OGH 6Ob50/20a

OGH6Ob50/20a20.5.2020

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen E*, geboren am * 2006, und A*, geboren am * 2008, beide *, vertreten durch das Land Salzburg (Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung, 5020 Salzburg, Karl-Wurmbstraße 17) als Kinder- und Jugendhilfeträger, über den Revisionsrekurs des Vaters Dipl.‑Ing. (FH) M*, vertreten durch DDr. Karl Hiebl und andere Rechtsanwälte in Braunau am Inn, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 28. November 2019, GZ 21 R 257/19v‑43, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Oberndorf vom 17. Juli 2019, GZ 1 Pu 110/15x‑38, teilweise bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2020:E128701

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig:

Das Rekursgericht hat seinen (über Zulassungsvorstellung des Vaters abgeänderten) Zulässigkeitsausspruch damit begründet, der Vater mache in seiner Zulassungsvorstellung geltend, der für die beiden Minderjährigen einschreitende Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) sei ohne ausreichende Vertretungsbefugnis für die Kinder eingeschritten.

Die beiden Minderjährigen sind die Kinder von Dipl.‑Ing. (FH) M* und C*, deren Ehe mit Beschluss vom 24. 1. 2012 geschieden wurde. Im Scheidungsfolgenvergleich hatten die Eltern zwar die gemeinsame Obsorge beider vereinbart, tatsächlich war und ist aber seit Jahren ein Obsorge- und Kontaktrechtsstreit zwischen den Eltern anhängig; im Laufe dieses Verfahrens wurde die Obsorge für beide Kinder vom Pflegschaftsgericht mit Beschluss vom 15. 7. 2016 dem Vater übertragen. Die Kinder leben (jedenfalls) seit Mitte März 2018 (wieder) im Haushalt der Mutter.

Über Antrag der Kinder vom 10. 4. 2019, vertreten durch den KJHT, verpflichteten die Vorinstanzen (insoweit revisionsrekursverfahrensgegenständlich) den Vater zur Zahlung rückwirkender Unterhaltsbeiträge für den Zeitraum 1. 4. 2018 bis 31. 7. 2019 in Höhe von insgesamt jeweils 4.428 EUR und für den Zeitraum ab 1. 8. 2019 in Höhe von monatlich jeweils 300 EUR. Dem KJHT sei mit Beschluss vom 21. 3. 2017 die Obsorge im Teilbereich der gesetzlichen Vertretung vorläufig übertragen und diese insoweit dem Vater entzogen worden; diese Maßnahme sei bislang weder aufgehoben noch abgeändert worden.

1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich jenem Elternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde. Für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme von Unterhalt und der Geltendmachung besteht kein sachlicher Grund (8 Ob 99/12k [ErwG 3.3.] EF‑Z 2013/55 = iFamZ 2013/48 [Fucik]). Der Lebensbedarf des Kindes einschließlich einer altersüblichen Freizeitgestaltung sei primär von den Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu bestreiten; nur die nach Befriedigung der Verwaltungskosten verbleibenden Erträgnisse des Vermögens des Kindes seien zur Deckung seines Unterhalts zu verwenden. Der Vermögensstamm dürfe zur Bestreitung des Lebensbedarfs nur ausnahmsweise herangezogen werden, wenn die Unterhaltsleistungen der Eltern (und Großeltern) nicht ausreichen. Der Unterhalt diene also der Deckung der aktuellen, angemessenen (Lebens‑)Bedürfnisse des Kindes. Dies betreffe vor allem die regelmäßig benötigten Betreuungs- und Versorgungsleistungen, die benötigten Leistungen zur Wahrung des körperlichen Wohls und der Gesundheit, weiters die Aufwendungen für die Ausbildung und zur Freizeitgestaltung. Die Vermögensverwaltung betreffe demgegenüber die Erhaltung und mögliche Vermehrung des Stammvermögens sowie die Gebarung mit den Erträgnissen. Nur wenn der Einsatz des eigenen Vermögens des Kindes im Einzelfall zur Befriedigung seiner aktuellen Bedürfnisse erforderlich ist, sei mit der Vermögensverwaltung auch die Bestreitung von Ausgaben für das Kind geboten. Die Vermögensverwaltung betreffe also die Heranziehung des eigenen Stammvermögens und der Erträgnisse des Kindes.

