Änderung von ASGG, KBGG und FamZeitbG

GesetzgebungPersonalrechtLindmayrMai 2022

Nachfolgeregelung für die vom VfGH aufgehobene Sonderbestimmung zu Verfahren über den Rückersatz von zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistungen oder eines Pflegegeldes

Inkrafttreten

1.5.2022

Stand des Gesetzgebungsverfahrens

Gesetz

Letzte Änderung

5.5.2022

Betroffene Normen

ASGG, FamZeitbG, KBGG

Betroffene Rechtsgebiete

 

Quelle

BGBl I 2022/61

Bundesgesetz, mit dem die Jurisdiktionsnorm, die Zivilprozessordnung, das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, das Gerichtsorganisationsgesetz, das Sachverständigen- und Dolmetschergesetz, das Gerichtsgebührengesetz, das Gerichtliche Einbringungsgesetz, das E-Commerce-Gesetz, das Rechtspflegergesetz, das Strafvollzugsgesetz, das Kinderbetreuungsgeldgesetz und das Familienzeitbonusgesetz geändert werden (Zivilverfahrens-Novelle 2022 – ZVN 2022), BGBl I 2022/61 vom 14. 4. 2022 (AB 1400 BlgNR 27. GP , RV 1291 BlgNR 27. GP )

1. Überblick

Die Zivilverfahrens-Novelle 2022, die größtenteils am 1. 5. 2022 in Kraft trat, enthält zahlreiche punktuelle Änderungen im Bereich des Verfahrensrechts. Der Schwerpunkt liegt in der Schaffung der Voraussetzungen für eine möglichst vollständig digitale Aktenführung. Im ASGG wurde eine Nachfolgeregelung für die vom VfGH aufgehobene Sonderbestimmung zu Verfahren über den Rückersatz von zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistungen oder eines Pflegegeldes geschaffen und auch das KBGG und das Familienzeitbonusgesetz entsprechend angepasst. Weiters wurde klargestellt, dass auch die Rechtsstreitigkeiten über die Beihilfe zum pauschalen Kinderbetreuungsgeld und jene über den Familienzeitbonus Sozialrechtssachen sind.

2. Rückforderung zu Unrecht erbrachter Leistungen

Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis VfGH 11. 12. 2020, G 264/2019, ARD 6736/15/2021, zwei Wortfolgen sowie einen Wortteil und ein dazu gehörendes Zeichen in § 89 Abs 4 ASGG als verfassungswidrig aufgehoben. Die aufgehobenen Wortfolgen betreffen die Ausgestaltung von Urteilen aufgrund von Klagen, mit denen versicherte Personen Rückzahlungsbescheide der Sozialversicherungsträger über zu Unrecht bezogene Leistungen vor den Sozialgerichten bekämpfen. Durch solche Klagen tritt der bekämpfte Bescheid außer Kraft; auch im Fall einer Klagsabweisung tritt er nicht wieder in Kraft. Selbst eine in der Folge abgewiesene Klage beseitigt daher den Rückzahlungsausspruch aufgrund des Bescheides. Daher wurde im § 89 Abs 4 ASGG vorgesehen, dass das Sozialgericht in solchen Verfahren im Fall einer Klagsabweisung einen Rückzahlungsausspruch treffen muss. Diese Verpflichtung der Sozialgerichte wurde vom VfGH mit Ablauf des 31. 12. 2021 aufgehoben.

Das Höchstgericht erklärte die aufgehobenen Teile des § 89 Abs 4 ASGG insoweit als verfassungswidrig, als sie den vor Sozialgerichten Rechtsschutzsuchenden einseitig mit dem Rechtsschutzrisiko belasten: Anders als den SV-Trägern nach den § 107 Abs 3 ASVG, § 76 Abs 3 GSVG, § 72 Abs 3 BSVG und § 49 Abs 3 B-KUVG kommt den Sozialgerichten keine Befugnis zu, einen Rückzahlungsanspruch unter Berücksichtigung der Familien-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse zu mindern. Es ist den Sozialgerichten nur noch eine vollumfängliche Auferlegung der Rückersatzpflicht oder die vollumfängliche Verneinung derselben möglich. Nach Ansicht des VfGH setzt die Verfassungsmäßigkeit der Ausgestaltung der sukzessiven Kompetenz in Rückforderungsangelegenheiten aber voraus, dass den ordentlichen Gerichten auch die Kognition über den (gänzlichen oder teilweisen) Verzicht nach § 76 Abs 3 Z 1 GSVG offensteht.

Aus diesem Grund wurde nunmehr eine Rechtsgrundlage für die Festlegung einer Rückzahlungsverpflichtung durch die Sozialgerichte geschaffen, die diesen Anforderungen entspricht: Ab 1. 1. 2022 kann nach § 89 Abs 4 zweiter Satz ASGG aufgrund von Urteilen über Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung oder eines zu Unrecht empfangenen Pflegegeldes die festzulegende Rückzahlungsverpflichtung des unterlegenen Klägers bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Umstände auch zum Teil oder zur Gänze entfallen; die Möglichkeit der Anordnung einer Erstattung in Teilbeträgen wird sprachlich an die sv-rechtlichen Bestimmungen angepasst („Teilbeträge“).

3. Ausnahme in KBGG und FamZeitbG

Entscheidungen der Gerichte über Ratenzahlungen oder Verzichte sind gesondert nicht bekämpfbar und nach Rechtskraft nicht abänderbar, was in der Vergangenheit zu Problemen für einige Eltern führte (vgl § 90 Abs 1 Z 1 ASGG). Die Krankenversicherungsträger sind an die rechtskräftigen Gerichtsentscheidungen gebunden, selbst, wenn sich später Änderungen der Familien-, Lebens- oder Vermögensverhältnisse ergeben.

Gerade in der Kleinkindphase befinden sich junge Familien in einer sich stetig ändernden Situation (Karenz, Jobwechsel, weitere Kinder, Wohnraumschaffung usw). Daher ist es notwendig, dass der Krankenversicherungsträger hier jederzeit auf eine Verschlechterung der Situation eingehen kann, somit also etwa die Ratenhöhe herabsetzen oder bei Entstehen langfristiger Härtefallsituationen auf die Rückzahlung ganz oder teilweise verzichten kann. Aus diesem Grund wurde nun im KBGG und im FamZeitbG geregelt, dass den Gerichten – abweichend von § 89 Abs 4 ASGG – in Angelegenheiten der Leistungen nach diesen Bundesgesetzen nicht das Recht obliegt, die Erstattung des zu Unrecht gezahlten Betrages in Teilbeträgen anzuordnen und auch nicht das Recht, die Rückersatzpflicht zum Teil oder zur Gänze entfallen zu lassen, sondern ist dies ausschließlich dem Krankenversicherungsträger im nachgeschalteten Verwaltungsverfahren vorbehalten.

Die Entscheidungen der Krankenversicherungsträger über Stundungen, Ratenzahlungen oder (Teil-)Verzichte erfolgen auf Wunsch in Bescheidform und sind beim Bundesverwaltungsgericht (und weiter beim VwGH) bekämpfbar.



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