1.1. Einleitung
Das vorrangige Ziel der Europäischen Union besteht in der Schaffung und der Erhaltung eines funktionierenden Binnenmarkts.1 Dieser umfasst insbesondere die Ausübung der Freizügigkeiten zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten ohne Hemmnisse.2 In seinen Anfängen von der Idee der Integration der europäischen Wirtschaft geleitet,3 wurde dem sozialen Aspekt bei der Schaffung des Binnenmarktes vorerst allerdings kaum Beachtung geschenkt.4 Die Sozialpolitik wurde bloß als ergänzendes Instrument in der Verwirklichung der wirtschaftlichen Integration und damit bei der Schaffung des Binnenmarkts betrachtet. Die Mitgliedstaaten blieben somit weiterhin weitgehend frei in der Ausgestaltung ihrer eigenen Sozialpolitiken.5 Dieses Versäumnis führte im Ergebnis zwar zu einem wirtschaftlich integrierten Markt. Allerdings wies dieser zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten zahlreiche unterschiedliche Sozialpolitiken auf, die aufgrund des Wettbewerbs zwischen den Mitgliedstaaten in einem Downlevelling der nationalen Standards mündeten.6 Die Entwicklungen erwiesen sich damit nicht nur für einzelne Wirtschaftsakteure und Arbeitgeber wie Arbeitnehmer als problematisch, sondern beeinträchtigten die Wettbewerbsfähigkeit der Mitgliedstaaten untereinander.7 Politische Autonomie im Bereich des Sozialrechts und damit die beträchtlichen Unterschiede in den Sozialpolitiken der Mitgliedstaaten wurden daher zunehmend als Gefahr für den funktionierenden Binnenmarkt wahrgenommen. Die Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte wiesen folglich, teilweise von der grundfreiheitlichen Rsp des EuGH und zum Teil von der Finanzkrise geprägt, eine Trendumkehr auf.8 Im Mittelpunkt steht seither neben Mindestharmonisierung9 und Sozialrechtskoordinierung10 insb der veränderte Stellenwert des Sozialrechts.11 Nach dem neuen Verständnis des Europäischen Sozialrechts stellen autonom ausgestaltete nationale Sozialpolitiken ein Risiko für den Binnenmarkt dar. Der Autonomie der Mitgliedstaaten wird bei der Rechtsetzung im Bereich des Sozialrechts daher nicht mehr ein besonderes Schutzbedürfnis beigemessen, sondern es kommt vielmehr zu einer Einschränktung der Autonomie. Ziel ist die Konvergenz der nationalen Sozialpolitiken innerhalb der Europäischen Union. Insgesamt führten die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu einer Stärkung der Rolle der Sozialpolitik innerhalb der Europäischen Union.12

