Familienbeihilfe - Rückwirkende Beantragung durch den Jugendwohlfahrtsträger bei Übertragung der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2021:RV.7100354.2021
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die RichterinIBV in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, Dresdner Str. 43, 1200 Wien, über die Beschwerde vom 21. August 2020 (beim Finanzamt eingelangt am 17. September 2020 ) gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 (nunmehr Finanzamt Österreich) vom 19. August 2020 betreffend die Monate Jänner 2016 bis Oktober 2019 zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird (ersatzlos) aufgehoben.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Mit Schriftsatz vom 21.11.2019, beim Finanzamt eingelangt am 25.11.2019, beantragte die minderjährige Beschwerdeführerin (kurz: Bf), vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, die Zuerkennung der Familienbeihilfe gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 ab 01.01.2016. Für den Fall, dass einem Elternteil bislang die Familienbeihilfe ausbezahlt worden sei und diesem Elternteil die Familienbeihilfe auch nicht rückwirkend aberkannt werde, gelte der vorliegende Antrag nur für zukünftige Zeiträume ab Antragstellung. Begründet wurde der Antrag wie folgt:
Nach Auffassung des Magistrats der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2,20, genüge für die rückwirkende Antragstellung, dass die Wiener Kinder- und Jugendhilfe mit der Pflege und Erziehung des Kindes betraut sei. Da es jedoch durchaus sein könne, dass in weiterer Folge diese Vertretungsbefugnis für den rückwirkenden Teil des Antrages nicht als ausreichend erkannt werde, sei mit gleicher Post der aus der Beilage ersichtliche Antrag auf Betrauung der Kinder- und Jugendhilfe mit der Obsorge im Bereich Beantragung und Verwaltung der Familienbeihilfe beim Pflegschaftsgericht gestellt worden. Das antragstellende Kind befinde sich seit 11.05.2015 in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung. Der Stadt Wien würden dadurch Kosten von mindestens 80,00 Euro täglich entstehen. Das antragstellende Kind habe kein Einkommen. Von der Mutter des Kindes würden seit Antragsbegehren keine Kostenersatzbeträge einlangen. Der Eigenanspruch der Familienbeihilfe begründe sich durch regelmäßig geleisteten Naturalunterhalt.
Folgende Beilagen seien diesem Antrag angeschlossen: schriftliche Vereinbarung über die Unterbringung des Kindes, Antrag über die Betrauung mit der Vermögensverwaltung hinsichtlich der Beantragung und Verwaltung der Familienbeihilfe, Übergangsanzeige, Nachweis über Besuchskontakte zur Kindesmutter.
In einem Schriftsatz vom 10.06.2020, beim Finanzamt eingelangt am 15.06.2020, verwies die Bf, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, auf eine Entscheidung des OGH vom 20.05.2020, 6 Ob 62/20s, und führte aus, dass für die Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruches des Kindes auf Familienbeihilfe die Betrauung mit der Pflege und Erziehung ausreichend sei. Im Umkehrschluss sei die Vermögensverwaltung nicht notwendig, weshalb ersucht werde, den Antrag zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 19.08.2020 wies das Finanzamt den Antrag vom 15.06.2020 auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Jänner 2016 mit nachstehender Begründung ab:
Aufgrund der vorliegenden Entscheidung sei davon auszugehen, dass die darin enthaltenen Ausführungen des OGH sich lediglich auf die Geltendmachung eines laufenden Familienbeihilfenanspruches bezögen (mit der Frage von rückwirkenden Ansprüchen habe sich der OGH in diesem Erkenntnis nicht auseinandergesetzt). Die Geltendmachung eines laufenden Familienbeihilfeanspruches betreffe zweifelsfrei die Deckung der aktuellen, angemessenen Lebensbedürfnisse. Mit der Geltendmachung von rückwirkenden Familienbeihilfenbeträgen würden im Sinne der vorliegenden Entscheidung jedoch keine Beträge zur Deckung von aktuellen Lebensbedürfnissen geltend gemacht werden. Da sich diese Geldbeträge auf bereits vergangene Zeiträume bezögen, würden hier die genannten Kriterien des OGH für eine Zuordnung dieser finanziellen Beträge zum Unterhaltsbereich fehlen. Vielmehr würden mit der erfolgreichen Geltendmachung von Familienbeihilfenbeträgen für vergangene Zeiträume finanzielle Beträge erzielt werden, die zu einer Vermehrung des Stammvermögens des Kindes führen würde, da diese ja nicht mehr dazu dienen könnten, die aktuellen Lebensbedürfnisse zu decken, sondern jene der Vergangenheit.
