Normen
ABGB §6
ABGB §7
B-VG Art18
StbG 1985 §58c Abs1 idF 2022/I/048
StbG 1985 §58c Abs2 Z1 idF 2022/I/048
StbG 1985 §58c idF 2022/I/048
St-ÜG 1949 §2 Abs3
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RO2024010003.J00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Vereinigten Königsreiches, brachte im Wege der Österreichischen Botschaft in London eine am 5. November 2021 bei der belangten Behörde eingelangte Anzeige unter Bezugnahme auf § 58c Abs. 1a Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) idF BGBl. I Nr. 162/2021 ein.
2 Mit Bescheid vom 18. Oktober 2022 stellte die belangte Behörde gemäß § 39 StbG fest, dass der Revisionswerber die österreichische Staatsbürgerschaft „aufgrund der Anzeige vom 19.10.2021, eingelangt am 05.11.2021, gemäß § 58c Abs. 1a StbG, idF vor BGBl. I Nr. 48/2022 nicht erworben“ habe.
3 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab, bestätigte den Bescheid der belangten Behörde mit der Maßgabe, dass der Revisionswerber „die österreichische Staatsbürgerschaft aufgrund der Anzeige vom 5. November 2021 gemäß § 58c Abs. 3 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985 - StbG, BGBl. 311/1985, idF BGBl. I 48/2022 nicht erworben“ habe, und sprach aus, dass eine Revision zulässig sei.
4 Das Verwaltungsgericht stellte nachfolgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Der Revisionswerber sei der Sohn der am 30. November 1917 in Österreich geborenen und bis zum 17. November 1937 in Österreich lebenden Isabella XY (im Folgenden: Vorfahrin), einer vormals österreichischen Staatsbürgerin.
Am 17. November 1937 sei die Vorfahrin von Österreich nach London, Vereinigtes Königreich, gereist, wo sie einen bereits vor ihrer Abreise zugesicherten Arbeitsplatz als Hausgehilfin angetreten habe. Seither habe die Vorfahrin im Vereinigten Königreich gelebt.
Es könne nicht festgestellt werden, dass die Vorfahrin eine sozialistische Einstellung gehabt habe und „diese nach außen getreten“ sei. Sie habe sich bis zu ihrer Ausreise nicht politisch betätigt. Sie sei nicht für die demokratische Republik Österreich eingetreten. Sie sei nicht aus politischen Gründen einer Verfolgung durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches ausgesetzt gewesen. Sie habe eine solche Verfolgung auch nicht zu befürchten gehabt.
Bis zum Kriegsausbruch im September 1939 wäre es der Vorfahrin möglich gewesen, nach Österreich bzw. in das Deutsche Reich zurückzukehren. Bis dahin hätte sie im Falle ihrer Rückkehr keine Verfolgung durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches zu befürchten gehabt.
Es könne auch nicht festgestellt werden, dass die Eltern oder Geschwister der Vorfahrin durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich verfolgt worden seien.
Nach dem Kriegsausbruch seien die deutschen Staatsangehörigen (daher auch alle vormaligen österreichischen Staatsbürger) von britischen Tribunalen auf ihre Zuverlässigkeit überprüft worden. Die „enemy aliens“ (sinng. Ausländer aus Feindländern) seien in drei Kategorien eingeteilt worden. Diejenigen der Kategorie A seien zu internieren gewesen, denjenigen der Kategorie B seien Restriktionen auferlegt worden und diejenigen der Kategorie C seien in Freiheit geblieben.
Am 9. Dezember 1939 sei die Vorfahrin von einem britischen Tribunal auf ihre Zuverlässigkeit überprüft worden. Da sie überzeugend eine Distanz zum nationalsozialistischen Regime geäußert habe, sei sie von einer Internierung ausgenommen und als Flüchtling anerkannt worden. Eine Rückkehr in das Deutsche Reich habe sie abgelehnt.
Nach Kriegsbeginn sei eine Rückkehr in das Deutsche Reich kriegsbedingt aus faktischen Gründen nicht mehr möglich gewesen. Hätte die Vorfahrin zu diesem Zeitpunkt einen Rückkehrwillen geäußert, wäre sie im Vereinigten Königreich interniert worden und aus diesem Grund von den Organen der NSDAP bzw. der Behörden des Deutschen Reiches nicht als Feind kategorisiert worden. Der Status einer Internierten schließe per se ein Naheverhältnis zum Kriegsgegner des Deutschen Reiches aus. Eine tatsächliche Rückkehr der Vorfahrin wäre nicht vor 1944 im Rahmen eines Austausches von Zivilinternierten möglich gewesen. Nach ihrer Rückkehr hätte die Vorfahrin als Angehörige des Deutschen Reiches keine Verfolgung durch die Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches zu befürchten gehabt. Es könne nicht festgestellt werden, dass die Vorfahrin im Falle ihrer Rückkehr nach Österreich aktiv in Opposition zum nationalsozialistischen Regime gestanden wäre.
Am 12. August 1941 habe die Vorfahrin den Vater des Revisionswerbers, einen indischen Staatsangehörigen, geheiratet. Aufgrund dieser Eheschließung mit einem Ausländer habe die Vorfahrin gemäß § 17 Z 6 (deutsches) Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913 ihre damals deutsche Staatsangehörigkeit verloren.
