BFG RV/1100066/2022

BFGRV/1100066/202228.4.2022

Haftung des Parteienvertreters für die ImmoESt in objektiv richtiger Höhe?

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2022:RV.1100066.2022

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK


Das Bundesfinanzgericht hat durch den Vorsitzenden Mag. A und die weiteren Senatsmitglieder Dr. W, Mag. T und Mag. M im Beisein der Schriftführerin I in der Beschwerdesache Bf., Rechtsanwalt, S-Straße-xx, GdeX, über die Beschwerde vom 28. April 2016 gegen den Bescheid des Finanzamtes Y (nunmehr: Finanzamt Österreich), E-Straße-yy, GdeX, vom 24. März 2016 betreffend Haftung für die Abfuhr von Immobilienertragsteuer für den Zeitraum 12/2015 in der Sitzung am 26. April 2022 zu Recht erkannt:

Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird (ersatzlos) aufgehoben.

Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

Entscheidungsgründe

Mit Erkenntnis vom 27. September 2021, RV/1100616/2016, hat das Bundesfinanzgericht (Senat) über die Beschwerde abweisend entschieden. Auf den in diesem Erkenntnis dargestellten Gang des Verwaltungsverfahrens wird verwiesen.

Aufgrund der (ordentlichen) Revision vom 8. November 2021 wurde dieses Erkenntnis vom Verwaltungsgerichtshof mit Entscheidung vom 9. Februar 2022, Ro 2022/15/0004-4, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben. Das Höchstgericht hat dabei ua. Nachstehendes erwogen:
""§ 30c Abs. 3 dritter Satz EStG 1988 idF 1. StabG 2012, BGBl. I Nr. 22/2012, lautet:
"Zusätzlich haften die Parteienvertreter für die Richtigkeit der Immobilienertragsteuer nur, wenn diese wider besseren Wissens auf Grundlage der Angaben des Steuerpflichtigen berechnet wird."
Aufgrund des Grundsatzes der materiellen Akzessorietät der Haftung setzt die Geltendmachung einer abgabenrechtlichen Haftung voraus, dass eine Abgabenschuld (gegenüber dem Abgabenschuldner) entstanden und noch nicht erloschen ist (vgl. VwGH 19.3.2015, 2013/16/0200; sowie Ritz/Koran, BAO7, § 7 Tz 10).
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 26. Mai 2021, Ra 2019/15/0046, in Bezug auf private Grundstücksveräußerungen eines Vereins ausgesprochen: "Mit der Entrichtung der Immobilienertragsteuer in der korrekten Höhe gilt die Körperschaftsteuer aus privaten Grundstücksgeschäften als abgegolten (vgl. § 24 Abs. 2 KStG 1988 sowie § 21 Abs. 3 Z 4 KStG 1988 iVm § 30b Abs. 2 EStG 1988)." Auch in Bezug auf private Grundstücksveräußerungen durch Einkommensteuersubjekte setzt die Abgeltungswirkung die gesetzlich richtige ImmoESt voraus (vgl. hiezu auch Jakom/Kanduth-Kristen, EStG 2021, § 30c Rz 14). § 30b Abs. 2 erster Satz EStG 1988 stellt auf die ImmoESt in der dem Gesetz entsprechenden Höhe ab.
Die Haftungstatbestände des § 30c Abs. 3 EStG 1988 werden im angefochtenen Erkenntnis niemals erwähnt. Dem Haftungsbescheid des Finanzamtes ist allerdings zu entnehmen, dass sich die Geltendmachung der Haftung auf § 30c Abs. 3 EStG 1988 stützt, weil im Spruch des Bescheides "§ 30c Abs. 3 Einkommensteuergesetz" genannt ist. Aus dem Umstand, dass das Finanzamt eine Unrichtigkeit in der Ermittlung der Höhe der ImmoESt annimmt, kann geschlossen werden, dass es den Bescheid auf § 30c Abs. 3 dritter Satz EStG 1988 stützen wollte. Sache des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht war sohin die Haftung nach § 30c Abs. 3 dritter Satz EStG 1988.
Zu den tatbestandsmäßigen Voraussetzungen der Haftung nach § 30c Abs. 3 dritter Satz EStG 1988 gehört, dass die ImmoESt "wider besseren Wissens auf Grundlage der Angaben des Steuerpflichtigen berechnet wird."
Im angefochtenen Erkenntnis finden sich zur Frage, ob die Berechnung der ImmoESt wider besseres Wissen auf Grundlage der Angaben des Steuerpflichtigen erfolgt ist, weder Sachverhaltsfeststellungen noch rechtliche Überlegungen. Das Bundesfinanzgericht geht - wie zuvor das Finanzamt bei Erlassung des Haftungsbescheides und der Beschwerdevorentscheidung - mit keinem Wort auf diese Voraussetzung für das Entstehen der Haftung nach § 30c Abs. 3 dritter Satz EStG 1988 ein.
Das Bundesfinanzgericht hat somit verkannt, dass es zu den Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Haftung gehört, dass ein konkreter Haftungstatbestand erfüllt ist.
In Verkennung der Rechtslage hat sich das Bundesfinanzgericht nicht damit auseinandergesetzt, ob der Revisionswerber als Parteienvertreter die Berechnung auf der Grundlage der Angaben des Steuerpflichtigen wider besseres Wissen vorgenommen hat.""