Die Bf, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, brachte gegen diesen Bescheid fristgerecht mit im Wesentlichen nachstehender Begründung Beschwerde ein:
Mit Mitteilung vom 15.06.2020 sei neben dem Abweisungsbescheid die Bekanntgabe erfolgt, dass die Familienbeihilfe ab November 2019 gewährt werde. Es liege daher offenbar kein materieller Grund für den Abweisungsbescheid vor, sondern gehe das Finanzamt davon aus, dass der Kinder- und Jugendhilfeträger nicht befugt sei, die Bf zu vertreten. Dazu werde auf die Entscheidungen des OGH vom 20.05.2020, 6 Ob 62/20s, und 6 Ob 50/20a, und auf die Entscheidung des OGH vom 24.10.2012, 8 Ob 99/12k, verwiesen. Im Zusammenwirken dieser drei Erkenntnisse ergebe sich eindeutig, dass die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung ausreiche, um das Kind im Verfahren auf Zuerkennung der Familienbeihilfe zu vertreten, unabhängig davon, ob der Antrag nur die Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Antragstellung oder auch für rückwirkende Zeiträume anstrebe. Der Kinder- und Jugendhilfeträger Wien sei im vorliegenden Fall mit der Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung betreffend die Bf betraut, was auch vom Finanzamt nicht bezweifelt werde. Dies legitimiere den Kinder - und Jugendhilfeträger entsprechend der genannten Rechtsprechung des OGH zur Antragstellung auf Familienbeihilfe sowohl für laufende als auch für rückwirkende Zeiträume.
Gerade bei der Antragstellung auf Familienbeihilfe nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 sei es geradezu typisch, dass nicht nur die Familienbeihilfe ab Antragstellung begehrt werde, sondern auch für einen gewissen rückwirkenden Zeitraum. Bei Übernahme des Kindes in volle Erziehung müssten nämlich die anspruchsbegründenden Umstände vor einer Antragstellung auf Gewährung der Familienbeihilfe erst abgeklärt werden. Dafür müssten etwa Nachweise über allfälliges Eigeneinkommen des Kindes beschafft werden oder es müsse erst abgewartet werden, ob die Eltern ihre Unterhaltsverpflichtungen halbwegs regelmäßig erfüllen würden, damit der anspruchsbegründende Tatbestand erfüllt sei, dass sich das Kind nicht zur Gänze auf Kosten des Kinder- und Jugendhilfeträgers in voller Erziehung befinde. In einer solchen Situation hinsichtlich der Vertretungsbefugnis danach zu differenzieren, ob der Antrag nur laufende Perioden ab Antragstellung oder in gewissem Umfang auch rückwirkende Perioden betreffe, stehe einerseits nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des OGH und stehe andererseits damit einer raschen Abwicklung ohne zwingenden Grund entgegen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 17.11.2020 erfolgte die Abweisung der Beschwerde. Der Spruch des Bescheides vom 19.08.2020 wurde folgendermaßen geändert: "Ihr Antrag auf Familienbeihilfe vom 25.11.2019 wird für den Zeitraum Jänner 2016 bis Oktober 2019 zurückgewiesen." Begründend wurde dazu ua Folgendes ausgeführt:
Gemäß der Entscheidung des OGH vom 24.10.2012, 8 Ob 99/12k, sei die Geltendmachung eines Familienbeihilfenanspruches dem Bereich der Geltendmachung von unterhaltsrechtlichen Ansprüchen zuzuordnen. Dies ergebe sich (nach Rechtsansicht der Fachabteilung für Familienbeihilfe) auch aus den primären Zielsetzungen des FLAG 1967 gemäß welcher Unterhaltskosten, die durch die Betreuung und Versorgung von Kindern entstünden, ausgeglichen und der Mindestunterhalt des Kindes sichergestellt werden sollte.
In Fällen einer Fremdunterbringung im Rahmen der vollen Erziehung (Kinderschutzmaßnahme) verfüge der Kinder- und Jugendhilfeträger über die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung.
Entsprechend der vorliegenden Entscheidung des OGH und nach Rechtsansicht des Justizressorts sowie des BKA falle die Geltendmachung von Familienbeihilfenbeträgen für vergangene Zeiträume nicht in den Bereich der Pflege und Erziehung, da sich diese nicht auf aktuelle Lebensbedürfnisse beziehe. Vielmehr würde dies die Geltendmachung von Vermögensbestandteilen bedeuten, die durch die einmalige rückwirkende Auszahlung zu einem Ertrag und Bildung von Stammvermögen des Kindes führen würden.
Nach Rechtsansicht des Justizressorts seien Kinder- und Jugendhilfeträger, welche nur über eine Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung verfügen würden, nicht legitimiert, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe für vergangene Zeiträume zu stellen. Für die Antragstellung und Geltendmachung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume müsste somit auch eine Obsorgeübertragung auf den Kinder- und Jugendhilfeträger im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein.