Diese Entscheidung wurde sowohl von zweitinstanzlicher Rechtsprechung (LGZ Wien EFSlg 137.624 [2013]) übernommen als ihr auch von der Literatur (Gitschthaler in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 158 Rz 4; ebenda Neuhauser § 231 Rz 514; im Ergebnis auch Barth in Klang³ [2008] §§ 176, 176b ABGB Rz 16) zugestimmt. Es besteht somit keine Veranlassung (ebenso 6 Ob 62/20s), von der Auffassung wieder abzugehen, wonach die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen grundsätzlich – außer bei anderslautender Beschlussfassung – demjenigen zusteht, dem Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde (8 Ob 99/12k [ErwG 6.1.]); dies kann auch der KJHT sein (vgl 8 Ob 99/12k; Neuhauser aaO).

2. Wie dem erkennenden Senat aus dem Pflegschaftsverfahren bekannt ist (siehe 6 Ob 57/18b im Ps‑Akt) und von den Vorinstanzen auch (teilweise) festgestellt wurde, entzog das Pflegschaftsgericht mit Beschluss vom 21. 3. 2017 (ON 219 des Ps‑Akts) dem Vater vorläufig die Obsorge für die beiden Kinder im „Teilbereich der gesetzlichen Vertretung“ und übertrug sie an den KJHT. Der Begründung dieses Beschlusses lässt sich allerdings entnehmen, dass sich die Obsorgeentziehung auf die Vertretung der Kinder betreffend den Schulbesuch bzw deren vorzeitige „Entziehung“ aus der Schule durch den Vater bezog; Hintergrund dafür war, dass der Vater die Kinder häufig nicht in die Schule geschickt hatte, um der Mutter eine Kontaktaufnahme dort zu verunmöglichen, und hiefür sodann Entschuldigungsschreiben an die Schule verfasst hatte. Eine Übertragung der Obsorge im Teilbereich Pflege und Erziehung im Sinn der erwähnten Rechtsprechung (8 Ob 99/12k; 6 Ob 62/20s) kann somit aus dem Beschluss vom 21. 3. 2017 nicht abgeleitet werden, auch wenn der Vater in seinem Revisionsrekurs selbst hievon ausgeht.

3. Mit Eingabe vom 24. 3. 2017, beim Pflegschaftsgericht eingelangt am 29. 3. 2017, teilte der KJHT mit, es sei für die Kinder am 24. 3. 2017 „Gefahr in Verzug ausgesprochen“ und die Obsorge nach § 181 ABGB an den KJHT „übertragen“ worden. Mit Beschluss vom 19. 4. 2017 (ON 240 des Ps‑Akts) erklärte daraufhin das Pflegschaftsgericht die Übertragung der Obsorge für die Kinder wegen Gefahr in Verzug gemäß § 211 Abs 1 ABGB an den KJHT für vorläufig zulässig, setzte eine Kontaktregelung in Form eines begleiteten Besuchsrechts zwischen dem Vater und den Kindern fest und wies den Antrag des Vaters auf sofortige Rückführung von E* in den väterlichen Haushalt ab. Das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht wies mit Beschluss vom 25. 10. 2017 (ON 374) den vom Vater gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurs zurück bzw gab dem Rekurs hinsichtlich der Kontaktregelung keine Folge. Hinsichtlich der Zurückweisung führte das Rekursgericht aus, es habe sich beim angefochtenen Beschluss insoweit um eine Entscheidung nach § 107a Abs 1 AußStrG gehandelt, die unanfechtbar sei. Der erkennende Senat wies zu 6 Ob 57/18b den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurück.