Ab dem Zeitpunkt ihrer Eheschließung wäre die Vorfahrin im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr interniert worden, weil Indien als damalige britische Kolonie aus Sicht des Deutschen Reiches als sich im Krieg befindlicher Staat und deren Angehörige als Feinde wahrgenommen worden wären. Auch der Vorfahrin wäre es als ehemaliger Staatsangehörige des Deutschen Reiches mit einem Ehemann, der Staatsangehöriger eines Feindstaates sei, nicht mehr möglich gewesen, in das Deutsche Reich zurückzukehren, ohne dort kriegsbedingt und auf Grundlage des Völkerrechts interniert zu werden.
Die Vorfahrin sei nach ihrer Ausreise bis zum 9. Mai 1945 nicht nach Österreich zurückgekehrt. Sie habe seit ihrer Ausreise über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt. Am 15. Juni 1962 habe die Vorfahrin die Staatsangehörigkeit des Vereinigten Königreiches und der Kolonien erhalten.
5 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, die Vorfahrin, bei ihrer Ausreise im November 1937 österreichische Staatsbürgerin, habe ihren inländischen Wohnsitz nicht deshalb aufgegeben, weil sie Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches bzw. wegen Einschreitens für die demokratische Republik Österreich ausgesetzt gewesen sei oder solche zu befürchten gehabt hätte. Der Tatbestand des § 58c Abs. 1 StbG sei daher nicht erfüllt.
Unter den Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG seien angesichts des „historischen Willens des Gesetzgebers, in sachgerechter Weise auch jene Fälle zu erfassen, in denen Personen aufgrund zu befürchtender Verfolgungen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht in das Bundesgebiet zurückkehren konnten“, auch jene Fälle zu subsumieren, in denen der Fremde erst nach dem 30. Jänner 1933 seinen Hauptwohnsitz aufgegeben und danach keinen weiteren begründet habe. Nur so könne sichergestellt werden, dass jene Fremde, die Österreich ohne Gefahr vor Verfolgung nach dem 30. Jänner 1933 verlassen hätten, jedoch aufgrund einer Gefahr vor Verfolgung nicht zurückgekehrt seien, auch von § 58c Abs. 2 Z 1 StbG erfasst seien.
Mit der Formulierung „Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches“ in § 58c Abs. 2 Z 1 StbG habe der Gesetzgeber den Verfolgungsbegriff nicht ausdrücklich definiert. Den Materialien zu BGBl. I Nr. 48/2022 (IA 2146/A BlgNR 27. GP , 4; AB 1421 BlgNR 27. GP , 7) sei einerseits zu entnehmen, dass dem Begriff „Verfolgungen“ ein objektiver Maßstab zugrunde zu legen sei, andererseits wende der Gesetzgeber den Verfolgungsbegriff selbst an und zähle beispielhaft jene Personengruppen auf, bei denen er von „Verfolgungen“ im Sinn dieser Bestimmung jedenfalls ausgehe. Damit gebe der Gesetzgeber zu erkennen, dass er einen erleichterten Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 58c Abs. 2 Z 1 StbG für Personengruppen vorsehe, die - nach objektivem Maßstab - aus nationalsozialistischen Gründen einer Verfolgung ausgesetzt gewesen seien oder diese zu befürchten gehabt hätten.
Vorliegend sei zu prüfen, ob die Vorfahrin aufgrund nach ihrer Ausreise geänderter Umstände Verfolgungen ausgesetzt gewesen wäre. Dies wäre jedenfalls bis zum Kriegsbeginn nicht der Fall gewesen.
Nach dem Kriegsbeginn sei die Gefahr einer Verfolgung im Fall der Rückkehr nur rein hypothetisch zu prüfen, weil eine Rückkehr faktisch für die Vorfahrin nicht mehr möglich gewesen sei. Hätte die Vorfahrin einen Rückkehrwillen geäußert, wäre sie im Vereinigten Königreich interniert worden. Dies hätte eine Verfolgungsgefahr im Fall einer Rückkehr ausgeschlossen.
In Bezug auf den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit infolge ihrer Heirat mit einem „indischen Staatsangehörigen“, einem aus Sicht des Deutschen Reiches Staatsangehörigen eines Feindstaates, wäre eine hypothetische Rückkehr der Vorfahrin mit ihrer Internierung im Deutschen Reich verbunden gewesen. Eine solche Internierung wäre durch die Kriegssituation bedingt gewesen und hätte ihre Grundlage im Völkerrecht gefunden. So wären auch Angehörige des Deutschen Reiches im Vereinigten Königreich im Falle ihrer Einreise während des Krieges interniert worden. Eine solche (hypothetische) Internierung der Vorfahrin stelle keine „Verfolgung durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches“ im Sinne des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG dar.
Es sei daher auch der Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG nicht erfüllt.
6 Den Zulässigkeitsausspruch begründete das Verwaltungsgericht zusammengefasst mit fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu den beiden Rechtsfragen, ob eine kriegsbedingte Internierung aufgrund der Nähe zu einem „Feindstaat“ des Deutschen Reiches eine Verfolgung durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches im Sinne des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG darstelle, sowie ob § 58c Abs. 2 Z 1 StbG nur jene Fälle erfasse, in denen der Fremde zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt habe, oder auch jene Fälle, in denen der Fremde erst nach dem 30. Jänner 1933 seinen Hauptwohnsitz aufgegeben und danach keinen weiteren begründet habe.
