Normen
BundesbahnG 1992 §31 Abs1
BundesbahnG 1992 §42 Abs7
EisenbahnG 1957 §14d
EisenbahnG 1957 §42
EisenbahnG 1957 §42 Abs3
EisenbahnG 1957 §43
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RO2023030036.J00
Spruch:
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die Revisionswerberin hat der Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von € 1106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
1 1.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in Bestätigung eines Bescheides der belangten Behörde vom 8. August 2022, den Antrag der Revisionswerberin auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung von einem Bauverbotsbereich gemäß § 42 Abs. 3 und § 43 Abs. 3 Eisenbahngesetz 1957 ‑ EisbG ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG zulässig sei.
2 Das Verwaltungsgericht stellte fest, die Revisionswerberin beabsichtige die Errichtung einer Wohnhausanlage an einer bestimmten Adresse in L. Das Bauprojekt befinde sich in einer Entfernung von weniger als zwölf Metern von der Gleisachse der ÖBB‑Strecke Wien Hbf. Ost ‑ Staatsgrenze nächst Nickelsdorf (im Folgenden: „Ostbahn“), an einem nach Kilometer genau bestimmten Streckenabschnitt „rechts der Bahn“. Die Abstände der Untergeschosse von der Gleisachse würden 6,7 Meter (erstes und zweites Untergeschoss) und 5,7 Meter (zweites Untergeschoss) betragen.
3 Die Unterführung der B11 schließe mit ihrem Tragwerk unmittelbar an das Grundstück an. Die Eisenbahnbrücke über die B11 sei neu errichtet worden und im Bestand nicht breit genug, um weitere Gleise aufzunehmen oder Gleisschwenkungen um mehrere Meter bewältigen zu können. Der Bahnhof L sei mit Randbahnsteigen neu ausgestattet, die bei einer Erweiterung ebenfalls neu zu errichten wären. Die Nutzungsdauer der neu errichteten Eisenbahnbrücke entspreche etwa jener des geplanten Bauwerks. „Links der Bahn“ stehe Bahngrund zur Verfügung, der frei von Bestandswerken sei.
4 Das aktuell verbindliche „Zielnetz 2025+“ sei im Jahr 2012 erstellt worden und definiere den zum damaligen Zeitpunkt mittelfristigen Netzausbau. Sein Planungshorizont decke in etwa die Jahre 2025 bis 2030 ab. Die Rahmenpläne der ÖBB seien darauf aufbauende Konkretisierungen des Zielnetzes und legten eine Priorisierung für die Umsetzung der Projekte fest. Der derzeit gültige Rahmenplan sei jener für die Jahre 2022 ‑ 2026. Für die Ostbahn seien im Bereich L im „Zielnetz 2025+“ und im Rahmenplan 2022 ‑ 2026 keine Ausbaumaßnahmen vorgesehen.
5 Aktuell sei im zuständigen Bundesministerium das „Zielnetz 2040“ in Ausarbeitung, das eine längerfristige Perspektive für den Infrastrukturausbau vorgebe. Für dessen Erarbeitung seien gemeinsam mit der Mitbeteiligten und in Abstimmung mit den betroffenen Bundesländern Module definiert worden, die künftige sinnvolle Erweiterungen des Netzes darstellen könnten. Diese Module würden anschließend in einem einheitlichen Verfahren bewertet und priorisiert. Ein wesentlicher Bestandteil für die Bewertung der Projekte sei das Projekt „Verkehrsprognose 2040“, das derzeit erarbeitet werde. Eines dieser Module sei die „Optimierung des Südzulaufes Wien“, das einen dreigleisigen Ausbau der Ostbahn zwischen Kledering und Gramatneusiedl, also auch den Bereich von L einschließe.
