BFG RV/5100300/2012

BFGRV/5100300/20123.8.2018

Rechtswidrigkeit von amtswegigen Wiederaufnahmebescheiden mangels Nennung von Wiederaufnahmegründen

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BFG:2018:RV.5100300.2012

 

Beachte:
Revision eingebracht (Amtsrevision). Beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2018/15/0108. Mit Erk. v. 28.5.2019 wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Bundesfinanzgerichts aufgehoben.

Entscheidungstext

 

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Christoph Kordik in der Beschwerdesache Bf., Adresse, vertreten durch WTH-Gesellschaft, Adresse , über die Beschwerde vom 04.01.2012 gegen die Bescheide der belangten Behörde Finanzamt  A jeweils vom 14.12.2011 betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 4 BAO hinsichtlich Umsatz-und Einkommensteuer 2010 sowie Umsatz-und Einkommensteuer für das Jahr 2010 zu Recht erkannt: 

1. Der Beschwerde betreffend amtswegiger Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatz-u. Einkommensteuer 2010 wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

2. Die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide werden – ersatzlos – aufgehoben.

3. Die Beschwerde gegen den Umsatz- bzw.Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2010 (Sachbescheide) wird - als unzulässig geworden - zurückgewiesen.

4.Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art.133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

 

Verfahren nach Betriebsprüfung/ Wiederaufnahmebescheid v.14.12.2011 hinsichtlich Umsatz-u. Einkommensteuer 2010:

Am 14. Dezember 2011 wurden die Wiederaufnahme -und Sachbescheide betreffend Umsatz- u. Einkommensteuer 2010, jeweils zugestellt am 16.Dezember 2011, von der Abgabenbehörde erlassen. In der Begründung wurde vom Finanzamt ausgeführt:

"Die Wiederaufnahme des Verfahrens erfolgte gem. § 303 Abs. 4 BAO aufgrund der Feststellungen der abgabenbehördlichen Prüfung, die der darüber aufgenommenen Niederschrift bzw. dem Prüfungsbericht (Anmerkung des BFG: Dort findet sich wie ausgeführt :“ Es wurden keine Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen“) zu entnehmen sind. Daraus ist auch die Begründung für die Abweichung vom bisherigen im Spruch bezeichneten Bescheid zu ersehen….

In der dagegen erhobenen Beschwerde (ehemals noch Berufung) wurde sowohl die Nichtanerkennung des Vorsteuerabzuges der Sanierungskosten (Umbau Dienstwohnung) als auch die Berichtigung des Einkommensteuerbescheides 2010 entsprechend der Einkommensteuererklärung 2010 bekämpft.

In der gesonderten Beschwerdebegründung wurde von der steuerlichen Vertretung   auf die Ergänzungen zu TZ 2 des Betriebsprüfungsberichtes hingewiesen und ua. Folgendes ausgeführt:

…„Durch die Entnahme des Gebäudes bzw. der Gebäudeteile in Höhe von € 10.000 im Rahmen der Betriebsprüfung wird schon ersichtlich, dass dieses bisher als notwendiges Betriebsvermögen bewertet wurde

Beweiswürdigung

Auf den vom Finanzamt vorgelegten Steuerakt, insbesondere den Betriebsprüfungsbericht v. 30.11.2011,Prüfungsabschluss Aktenseite 5, wird verwiesen.

Rechtslage

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonst wie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

Nach § 307 Abs. 1 BAO ist mit dem die Wiederaufnahme des Verfahrens bewilligenden oder verfügenden Bescheid unter gleichzeitiger Aufhebung des früheren Bescheides die das wiederaufgenommene Verfahren abschließende Sachentscheidung zu verbinden.

Die Entscheidung über die Wiederaufnahme des Verfahrens steht gemäß § 305 BAO der Abgabenbehörde zu, die für die Erlassung des nach § 307 Abs. 1 BAO aufzuhebenden Bescheides zuständig war. Welche gesetzlichen Wiederaufnahmegründe durch einen konkreten Sachverhalt als verwirklicht angesehen und daher als solche herangezogen werden, bestimmt bei der Wiederaufnahme von Amts wegen daher die gemäß § 305 BAO zuständige Behörde.