7 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 27. November 2023, E 2663/2023-11, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und trat die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 21. Dezember 2023, E 2263/2023-13, gemäß Art. 144 Abs. 3 B‑VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die Ablehnung der Beschwerde begründete der VfGH unter anderem wie folgt:
„Die Beschwerde rügt die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (Art. I Abs. 1 Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973). Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer ‑ allenfalls grob ‑ unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Verwaltungsgericht Wien § 58c StbG in jeder Hinsicht rechtsrichtig angewendet hat, insbesondere indem es ‑ unter Bezugnahme auf Stellungnahmen des Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus sowie des britischen ‚National Archive‘ ‑ davon ausgegangen ist, dass eine (hypothetische) Internierung auf Grund der Staatsangehörigkeit eines Fremdstaates nicht jedenfalls eine nationalsozialistische Verfolgung im Sinne des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG darstelle, nicht anzustellen.“
8 Sodann erhob der Revisionswerber die vorliegende ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
9 Das Verwaltungsgericht legte die Revision gemäß § 30a Abs. 6 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht mit der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
10 Die Revision ist zu den vom Verwaltungsgericht in seiner Zulässigkeitsbegründung dargelegten Rechtsfragen zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Maßgebliche Rechtslage
11 Gemäß § 64a Abs. 35 erster Satz Staatsbürgerschaftsgesetz 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG) idF BGBl I Nr. 48/2022, trat die Neufassung des § 58c StbG mit dem Monatsersten nach Kundmachung dieses Bundesgesetzes, sohin am 1. Mai 2022, in Kraft und kommt sohin auch in zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl I Nr. 48/2022 noch anhängigen Verfahren über zuvor gemäß § 58c StbG eingebrachte Anzeigen zur Anwendung (vgl. auch VwGH vom heutigen Tag, Ra 2023/01/0359 bis 0362, mwN).
12 § 58c StbG in der Fassung BGBl. I Nr. 48/2022 lautet auszugsweise:
„§ 58c. (1) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.
(1a) Abs. 1 gilt auch für einen Fremden, der die Staatsbürgerschaft in zeitlicher Nähe zu seiner Ausreise verloren hat, weil er aufgrund einer Eheschließung eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat.
(2) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er
1. Staatsbürger war und zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt hat, weil er im Falle einer Rückkehr oder erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet zur Begründung eines Hauptwohnsitzes Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich zu befürchten gehabt hätte,
2. als Staatsbürger von Organen der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich vor dem 9. Mai 1945 in das Ausland deportiert wurde, oder
3. als Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder als Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 9. Mai 1945 von Organen der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich in das Ausland deportiert wurde,
und er dies der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt.
(3) Ein Fremder erwirbt unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt und durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachweist, dass er Nachkomme in direkter absteigender Linie einer Person ist, die gemäß Abs. 1 oder 2 die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können, wobei die Prüfung der Erfüllung der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 hinsichtlich des Vorfahren entfällt.
(4) Weiters erwirbt ein Fremder unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt und durch unbedenkliche Urkunden oder sonstige geeignete und gleichwertige Bescheinigungsmittel nachweist, dass er Nachkomme in direkter absteigender Linie
1. einer Person ist, die als Staatsbürger aufgrund von Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich vor dem 9. Mai 1945 im Bundesgebiet oder im Ausland ums Leben gekommen ist, oder
2. einer Person ist, die als Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie oder als Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 9. Mai 1945 aufgrund von Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich im Bundesgebiet oder im Ausland ums Leben gekommen ist.
(5) Die Abs. 3 und 4 gelten nicht, wenn der Fremde die Staatsbürgerschaft nicht mehr besitzt, weil er eine fremde Staatsangehörigkeit erworben hat (§ 27), es sei denn, der Fremde wusste zum Zeitpunkt des Erwerbs der fremden Staatsangehörigkeit nicht, dass er im Besitz der Staatsbürgerschaft ist. Die Abs. 3 und 4 gelten weiters nicht, wenn der Fremde die Staatsbürgerschaft nach §§ 32 bis 34 oder 37 verloren hat.
...
(7) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 1, 2, 3 oder 4 vor, so hat die Behörde mit schriftlichem Bescheid festzustellen, dass der Einschreiter die Staatsbürgerschaft mit dem Tag des Einlangens der Anzeige bei der Behörde (§ 39) erworben hat.
(8) Die Anzeige kann auch bei der gemäß § 41 Abs. 2 zuständigen Vertretungsbehörde eingebracht werden, die sie an die Behörde weiterzuleiten hat.
...
(10) Die Behörde kann in Verfahren nach Abs. 1 bis 4 den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus zur Beurteilung der Nachvollziehbarkeit des Vorliegens der Voraussetzungen als Sachverständigen beiziehen. Zu diesem Zweck ist der Nationalfonds ermächtigt, personenbezogene Daten einschließlich besonderer Kategorien personenbezogener Daten gemäß Art. 9 Abs. 1 DSGVO dem Einschreiter und der Behörde zu übermitteln.“
13 Die Materialien (vgl. AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 1ff) führen dazu (auszugsweise) aus (Unterstreichungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
„Allgemeiner Teil
Als Ausdruck des Bekenntnisses Österreichs zu seiner Verantwortung für die Verbrechen während der NS-Zeit im Staatsbürgerschaftsrecht normieren die geltenden Bestimmungen des § 58c Sondererwerbstatbestände für die damaligen Verfolgten des Nationalsozialismus sowie deren Nachkommen.