3.1. In seinem außerordentlichen Revisionsrekurs hatte der Vater unter anderem moniert, dass die Entscheidung des Pflegschaftsgerichts betreffend die Übertragung der Obsorge an den KJHT antragslos ergangen sei. Der Beschluss sei deshalb unzulässig und nichtig, die Maßnahme des KJHT sei infolge fehlenden Antrags automatisch außer Kraft getreten. Diese Argumentation wird auch im vorliegenden Revisionsrekurs wiederholt. Der Vater übersieht dabei allerdings, dass zum einen durch die Entscheidungen des Rekursgerichts und des Obersten Gerichtshofs im Pflegschaftsverfahren die vom Pflegschaftsgericht mit Beschluss vom 19. 4. 2017 ausgesprochene vorläufige Zulässigerklärung der Übertragung der Obsorge für die Kinder an den KJHT wegen Gefahr in Verzug gemäß § 211 Abs 1 ABGB in Rechtskraft erwachsen (daran vermag auch der Hinweis des Vaters im Revisionsrekurs auf Art 13 EMRK nichts zu ändern) und nach den Feststellungen zwischenzeitig auch nicht aufgehoben oder abgeändert worden ist. Zum anderen ist zu bedenken, dass das Pflegschaftsgericht gemäß § 181 ABGB bei Gefahr in Verzug (Kindeswohlgefährdung) auch jederzeit von Amts wegen tätig werden und vorläufige Maßnahmen anordnen kann (vgl bloß Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 181 Rz 49; § 107 Abs 2 AußStrG); der Beschluss vom 19. 4. 2017 hätte somit vom Pflegschaftsgericht auch aus eigenem als vorläufige Maßnahme getroffen werden können, womit sich das Argument des Vaters erledigt, es habe mangels Antragstellung überhaupt keine Entscheidungskompetenz des Pflegschaftsgerichts bestanden.

3.2. Aufgrund dieser gegebenen Beschlusslage sind die Vorinstanzen somit in vertretbarer Weise davon ausgegangen, dass dem KJHT sowohl bei Antragstellung in diesem Unterhaltsverfahren als auch nach wie vor die Obsorge für die beiden Kinder (jedenfalls) im Teilbereich Pflege und Erziehung zukam bzw zukommt und er deshalb im Sinn der dargestellten Rechtsprechung (1.) berechtigt war und ist, die Kinder im Unterhaltsverfahren zu vertreten. Auch Neuhauser (aaO) geht zutreffend davon aus, dass dann, wenn der KJHT nach § 211 ABGB die gesamte Pflege und Erziehung – undifferenziert – an sich zieht, nach den Grundsätzen dieser Rechtsprechung damit auch die Unterhaltsvertretung des Kindes in den Händen des KJHT liegt.

Da nach der Entscheidung 8 Ob 99/12k (ErwG 3.3.) für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme und der Geltendmachung von Unterhalt kein sachlicher Grund besteht (ebenso 6 Ob 62/20s), teilt der erkennende Senat auch nicht die Auffassung des Vaters im Revisionsrekurs, eine Vertretungsbefugnis des KJHT für die beiden Kinder bestehe hier in „Unterhaltssachen, jedenfalls was den rückständigen Unterhalt betrifft“ – jedenfalls in diesem Fall sei Vermögensverwaltung gegeben – nicht: Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Vermögensbildung zu Sparzwecken (jedenfalls bei unbestimmter Verwendung oder mit längerfristigem Ansparziel) kein den Unterhaltsanspruch erhöhendes Bedürfnis des Kindes darstellt; im Regelfall sind Maßnahmen der Vermögensbildung auch nicht als Naturalunterhaltsleistung anrechenbar, weil der Unterhalt der Befriedigung der gegenwärtigen Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten dient (2 Ob 67/09f; 1 Ob 193/17i EF‑Z 2018/38 [Gitschthaler]; 10 ObS 80/19s). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es – wie hier – um die einseitige (gerichtliche) Festsetzung der Unterhaltspflicht geht (2 Ob 67/09f).

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