Mit der im Vorverfahren strittigen Frage, ob bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes als Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Immobilienertragsteuer vom Gesamtverkaufspreis das Pauschale für Anschaffungskosten gemäß § 30 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 in Höhe von 40% oder jenes gemäß § 30 Abs. 4 Z 2 EStG 1988 in Höhe von 86% abzuziehen war, hat sich das Höchstgericht im Übrigen nicht (mehr) auseinandergesetzt.

Durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses trat die Rechtssache in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses befunden hat (§ 42 Abs. 3 VwGG).

Die Verwaltungsgerichte sind im fortgesetzten Verfahren verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen (§ 63 Abs. 1 VwGG). Bei seiner neuerlichen Entscheidung ist das Bundesfinanzgericht somit an die Rechtsanschauung des Höchstgerichtes gebunden. Die Bindungswirkung erstreckt sich dabei auf jene Fragen, zu denen sich der Verwaltungsgerichtshof geäußert hat, sowie auf solche Fragen, die notwendige Voraussetzung für den Inhalt des aufhebenden Erkenntnisses sind (vgl. zB VwGH 7.10.2013, 2013/17/0274; VwGH 19.11.2009, 2008/07/0167, jeweils mwN).

Das Bundesfinanzgericht hat im fortgesetzten Verfahren mit E-Mail vom 17. März 2022 die Abgabenbehörde ersucht, zu prüfen, ob sie auf Grund der höchstgerichtlichen Entscheidung vom 9. Februar 2022, Ro 2022/15/0004-4, dem gegenständlichen Beschwerdebegehren (ersatzlose Aufhebung des strittigen Haftungsbescheides) nunmehr folgen kann, und gegebenenfalls bekanntzugeben, ob sie zu einer stattgebenden Erledigung (ersatzlosen Aufhebung) im Rahmen des § 300 BAO bereit wäre. Andernfalls wurde die Abgabebehörde ersucht, zu den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes Stellung zu nehmen und den konkreten Haftungstatbestand durch entsprechende Sachverhaltsfeststellungen und rechtliche Überlegungen zu untermauern.
In der Folge hat sich das Finanzamt mit E-Mail vom 23. März 2022 bereit erklärt, dem Beschwerdebegehren im Rahmen des § 300 BAO stattzugeben.

