1,21 Milliarden Euro Prämienaufkommen, 4,3 Millionen versicherte Risiken, 236.499 Schadenfälle im Geschäftsjahr 2022 – die volkswirtschaftliche und gesellschaftspolitische Bedeutung der privaten Unfallversicherung liegt auf der Hand. Während die gesetzlich verpflichtende Unfallversicherung Leistungen und Maßnahmen bei Eintritt eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit vorsieht, können Versicherungsfall, Deckungsumfang sowie Inhalt und Umfang der Versicherungsleistungen in der freiwilligen Unfallversicherung im Rahmen der Privatautonomie frei geregelt werden. Nach Art 1.2.1. AUVB 2022 liegt ein Unfall vor, „wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet“. Nach Art 1.2.2 AUVB 2022 gelten zudem auch als Unfälle „plötzliche Verrenkungen von Gliedern sowie Zerrungen und Zerreißungen von an den Gliedmaßen und an der Wirbelsäule befindlichen Muskeln, Sehnen, Bändern und Kapseln sowie plötzliche Meniskusverletzungen“. Und nach Art 1.2.3 AUVB 2022 ist klargestellt: „Krankheiten gelten nicht als Unfälle, übertragbare Krankheiten auch nicht als Unfallfolgen. Eine Ausnahme besteht für Kinderlähmung, Wundstarrkrampf, Tollwut und die durch Zeckenbiss übertragene Frühsommer-Meningoencephalitis, jeweils ausschließlich im Rahmen und Umfang des Artikels 2 Punkt 1.7. und Punkt 3.4“. Inhalt, Umfang und Reichweite dieses Unfallbegriffes nach den AUVB sind in vielen Konstellationen unklar: Ist der Tod eines Bergsteigers, der sich unlösbar im Seil verhängt hat und erfriert, als plötzliches Unfallereignis versichert? Ist ein Wespenstich wirklich ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis, wenn man bedenkt, dass das Insektengift erst durch die (innere) allergische Prädisposition des Versicherten zu einer Schädigung führt? Ist der Unfallbegriff erfüllt, wenn die Schädigung auf eigene Bewegungen zurückzuführen ist, also zB der versicherte Jogger aus Unachtsamkeit stolpert, stürzt und sich verletzt, oder der Versicherte so schwere Lasten anhebt, dass er sich einen Bandscheibenvorfall zuzieht? Liegt ein Unfall vor, wenn der Versicherte beim Anbohren einer Gasleitung in Panik verfällt und deshalb einen Hirnschlag erleidet? Und wie sind Selbstmordversuche in der Unfallversicherung zu qualifizieren – sind diese als unfreiwillige Gesundheitsschädigung im Sinne dieses Unfallbegriffes einzuordnen? Schon diese wenigen Beispiele zeigen – eine umfassende Aufarbeitung all dieser ganz verschiedenen Aspekte ist für die Versicherungspraxis überaus wichtig.