Bei einer Beschwerde gegen eine Wiederaufnahme von Amts wegen durch das gemäß § 305 BAO zuständige Finanzamt ist die Sache, über welche das Bundefinanzgericht zu entscheiden hat, nur die Wiederaufnahme aus den vom Finanzamt herangezogenen Gründen, also jene wesentlichen Sachverhaltsmomente, die das Finanzamt als Wiederaufnahmegrund beurteilt hat. Unter Sache ist in diesem Zusammenhang die Angelegenheit zu verstehen, die den Inhalt des Spruches des Bescheides der Abgabenbehörde gebildet hat. Bei einem verfahrensrechtlichen Bescheid, wie dem der Wiederaufnahme des Abgabenverfahrens von Amts wegen, wird die Identität der Sache, über die abgesprochen wurde, durch den Tatsachenkomplex begrenzt, der als neu hervorgekommen von der für die Wiederaufnahme zuständigen Behörde zur Unterstellung unter den von ihr gebrauchten Wiederaufnahmetatbestand herangezogen wurde (VwGH vom 22.11. 2006, 2003/15/0141 ; VwGH vom 26.4.2007, 2002/14/0075 ; VwGH vom 19.9.2007, 2004/13/0108 ; VwGH vom 26.1.2011, 2007/13/0076 ).

Die Überprüfung der Rechtsmäßigkeit eines Wiederaufnahmebescheides hat sich an den in der Begründung des bekämpften Bescheides bezeichneten Wiederaufnahmsgründen zu orientieren und kann weder in der Beschwerdevorentscheidung noch durch das Bundesfinanzgericht auf neue Wiederaufnahmsgründe gestützt werden.

Um eine Beurteilung zu ermöglichen, ob die von der Abgabenbehörde herangezogenen Gründe eine Wiederaufnahme rechtsfertigen, ist es erforderlich, dass sowohl die Wiederaufnahmsgründe als auch die zeitliche Abfolge des Bekanntwerdens der maßgebenden Tatsachen und Beweismittel in der Begründung angeführt und dargestellt werden. Eine fehlende Angabe der Wiederaufnahmsgründe im bekämpften Bescheid ist nicht, auch zB nicht in der Beschwerdevorentscheidung, nachholbar (Ritz, BAO 5, § 307 Tz 2 und 3 mwN). 

Erwägungen

Im Betriebsprüfungsbericht v. 30.11.2011 wurde auf Aktenseite 5 zum Prüfungsabschluss Folgendes festgehalten:

„Wiederaufnahme des Verfahrens gem.§ 303 Abs. 4 BAO- Es wurden keine Feststellungen getroffen, die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen.

Schlussbesprechung-Die Schlussbesprechung hat am 22.11.2011 stattgefunden. “

In der TZ 2 „Betriebswohnung Tochter T“ wurde ua ausgeführt:“

…Der vom Umbau betroffene Teil war bis zum Zeitpunkt der Renovierung im Privatvermögen und wurde nicht betrieblich genutzt. Diese Wohnung wird aktuell als Betriebswohnung genutzt, welche seit der Fertigstellung von Tochter Lisa gegen Sachbezug bewohnt wird…

Dem Betriebsprüfungsbericht war die Niederschrift über die Schlussbesprechung gem. § 149 Abs. 1 BAO anlässlich der Außenprüfung angeschlossen. Das Besprechungsprogramm v.22.11.2011 bildet einen integrierenden Bestandteil dieser Niederschrift. Als Änderungen gegenüber dem Programm findet sich ua. auf AS 8 eine Ergänzung zu Tz 2) folgenden Inhaltes: „Der Gebäudeteil, in dem die Wohnung der Tochter errichtet wurde, wird im Jahre 2010 um € 10.000  entnommen.

Diese Ergänzung im SB-Programm v.22.11.2011 bzw. der Verweis im Wiederaufnahmebescheid v. 14.12.2011 auf den BP-Bericht (ohne Datumsangabe) stellt allerdings das Gegenteil  dessen dar , was in der Tz 2 des BP-Berichtes v. 30.11.2011 ausgeführt wurde (nämlich, dass der Gebäudeteil Privatvermögen darstellt).Bei einem privat genützten Gebäudeteil welcher Größe auch immer kann es aber auch keine Entnahme geben.  