Demnach erwirbt gemäß dem geltenden § 58c Abs. 1 ein Fremder unter erleichterten Voraussetzungen die österreichische Staatsbürgerschaft, wenn er der Behörde schriftlich anzeigt, sich als Staatsbürger oder Staatsangehöriger eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie oder Staatenloser jeweils mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.
...
Nach Inkrafttreten des Sondererwerbstatbestandes haben sich im Vollzug jedoch Fälle gezeigt, welche auf Basis des geltenden Wortlautes keine Berücksichtigung finden konnten. So waren beispielsweise jene Fälle nicht erfasst, in welchen der Vorfahre von Organen der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen des Eintretens für die demokratische Republik Österreich ermordet oder ins Ausland deportiert wurde. Grund hiefür war, dass der geltende Gesetzeswortlaut voraussetzt, dass sich die betreffende Person (freiwillig) ins Ausland begeben hat. Anlässlich des einjährigen Bestehens der Bestimmung erfolgte daher eine Evaluierung der im Vollzug aufgetretenen Härtefälle, mit dem Ziel durch eine legistische Adaptierung nunmehr in sachgerechter Weise auch in diesen (bisher nicht erfassten) Fällen den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige zu ermöglichen.
Besonderer Teil
...
Zu § 58c
Abs. 2:
Voraussetzung für den erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft gemäß § 58c Abs. 1 ist dem Gesetzeswortlaut entsprechend neben dem Vorliegen bestimmter Voraussetzungen des § 10, dass der betreffende Fremde über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt hat, bevor er sich aufgrund der befürchteten oder erlittenen Verfolgung ins Ausland begeben hat. Die Wortfolge ‚ins Ausland begeben‘ verlangt eine freiwillige Ausreisebewegung, ...
Nicht umfasst vom geltenden Abs. 1 sind demnach jene Fälle, in denen österreichische Staatsbürger oder Staatsangehörige eines der Nachfolgestaaten der ehemaligen Österreichisch-Ungarischen Monarchie oder Staatenlose von Organen der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich in das Ausland deportiert oder (entweder noch im Bundesgebiet oder im Ausland) ermordet wurden. Ebenso nicht umfasst sind Fälle, in denen Staatsbürger aufgrund zu befürchtender Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht in das Bundesgebiet zurückkehren konnten.
Um künftig auch diesen Personengruppen in sachgerechter Weise einen erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft zu ermöglichen, soll ein neuer Abs. 2 eingefügt werden.
Die vorgeschlagene Z 1 des Abs. 2 sieht dabei einen erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft für jene Fremden vor, die als Staatsbürger zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt haben, weil sie im Falle einer Rückkehr in das Bundesgebiet Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich zu befürchten gehabt hätten. Dieser Tatbestand soll sohin jene ehemaligen Österreicher umfassen, denen es aufgrund zu befürchtender Verfolgung verwehrt war, zwischen der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und damit der Machtübernahme Adolf Hitlers im Deutschen Reich sowie dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 9. Mai 1945 in das Bundesgebiet zurückzukehren und hier ihren Hauptwohnsitz zu begründen. Die Festlegung des Stichtages mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Jänner 1933 erweist sich dabei insofern als sachgerecht, als ab diesem Zeitpunkt berechtigter Weise stets mit einer potentiellen Machtergreifung der Nationalsozialisten auch in Österreich gerechnet und damit verbunden die Verfolgung durch diese befürchtet werden konnte bzw. musste.
Der Begriff der ‚Rückkehr‘ ist dabei weit auszulegen und setzt somit nicht zwingend voraus, dass der betreffende Staatsbürger vor dem 30. Jänner 1933 schon einmal im Bundesgebiet aufhältig bzw. wohnhaft war, sondern kann etwa auch Fälle umfassen, in denen der Staatsbürger während der NS-Zeit im Ausland geboren wurde und aufgrund zu befürchtender Verfolgung verhindert war, während dieser Zeit einen (erstmaligen) Hauptwohnsitz im Bundesgebiet zu begründen.
Bei der Prüfung der Verfolgung, die im Falle einer Rückkehr zu befürchten gewesen wäre, ist ein objektiver Maßstab anzulegen und sohin jedenfalls bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, wie insbesondere politischen Gegnern, Menschen jüdischer Herkunft, Roma und Sinti, Menschen mit geistiger oder physischer Beeinträchtigung, Zeugen Jehovas oder Homosexuelle, von einer zu befürchtenden Verfolgung auszugehen sein.
...
Zu Abs. 1a:
Gemäß dem geltenden Abs. 1 erwirbt ein Fremder bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft, wenn er sich als Staatsbürger vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben hat, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.