Mit Schriftsatz vom 12.01.2021, beim Finanzamt eingelangt am 14.01.2021, beantragte die Bf, vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, unter Hinweis auf die am 15.12.2020 beim gesetzlichen Vertreter der Bf eingelangte Beschwerdevorentscheidung vom 17.11.2020 fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Ergänzend wurde ausgeführt:
Der OGH habe bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen würden, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen seien. Dementsprechend betreffe die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen stehe damit grundsätzlich jenem Elternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukomme bzw übertragen worden sei. Für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme von Unterhalt und der Geltendmachung bestehe kein sachlicher Grund.
Berücksichtige man nun, dass seit der Entscheidung des OGH vom 11.12.2019, 4 Ob 150/19s, eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht stattgefunden habe und die so genannte Familienbeihilfenanrechnung - jedenfalls bei minderjährigen Kindern - nicht mehr vorzunehmen sei, so verbleibe als Zweck der Familienbeihilfe, die Pflege und Erziehung des Kindes (als Zuschuss) zu erleichtern und die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen auszugleichen. Gerade diesem Zweck diene aber auch der Unterhaltsbeitrag, den der geldunterhaltspflichtige Elternteil gemäß § 231 ABGB zu leisten habe, womit nicht ersichtlich sei, weshalb zwar Geltendmachung und Empfangnahme von Kindesunterhalt zum Obsorgebereich Pflege und Erziehung gehören sollte, nicht aber Geltendmachung und Empfangnahme von dem Kind zustehenden Familienbeihilfenleistungen. Es sei somit auch für rückwirkenden Zeiträume die Vertretung im Bereich Pflege und Erziehung ausreichend.
Mit Bericht vom 22.02.2021 erfolgte die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. In der Sachverhaltsdarstellung wurde vom Finanzamt festgehalten, dass sich die Bf seit 11.05.2015 in einer sozialpädagogischen Einrichtung im Rahmen der vollen Erziehung befinde, die Kinder- und Jugendhilfe seit diesem Zeitpunkt die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung innehabe und von der Kindesmutter seit Antragsbegehren keine Kostenersatzbeiträge erfolgt seien. In der Stellungnahme führte das Finanzamt aus, dass der Kinder- und Jugendhilfeträger, welcher nur über eine Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung verfüge, nicht legitimiert sei, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe für vergangene Zeiträume zu stellen. Für die Antragstellung und Geltendmachung der Familienbeihilfe durch den Kinder- und Jugendhilfeträger für vergangene Zeiträume müsste somit auch eine Obsorgeübertragung auf den Kinder- und Jugendhilfeträger im Bereich der Vermögensverwaltung vorhanden sein.
DAZU WIRD ERWOGEN
Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht gemäß § 279 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Einleitend ist festzuhalten, dass im gegenständlichen Fall der Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, am 25.11.2019 einen mit 21.11.2019 datierten Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe für die Bf beim Finanzamt einbrachte und diesen mit einem Schriftsatz vom 10.06.2020, beim Finanzamt eingelangt am 15.06.2020, ergänzte. Das Finanzamt führte im Bescheid vom 19.08.2020 als Antragsdatum den 15.06.2020 an. Es wurde zwar zu diesem Datum kein Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe von Seiten der Bf eingebracht, sondern lediglich ein ergänzender Schriftsatz, doch ergibt sich aus der Anführung der involvierten Personen und des betroffenen Zeitraumes, dass mithilfe dieses Bescheides der Antrag vom 21.11.2019, beim Finanzamt eingelangt am 25.11.2019, erledigt wurde, sodass der angefochtene Bescheid nicht mit der Begründung aufzuheben ist, das Finanzamt habe über einen Antrag abgesprochen, der nicht gestellt worden sei. (Vgl VwGH vom 18.02.2021, Ra 2020/16/0010).
Eine Aufhebung hat beispielsweise zu erfolgen, wenn ein verfahrensrechtlicher Bescheid (zB Zurückweisung eines Antrages, Zurücknahmebescheid gemäß § 85 Abs. 2 BAO) zu Unrecht erlassen wurde. (Vgl. Ritz, BAO6, § 279 Rz 6).