6 Es lägen derzeit weder zum „Zielnetz 2040“ noch zur „Verkehrsprognose 2040“ Ergebnisse und verbindliche Aussagen vor. Folgende Punkte machten jedoch einen dreigleisigen Ausbau der Ostbahn im Bereich L wahrscheinlich: Die Streckenkapazität sei derzeit überlastet, auf Basis der „Verkehrsprognosen 2025+“ verbliebe trotz des geplanten Ausbaus der Flughafenspange eine sehr hohe Streckenauslastung (80% ‑ 100%); aufgrund der Zielvorgaben des „Mobilitätsmasterplanes 2030“ sei mit großen Anstrengungen zur Erhöhung des Schienenverkehrsanteils zu rechnen; aufgrund europäischer Initiativen sei mit einer Attraktivierung des grenzüberschreitenden Schienengüterverkehrs und dadurch mit einem deutlichen Verkehrswachstum entlang der TEN‑V‑Achsen zu rechnen; die Ostbahn im Bereich von L liege in einem Schnittbereich von mehreren TEN‑V‑Korridoren mit grundsätzlich stark dynamischem Wachstum.
7 Für die Ostbahn im Bereich L seien somit derzeit zwar keine verbindlich vereinbarten Ausbaumaßnahmen vorgesehen, mit hoher Wahrscheinlichkeit werde eine solche Maßnahme aber im Rahmen des in Erarbeitung befindlichen „Zielnetzes 2040“ mit entsprechender Priorität gewürdigt.
8 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht hinsichtlich der in Ausarbeitung befindlichen Planungsdokumente und des zu erwartenden Ausbaus auf die Stellungnahme eines näher genannten Mitarbeiters der belangten Behörde, welche die Ausführungen der Mitbeteiligten im Wesentlichen bestätigt hätten. Die Feststellungen zur aktuellen Lage um das gegenständliche Projekt beruhten auf einer Stellungnahme der belangten Behörde. Eine im Wesentlichen übereinstimmende Darstellung befinde sich in einem von der Revisionswerberin vorgelegten Privatgutachten.
9 Rechtlich führte das Verwaltungsgericht zunächst aus, die ursprünglich von der Mitbeteiligten erteilte Zustimmung zum Projekt sei widerrufen und eine Zustimmung zum geänderten Projekt nicht erteilt worden.
10 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes könne die Ausnahmebewilligung nach § 42 Abs. 3 EisbG versagt werden, wenn ihrer Erteilung öffentliche Verkehrsinteressen entgegenstünden. Dabei handle es sich um öffentliche Interessen, die vom Gesetz geschützt würden, weswegen nur zur Entscheidung stehe, ob der Schutz dieser Interessen bei Erteilung einer Ausnahmebewilligung vom Bauverbotsbereich gewährleistet bleibe (Hinweis auf VwGH 28.2.2006, 2005/03/0244).
11 Nach den Erläuterungen zur Novelle BGBl. Nr. 452/1992 seien die öffentlichen Verkehrsinteressen iSd § 42 Abs. 3 EisbG vorrangig in der Gewährleistung der Erweiterungsmöglichkeiten zu sehen und daher mit den Planungsabsichten des Eisenbahnunternehmens abzustimmen. Der nächstgelegene Bereich zur Eisenbahn solle möglichst von einer die Erweiterung der Eisenbahn behindernden Verbauung freigehalten werden. § 14d EisbG führe im Zusammenhang mit dem Begriff der „öffentlichen Verkehrsinteressen“ insbesondere das Interesse an der Vereinheitlichung und Rationalisierung des Eisenbahnverkehrs, das Verkehrsvolumen, die Streckenlänge und die sonstige verkehrswirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn an.
12 Gegenständlich sei im Wesentlichen strittig, ob die Planungsabsichten der Mitbeteiligten so konkret seien, dass öffentliche Verkehrsinteressen der Erteilung einer Bewilligung entgegenstünden.
13 Zwar seien derzeit keine verbindlichen Ausbaumaßnahmen an der Ostbahn vorgesehen, es bestehe jedoch eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass derartige Maßnahmen in den sich in Ausarbeitung befindlichen Planungsdokumenten, nämlich dem „Zielnetz 2040“, vorgesehen würden. Dies ergebe sich aus den Erörterungen mit einem Vertreter der für Infrastrukturplanung zuständigen Abteilung des zuständigen Bundesministeriums in der mündlichen Verhandlung. Zudem sei die Ostbahn, an der das gegenständliche Bauvorhaben liege, mit der 2. Hochleistungsstrecken-Verordnung zur Hochleistungsstrecke erklärt worden, und damit eine Hauptbahn iSd § 4 Abs. 1 Z 1 EisbG. Sie sei überdies Teil von zwei der „Trans‑European Network Transport“ (TEN‑T) Kernnetzkorridore iSd Art. 44 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1315/2013 iVm Anhang I Teil I Verordnung (EU) Nr. 1316/2013 und dieser zufolge zur Hochgeschwindigkeitsstrecke auszubauen. Insofern sei im Unionsrecht ein Ausbau zur Hochgeschwindigkeitsstrecke bereits verbindlich vorgegeben.
