vorheriges Dokument
nächstes Dokument

D. Unwirksamkeit der Bürgschaft wegen finanzieller Überforderung des Bürgen (Schwartze)

Schwartze2. AuflSeptember 2012

2/33
Eine Begrenzung der Bürgschaft durch einen Höchstbetrag ist zwar möglich (oben Rz 2/18), aber nicht erforderlich253253Anders etwa in der Schweiz, Art 493 Abs 1 OR, bei Bürgschaften für zukünftige Verpflichtungen auch in Italien, Art 1938 CC. Im Vorschlag für ein Europäisches Privatrecht wird für Verbraucherbürgschaften der Maximalbetrag zumindest durch den Umfang der Hauptschuld bei Eingehen der Bürgschaft bestimmt, Art IV.G.-4 : 105 lit a iVm Art IV.G.-2 : 102 DCFR, vgl Klingel, Bürgschaftsverträge 115., so dass eine vom Betrag her unbegrenzte Haftung allein nicht als sittenwidrig anzusehen ist254254OGH 3 Ob 554/86 in ÖBA 1987, 576.. Hinzutreten müssen weitere Kriterien, wie etwa eine hoffnungslose Überschuldung des Hauptschuldners, eine Verharmlosung des Bürgenrisikos oder eine Einschränkung der Entscheidungsfreiheit des Bürgen255255Zur Kasuistik Th. Rabl in Kletečka/Schauer, ABGB-ON §§ 1346, 1347 Rz 172 mwN. Vgl auch Thoß, Bürgenschutz 144 ff.. So wird etwa eine krasse Überforderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgen (sowie anderer Interzedenten256256 Gamerith in Rummel, ABGB3 Vor § 1360 Rz 5a. Zur Haftung als Mitschuldner OGH in ÖBA 2000, 619 mit Anm von G. Graf. ), für die neben dem Einkommen auch bestehende Vermögenswerte zu berücksichtigen sind257257OGH 8 Ob 31/05z in ÖBA 2005, 906., im Anschluss an die deutsche Rsp258258Vgl etwa OGH 1 Ob 87/98w in ÖBA 1998, 967 mit Anm von G. Graf, unter ausdrücklichem Bezug ua auf BGH in NJW 1993, 322. Zuletzt BGH in NJW 2009, 2671; zur Rsp-Entwicklung vgl etwa MünchKommBGB/Habersack § 765 Rz 23 ff. Starre Berechnungsformeln für die krasse Überforderung des Bürgen, vgl BeckOK BGB/Rohe § 765 Rz 63, werden dagegen in Österreich nicht übernommen, OGH 6 Ob 150/09s in ÖBA 2010, 191., insbesondere dann als sittenwidrig gemäß § 879 Abs 1 ABGB eingestuft, wenn dieser eine Haftung für nahe Familienangehörige übernimmt259259Grundlegend OGH 1 Ob 544/95 in ÖBA 1995, 804 = JBl 1995, 651 mit Anm von Mader, dazu G. Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften, ÖBA 1995, 776.. Als ausreichend nahestehende vermögensschwache Angehörige werden einerseits Eltern und Kinder, andererseits Ehegatten, eingetragene Partner260260Deren gefühlsmäßige Abhängigkeit entspricht sicherlich der von auf Dauer angelegten nichtehelichen Lebensgemeinschaften, deren Verhältnis von der Rsp als eng genug angesehen wird, OGH 6 Ob 117/98v in ÖBA 1998, 974. In Deutschland werden eingetragene Lebenspartner insoweit Ehegatten gleichgestellt, vgl BeckOK BGB/Rohe § 765 Rz 73, HandkommBGB/Staudinger § 765 Rz 11. und Lebensgefährten angesehen, während die Beziehungen unter erwachsenen Geschwistern nicht unbedingt eng genug sind261261OGH 2 Ob 156/97y in ÖBA 1998, 124; ÖBA 1998, 967 mit Anm von G. Graf. Ablehnend etwa auch BGH in NJW 1998, 597 mit Anm von Bülow. . Die Voraussetzungen für die Sittenwidrigkeit werden an den Wuchertatbestand des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB angelehnt262262OGH in ÖBA 1998, 124; 7 Ob 35/00y in ÖBA 2001, 339. Eine unmittelbare Anwendung ist aufgrund der bei der Bürgschaft fehlenden Gegenleistung nicht möglich, vgl auch BGH in NJW 1991, 513 zu § 138 Abs 2 BGB. Dem Wuchertatbestand ähnlich soll Art II.-7 : 107 DCFR eine unfaire Ausbeutung verhindern., denn den Ausgangspunkt stellt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Haftungsumfang der Bürgschaft und der finanziellen Ausstattung des Bürgen bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages263263OGH in ÖBA 2001, 339. dar; von einem derartigen Ungleichgewicht ist auszugehen, wenn die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bürgen eine Erfüllung der Ansprüche des Gläubigers bzw Kreditgebers nicht oder erst in ferner Zukunft erwarten lassen264264OGH in ÖBA 1995, 804 mit Anm von G. Graf. Nachweise für verschieden Fallkonstellationen bei Mader/W. Faber in Schwimann, ABGB § 1346 Rz 20; G. Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 879 Rz 165 f.. Hinzukommen muss noch eine zu einer „verdünnten Entscheidungsfreiheit“ führende psychische Zwangslage des Bürgen, hier die emotionale Verbundenheit mit dem Hauptschuldner als engem Angehörigen265265OGH in ÖBA 2001, 170., welche schließlich vom Gläubiger erkannt und somit ausgenutzt wird266266 G. Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 879 Rz 158; Bollenberger in KBB3 § 879 Rz 8.. Liegt ein wesentliches Eigeninteresse des Bürgen an der Kreditvergabe vor, dann verneint die Rsp allerdings ein sittlich anstößiges Verhalten des Gläubigers267267OGH in ÖBA 2011, 598; 4 Ob 123/11h in ÖBA 2011, 902; vgl auch Mader/W. Faber in Schwimann, ABGB § 1346 Rz 22. Kritisch dazu G. Graf in Kletečka/Schauer, ABGB-ON § 879 Rz 161..

Sie möchten den gesamten Inhalt lesen?

Melden Sie sich bei Lexis 360® an.
Anmelden

Sie haben noch keinen Zugang?
Testen Sie Lexis 360® zwei Wochen kostenlos!
Jetzt testen!