BFG RV/7102487/2014

BFGRV/7102487/20145.2.2021

Rechtzeitigkeit eines Antrages gemäß § 295 Abs. 4 BAO idF BGBl. I Nr. 3/2021 - Aufhebung des Zurückweisungsbescheides

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2021:RV.7102487.2014

 

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache Bf vertreten durch StB über die Beschwerde vom 16. Jänner 2014 gegen den Bescheid des Finanzamtes FA (nunmehr ***FA***) vom 17. Dezember 2013 betreffend die Zurückweisung der Anträge gemäß § 295 Abs. 4 BAO und § 303 BAO vom 27. Dezember 2012 hinsichtlich der Einkommensteuer für das Jahr 1998 zu Recht erkannt:

 

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 Bundesabgabenordnung (BAO) Folge gegeben.

Der Zurückweisungsbescheid vom 17. Dezember 2013 wird ersatzlos aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

 

Entscheidungsgründe

 

Verfahrensverlauf und entscheidungsrelevanter Sachverhalt

Der Beschwerdeführer (in der Folge Bf) war im Jahr 1998 ua an der N-KG (vormals N-KEG) beteiligt, wobei der vom Bf aus dieser Beteiligung erklärte Verlust in Höhe von -4.783.052 Schilling (entspricht -347.597,94 Euro) im Einkommensteuerbescheid 1998 vom 8. März 2000 ursprünglich erklärungsgemäß veranlagt wurde.

Nach Durchführung einer Außenprüfung bei dieser Personengesellschaft wurden mit den Bescheiden vom 7. Dezember 2006 ua betreffend das Jahr 1998 gemäß § 188 BAO Einkünfte festgestellt und den Komplementären der Gesellschaft, nicht aber den Kommanditisten, unter denen sich auch der Bf befand, zugewiesen. Betreffend die Kommanditisten wurden Erledigungen erlassen, in denen insbesondere festgehalten wurde, dass eine Feststellung der Einkünfte zu unterbleiben habe.

In der Folge wurde der Einkommensteuerbescheid 1998 am 19. Dezember 2006 vom Finanzamt gemäß § 295 Abs. 1 BAO dahingehend abgeändert, dass das für diese Beteiligung erklärte Ergebnis ausgeschieden wurde.

Am 12. Jänner 2007 erhob der Bf gegen diesen (abgeleiteten) Bescheid Berufung und brachte begründend vor, dass hinsichtlich der Einkommensteuer 1998 Verjährung eingetreten sei. Die Behörde erledigte die Berufung mit abweisender Berufungsvorentscheidung vom 5. März 2007 und führte zur Begründung aus, dass abgabenbehördliche Prüfungen, deren Gegenstand Feststellungsverfahren sind, die Verjährungsfrist der von den Feststellungsbescheiden jeweils abgeleiteten Abgaben verlängern würden. Gegen diese Erledigung erhob der Bf kein weiteres Rechtmittel; der gemäß § 295 Abs. 1 BAO ergangene Einkommensteuerbescheid 1998 vom 19. Dezember 2006 erwuchs somit in Rechtskraft.

Im Beschluss vom 26. November 2012, RV/0129-K/08, stellte der unabhängige Finanzsenat fest, dass die an die N-KG bzw deren Kommanditisten ergangenen Feststellungs- bzw Nichtfeststellungsbescheide wegen Verstoßes gegen das iSd § 188 BAO geltende Gebot der Einheitlichkeit Nichtbescheide waren, und wies die dagegen gerichteten Berufungen als unzulässig zurück.

In der Folge beantragte der Bf mit der Eingabe vom 27. Dezember 2012 den Einkommensteuerbescheid 1998 gemäß § 295 Abs. 4 BAO aufzuheben bzw in eventu das Verfahren zur Festsetzung der Einkommensteuer des Jahres 1998 gemäß § 303 BAO wiederaufzunehmen.

