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I. Einleitung (Harrer)

Harrer1. AuflJuni 2022

Die Zusammenhänge zwischen der zivilrechtlichen Verantwortung für qualifizierte Tätigkeiten und deren Versicherbarkeit bilden ein weites Feld.11Die Gefährdungshaftung ist nicht Gegenstand dieses Beitrages. Versicherungspflichten prägen bspw das Kraftfahrrecht; vgl KHVG 1994. Ein früher Beleg für ein planvolles Eingreifen der Legislative ist das Versicherungsmodell, das für Arbeitsunfälle geschaffen wurde. Die sog Sozialisierung der Arbeitsunfälle sieht man heute vornehmlich als ein historisches Ereignis.22Die entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhänge zwischen bürgerlichem Haftpflichtrecht und der öffentlich-rechtlichen Unfallversicherung sind bislang nur bruchstückhaft erforscht. Unmittelbarer Anlass für die gesetzgebenden Körperschaften des österreichischen Reichsrates, das zivilrechtliche Haftungskonzept im Hinblick auf Arbeitsunfälle zu überdenken, war eine Eisenbahnkatastrophe bei Horowitz im Jahre 1868. Eine Entschließung des Herrenhauses vom 14. November 1868 forderte angesichts der ungenügenden Bestimmungen über den Schadenersatz nach ABGB einen umfassenderen gesetzlichen Schutz. Das Eisenbahnhaftpflichtgesetz vom 5. März 1869 schuf die Grundlage für den Unfallschutz von Arbeitnehmern durch eine erweiterte Haftpflicht des Betriebsunternehmers (vgl Steinbach, Die gesetzliche Unfallversicherung in Österreich, 1979, 13 f). In der Folge hat man in Anlehnung an das deutsche Reichshaftpflichtgesetz vom 7. Juli 1871 die Einführung einer allgemeinen Unternehmerhaftpflicht erwogen. Die in Deutschland mit diesem Gesetz gemachten Erfahrungen waren indes ungünstig. Darüber hinaus legte die Sozialgesetzgebung der Regierung Taaffe weniger Gewicht auf eine Nachahmung des Bismarck’schen Zwangsversicherungssystems, sondern war gegen die Ausbeutung der Arbeitskraft des Industrieproletariats gerichtet (vgl Matis, Österreichs Wirtschaft 1848–1913, 1972, 365 f). Auf der Grundlage eines Berichtes des k.k. Justizministeriums, das im Anschluss an eine Darstellung der Nachteile des deutschen Reichshaftpflichtgesetzes die Schaffung einer gesetzlichen Unfallversicherung empfahl, erteilte Kaiser Franz Joseph I. am 10. November 1883 seiner Regierung die Ermächtigung zur Einbringung einer Regierungsvorlage betreffend ein Gesetz über die Unfallversicherung der Arbeiter (vgl Steinbach, Die gesetzliche Unfallversicherung in Österreich, 1979, 15 f). Regierungslager und Opposition waren sich über die Notwendigkeit einer Neuordnung der Haftpflicht bei Betriebsunfällen und auch darüber einig, dass dies durch staatlich normierten Versicherungszwang geschehen solle (vgl Grandner, in Rumpler, Hrsg, Innere Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung in Österreich und Deutschland 1867/71 bis 1914, 1991, 156). In den Juristischen Blättern vom 30. Dezember 1883 werden die Motive zum Gesetzesentwurf betreffend die Unfallversicherung der Arbeiter beleuchtet. Ausgangspunkt sei der „bedauerliche Stand unseres Schadenrechtes“. – Das Gesetz über die obligatorische Unfallversicherung vom 18.12.1887 beinhaltete den Versicherungsschutz im Wesentlichen nur für Fabrikarbeiter, wobei jene Betriebe als Fabriken eingestuft wurden, die mehr als zwanzig Arbeitskräfte beschäftigten (vgl Mesch, Arbeiterexistenz in der Spätgründerzeit, 1984, 19). Das Hauptübel wurde im großindustriellen Maschinenbetrieb gesehen, während man ähnlichen sozialen Verhältnissen in nicht maschinellen landwirtschaftlichen oder kleingewerblichen Betrieben weniger kritisch gegenüberstand (vgl Sandgruber, Ökonomie und Politik, 1995, 303).

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Der Vorgang verdient indes besonderes Interesse: der Gesetzgeber hat ein Segment, eben die Verantwortlichkeit im Zusammenhang mit Arbeitsunfällen, aufgegriffen und nach neuen, von der lex lata abweichenden Regeln geordnet.33Vgl § 333 ASVG; ausführlich dazu etwa Neumayr/Huber, in Schwimann/Kodek, ABGB4 VII, ASVG § 333 Rz 13 ff.

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