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V. Die Rückwirkung und der Dispositionsschutz im Ertragsteuerrecht

Klokar1. AuflJuni 2023

V.1 Der Schutz des Vertrauens in die bestehende Rechtslage als reines Gleichheitsproblem

V.1.1 Demokratische Befugnis zur Änderung der Rechtslage vs. Schutz der Rechtssicherheit

Eine Analyse der Zeit im Ertragsteuerrecht wäre unvollständig, ohne Fragen zur Rückwirkung und zum verfassungsrechtlichen Dispositionsschutz im Kontext von Steuergesetzen zu behandeln.15631563 Zum Thema bereits Klokar in Kofler/Lang/Rust/Schuch/Spies/Staringer, Steuerpolitik und Verfassungsrecht 195 (199 ff). Die Relevanz des Themas ist anhand folgender Problemstellung erkennbar: Der auf dem Grundwert der Rechtssicherheit beruhende Rechtsstaat steht in einem Interessenskonflikt mit dem demokratischen Bedürfnis, neue Regelungen zu treffen und sich den ständig wandelnden und somit laufend neuen Verhältnissen anzupassen.15641564 Vgl dazu grundlegend Berka in Kneihs/Lienbacher, Rill-Schäffer-Kommentar Bundesverfassungsrecht1 (2001) Art 7 Rz 95. Das Vertrauen in die bestehende Rechtslage steht also im grundsätzlichen Widerspruch zur Freiheit des Gesetzgebers, die Rechtslage jederzeit und auch zum Nachteil des Rechtsunterworfenen zu verändern.15651565 Dazu insbesondere Pöschl, Gleichheit vor dem Gesetz 820 f. Der sogenannte „verfassungsrechtliche Vertrauensschutz“15661566 Der abstrakte, rechtswissenschaftliche Begriff des „verfassungsrechtlichen Vertrauensschutzes“ ist als Sammelbezeichnung mehrerer, aus einzelnen Grundrechten abgeleiteter Schutzwirkungen für den einzelnen gegenüber dem Gesetzgeber, die in ihrer Gesamtheit einen gewissen Vertrauensschutz garantieren, zu verstehen. Siehe ausführlich die dogmatische Untersuchung bei Holoubek, Verfassungsrechtlicher Vertrauensschutz gegenüber dem Gesetzgeber, in Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg), 50 Jahre Allgemeine Erklärung der Menschenrechte – Grund- und Menschenrechte in Österreich III (1997) 795 (795 ff). versucht dabei, einen Ausgleich dieser widersprüchlichen Anforderungen zu finden. Er bildet damit die Richtschnur im rechtspolitischen Spannungsfeld zwischen Rechtsstaat und Demokratie.15671567 Siehe auch Kucsko-Stadlmayer, Der Schutz von auf öffentlich-rechtlicher Grundlage entstandenen „Anwartschaften“ vor gesetzlichen Eingriffen, in Holoubek/Lang, Vertrauensschutz im Abgabenrecht 93 (95). Diese Richtschnur erfolgt unter Zugrundelegung des Gleichheitssatzes, wie sich zeigen wird. Vorweggenommen werden kann, dass niemand ein Vertrauen in den unveränderten ewigen Fortbestand der Rechtsordnung haben kann. Ein solcher würde zu einem massiven Demokratieproblem führen. Der Gesetzgeber kann nur in Ausnahmefällen an das gebunden sein, was der Gesetzgeber selbst davor beschlossen hat.

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