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III. Berufsgeheimnisschutz im Unionsrecht

Riedl1. AuflMärz 2024

1. Vertraulichkeitsschutz als allgemeiner Rechtsgrundsatz

1.1. Im Überblick

In der bisherigen Analyse wurde gezeigt, in welcher Form und in welcher Ausprägung das Berufsgeheimnis von rechtsberatenden Berufen im nationalen (Verfassungs-)Recht abgesichert ist. Freilich ist nicht nur im österreichischen, sondern auch in zahlreichen anderen (europäischen) Rechtssystemen ein derartiger Berufsgeheimnisschutz für Rechtsberater vorgesehen.12351235 Benn-Ibler, AnwBl 2011, 410 (412); zur Historie des sog „legal professional privilege“ ausführlich Schubert, Legal privilege 180 ff. Insb die Verschwiegenheitspflicht wird in vielen Staaten als grundlegendes Rechtsprinzip verstanden,12361236 Schubert, Legal privilege 175 mwN; Hustus, Der Syndikusanwalt und das Legal Privilege respektive das Anwaltsprivileg – alea iacta est, NStZ 2016, 65 (65). wenngleich deren Reichweite je nach Rechtssystem und Rechtstradition merkliche Unterschiede aufweisen kann.12371237 Hellwig, AnwBl 2002, 190 (194 ff); Kübler/Pautke, Legal Privilege: Fallstricke und Werkzeuge im Umgang mit kartellrechtlich sensiblen Dokumenten – Ein praktischer Leitfaden, BB 2007, 390 (392); Schubert, Legal privilege 174 und 184 ff; Manhart, ERA Forum 2012, 361 (363); Prunbauer-Glaser, AnwBl 2013, 56 (56); Kristofferson/Pistone, General Report, in Kristofferson et al (Hg), Tax Secrecy and Tax Transparency (2013) 1 (14 f); EuGH 18.05.1982, Rs 155/79 , AM&S, ECLI:EU:C:1982:157, 1610, Rz 19. Im Jahr 1982 hat der EuGH den länderübergreifenden Grundsatz des Berufsgeheimnisschutzes aufgegriffen und in der Entscheidung AM&S12381238 EuGH 18.05.1982, Rs 155/79 , AM&S, ECLI:EU:C:1982:157. ausgesprochen, dass der Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen Rechtsanwalt und Klienten im Gemeinschaftsrecht (nunmehr Unionsrecht) anerkannt und mangels ausdrücklichen Grundrechts als allgemeiner Rechtsgrundsatz zu verstehen ist. Die AM&S Rsp-Linie wurde vom EuGH in darauffolgenden Urteilen bestätigt und weiter präzisiert. Neben dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Vertraulichkeit schützen auch die europäischen Grundrechte nach der GRC, die im Rang des Primärrechts stehen, die Vertrauenssphäre zwischen Rechtsberater und Klienten. Als einschlägige Grundrechtsgarantien sind insb die Art 7, 8 sowie 47 GRC zu nennen.12391239 Zu den nationalen Grundrechten, die das Vertrauensverhältnis in unterschiedlichen Lebenssachverhalten absichern, vgl Teil II Kapitel 3. Um die exakten Konturen des Berufsgeheimnisschutzes von Rechtsberatern auf Unionsrechtsebene zu bestimmen, soll hierfür im Nachfolgenden die einschlägige Judikatur des Gerichtshofs, gefolgt von den genannten Grundrechten, näher untersucht werden. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse liefern gleichzeitig eine Antwort darauf, in welchem Umfang nationale und unionale Institutionen (wie Legislative und Exekutive) das im Primärrecht verankerte Berufsgeheimnis von Rechtsberatern zu beachten haben.

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