Im gegenständlichen Fall wurde über den Antrag vom 21.11.2019, beim Finanzamt eingelangt am 25.11.2019, auf Zuerkennung der Familienbeihilfe ab Jänner 2016 ausschließlich deshalb abschlägig entschieden (laut Bescheid vom 19.08.2020: Abweisung ab Jänner 2016, laut Beschwerdevorentscheidung vom 17.11.2020: abgeändert in zurückgewiesen für den Zeitraum Jänner 2016 bis Oktober 2019), weil der Magistrat der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20 mangels Vorliegens einer Obsorgeübertragung im Bereich der Vermögensverwaltung nicht legitimiert sei, einen rückwirkenden Antrag auf Familienbeihilfe zu stellen und insoweit nicht vertretungsbefugt sei. Die Begründung des angefochtenen Bescheides und die Beschwerdevorentscheidung lassen erkennen, dass das Wort "Abweisungsbescheid" und "abzuweisen" als ein Vergreifen im Ausdruck zu werten ist. Es handelt sich bei dem angefochtenen Bescheid um eine Zurückweisung eines Antrages wegen mangelnder Aktivlegitimation für vergangene Zeiträume, die vor dem Monat der Antragstellung liegen. Auch im Vorlagebericht wird ausschließlich die Frage der Aktivlegitimation hinsichtlich der vor der Antragstellung liegenden Zeiträume releviert.
Unstrittig ist, dass sich die Bf seit Mai 2015 in voller Erziehung der Stadt Wien befindet und dem Magistrat der Stadt Wien, Kinder- und Jugendhilfe, die Obsorge im Bereich der Pflege, nicht aber im Bereich der Vermögensverwaltung übertragen wurde. Von der Kindesmutter erfolgten seit Antragsbegehren keine Kostenersatzbeiträge (vgl auch Bericht vom 22.02.2021).
Zu klären ist somit, ob dem Magistrat der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, dem die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung für die mj Bf übertragen wurde, befugt ist, als Vertreter für die Bf rückwirkend einen (Eigen)Antrag auf Familienbeihilfe iSd § 6 Abs 5 FLAG 1967 zu stellen:
Laut Beschluss des OGH vom 20.05.2020, 6 Ob 62/20s, hat der OGH bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich demjenigen zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde. Zweck der Familienbeihilfe ist, die Pflege und Erziehung des Kindes (als Zuschuss) zu erleichtern und die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen - zumindest zum Teil - auszugleichen. Gerade diesem Zweck dient aber auch der Unterhaltsbeitrag, den der geldunterhaltspflichtige Elternteil gemäß § 231 ABGB zu leisten hat, womit nicht ersichtlich ist, weshalb zwar Geltendmachung und Empfangnahme von Kindesunterhalt zum Obsorgeteilbereich Pflege und Erziehung gehören sollen, nicht aber Geltendmachung und Empfangnahme von dem Kind zustehenden Familienbeihilfenleistungen.
In der Entscheidung des OGH vom 20.05.2020, 6 Ob 50/20a, ist der OGH der Rechtsauffassung des dortigen Revisionsrekurswerbers, für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbemessungsantrages sei die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung nicht ausreichend, sondern sei dafür die Obsorge im Bereich der Vermögensverwaltung erforderlich, entgegen getreten und hat ausdrücklich ausgesprochen, dass auch für den rückwirkenden Teil des Unterhaltsbegehrens die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung die entsprechende Grundlage bietet.
Das Bundesfinanzgericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass der Magistrat der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirke 2, 20, dem die Obsorge im Bereich Pflege und Erziehung unstrittig übertragen wurde, befugt war, für die Bf (auch) rückwirkend für den Zeitraum Jänner 2016 bis Oktober 2019 die Familienbeihilfe zu beantragen. Eine Spezialvollmacht im Bereich der Vermögensverwaltung für die Geltendmachung eines rückwirkenden Familienbeihilfenbezuges ist nicht erforderlich. (Vgl. BFG 03.02.2021, RV/7100110/2021, BFG 02.03.2021, RV/7100302/2021, BFG 18.03.2021, RV/7100131/2021).
Dieser Rechtsansicht hat sich im Übrigen auch die Bundesministerin für Frauen, Familien und Jugend im Bundeskanzleramt angeschlossen. Das Finanzamt Österreich wurde in einer Information der Abt. VI/1 der Sektion Familie und Jugend im Bundeskanzleramt, Stand März 2021, entsprechend in Kenntnis gesetzt.
Die Vertretungsbefugnis des Magistrates der Stadt Wien Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung16, 17, 18, 19, ist damit zu bejahen. Die Aktivlegitimation des Einschreiters ist gegeben.
Es ist somit spruchgemäß zu entscheiden.
Revision
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. (Art 133 Abs 4 B-VG).
Diese Voraussetzungen liegen im gegenständlichen Fall auf Grund der zitierten höchstgerichtlichen Entscheidungen nicht vor. Eine Revision wird daher nicht zugelassen.
Salzburg, am 20. April 2021
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 279 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