14 Die Revisionswerberin wende dagegen ein, dass die Umsetzung des Ausbaus zur Hochgeschwindigkeitsstrecke für das Gesamtnetz erst bis zum Jahr 2050 und damit nicht in absehbarer Zeit erfolgen solle. In dem von ihr vorgelegten Privatgutachten beschränke sie sich hingegen auf den Betrachtungszeitraum bis zum Jahr 2032. Es sei jedoch davon auszugehen, dass die von der Revisionswerberin geplante Wohnanlage auch nach den Jahren 2030 bzw. 2040 oder auch noch im Jahr 2050 bestehen und genutzt werde. Mit Blick auf den grundsätzlich weit in die Zukunft reichenden Planungshorizont bei Eisenbahninfrastrukturmaßnahmen sei der Einwand daher nicht nachvollziehbar. Der Bauverbotsbereich nach § 42 EisbG diene gerade der Gewährleistung auch weiter in der Zukunft liegender Erweiterungsmöglichkeiten, wenn sich deren Erforderlichkeit bereits abzeichne. Ein Zeithorizont von bloß zehn Jahren reiche daher für die Beurteilung nicht aus. Zudem gehöre der gegenständliche Streckenabschnitt zum Kernnetz nach der TEN‑V, welches bis zum Jahr 2030 umzusetzen sei.
15 Die Revisionswerberin habe die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Bereich „Bauwesen Eisenbahnanlagen“ beantragt. Die Revisionswerberin habe aber nicht dargelegt, was vom Sachverständigen konkret beurteilt und hierdurch bewiesen werden solle. Überdies habe bereits die belangte Behörde die Stellungnahme eines Amtssachverständigen eingeholt, der sich abstrakt mit der Umsetzung von Baumaßnahmen im gegenständlichen Streckenabschnitt auseinandersetze. Allerdings könnten Planungsabsichten, auf die es nach den zitierten Gesetzesmaterialien ankomme, nicht Gegenstand eines Sachverständigenbeweises sein. Ein konkretes, ausgearbeitetes Projekt, anhand dessen beurteilt werden könnte, ob die Flächen im Bauverbotsbereich tatsächlich freigehalten werden müssten, liege noch gar nicht vor. Ein konkretes Projekt sei aber auch nicht Voraussetzung für das Vorliegen eines öffentlichen Verkehrsinteresses iSd § 42 Abs. 3 EisbG, da die Gesetzesmaterialien von „Planungsabsichten“ und „Erweiterungsmöglichkeiten“ sprächen.
16 Die Stellungnahme des Amtssachverständigen komme zwar zum Ergebnis, dass der Widerruf der Zustimmung gemäß § 42 EisbG nicht schlüssig und nachvollziehbar sei. In der mündlichen Verhandlung habe die Mitbeteiligte den Widerruf nachvollziehbar damit begründet, dass bei der Erteilung der Zustimmung die internen Prozesse nicht eingehalten und deshalb die an sich bekannten künftigen Anforderungen an die Streckenkapazität nicht berücksichtigt worden seien. Allfällige dadurch erlittene Nachteile der Revisionswerberin seien als zivilrechtliche Ansprüche zu verfolgen, seien aber für das öffentliche Verkehrsinteresse nicht relevant.