Nach entsprechender diesbezüglicher Vorhaltung durch das Finanzgericht erklärte der Beschwerdeführer daraufhin mit E-Mail vom 28. März 2022, dass er Wert auf eine Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht lege und daher einer Vorgangsweise nach § 300 BAO nicht zustimme.

Das Bundesfinanzgericht (Senat) hat über die Beschwerde erwogen:

Im Hinblick auf den Sachverhalt wird auf das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 27. September 2021, RV/1100616/2016, verwiesen. Der im Vorverfahren festgestellte Sachverhalt wird auch diesem Verfahren zu Grunde zu legen.

Entsprechend den oben dargestellten Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 9. Februar 2022, Ro 2022/15/0004-4, gehöre es zu den Voraussetzungen für die Geltendmachung einer Haftung, dass ein konkreter Haftungstatbestand erfüllt sei. Sache des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens sei - so das Höchstgericht - die Haftung nach § 30c Abs. 3 dritter Satz EStG 1988 und habe sich das Finanzgericht dementsprechend damit auseinanderzusetzen, ob der bf. Parteienvertreter die Berechnung der ImmoESt auf der Grundlage der Angaben des Steuerpflichtigen wider besseres Wissen vorgenommen habe.

Neben dem Grundfall der (Abfuhr)Haftung iSd § 30c Abs. 3 Satz 1 EStG 1988 haftet der Parteienvertreter nach § 30c Abs. 3 Satz 3 EStG 1988 (eingeschränkt) auch für die ImmoESt in objektiv richtiger Höhe, wenn er "wider besseres Wissen" auf Basis der vom Veräußerer vorgelegten Unterlagen und gemachten Angaben die ImmoESt selbstberechnet. Im Schrifttum wird dazu angesichts der gesetzlichen Formulierung überwiegend die Rechtsansicht vertreten, dass diese inhaltliche Haftung ein Verschulden voraussetzt, das der strafrechtlichen Vorsatzform der Wissentlichkeit entspricht. Diese strengere Haftung soll immer dann zum Tragen kommen, wenn der Parteienvertreter Unterlagen und Angaben des Veräußerers der Berechnung der ImmoESt zugrunde legt, von denen er offenkundig Kenntnis hat, dass sie nicht den Tatsachen entsprechen [vgl. Urtz in Urtz, Immobiliensteuer Update 2013, Seite 383, wonach ua. auch eine (vertretbare) unrichtige rechtliche Beurteilung von einem richtigen Sachverhalt durch einen Parteienvertreter nicht zur Haftung führe; Loser in Hofstätter/Reichel, EStG Kommentar § 30b und § 30c Tz 29; Grill, ÖStZ 2013/702; siehe dazu auch ErlRV zum 1. StabG 2012, 1680 BlgNR 24. GP , 14].

Für ein derartig qualifiziertes Verschulden auf Seiten des bf. Parteienvertreters bestanden im konkreten Fall keine Anhaltspunkte und wurde ein solches im Übrigen auch von der Abgabenbehörde nicht behauptet. Wie im Verfahrensgang dargestellt, hat sich die Abgabenbehörde angesichts der obzitierten höchstgerichtlichen Entscheidung vielmehr mit einer stattgebenden Erledigung der gegenständlichen Beschwerdesache einverstanden erklärt.

Nachdem nun der in Rede stehende Haftungstatbestand nicht erfüllt war, war der Beschwerde Folge zu geben und dementsprechend der angefochtene Haftungsbescheid ersatzlos aufzuheben.

Zulässigkeit der Revision:

Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes uneinheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Beschwerdefall lag keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Die im Beschwerdefall zu lösenden Rechtsfragen beschränkten sich auf Rechtsfragen, welche im Gesetz eindeutig gelöst sind. Im Übrigen hing der Beschwerdefall von der Lösung von nicht über den Einzelfall hinausgehenden Sachverhaltsfragen ab.

Gesamthaft war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 


 

Feldkirch, am 28. April 2022

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 30c Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988

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