Der Übersichtlichkeit halber wird der gesamte Verfahrensverlauf betreffend die Einkommensteuer 1998 in der Folge tabellarisch dargestellt:

Datum Verfahren Einkommensteuer 1998

29.10.1999 Tangente N-KG (ATS -4.783.052) - vorläufige Festsetzung

01.03.2000 Abgabe der Einkommensteuererklärung

08.03.2000 Einkommensteuerbescheid (Erstbescheid)

28.06.2000 Tangente X-OEG (ATS 7.628.821)

06.07.2000 Bescheidänderung nach § 295 Abs. 1 BAO unter Berücksichtigung der Tangente X-OEG

12.07.2000 Berufung gegen den abgeleiteten Bescheid vom 06.07.2000

28.07.2000 Berufungsvorentscheidung unter Berücksichtigung der Tangente N-KG (ATS -4.783.052)

07.12.2006 Tangente N-KG (EUR 0,00) - endgültige Festsetzung nach Durchführung einer Außenprüfung

15.12.2006 Berufung gegen die Grundlagenbescheide N-KG (Feststellungs- und Nichtfeststellungsbescheide)

19.12.2006 Bescheidänderung nach § 295 Abs. 1 BAO unter Berücksichtigung der Tangente N-KG (EUR 0,00)

12.01.2007 Berufung gegen den abgeleiteten Bescheid vom 19.12.2006

05.03.2007 Abweisung der Berufung vom 12.01.2007 gegen den abgeleiteten Bescheid mit Berufungsvorentscheidung

05.04.2007 Rechtskraft des abgeleiteten Bescheides vom 19.12.2006

31.12.2008 Eintritt der absoluten Verjährung

05.04.2012 Ablauf der Fünfjahresfrist des § 304 lit. b BAO

26.11.2012 Berufungsentscheidung N-KG - Zurückweisung der Berufung wegen Vorliegens von Nichtbescheiden

27.12.2012 Anträge gemäß § 295 Abs. 4 BAO und § 303 BAO

Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 17. Dezember 2013 wies das Finanzamt die Anträge vom 27. Dezember 2012 als verspätet zurück. Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, dass betreffend die Einkommensteuer des Jahres 1998 bereits Verjährung eingetreten sei bzw die Fristen des § 304 BAO bereits abgelaufen seien.

Gegen diesen Zurückweisungsbescheid legte der Bf am 16. Jänner 2014 fristgerecht Beschwerde ein. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass im konkreten Fall der im § 304 lit. b BAO angesprochene Bescheid nur jene Berufungsentscheidung sein könne, mit der sich herausstellte, dass es sich bei den als Feststellungsbescheide intendierten Erledigungen des Finanzamtes um absolut nichtige Verwaltungsakte (somit um Nichtbescheide) gehandelt habe. Diese Berufungsentscheidung sei jedoch erst im November 2012 ergangen und im Dezember 2012 den Gesellschaftern zugestellt worden. Der Antrag gemäß § 295 Abs. 4 BAO sowie der Wiederaufnahmeantrag seien daher keinesfalls verfristet eingebracht worden. Die vom Bf vertretene Rechtsansicht, dass es sich bei dem "das Verfahren abschließenden Bescheid" iSd § 304 lit. b BAO um die Berufungsentscheidung gegen die als Feststellungsbescheide gedachten Erledigungen handeln müsse, ergebe sich unmittelbar aus dem Gesetz.

Das Finanzamt erledigte die Beschwerde am 2. April 2014 mit Beschwerdevorentscheidung. Darin wies die belangte Behörde das Beschwerdebegehren ab und führte zur Begründung aus, dass gemäß § 304 BAO idF bis zum 31. Dezember 2013 eine Wiederaufnahme des Verfahrens und eine Aufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO nach Eintritt der Verjährung ausgeschlossen seien, sofern nicht ein rechtzeitiger Antrag gemäß § 304 lit. a, b BAO vorliege. Dabei beziehe sich die gesetzliche Fristenregelung zweifellos auf das wiederaufzunehmende bzw aufzuhebende Verfahren.