Von der geltenden Rechtslage nicht umfasst sind folglich Fälle, in denen ehemalige österreichische Staatsbürger ‑ insbesondere um sich einer Verfolgung zu entziehen ‑ die Staatsbürgerschaft aufgrund einer Eheschließung und des damit verbundenen Erwerbs einer fremden Staatsangehörigkeit vor ihrer Ausreise verloren haben (und damit zum Zeitpunkt des „ins Ausland begeben“ nicht mehr Staatsbürger waren). Gemäß dem vorgeschlagenen Abs. 1a soll der Anwendungsbereich des Abs. 1 nunmehr auf diese Personen erstreckt werden. Hat demnach ein Fremder die Staatsbürgerschaft in zeitlicher Nähe zu seiner Ausreise aus dem Bundesgebiet aufgrund einer Eheschließung und dem damit verbundenen Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit verloren, soll er unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z 2 bis 6 und 8 und Abs. 2 Z 1 und 3 bis 7 die Staatsbürgerschaft erwerben können, wenn er der Behörde (§ 39) unter Bezugnahme auf dieses Bundesgesetz schriftlich anzeigt, sich vor dem 15. Mai 1955 in das Ausland begeben zu haben, weil er Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten hatte oder erlitten hat oder weil er wegen seines Eintretens für die demokratische Republik Österreich Verfolgungen ausgesetzt war oder solche zu befürchten hatte.
Durch das Abstellen auf eine ‚zeitliche Nähe zu seiner Ausreise‘ in Abs. 1a soll zum Ausdruck gebracht werden, dass für dessen Anwendung einerseits ein gewisser zeitlicher Konnex zwischen der Eheschließung (und damit dem Verlust der Staatsbürgerschaft) und der Ausreise in das Ausland bestehen muss, es andererseits aber nicht schädlich sein soll, wenn sich ein ehemaliger Staatsbürger nicht unmittelbar nach seiner Eheschließung in das Ausland begeben hat, etwa weil er noch Vorkehrungen zur Auflösung seines Haushalts und zur Organisation seiner Ausreise getroffen hat.
Zu Abs. 2:
...
Die vorgeschlagene Z 1des Abs. 2 sieht dabei einen erleichterten Erwerb der Staatsbürgerschaft für jene Fremden vor, die Staatsbürger waren und zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt haben, weil sie im Falle einer Rückkehr oder erstmaligen Einreise in das Bundesgebiet zur Begründung eines Hauptwohnsitzes Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches oder wegen ihres Eintretens für die demokratische Republik Österreich zu befürchten gehabt hätten. Dieser Tatbestand soll sohin jene ehemaligen Österreicher umfassen, denen es aufgrund zu befürchtender Verfolgung verwehrt war, zwischen der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und damit der Machtübernahme Adolf Hitlers im Deutschen Reich sowie dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 9. Mai 1945 in das Bundesgebiet zurückzukehren oder erstmalig einzureisen, um hier ihren Hauptwohnsitz zu begründen. Die Meldung eines Hauptwohnsitzes hat dabei wie auch in anderen Rechtsbereichen lediglich Indizwirkung. Haben daher Personen das Bundesgebiet vor dem 30. Jänner 1933 verlassen und sind bis zum 9. Mai 1945 nicht zurückgekehrt, haben sie ‑ unbeschadet einer allenfalls weiterhin formal bestehenden Hauptwohnsitzmeldung oder allenfalls kurzfristiger Aufenthalte im Bundesgebiet zu Urlaubszwecken oder für Familienbesuche ‑ ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet de facto aufgegeben und fallen unter den neuen Abs. 2 Z 1.
...
Die Bestimmung setzt nicht voraus, dass die Betreffenden über den gesamten relevanten Zeitraum Staatsbürger waren. Weiters setzt sie nicht voraus, dass sie vor dem 30. Jänner 1933 schon einmal im Bundesgebiet aufhältig bzw. wohnhaft waren und sind sohin auch Fälle umfasst, in denen Staatsbürger während der NS-Zeit im Ausland geboren wurden und aufgrund zu befürchtender Verfolgung verhindert waren, während dieser Zeit einen (erstmaligen) Hauptwohnsitz im Bundesgebiet zu begründen.
Bei der Prüfung der Verfolgung, die im Falle einer Rückkehr oder erstmaligen Einreise zur Begründung eines Hauptwohnsitzes zu befürchten gewesen wäre, ist ein objektiver Maßstab anzulegen und sohin jedenfalls bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, wie insbesondere politischen Gegnern, Menschen jüdischer Herkunft, Roma und Sinti, Menschen mit geistiger oder physischer Beeinträchtigung, Zeugen Jehovas oder Homosexuelle, von einer zu befürchtenden Verfolgung auszugehen. Dies gilt gleichermaßen hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens einer Absicht zur Rückkehr oder erstmaligen Einreise, sodass diese nicht in jedem Einzelfall konkret nachzuweisen sein wird, sondern auch in diesem Zusammenhang bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, von einer verwehrten Rückkehr (bzw. verwehrten erstmaligen Einreise) auszugehen ist.
...“
14 Vorweg ist festzuhalten, dass sich die Revision argumentativ ausschließlich gegen die Verneinung des Tatbestandes des § 58c Abs. 3 iVm Abs. 2 Z 1 StbG richtet. Gegen die Verneinung des Tatbestandes des § 58c Abs. 3 iVm Abs. 1 StbG wird hingegen nichts vorgebracht.
