Operationskosten in Privatklinik als außergewöhnliche Belastung
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2021:RV.1100276.2020
Beachte:
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2021/15/0031. Zurückweisung mit Beschluss vom 10.5.2021.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, betreffend die Beschwerde gegen den Bescheid des ***FA*** vom 31. März 2020 hinsichtlich Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2019, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem am Ende der Entscheidungsgründe als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen, das einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses bildet.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Mit dem angefochtenen Bescheid wurden Kosten, welche der Beschwerdeführerin für eine Operation und einen Aufenthalt in der Privatklinik ***3*** erwachsen waren, nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich anerkannt. Es lägen keine triftigen medizinischen Gründe vor.
In ihrer dagegen eingebrachten Beschwerde führte die Beschwerdeführerin aus: Sie habe bereits Lähmungserscheinungen in der linken Hand gehabt und sofort operiert werden müssen. Da in der näheren Umgebung (***7***) zu diesem Zeitpunkt kein Operationstermin verfügbar gewesen sei, habe sie in möglichst schneller Reaktion - um bleibende Schäden, etwa ein Absterben des Nervs, zu verhindern - nach Tirol ausweichen müssen. Die Operation sei dort durch Dr. ***1*** ***2*** in der Klinik in ***3*** durchgeführt worden. Eine Bestätigung werde nachgereicht werden.
In der Folge erging eine abweisende Beschwerdevorentscheidung. Nach allgemeinen Ausführungen zur Berücksichtigungsfähigkeit von Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen gemäß § 34 EStG 1988 erläuterte die Abgabenbehörde:
Auch Aufwendungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung getragen würden, könnten dem Steuerpflichtigen zwangsläufig erwachsen, wenn triftige medizinische Gründe hiefür vorlägen. Von solchen spreche man dann, wenn ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung konkrete und ernsthafte gesundheitliche Schäden drohten. Falls dringender medizinischer Bedarf für eine Operation bestehe, habe eine solche auch in einem öffentlichen Krankenhaus ohne Aufschub zu erfolgen.
Die Beschwerdeführerin habe als Grund für die Operation in der Privatklinik im Wesentlichen angegeben, sie habe damit einen früheren Operationstermin wahrnehmen können. Das eingereichte ärztliche Gutachten stelle nur einen Befund dar, auf triftige medizinische Gründe für die Notwendigkeit der Operation in der Privatklinik werde darin nicht eingegangen.
Sofern nachgewiesen werden könne, dass trotz seines dringenden medizinischen Bedarfes nicht in einem öffentlichen Krankenhaus operiert worden wäre, wären die Kosten absetzbar. Eine solche Bestätigung müsse vom Krankenversicherungsträger oder Krankenhaus erfolgen, der/das die Operation nicht durchgeführt habe. Eine Bestätigung des operierenden Arztes der Privatklinik reiche nicht aus.
Es werde nicht angezweifelt, dass die durchgeführte Operation notwendig war. Jedoch habe die Beschwerdeführerin nicht nachweisen können, dass triftige medizinische Gründe die Operation in einer Privatklinik erforderlich gemacht hätten.
Die Beschwerdeführerin brachte einen Antrag auf Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht ein. Sie erläuterte darin, ein Gutachten, wie es von Seiten der Abgabenbehörde angefordert worden sei, würde höchstens Kosten verursachen und keine weiteren Aufschlüsse bringen. Sie verwies auf die Bestätigungen des Dr. ***2***, die sie bereits eingereicht habe. Zusätzlich führte sie aus, dass sie anstelle des vorgesehenen sechswöchigen Krankenstandes nur drei Wochen in Anspruch genommen habe, auf die REHA verzichtet und die Physiotherapiestunden selbst bezahlt habe. Sie weise den Vorwurf, dass ihre Operationskosten den Steuerzahlern zur Last fielen, entschieden zurück.
Im Akt liegen nachstehende Arztschreiben auf:
- Ein Gutachten des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. ***4*** vom 17.3.2020, in welchem dieser erläutert, dass die Beschwerdeführerin infolge einer Prellung der linken Schulter zunächst im Krankenhaus ***5*** konservativ behandelt worden sei. Es sei aber mehr und mehr zu cervikobrachialgiformen Beschwerden gekommen, weshalb ein MRT der Halswirbelsäule veranlasst worden sei. Darauf habe sich der Bandscheibenvorfall, der die Operation im Sanatorium ***3*** nach sich zog, gezeigt. Im Anschluss sei die Patientin beschwerdefrei gewesen.
- Eine Bestätigung des Dr. ***4*** vom 25.3.2020, wonach die stationäre Aufnahme der Beschwerdeführerin am 8.10.2019 im Sanatorium ***3*** mit anschließender Operation am 9.10.2019 und Entlassung am 10.10.2019 aufgrund eines akuten Bandscheibenvorfalls mit Wurzelkompressionssymptomatik unumgänglich war.
- Ein Arztbrief des operierenden Facharztes für Neurochirurgie Dr. ***2*** vom 14.10.2019. Darin schildert dieser, die Patientin sei mit den oben genannten Komplikationen eingeliefert worden. Die Operation (zervikale Diskektomie und Fusion mit Implantation eines Platzhalters sowie ventrale Fixierung mittels einer 4-Loch-Platte) sei komplikationslos verlaufen.
- Ein weiteres Schreiben vom 8.4.2020, in welchem Dr. ***2*** berichtet: Die Beschwerdeführerin sei bei ihm wegen einer über 5 Wochen andauernden, invalidisierenden Cervikobrachialgie vorstellig geworden. In einer Schnittbildgebung der Halswirbelsäule habe sich ein Bandscheibenvorfall von beträchtlichem Ausmaß mit Kompression der regionären neuralen Strukturen gezeigt. Nach Feststellung der Dringlichkeit und in Zusammenschau aller Befunde sei die Patientin sodann am Folgetag operiert worden. Die unmittelbare Versorgung sei jedenfalls medizinisch indiziert gewesen.
- Eine schriftliche Stellungnahme vom 19.5.2020, in welcher der operierende Arzt Dr. ***2*** nach Schilderung der Diagnose samt vorgenommener operativer Maßnahmen ausführt, dass ein Operationstermin in einem öffentlichen Haus nicht unverzüglich zugesagt hätte werden können. Ein Eingriff an der Halswirbelsäule, wie er bei der Beschwerdeführerin notwendig war, könne nicht unter tagesklinischen Voraussetzungen vorgenommen werden, sondern bedürfe aus Gründen der Patientensicherheit der stationären Aufnahme.
Mit Ergänzungsersuchen wurde die Beschwerdeführerin seitens der Richterin des Bundesfinanzgerichtes gebeten, bekanntzugeben, welche Kostenersätze sie aus der gesetzlichen Krankenversicherung bzw. einer etwaigen Krankenzusatzversicherung oder Unfallversicherung erhalten habe und entsprechende Belege einzureichen.
Sie legte daraufhin ein Schreiben der PRIKRAF (Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds) vor, dass wie folgt lautet:
"Sie haben für Ihren Aufenthalt vom 8.10.2019 bis 10.10.2019 in der Privatkrankenanstalt Privatklinik ***3*** bei Ihrem zuständigen Krankenversicherungsträger um Pflegekostenzuschuss angesucht. Entsprechend der gestellten Diagnosen und erbrachten Leistungen wurde für sie ein Pflegekostenzuschuss i.H.v. € 3.106,35 berechnet. Dieser wird vom PRIKRAF im Namen der Gebietskrankenkasse ***7*** in den nächsten Tagen angewiesen werden….."
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
- Im September 2019 zog sich die Beschwerdeführerin eine Verletzung an der linken Schulter zu, die im Krankenhaus ***5*** zunächst konservativ behandelt wurde.
- Nach zunehmenden Beschwerden wurde am 5.10.2019 ein MRT der Halswirbelsäule in ***6*** veranlasst.
- Am 8.10.2019 stellte sich die Beschwerdeführerin bei dem Neurochirurgen Dr. ***2*** vor.
- Sie hatte zu diesem Zeitpunkt bereits Lähmungserscheinungen in der linken Hand.
- In Auswertung aller Befunde stellte Dr. ***2*** die Dringlichkeit einer Operation mit stationärer Aufnahme fest.
- Ein Operationstermin in einem öffentlichen Krankenhaus hätte in der erforderlichen Schnelligkeit nicht zugesagt werden können.
- Die Beschwerdeführerin wurde daher am 8.10.2019 in der Privatklinik ***3*** aufgenommen, am 9. Oktober dort operiert und am 10. Oktober entlassen.
- Für den Aufenthalt in der Privatklinik ***3*** fielen für den Zeitraum 8.10.2019 bis 10.10.2019 Kosten i.H.v. € 5.163,06 an.
- Die Arzthonorare beliefen sich insgesamt auf € 7.871,29, d. h., zusammengerechnet erwuchs der Beschwerdeführerin ein Kostenaufwand von € 13.034,95.
- Die Beschwerdeführerin erhielt über den Privatkrankenanstalten-Finanzierungsfonds (PRIKRAF) namens der Gebietskrankenkasse ***7*** einen Pflegekostenzuschuss in Höhe von € 3.106,95.
Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Gesetzliche Grundlagen: Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
- Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
- Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
- Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Gemäß Abs. 3 leg. cit. erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich Ihr aus tatsächlichen rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Krankheitskosten nehmen insofern eine Sonderstellung ein, als hier die Zwangsläufigkeit (aus tatsächlichen Gründen) der Aufwendungen nicht hinterfragt wird (Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG20, § 34, Tz 78).
Nach ständiger Judikatur des VwGH (vgl. etwa 13.5.1986, 85/14/0181) können Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen für die eigene medizinische Betreuung erwachsen, auch dann zwangsläufig im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 sein, wenn sie die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen, sofern diese höheren Aufwendungen aus triftigen medizinischen Gründen getätigt werden.
Nach höchstgerichtlicher Rechtsprechung stellen aber bloße Wünsche und Vorstellungen der Betroffenen über eine bestimmte medizinische Betreuung sowie allgemein gehaltene Befürchtungen bezüglich der vom Träger der gesetzlichen Krankenversicherung übernommenen medizinischen Betreuung noch keine triftigen medizinischen Gründe für Aufwendungen dar, welche die durch die gesetzliche Krankenversicherung gedeckten Kosten übersteigen. Die triftigen medizinischen Gründe müssen vielmehr in feststehenden oder sich konkret abzeichnenden, ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen bestehen, welche ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden.
Aus mehreren Schreiben zweier Ärzte, welche die Beschwerdeführerin eingereicht hat, lässt sich ablesen, dass ihre Verletzung zunächst im öffentlichen Krankenhaus ***5*** konservativ behandelt wurde. Die dennoch eintretende Verschlechterung ihres Leidenszustandes mit Lähmungserscheinungen veranlasste sie, nach Absolvierung einer MRT-Untersuchung einen Facharzt für Neurochirurgie aufzusuchen. Dieser sah die Dringlichkeit einer unverzüglichen Operation als medizinisch indiziert an. Daher nahm die Beschwerdeführerin den angebotenen Operationstermin in der Privatklinik ***3*** wahr.
Zumal insofern die medizinische Indikation gegeben war und die Beschwerdeführerin einen Operationstermin in einem öffentlichen Krankenhaus in der erforderlichen Schnelligkeit nicht erhalten hätte können, liegen triftige medizinische Gründe für die streitgegenständlich geltend gemachten Aufwendungen vor. Ein Zuwarten auf einen Termin in einem öffentlichen Krankenhaus hätte - wie sich aus dem Akteninhalt erschließen lässt - ernsthafte gesundheitliche Nachteile, die sich durch die fühlbare Lähmung bereits ankündigten, nach sich gezogen (vgl. UFS 6.4.2010, RV/0364-F/08; BFG 31.7.2014, RV/1100254/2013).
Soweit seitens der Abgabenbehörde eingewendet wurde, eine Bestätigung müsse von jenem Krankenhaus stammen, welches die Operation nicht durchgeführt habe, kann das Bundesfinanzgericht dem nicht folgen. Vielmehr sind die eingereichten Arztbriefe eines Allgemeinmediziners und eines Neurochirurgen hinreichend geeignet, Beweis über die medizinische Indikation der in Streit stehenden Krankenbehandlung zu machen. Dass es sich bei dem Neurochirurgen um jenen Arzt handelt, der die Beschwerdeführerin operiert hat, schadet hiebei nicht.
Zur Höhe der außergewöhnlichen Belastung gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988, ist auszuführen:
Die Beschwerdeführerin hat für den Aufenthalt in der Privatklinik und die Operationskosten zusammen und € 13.034,35 bezahlt. Hievon ist der seitens der PRIKRAF namens der Gebietskrankenkasse für ***7*** angewiesene Pflegekostenzuschuss in Höhe von € 3.106,95 in Abzug zu bringen. Zudem ist der der Beschwerdeführerin erwachsene Aufwand um eine Haushaltsersparnis für drei Tage Krankenhausaufenthalt à € 5,23 zu kürzen (siehe Jakom/Baldauf, EStG, 2015, § 34 Rz 90).
In zusammenfassender Würdigung sind daher € 9.911,71 als außergewöhnliche Belastung gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 steuerlich zu berücksichtigen.
Insgesamt war wie im Spruch zu entscheiden.
Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Berücksichtigung von Mehrkosten für eine Krankenbehandlung als außergewöhnliche Belastung bei Vorliegen triftiger medizinischer Gründe findet bereits Deckung in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung. Soweit darüber hinaus Sachverhaltsfragen im Wege der freien Beweiswürdigung zu beurteilen waren, sind diese einer Revision nicht zugänglich.
Feldkirch, am 18. Jänner 2021
Zusatzinformationen | |
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Materie: | Steuer |
betroffene Normen: | § 34 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise: | VwGH 13.05.1986, 85/14/0181 |