17 Der Amtssachverständige habe ausgeführt, dass die neu errichtete Eisenbahnbrücke über die B11 im Bestand nicht breit genug sei, um weitere Gleise aufzunehmen oder Gleisschwenkungen um mehrere Meter zu bewältigen, die Eisenbahnbrücke bei Erweiterungen neu zu errichten wäre, der Bahnhof L mit Randbahnsteigen neu ausgestattet sei und die Inanspruchnahme von Fremdgrund zur Erweiterung der Eisenbahninfrastruktur „rechts der Bahn“ nicht zu erwarten sei, weil „links der Bahn“ ausreichend Bahngrund zur Verfügung stehe. Allerdings könne die Inanspruchnahme von Grund „rechts der Bahn“ erst im Zuge des Verfahrens über ein konkretes Projekt tatsächlich beurteilt werden. Die Mitbeteiligte habe weitere in einem künftigen Bauprojekt zu berücksichtigende eisenbahnspezifische Anforderungen angeführt, wie etwa Schutznormen betreffend Licht und Lärm, Veränderungen der Gleistopologie, Abstandnormen in Weichenbereichen und weitere Streckenkomponenten. Der Bestand werde entsprechend den Erfordernissen adaptiert.
18 Der Amtssachverständige führe auch aus, dass das öffentliche Interesse an der Errichtung eines gemeinnützigen Wohnbaus in fußläufiger Entfernung zu einer Verkehrsstation höher zu bewerten sei. Bei einer Interessenabwägung handle es sich jedoch grundsätzlich um eine Rechtsfrage, die der sachverständigen Beurteilung nicht zugänglich sei. § 42 Abs. 3 EisbG sehe auch gar keine Interessenabwägung vor, sondern die Prüfung, ob die Erteilung einer Ausnahmebewilligung mit den öffentlichen Verkehrsinteressen zu vereinbaren sei. Es könne ohnedies ein gemeinnütziger Wohnbau auf dem gegenständlichen Grundstück errichtet werden, da lediglich der Bauverbotsbereich gemäß § 42 EisbG und nicht das ganze Grundstück freizuhalten sei.
19 Die Revisionswerberin habe eingewendet, dass der Mindestabstand lediglich von Untergeschossen und einigen Balkonen der Obergeschosse, nicht hingegen durch oberirdische Bebauung unterschritten werde. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes sei § 42 Abs. 1 EisbG (damals: § 38 Abs. 1 EisbG) jedoch dahin auszulegen, dass ein Bauverbot auch oberhalb und unterhalb der Gleisanlagen, und zwar zwölf Meter von der Mitte der äußeren Gleisachse in vertikaler und horizontaler Richtung in Form eines Quaders bestehe (Hinweis auf RIS‑Justiz RS0058048).
20 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, wie konkret Planungsabsichten des Eisenbahnunternehmens sein und welchen Zeithorizont sie betreffen müssten, um davon ausgehen zu können, dass die beantragte Ausnahme mit den öffentlichen Verkehrsinteressen iSd § 42 Abs. 3 EisbG nicht zu vereinbaren sei. Denkmöglich sei auch eine Auslegung dieser Bestimmung dahingehend, dass von ausreichenden Planungsabsichten erst dann auszugehen sei, wenn Ausbaumaßnahmen bereits im Zielnetz oder sogar bereits im Rahmenplan gemäß § 42 Abs. 7 Bundesbahngesetz verbindlich vorgesehen seien.
21 1.2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Die belangte Behörde und die Mitbeteiligte erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
22 2. Das Eisenbahngesetz 1957 ‑ EisbG, BGBl. Nr. 60, in der Fassung BGBl. I Nr. 231/2021, lautet (auszugsweise):
„3a. Teil
Anrainerbestimmungen, Verhalten innerhalb von Eisenbahnanlagen und in Schienenfahrzeugen
1. Hauptstück
Anrainerbestimmungen
Bauverbotsbereich
§ 42. (1) Bei Hauptbahnen, Nebenbahnen und nicht‑öffentlichen Eisenbahnen ist die Errichtung bahnfremder Anlagen jeder Art in einer Entfernung bis zu zwölf Meter von der Mitte des äußersten Gleises, bei Bahnhöfen innerhalb der Bahnhofsgrenze und bis zu zwölf Meter von dieser, verboten (Bauverbotsbereich).
...
(3) Die Behörde kann Ausnahmen von den Bestimmungen der Abs. 1 und 2 erteilen, soweit dies mit den öffentlichen Verkehrsinteressen zu vereinbaren ist. Eine solche Bewilligung ist nicht erforderlich, wenn es über die Errichtung der bahnfremden Anlagen zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Anrainer zu einer Einigung gekommen ist.