Erwerb der Staatsbürgerschaft gemäß § 58c Abs. 3 iVm Abs. 2 Z 1 StbG
15 Die Vorfahrin des Revisionswerbers verfügte bis zu ihrer Ausreise am 17. November 1937 über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Ausgehend vom Wortlaut des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG idF BGBl. I Nr. 48/2022 („zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945“) konnte sie bereits deshalb die Staatsbürgerschaft gemäß dieser Bestimmung nicht erwerben.
16 Das Verwaltungsgericht verwies in seiner rechtlichen Beurteilung unter Hinweis auf die Materialien zu BGBl. I Nr. 48/2022 (IA 2146/A BlgNR 27. GP , 1) auf den Willen des Gesetzgebers, in sachgerechter Weise auch jene Fälle zu erfassen, in denen Personen aufgrund zu befürchtender Verfolgungen vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht in das Bundesgebiet zurückkehren hätten können. Ausgehend davon solle § 58c Abs. 2 Z 1 StbG auch jene Fälle, in denen der Fremde erst nach dem 30. Jänner 1933 seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet aufgegeben habe und danach keinen weiteren begründet habe, erfassen. Nur so könne sichergestellt werden, dass jene Fremde, die Österreich ohne zu befürchtender Verfolgungen nach dem 30. Jänner 1933 verlassen hätten, jedoch aufgrund der Furcht vor Verfolgungen nicht zurückgekehrt seien, auch von § 58c Abs. 2 Z 1 erfasst seien.
17 Die Revision pflichtete dieser Rechtsansicht „vor dem Hintergrund des Zwecks der Bestimmung“ bei.
18 Bei der Interpretation einer Gesetzesnorm ist auf den Wortsinn und insbesondere auch den Zweck der Regelung, auf den Zusammenhang mit anderen Normen sowie die Absicht des Gesetzgebers abzustellen. Erläuterungen zur Regierungsvorlage können im Rahmen der Interpretation des Gesetzes einen Hinweis auf das Verständnis des Gesetzes bieten. Dabei bewirkt die Bindung der Verwaltung nach Art. 18 B‑VG einen Vorrang des Gesetzeswortlautes, wobei § 6 ABGB auf die Bedeutung des Wortlauts in seinem Zusammenhang verweist (vgl. etwa VwGH 10.5.2023, Ra 2022/01/0314, Rn. 13, mwN).
19 Vorliegend schließt der eindeutige und klare Wortlaut des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG den Erwerb der Staatsbürgerschaft für Personen aus, die im maßgeblichen Zeitraum zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt haben.
20 Die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, dass auch Personen, die ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet während des Zeitraums vom 30. Jänner 1933 bis 9. Mai 1945 (ohne zu befürchtende Verfolgungen im Sinne des § 58c StbG) aufgegeben haben und nach ihrer Ausreise wegen zu befürchtender Verfolgungen nicht mehr zurückgekehrt sind, vom Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG erfasst sein sollten, unterstellt eine planwidrige Lücke.
21 Nach der Rechtsprechung setzt ein Analogieschluss das Vorliegen einer echten Gesetzeslücke, also das Bestehen einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Ein Abweichen vom Gesetzeswortlaut ist nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nur dann zulässig, wenn eindeutig feststeht, dass der Gesetzgeber etwas anderes gewollt hat, als er zum Ausdruck gebracht hat, so beispielsweise wenn den Gesetzesmaterialien mit Sicherheit entnommen werden kann, dass der Wille des Gesetzgebers tatsächlich in eine andere Richtung gegangen ist, als sie in der getroffenen Regelung zum Ausdruck kommt. Im Zweifel ist das Unterbleiben einer bestimmten Regelung im Bereich des öffentlichen Rechts als beabsichtigt anzusehen. Eine Lücke ist demnach nur dort anzunehmen, wo das Gesetz (gemessen an der mit der seiner Erlassung verfolgten Absicht und seiner immanenten Teleologie) unvollständig, also ergänzungsbedürftig ist und wo seine Ergänzung nicht etwa einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (vgl. zu alldem VwGH 25.2.2021, Ro 2019/16/0015, Rn. 37, mwN).
22 Eine solche planwidrige Gesetzeslücke liegt hier aufgrund nachstehender Erwägungen nicht vor:
23 Im Oktober 2019 wurde mit dem Staatsbürgerschaftsrechtsänderungsgesetz 2018, BGBl. I Nr. 96, neben dem Sondererwerbstatbestand des § 58c Abs. 1 StbG für die Verfolgten selbst durch Einfügung eines neuen Abs. 1a in § 58c ein weiterer Sondererwerbstatbestand für deren Nachkommen eingeführt, bei denen anzunehmen ist, dass sie ohne das erlittene Unrecht ihrer Vorfahren während der NS-Zeit oder des Ständestaates heute im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft wären. Seit dieser Änderung können auch Nachkommen in direkter absteigender Linie einer Person, die als Verfolgter gemäß Abs. 1 die Staatsbürgerschaft erworben hat oder erwerben hätte können, unter erleichterten Bedingungen die österreichische Staatsbürgerschaft erwerben (vgl. die Materialien zur StbG‑Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 1).
