VwGH Ro 2023/06/0001

VwGHRo 2023/06/000113.3.2023

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Liebhart‑Mutzl als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, in der Revisionssache 1. des W K und 2. der S K, beide in R und beide vertreten durch die Rohracher & Winkler Rechtsanwälte GesbR in 6370 Kitzbühel, Achenweg 16, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 22. November 2022, LVwG‑2022/48/1480‑9, betreffend Untersagung der Benützung einer Wohnung als Freizeitwohnsitz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Gemeinde Kirchberg in Tirol; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Normen

BauO Tir 2022 §46 Abs6 litg
ROG Tir 2022 §13 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2023:RO2023060001.J00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

3 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) die Beschwerdevorentscheidung des Bürgermeisters der Gemeinde Kirchberg in Tirol (Behörde) vom 3. Mai 2022 ersatzlos (Spruchpunkt 1.) und wies die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien gegen den Bescheid der Behörde vom 9. November 2021, mit welchem ihnen die weitere Benützung einer näher genannten Wohnung in K. als Freizeitwohnsitz gemäß § 46 Abs. 6 lit. g Tiroler Bauordnung 2022 (TBO 2022) untersagt worden war, mit der Maßgabe ab, dass die Benützung als Freizeitwohnsitz mit sofortiger Wirkung untersagt werde (Spruchpunkt 2.). Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt (Spruchpunkt 3.).

Begründend führte das LVwG ‑ soweit für das gegenständliche Verfahren relevant ‑ aus, die revisionswerbenden Parteien befänden sich bereits im Ruhestand und hätten drei Wohnsitze; für den Wohnsitz in R./Deutschland, den Familienwohnsitz, an dem die (mittlerweile in Schleswig‑Holstein bzw. Berlin lebenden) Töchter aufgewachsen seien, liege eine Meldung als Hauptwohnsitz vor, in K. seien die revisionswerbenden Parteien mit Nebenwohnsitz gemeldet, und daneben hätten sie noch einen Wohnsitz auf Sylt. In allen Wohnsitzen verbrächten sie etwa gleich viel Zeit; ab 1. Jänner 2018 sei für den Wohnsitz in K. eine Freizeitwohnsitzpauschale entrichtet worden. Familiäre Beziehungen bestünden „nach Auszug der beiden Töchter an keinem der drei Wohnsitze“. Die revisionswerbenden Parteien seien in Deutschland steuerpflichtig und sozialversichert. Ein deutliches Übergewicht hinsichtlich der beruflichen und familiären Lebensbeziehungen der revisionswerbenden Parteien in K. sei nicht feststellbar.

Eine ordentliche Revision sei zulässig, weil „im vorliegenden Fall Pensionisten, die im gleichen Umfang ihre verschiedenen Wohnsitze nutzen, was ihnen finanziell möglich ist, und sohin mehrere gleichartige bzw gleichwertige Wohnsitze zu erhalten und zu nutzen, stellt sich die Frage der Zulässigkeit der Definition und Auslegung des Begriffes eines Freizeitwohnsitzes anhand der in § 13 Abs 1 Tiroler Raumordnungsgesetz 2022 (TROG 2022) angeführten Kriterien. Insbesondere fehlt die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein Freizeitwohnsitz im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn die Beschwerdeführer an keinen der Wohnsitze einen ganzjährigen Wohnsitz ‑ und im eigentlichen Sinn einen Hauptwohnsitz ‑ haben und sohin nur ‑ wie es für die hier betreffenden Pensionisten möglich ist ‑ an allen drei Wohnsitzen etwa gleich viel Zeit verbringen und zu keinem der Wohnsitze ein deutliches Übergewicht und damit einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen vorliegt.“

5 Die revisionswerbenden Parteien schließen sich der Zulässigkeitsbegründung des LVwG an und führen dazu ergänzend aus, die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, wonach es gerade auf das Überwiegen der Lebensbeziehungen ankomme, sei nicht anwendbar, wenn zu keinem von mehreren Wohnsitzen im Vergleich zu den übrigen Wohnsitzen ein Übergewicht der familiären, sozialen oder beruflichen Beziehungen oder sonstigen Anknüpfungspunkte vorliege. Auf das Überwiegen der Lebensbeziehungen könne nur abgestellt werden, wenn eine Reihung möglich sei, nicht aber, wenn Gleichstand herrsche. Zu dieser Rechtsfrage fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs.

