EGMR Bsw20834/92

EGMRBsw20834/921.7.1997

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer, Beschwerdesache Oberschlick gegen Österreich (Nr. 2), Urteil vom 1.7.1997, Bsw. 20834/92.

 

Spruch:

Art. 10 EMRK, § 115 StGB - Ehrenbeleidigung und das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Verletzung von Art. 10 EMRK (7:2 Stimmen).

Begründung

Sachverhalt:

Der Bf. war Herausgeber der Zeitschrift Forum. In einem darin erschienenen Kommentar bezeichnete er den österr. FPÖ-Politiker Dr. Jörg Haider wegen einer in seiner Rede anlässlich der traditionellen "Friedensfeier" am Ulrichsberg in Kärnten gemachten Äußerung über die Grenzen der geistigen Freiheit in einer Demokratie als "Trottel". Der Bf. wurde in der Folge wegen Beleidigung gemäß § 115 StGB zu einer Geldstrafe verurteilt, dagegen erhob er Berufung an das OLG. Dieses bestätigte die Entscheidung der Erstinstanz und setzte lediglich den Betrag der Geldstrafe herab. Als Begründung führte das OLG an, dass unbefangene Leser, die die Rede Dr. Haiders und den dazu abgefassten Kommentar des Bf. nicht als Ganzes gelesen hätten, den Ausdruck "Trottel" nicht mit den Aussagen Dr. Haiders, sondern mit dessen Person in Verbindung bringen würden. Es habe sich daher um eine Beleidigung gehandelt, die die Grenzen sachlich zulässiger Kritik überschritten habe (vgl. die Kurzfassung der ZE in NL 95/3/3).

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet, seine Verurteilung wegen Beleidigung habe sein Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK verletzt.

In seiner Rede hatte Dr. Haider die Behauptung aufgestellt, alle am 2. Weltkrieg teilnehmenden Soldaten hätten für den Frieden und die Freiheit gekämpft und somit zum Aufbau der heutigen demokratischen Gesellschaft beigetragen. Er behauptete weiters, nur diejenigen Soldaten, die im Krieg ihr Leben aufs Spiel gesetzt hätten, wären zu einer freien Meinungsäußerung berechtigt. Zwar mögen der Kommentar des Bf. und der von diesem verwendete Ausdruck "Trottel" als polemisch erscheinen, dies stellte jedoch keineswegs einen grundlosen persönlichen Angriff gegen Dr. Haider dar. Der Bf. begründete sein Vorgehen in einer objektiv verständlichen Weise, nämlich damit, dass dieses von den Äußerungen Dr. Haiders abgeleitet war, die ihrerseits provokativ waren. Zwar könnte der in der Öffentlichkeit gebrauchte Ausdruck "Trottel" Dr. Haider beleidigt haben, im geschilderten Zusammenhang erschien dieses Wort aber verhältnismäßig im Vergleich zu der von diesem zu erwartenden Entrüstung über diese Wortwahl. Der Schutz des Art. 10 EMRK gilt auch für solche Meinungen, die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen. Der Eingriff war daher nicht notwendig. Verletzung von Art. 10 EMRK (7:2 Stimmen).

Abweichendes Sondervotum von Richter Matscher, gefolgt von Richter Thór Vilhjálmsson:

Die Verwendung des Ausdrucks "Trottel" musste bei einem Durchschnittsleser den Eindruck erwecken, Dr. Haider solle mit dieser Beschimpfung lächerlich gemacht werden. Der Zusammenhang, in dem eine Beleidigung ausgesprochen wird, ist grundsätzlich irrelevant, außer wenn diese als unmittelbare Reaktion auf eine Provokation oder beleidigende Äußerung zu verstehen ist (vgl. § 115 (3) StGB). Dies war hier nicht der Fall: Der Bf. veröffentlichte seinen Kommentar erst etwa fünf Monate nach der Rede Dr. Haiders. Die Freiheit der Meinungsäußerung umfasst den Austausch von Kritik und Werturteilen, nicht aber Beleidigungen. Daher liege keine Verletzung von Art. 10 EMRK vor.

Anm.: Vgl. die vom GH zitierten Fälle Oberschlick/A (Nr. 1), Urteil v. 23.5.1991, A/204, Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs und Gubi/A, Urteil v. 19.12.1994, A/302 (vgl. NL 95/1/11) und De Haes und Gijsels/B, Urteil v. 24.2.1997, Rep. 1997, § 47 (vgl. NL 97/2/12).

Anm.: Die Kms. hatte in ihrem Ber. v. 29.11.1995 eine Verletzung von Art. 10 EMRK festgestellt (14:1 Stimmen).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über das Urteil des EGMR vom 1.7.1997, Bsw. 20834/92, entstammt der Zeitschrift „ÖIMR-Newsletter" (NL 1997, 213) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Das Urteil im englischen Originalwortlaut (pdf-Format): www.menschenrechte.ac.at/orig/97_5/Oberschlick.pdf

Das Original des Urteils ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc ) abrufbar.

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