Mit den Beschwerdeausführungen zeigt die steuerliche Vertretung eindeutig auf, dass sie sich - wenn auch im Rubrum der Berufung nicht ex pressis verbis angeführt - auch gegen die am selben Tag erlassenen Wiederaufnahmebescheide betreffend Umsatz- und Einkommensteuer 2010 richtet. Die gesamte Begründung der Beschwerde lässt dies unmissverständlich erkennen. Dies gebieten vor allem Rechtsschutzüberlegungen. Das Gericht darf weiters eine Beschwerde gegen einen Wiederaufnahmebescheid nicht unerledigt lassen, und über die Beschwerde in einem neuen Sachbescheid entscheiden (VwGH 88/14/0135 v.08.11.1988).

Die Widersprüchlichkeit zwischen Aktenseite 5 (kein  Wiederaufnahmegrund) und darauffolgenden Wiederaufnahmebescheiden ist damit offenkundig. Diese Art des Verweises auf einen Betriebsprüfungsbericht , in dem das Gegenteil steht, macht die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide jedoch nach Meinung des Gerichtes rechtswidrig.  Eine fehlende Angabe der Wiederaufnahmsgründe im bekämpften Bescheid  ist nicht, auch nicht in der Beschwerdevorentscheidung, nachholbar (Ritz, BAO5, § 307 Tz 2 und 3 mwN),  weshalb die angefochtenen Wiederaufnahmebescheide aufzuheben waren.

Weiters konnte dem Akt der Betriebsprüfung entnommen werden, dass sich die Betriebsprüfung – was die Zuordnung von Gebäudeteilen betreffend die Dienstwohnung selbst im Unklaren war (Verwechslung mit den übrigen betrieblich genützten Gebäudeteilen- siehe Sanierungsrechnungen v.28.10.2010 (Beleg Nr. 19) idHv. € 2.708 netto , v.25.11.2010 (Beleg-Nr. 23) idHv. € 4.575 netto u.v. 21.12.2010 über € 615,83 netto ), welche nunmehr auch nach Ansicht der Betriebsprüfung stattzugeben wäre. Durch den Spruch des Erkenntnisses ist dies allerdings gegenstandslos.

Eine amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens  ist nicht zulässig, wenn keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind (VwGH 13.09.1988,87/14/0159). Es gibt zwar eine Reihe von Feststellungen im BP-Bericht v.30.11.2011, allerdings kann das Bundesfinanzgericht nach Durchsicht der Akten nicht erkennen, welcher Wiederaufnahmegrund  konkret vorgelegen ist, zumal  der Betriebsprüfungsbericht v.30.11.2011 , auf den sich das Finanzamt stützt, die Textpassage enthält, dass „ keine Feststellungen getroffen worden seien , die eine Wiederaufnahme des Verfahrens gem. § 303 Abs. 4 BAO erforderlich machen…….“.

Mit  dieser verfahrensrechtlichen Darstellung belastet das Finanzamt die Wiederaufnahmebescheide v.14.12.2011 betreffend Umsatz-u. Einkommensteuer 2010 mit Rechtswidrigkeit.

Überdies war dem Finanzamt - schon zum Zeitpunkt des Erstverfahrens  aus der Einkommensteuerklärung  - die Durchführung des Umbaues betreffend Dienstwohnung bekannt. 

Auf den Schriftsatz der steuerlichen Vertretung v.04. April 2016 betreffend die Zurücknahme des Antrages auf Senat bzw. Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird hingewiesen.

Aus den angeführten Gründen war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Nichtzulässigkeit einer (ordentlichen) Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts­hofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da es sich um eine reine verfahrensrechtliche Frage von nicht grundsätzlicher Bedeutung handelte, war die Revision nicht zuzulassen.

 

 

Linz, am 3. August 2018

 

Zusatzinformationen

Materie:

Steuer

betroffene Normen:

§ 303 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961

Schlagworte:

amtswegige Wiederaufnahme, keine Nennung von Wiederaufnahmegründen, widersprüchliche Verweise , Aufhebung der Wiederaufnahmebescheide

Stichworte