Mit Eingabe vom 29. April 2014 beantragte der Bf die Vorlage der Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht und verwies zur Begründung auf das bisherige Vorbringen.

Das Finanzamt legte daraufhin am 18. Juni 2014 die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung des Rechtsmittels.

Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht zog der Bf mit Eingabe vom 2. Februar 2021 die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung sowie die beantragte Entscheidung durch den Senat zurück.

 

Über die Beschwerde wurde erwogen:

 

Rechtsgrundlagen und rechtliche Beurteilung

§ 295 Abs. 4 BAO idF AbgÄG 2011 (BGBl. I Nr. 76/2011) lautete:

Wird eine Berufung, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines

- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines

- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, so sind auf das Dokument gestützte Änderungsbescheide (Abs. 1) auf Antrag der Partei (§ 78) aufzuheben. Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.

§ 304 BAO idF BGBl. I Nr. 57/2004 lautete:

Nach Eintritt der Verjährung ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens ausgeschlossen, sofern ihr nicht ein

a) innerhalb des Zeitraumes, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter der Annahme einer Verjährungsfrist (§§ 207 bis 209 Abs. 2) von sieben Jahren zulässig wäre, oder

b) vor dem Ablauf einer Frist von fünf Jahren nach Eintritt der Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides eingebrachter Antrag gemäß § 303 Abs. 1 zugrunde liegt.

Zwischen 1. September 2011 und 31. Dezember 2013 war ein derartiger Antrag innerhalb jenes Zeitraums möglich, bis zu dessen Ablauf die Wiederaufnahme von Amts wegen unter der Annahme einer Verjährungsfrist von sieben Jahren zulässig wäre (§ 304 lit. a BAO idF vor BGBl. I Nr. 14/2013). Die äußerste Grenze war nach dieser Regel die absolute Verjährung von zehn Jahren. Nach Ablauf der absoluten Verjährungsfrist war ein Antrag dann zulässig, wenn er innerhalb von fünf Jahren nach Eintritt der (formellen) Rechtskraft des das Verfahren abschließenden abgeleiteten Bescheides eingebracht wurde (§ 304 lit. b BAO idF vor BGBl. I Nr. 14/2013). Diese Grenze war nicht jahres- oder stichtagsbezogen, sondern lag exakt einen Monat und fünf Jahre nach der Zustellung des abgeleiteten Bescheides (vgl Vock, AVR, 2020, 202).

Im vorliegenden Fall ist die absolute Verjährung am 31. Dezember 2008 eingetreten. Das Einkommensteuerverfahren betreffend das Jahr 1998 wurde mit Bescheid vom 19. Dezember 2006 abgeschlossen. Die formelle Rechtskraft dieses Bescheides trat mit Ablauf der Vorlagefrist gegen die abweisende Berufungsvorentscheidung am 5. April 2007 ein. Der Ablauf der Fünfjahresfrist des § 304 lit. b BAO erfolgte am 5. April 2012.

Die verfahrensgegenständlichen Anträge vom 27. Dezember 2012 auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO und auf Wiederaufnahme gemäß § 303 BAO wurden nach Eintritt der absoluten Verjährung am 31. Dezember 2008 und nach Ablauf der Fünfjahresfrist gemäß § 304 lit. b BAO am 5. April 2012 eingebracht. Nach der damals geltenden Rechtslage hat die belangte Behörde somit zu Recht festgestellt, dass die Anträge nicht rechtzeitig eingebracht worden waren und sie daher zu Recht als verspätet zurückgewiesen.

Mit Erkenntnis vom 4. Dezember 2019, G 159/2019 ua, hat der Verfassungsgerichtshof den letzten Satz der Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO ("Der Antrag ist vor Ablauf der für Wiederaufnahmsanträge nach § 304 maßgeblichen Frist zu stellen.") als verfassungswidrig aufgehoben. Dies hatte zur Folge, dass nach Ablauf der durch den Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist zur Anpassung der gesetzlichen Bestimmung Aufhebungsanträge gemäß § 295 Abs. 4 BAO zeitlich unbegrenzt zulässig gewesen wären.

In Reaktion auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes wurde die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO durch das COVID-19-Steuermaßnahmengesetz (COVID-19-StMG), BGBl. I Nr. 3/2021, abgeändert.

§ 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, lautet nunmehr:

Wird eine Bescheidbeschwerde, die gegen ein Dokument, das Form und Inhalt eines

- Feststellungsbescheides (§ 188) oder eines

- Bescheides, wonach eine solche Feststellung zu unterbleiben hat,

gerichtet ist, als nicht zulässig zurückgewiesen, weil das Dokument kein Bescheid ist, sind auf das Dokument gestützte Bescheide auf Antrag der Partei aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Zurückweisung zu stellen. Der an die Stelle des aufgehobenen Bescheides tretenden Abgabenfestsetzung steht, soweit sie im das Dokument ersetzenden Bescheid enthaltene Feststellungen übernimmt, der Eintritt der Verjährung nicht entgegen, wenn die Festsetzung innerhalb eines Jahres ab Aufhebung erfolgt. § 209a Abs. 2 erster Satz gilt sinngemäß, wenn gegen den das Dokument ersetzenden Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben wird.

Mit der Neufassung dieser Bestimmung wurde die Befristung des Antrags auf Aufhebung vollkommen neu geregelt, um den Vorgaben des Verfassungsgerichtshofes zu entsprechen: Es wird nicht mehr auf die Frist für Wiederaufnahmeanträge gemäß § 304 BAO abgestellt und damit weder auf den Eintritt der Verjährung noch auf die Rechtskraft des das Verfahren abschließenden Bescheides. Vielmehr stellt die Frist auf die Rechtskraft der Zurückweisung der Beschwerde gegen das als (Nicht-)Feststellungsbescheid intendierten Dokuments ab (vgl Vock, AVR, 2020, 202).

Die Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO ist eine Verfahrensvorschrift (vgl Ritz, BAO6, § 295 Tz 21a). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 27.09.2012, 2012/16/0090, mwN) hat das Verwaltungsgericht auf Grund der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung geltenden verfahrensrechtlichen Rechtslage zu entscheiden. Die Neufassung des § 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, ist am 8. Jänner 2021 in Kraft getreten und ist somit, soweit diesbezügliche Beschwerden betroffen sind, auf alle an diesem Tag unerledigten Rechtsmittel anzuwenden.

Im gegenständlichen Fall erfolgte die Zurückweisung der Berufung gegen die Feststellungs- bzw Nichtfeststellungsbescheide mit Beschluss des unabhängigen Finanzsenates vom 26. November 2012. Der Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 295 Abs. 4 BAO wurde am 27. Dezember 2012, dh innerhalb der Jahresfrist iSd geänderten Bestimmung des § 295 Abs. 4 BAO, eingebracht.

Die Zurückweisung des Antrages vom 27. Dezember 2012 erwies sich daher gemäß § 295 Abs. 4 BAO idF COVID-19-StMG, BGBl. I Nr. 3/2021, als rechtswidrig. Der angefochtene Bescheid war aufzuheben und die belangte Behörde wird über den Aufhebungsantrag des Bf neuerlich abzusprechen haben. Die Prüfung der Frage, ob das Eventualbegehren auf Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend Einkommensteuer 1998 gemäß § 303 BAO fristgerecht eingebracht worden ist, erübrigte sich damit.

Aus den dargelegten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

 

Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall liegt keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor. Die Beantwortung der entscheidungserheblichen Rechtsfrage, dh ob der Antrag auf Bescheidaufhebung fristgerecht gestellt worden ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz. Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.

 

 

Wien, am 5. Februar 2021

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 295 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Verweise:

VwGH 27.09.2012, 2012/16/0090

Stichworte