24 Nach den Materialien zur StbG-Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 (AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 1) war es das Ziel dieser Novelle, nach Evaluierung der nach Inkrafttreten dieses Sondererwerbstatbestandes in den „im Vollzug aufgetretenen Härtefälle[n] ... durch eine legistische Adaptierung ... in sachgerechter Weise auch in diesen (bisher nicht erfassten) Fällen den Erwerb der Staatsbürgerschaft durch Anzeige zu ermöglichen“. Mit dieser Novelle sollten somit nach dem Willen des Gesetzgebers aufgrund der Erfahrungen in der Praxis gezielt die Sondererwerbstatbestände erweitert werden.
25 Unter anderem sah der Gesetzgeber aufgrund der bisherigen Erfahrungen im Vollzug einen Handlungsbedarf bei jenen Staatsbürgern, die zwischen dem 30. Jänner 1933 (der Machtergreifung Hitlers in Deutschland) und dem 9. Mai 1945 (Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa) im Bundesgebiet über keinen Hauptwohnsitz verfügt haben, und denen wegen zu befürchtender Verfolgungen eine Rückkehr oder erstmalige Einreise während dieses Zeitraumes verwehrt war. Dementsprechend sollte mit dem neuen Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG diesen Personen und ihren Nachkommen in gerader absteigender Linie der erleichterte Erwerb der Staatsbürgerschaft ermöglicht werden (AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 2, 6 und 7).
26 Einen solchen Handlungsbedarf sah hingegen der Gesetzgeber trotz des angeführten Ziels der StbG-Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 bei jenen Staatsbürgern, die zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 ohne zu befürchtende Verfolgungen ihren Hauptwohnsitz im Bundesgebiet aufgegeben haben - die also nicht im Sinn des § 58c Abs. 1 StbG vertrieben wurden, jedoch nach ihrer Ausreise wegen zu befürchtender Verfolgungen nicht mehr zurückkehrten - nicht. Den Gesetzesmaterialien zur StbG-Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber entgegen dem klaren und eindeutigen Wortlaut des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG auch solchen Staatsbürgern und deren Nachkommen den erleichterten Zugang zur Staatsbürgerschaft ermöglichen wollte.
27 Eine planwidrige Lücke liegt daher nicht vor. Der Revisionswerber erfüllt bereits deshalb nicht den Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG.
Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches im Sinne des § 58c StbG
28 Der in § 58c StbG verwendete Begriff der zu befürchtenden „Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches“ wird im StbG nicht näher definiert.
29 Die Wortfolge „Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches mit Grund zu befürchten“ findet sich erstmals in § 2 Abs. 3 zweiter Satz des Gesetzes vom 10. Juli 1945 über die Überleitung in die österreichische Staatsbürgerschaft (Staatsbürgerschafts‑Überleitungsgesetz ‑ St-ÜG.), StGBl. 1945/59 idF der 2. Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetznovelle, BGBl. 1946/52. Die Materialien zur 2. Staatsbürgerschafts-Überleitungsgesetznovelle BGBl. 1946/52 (AB 18 zur RV 9 BlgNR 5. GP 1) sprechen in diesem Zusammenhang von „politischen Verfolgungen“.
30 Die Materialien zur StbG‑Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 (AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 1) weisen eingangs ausdrücklich darauf hin, dass die in § 58c StbG normierten Sondererwerbstatbestände für die während der NS‑Zeit Verfolgten des Nationalsozialismus sowie deren Nachkommen Ausdruck des Bekenntnisses Österreichs zu seiner Verantwortung für die Verbrechen während dieser Zeit sind. Hinsichtlich der Prüfung der Verfolgung nach § 58c Abs. 2 Z 1 StbG, die im Falle einer Rückkehr zu befürchten gewesen wäre, legen die Materialien (AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 2 und 7) dar, dass ein objektiver Maßstab anzulegen ist und sohin jedenfalls bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, wie insbesondere politischen Gegnern, Menschen jüdischer Herkunft, Roma und Sinti, Menschen mit geistiger oder physischer Beeinträchtigung, Zeugen Jehovas oder Homosexuelle, von einer zu befürchtenden Verfolgung auszugehen ist. Wer zu einer dieser Gruppen gehörte, erfüllt daher diese Erwerbsvoraussetzungen des § 58c Abs. 1 bzw. Abs. 2 Z 1 StbG (vgl. Plunger/Schober in Plunger/Esztegar/Eberwein [Hrsg], StbG² [2023] § 58c Rz 2 StbG).
31 Unter „Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches“ sind somit für die NS-Zeit typische, von der nationalsozialistischen Ideologie ausgehende Verfolgungen aus politischen Gründen oder aus Gründen der Abstammung zu verstehen (vgl. bereits VwGH 28.3.1955, 2110/54, zu § 2 Abs. 3 Staatsbürgerschafts‑Überleitungsgesetz 1949, BGBl. Nr. 276). Dazu zählen jedoch nicht andersartige Verfolgungen, wie etwa Verfolgungen wegen ausschließlich gemeiner Straftaten ohne Zusammenhang mit nationalsozialistisch motivierter direkter oder indirekter politischer oder ethnischer Verfolgung (vgl. Kolonovits/Burger/Wendelin, Staatsbürgerschaft und Vertreibung [2004] 96, mwN).