6 Die Beurteilung der Zulässigkeit einer Revision erfolgt ausschließlich anhand des Vorbringens in der Zulassungsbegründung; der Verwaltungsgerichtshof ist weder verpflichtet, Gründe für die Zulässigkeit einer Revision anhand der übrigen Revisionsausführungen gleichsam zu suchen, noch berechtigt, von Amts wegen erkannte Gründe, die zur Zulässigkeit einer Revision hätten führen können, aufzugreifen (vgl. etwa VwGH 11.1.2023, Ro 2020/05/0007, Rn. 7, mwN). Reicht die Begründung der Zulässigkeit der Revision durch das Verwaltungsgericht für deren Zulässigkeit nicht aus oder erachtet der Revisionswerber andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für gegeben, hat der Revisionswerber nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch in einer ordentlichen Revision von sich aus die Zulässigkeitsgründe gesondert darzulegen (vgl. nochmals VwGH 11.1.2023, Ro 2020/05/0007, Rn. 9, mwN).

7 Gemäß § 13 Abs. 1 TROG 2022 sind Freizeitwohnsitze Gebäude, Wohnungen oder sonstige Teile von Gebäuden, die nicht der Befriedigung eines ganzjährigen, mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen verbundenen Wohnbedürfnisses dienen, sondern zum Aufenthalt während des Urlaubs, der Ferien, des Wochenendes oder sonst nur zeitweilig zu Erholungszwecken verwendet werden. Der ständigen hg. Rechtsprechung zufolge kann von einem anderen Wohnsitz als einem Freizeitwohnsitz dann nicht gesprochen werden, wenn kein deutliches Übergewicht hinsichtlich der beruflichen und familiären Lebensbeziehungen des Einschreiters feststellbar ist (vgl. etwa VwGH 28.6.2021, Ra 2021/06/0056, Rn. 9, mwN).

Nach dem klaren Wortlaut dieser Bestimmung ist für das Vorliegen eines Freizeitwohnsitzes nicht erforderlich, dass an einem anderen Wohnsitz stärkere familiäre, soziale oder berufliche Beziehungen oder sonstige Anknüpfungspunkte bestehen. Entscheidungsrelevant ist nur, ob der verfahrensgegenständliche Wohnraum der Befriedigung eines ganzjährigen Wohnbedürfnisses dient und dort der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen liegt. Wenn in der hg. Rechtsprechung in diesem Zusammenhang das „deutliche Übergewicht der beruflichen und familiären Lebensbeziehungen“ genannt wird, dient dies der Feststellung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen. Liegt jedoch diese Kombination aus einem ganzjährigen Wohnbedürfnis verbunden mit dem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen nicht vor, ist von einem Freizeitwohnsitz im Sinn des § 13 Abs. 1 TROG 2022 auszugehen.

8 Die revisionswerbenden Parteien bringen nicht vor, die Wohnung in K. diene der Befriedigung eines ganzjährigen Wohnbedürfnisses. Insofern kommt es nicht mehr auf die Feststellung des Mittelpunktes der Lebensbeziehungen bzw. eines deutlichen Übergewichts der beruflichen und familiären Lebensbeziehungen an.

9 Im Übrigen halten sich die revisionswerbenden Parteien nach den unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis ihren eigenen Angaben zufolge meist im Winter in K. auf (im Sommer sind sie vorwiegend auf Sylt) und verbringen die Zeit dort vorwiegend mit Schifahren, Radfahren und Wanderungen; als Nachweis für eine „tiefe Verwurzelung“ der revisionswerbenden Parteien in K. wurden die Eröffnung eines Kontos bei der lokalen Bank, die Mitgliedschaft im Schiclub sowie der Erwerb der Saisonschikarte vorgebracht. Als sozialer Kontakt wurde der Nachbar Herr S. genannt, mit dem sich die revisionswerbenden Parteien unterhielten, wenn sie einander auf der Straße begegneten; familiäre Bindungen in K. wurden nicht genannt. Angesichts dieser Umstände ist nicht zu erkennen, dass das LVwG die im Einzelfall vorgenommene Beurteilung, dass kein deutliches Übergewicht hinsichtlich der beruflichen und familiären Lebensbeziehungen der revisionswerbenden Parteien in K. feststellbar sei, in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 15.12.2022, Ra 2022/06/0315, Rn. 6, mwN). Auch aus diesem Blickwinkel wäre der Revision kein Erfolg beschieden.

10 In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 13. März 2023

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte