 01/21 24 Jahre alt werde und somit keinen Anspruch auf Familienbeihilfe mehr gehabt hätte, wenn nicht COVID gekommen wäre. Nachdem die Zahlung der Familienbeihilfe vom FA nicht, wie von der Bf angenommen, eingestellt worden sei, habe sie telefonisch beim FA wie auch persönlich bei einer Finanzbeamtin bekannt gegeben, dass die die Familienbeihilfe nicht mehr zustehe. Sie habe jedes Mal die Auskunft erhalten, dass aufgrund der COVID Pandemie ein weiteres Semester zustünde. Dies sei ihr schlussendlich auch in dem Schreiben "Bestätigung über den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag" vom 03.02.2021 schriftlich mitgeteilt worden. Hierin werde bestätigt, dass der Bf die Familienbeihilfe für ihre Tochter To von September 2020 bis September 2021 zustünde. Es sei daher nicht nachvollziehbar, warum es zu diesem Rückforderungsbescheid gekommen sei. Es seien alle Fakten offengelegt. Da FA habe im Februar 2021 offensichtlich eine rechtliche Beurteilung vorgenommen, die nun aus welchen Gründen auch immer revidiert werde. Dies widerspreche auch dem Grundsatz von Treu und Glauben.
Mit Bericht vom 06.05.2022 wurde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Gesetzliche Grundlagen
Anspruch auf Familienbeihilfe haben gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist. Bei volljährigen Kindern, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl 305, genannte Einrichtung besuchen, ist eine Berufsausbildung nur dann anzunehmen, wenn sie die vorgesehene Studienzeit pro Studienabschnitt um nicht mehr als ein Semester oder die vorgesehene Ausbildungszeit um nicht mehr als ein Ausbildungsjahr überschreiten. ….
Nach § 3 Abs 1 Z 4 StudFG können österreichische Staatsbürger als ordentliche Studierende an österreichischen Fachhochschul-Studiengängen Förderungen erhalten.
Gemäß § 2 Abs 9 lit b FLAG 1967 verlängert sich die Anspruchsdauer nach Abs 1 lit b und lit d bis j im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise, unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung durch diese Krise für volljährige Kinder, die eine in § 3 des Studienförderungsgesetzes genannte Einrichtung besuchen, abweichend von lit a über die Altersgrenze und die Studiendauer, für die nach Abs 1 Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, hinaus um ein weiteres Semester oder um ein weiteres Ausbildungsjahr, bei einem vor Erreichung der Altersgrenze begonnenen Studium infolge der COVID-19-Krise.
Gemäß § 55 Abs 45 FLAG 1967 tritt § 2 Abs 9 FLAG 1967 mit 1. März 2020 in Kraft.
Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Für Personen, die im Zeitraum von einschließlich März 2020 bis einschließlich Februar 2021 für zumindest einen Monat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind haben, finden gemäß § 15 Abs 1 FLAG 1967 die während dieses Zeitraumes vorliegenden Anspruchsvoraussetzungen im unmittelbaren Anschluss an den Anspruchszeitraum bis März 2021 in Bezug auf dieses Kind weiter Anwendung, solange während dieses Zeitraumes keine andere Person anspruchsberechtigt wird.
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. …. . Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.
2. Sachverhalt
To, die Tochter der Bf, kam am 01/97 zur Welt und vollendete am 01/15 das 18. Lebensjahr und am 01/21 das 24. Lebensjahr.
Seit September 2020 studiert To an der Fachhochschule des BFI A und betrieb laut Leistungsnachweis der Fachhochschule des BFI A vom 10.08.2021 im Wintersemester 2020/21 sowie im Sommersemester 2021 das (laut Curriculum) 6-semestrige Bachelorstudium Europäische Wirtschaft und Unternehmensführung. Im Sommersemester 2020 befand sich die Tochter der Bf in keiner Berufsausbildung.
Die Bf bezog für ihre Tochter To ab September 2020 bis zur Erreichung der Altersgrenze im Monat Jänner 2021 (Vollendung des 24. Lebensjahres) Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag. Darüber hinaus erfolgte die Weitergewährung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge gemäß § 15 FLAG 1967 bis einschließlich März 2021. Zusätzlich wurde vom FA für die Monate April 2021 bis einschließlich September 2021 Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge ausbezahlt, deren Rückforderung nunmehr den Streitgegenstand bildet.
Wie allgemein bekannt, setzte sich die Corona-19-Krise in den Monaten September 2020 bis Jänner/Februar 2021 mit stark gestiegenen Infektionszahlen fort und führte zu weiteren Lockdowns in Österreich; die Universitäten und Hochschulen stellten wieder auf Distance Learning um. (Vgl auch https://de.wikipedia.org/wiki/COVID-19-Pandemie_in_Österreich )
3. Rechtliche Beurteilung
Von September 2020 bis zur Vollendung des 24. Lebensjahres im Monat Jänner 2021 besteht wegen des von der Tochter To in einer in § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992 genannten Einrichtung absolvierten Studiums (vgl Pkt 2 Sachverhalt) zweifellos ein Anspruch der Bf auf Gewährung der Familienbeihilfe gemäß § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967, weshalb auch ab Februar 2021 bis einschließlich März 2021 der weitere Anspruch auf Familienbeihilfe durch § 15 FLAG 1967 ausgelöst wird.
Hinsichtlich einer darüberhinausgehenden Verlängerung des Anspruchszeitraumes bis zum Ende des Sommersemesters 2021 ist auf § 2 Abs 9 FLAG 1967 näher einzugehen:
Durch das 6. COVID-19-Gesetz, BGBl I 28/2020, wurde dem § 2 FLAG 1967 ein Abs 9 angefügt, der gemäß § 55 Abs 45 FLAG 1967 mit 1. März 2020 in Kraft getreten ist und nach dessen lit b sich die Anspruchsdauer nach Abs 1 lit b im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise verlängert.
In den Materialien (126 BlgNR XXVII. GP - Ausschussbericht NR) heißt es dazu:
"Für Volljährige wird die Familienbeihilfe grundsätzlich nur dann gewährt, wenn sie sich in Berufsausbildung befinden (z.B. ein Studium betreiben). Mit Vollendung des 24. Lebensjahres endet der Familienbeihilfenbezug, wobei einige Ausnahmen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres vorgesehen sind (z.B. Ableistung des Präsenz- oder Zivildienstes).
Auf Grund der COVID-19-Krise wird die Absolvierung einer Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) im Regelfall beeinträchtigt und daher die Fortsetzung bzw. der Abschluss verzögert.
Innerhalb der derzeit im FLAG 1967 vorgesehenen Altersgrenze kann eine Unterbrechung der Berufsausbildung (z.B. eines Studiums) insofern saniert werden, als die Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird, durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verlängert werden kann. Die derzeitige COVID-19-Krise ist als derartiges Ereignis anzusehen und zwar unabhängig von der Dauer der Beeinträchtigung. Diese Verlängerung wird unmittelbar in Bezug auf jene Studienphase wirksam, in der die Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise erfolgt.
Um die angesprochenen Nachteile für die in Rede stehende Personengruppe zu kompensieren, deren Gesamtstudiendauer, die für die Gewährung der Familienbeihilfe im Zusammenhang mit der COVID-19-Krise zur Verfügung steht, über die Vollendung des 24. oder 25. Lebensjahres hinausgeht, soll die Zeitdauer der Gewährung der Familienbeihilfe über diese derzeit geltende Altersgrenze hinaus verlängert werden. Damit soll gewährleistet werden, dass auch - zusätzlich zur bereits vorgesehenen Studiendauer, für die Familienbeihilfe gewährt wird - für jene Zeiten Familienbeihilfe weiter gewährt werden kann, in denen der Studienbetrieb beeinträchtigt war. Dies soll durch eine Verlängerung des Anspruches auf die Familienbeihilfe im Falle einer allgemeinen Berufsausbildung um längstens sechs Monate und im Falle eines Studiums um ein Semester bzw. ein Studienjahr erfolgen."
Aufgrund der Lockdowns und der Umstellung auf distance learning (vgl Pkt 2 Sachverhalt) ist im Wintersemester 2020/21 von Beeinträchtigungen durch die COVID-19-Krise auszugehen. Dabei ist kein besonderer Nachweis erforderlich, da eine allgemeine Beeinträchtigung durch die COVID-19-Krise vorliegt. Die Anspruchsdauer nach § 2 Abs 1 lit b FLAG 1967 verlängerte sich daher gemäß § 2 Abs 9 lit b FLAG 1967 für die volljährige Tochter, die im Wintersemester 2020/21 ein in Semester eingeteiltes Studium betrieb (vgl Pkt 2 Sachverhalt), über die Altersgrenze (01/21) hinaus, um ein Semester. Der Bf steht dementsprechend während des gesamten Sommersemesters 2021 Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag zu.
Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.
4. Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art 133 Abs 4 B-VG).
Die Revision ist nicht zulässig, da sich die im Spruch ausgeführte Rechtsfolge aus dem klaren und eindeutigen gesetzlichen Bestimmungen ergibt. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt somit nicht vor.
Salzburg, am 30. Mai 2022
Zusatzinformationen | |
|---|---|
Materie: | Steuer, FLAG |
betroffene Normen: | § 2 Abs. 9 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