32 Auf dieser Grundlage ist das Vorliegen zu befürchtender Verfolgungen durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches iSd § 58c StbG unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
Einzelfallbezogene Beurteilung einer Verfolgung iSd § 58c Abs. 2 Z 1 StbG
33 Ausgehend von diesem Begriffsverständnis begegnet die Verneinung einer Verfolgung der Vorfahrin, die keiner während der NS-Zeit typischerweise verfolgten Personengruppe angehört hat, durch Organe der NSDAP oder der Behörden des Deutschen Reiches iSd § 58c StbG keinen Bedenken. Allein der Hinweis der Revision, dass die Vorfahrin nach Kriegsausbruch bei Überprüfung ihrer Zuverlässigkeit durch ein britisches Tribunal überzeugend eine deutliche Distanz zum nationalsozialistischen Regime dargelegt habe, sie deshalb im Vereinigten Königreich von einer Internierung ausgenommen worden und als Flüchtling anerkannt worden sei, einen Angehörigen eines Feindstaates des Deutschen Reiches geheiratet habe und wegen der Heirat eines Ausländers aufgrund der damaligen Rechtslage im Deutschen Reich ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren habe und im Fall ihrer Rückkehr deshalb interniert worden wäre, vermag keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses darzulegen.
34 Aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ergibt sich, dass es sich bei der Internierung der Vorfahrin im Falle ihrer hypothetischen Rückkehr ins Deutsche Reich während des Krieges weder um eine direkte noch um eine indirekte von der nationalsozialistischen Ideologie getragene politische oder ethnische Verfolgung gehandelt hätte. Vielmehr wäre die Ursache einer Internierung der Vorfahrin in ihrer Ehe mit einem Staatsangehörigen eines ‑ aus damaliger Sicht des Deutschen Reiches ‑ Feindstaates im Krieg gelegen.
35 Soweit die Revision schließlich darauf verweist, dass die Vorfahrin im Fall ihrer Rückkehr von der Gestapo überprüft worden wäre und es möglicherweise Beobachtungen am Wohnort gegeben hätte, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt.
Rückkehrwille als Tatbestandsvoraussetzung des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG
36 Nach den Materialien zur StbG-Novelle BGBl. I Nr. 48/2022 (AB 1421 zu IA 2146/A BlgNR 27. GP 7) ist in Bezug auf § 58c Abs. 2 Z 1 StbG auch „hinsichtlich der Prüfung des Vorliegens einer Absicht zur Rückkehr oder erstmaligen Einreise“ ein objektiver Maßstab anzulegen, „sodass diese nicht in jedem Einzelfall konkret nachzuweisen sein wird, sondern auch in diesem Zusammenhang bei jenen Personengruppen, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurden, von einer verwehrten Rückkehr (bzw. verwehrten erstmaligen Einreise) auszugehen ist“.
37 Ausgehend davon setzt der Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG die Absicht des Fremden, der Staatsbürger war und zwischen dem 30. Jänner 1933 und dem 9. Mai 1945 über keinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet verfügt hat, voraus, während dieses Zeitraums in das Bundesgebiet zurückzukehren bzw. erstmalig einzureisen, um hier einen Hauptwohnsitz zu begründen.
38 Auch ein solcher Rückkehr- bzw. Einreisewille ist nach den Umständen des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Gehört ein ehemaliger Staatsbürger einer Personengruppe an, die während der NS-Zeit typischerweise verfolgt wurde, ist im Wege der (in den Materialien ausgesprochenen) gesetzlichen Vermutung von der Abstandnahme einer an sich beabsichtigten Rückkehr oder erstmaligen Einreise nach Österreich während der NS-Herrschaft in Deutschland wegen zu befürchtender auf der nationalsozialistischen Ideologie beruhender Verfolgungen politischer und ethnischer Natur auszugehen.
39 Vorliegend hat die Vorfahrin, die keiner während der NS‑Zeit typischer Weise verfolgten Personengruppe angehört hat, nicht zuletzt auch deshalb den Tatbestand des § 58c Abs. 2 Z 1 StbG mangels Rückkehrwillen nicht erfüllt, weil sie nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts eine Rückkehr in das Deutsche Reich unabhängig von einer Verfolgung abgelehnt hatte.
Ergebnis
40 Zusammengefasst ist der Tatbestand des § 58c Abs. 3 iVm Abs. 2 Z 1 StbG in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt. Erstens verfügte die Vorfahrin während des Zeitraumes vom 30. Jänner 1933 bis 9. Mai 1945 über einen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet. Zweitens war sie nicht wegen zu befürchtender auf der nationalsozialistischen Ideologie beruhender Verfolgungen iSd § 58c StbG an der Rückkehr gehindert. Drittens hatte die Vorfahrin, die keiner während der NS-Zeit typischer Weise verfolgten Personengruppe angehörte, nicht die Absicht, ins Bundesgebiet zurückzukehren, um hier ihren Hauptwohnsitz erneut zu begründen. Der Revisionswerber ist daher kein anspruchsberechtigter „Nachkomme“ iSd § 58c Abs. 3 StbG.
41 Die Revision war aus diesen Erwägungen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
42 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden, weil das Verwaltungsgericht, ein Tribunal iSd EMRK bzw. ein Gericht iSd Art. 47 GRC, eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat (vgl. dazu etwa VwGH 26.1.2023, Ro 2020/01/0002, Rn. 60, mwN).
43 Die obsiegende belangte Behörde hat keinen Aufwandersatz verzeichnet. Ein Kostenzuspruch hatte daher zu unterbleiben.
Wien, am 26. September 2024
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