Gefährdungsbereich
§ 43. (1) In der Umgebung von Eisenbahnanlagen (Gefährdungsbereich) ist die Errichtung von Anlagen oder die Vornahme sonstiger Handlungen verboten, durch die der Bestand der Eisenbahn oder ihr Zugehör oder die regelmäßige und sichere Führung des Betriebes der Eisenbahn und des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn sowie des Verkehrs auf der Eisenbahn, insbesondere die freie Sicht auf Signale oder auf schienengleiche Eisenbahnübergänge, gefährdet wird.
...
(3) Wenn im Gefährdungsbereich Steinbrüche, Stauwerke oder andere Anlagen errichtet oder Stoffe, die explosiv oder brennbar sind, gelagert oder verarbeitet werden sollen, durch die der Betrieb der Eisenbahn, der Betrieb von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn oder der Verkehr auf der Eisenbahn gefährdet werden kann, so ist vor der Bauausführung oder der Lagerung oder Verarbeitung die Bewilligung der Behörde einzuholen; diese ist zu erteilen, wenn Vorkehrungen getroffen sind, die eine Gefährdung des Betriebes der Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn und des Verkehrs auf der Eisenbahn ausschließen.
(4) Die Bewilligungspflicht gemäß Abs. 3 entfällt, wenn es über die Errichtung des Steinbruches, des Stauwerkes oder einer anderen Anlage oder über die Lagerung oder Verarbeitung der Stoffe zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Errichter, Lagerer oder Verarbeiter zu einer schriftlich festzuhaltenden zivilrechtlichen Einigung über zu treffende Vorkehrungen gekommen ist, die eine Gefährdung des Betriebes der Eisenbahn, des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn oder des Verkehrs auf der Eisenbahn ausschließen.“
23 3. Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen zulässig.
24 4. Die Revision ist aber nicht begründet:
25 4.1. Vorauszuschicken ist Folgendes: Im Revisionsfall ist unstrittig, dass es sich bei der Mitbeteiligten um das Eisenbahnunternehmen iSd § 42 Abs. 3 EisbG handelt, und dass eine Einigung zwischen der Revisionswerberin und der Mitbeteiligten zu dem gegenständlichen Bauprojekt der Revisionswerberin ‑ die Mitbeteiligte hat ihre ursprünglich erteilte Zustimmung widerrufen ‑ nicht vorliegt.
26 4.2. Nach § 42 Abs. 1 EisbG ist die Errichtung bahnfremder Anlagen jeder Art in einer Entfernung bis zu zwölf Meter von der Mitte des äußersten Gleises einer Haupt- oder Nebenbahn oder einer nicht-öffentlichen Eisenbahn verboten (Bauverbotsbereich). § 42 Abs. 3 EisbG sieht jedoch vor, dass die Behörde Ausnahmen von diesem Bauverbot bewilligen kann, soweit dies mit den öffentlichen Verkehrsinteressen zu vereinbaren ist. Eine solche Bewilligung ist nicht erforderlich, wenn es über die Errichtung der bahnfremden Anlagen zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Anrainer zu einer Einigung gekommen ist.
27 Überdies verbietet § 43 Abs. 1 EisbG in der Umgebung von Eisenbahnen (Gefährdungsbereich) die Errichtung von Anlagen oder die Vornahme sonstiger Handlungen, durch die der Bestand der Eisenbahn oder ihr Zugehör oder die regelmäßige und sichere Führung des Betriebes der Eisenbahn und des Betriebes von Schienenfahrzeugen auf der Eisenbahn sowie des Verkehrs auf der Eisenbahn, insbesondere die freie Sicht auf Signale oder auf schienengleiche Eisenbahnübergänge, gefährdet wird. Ausnahmen von diesem Verbot sieht § 43 Abs. 3 und 4 EisbG vor.
28 Diese Regelungen fanden sich in ähnlicher Form bereits in der Stammfassung des EisbG 1957 in den damaligen §§ 38 und 39. Nach § 38 EisbG in dieser Stammfassung bedurften allerdings alle Ausnahmen vom Bauverbot einer Bewilligung der Behörde. Mit der Novelle zum EisbG BGBl. Nr. 452/1992 erfuhr diese Bestimmung insofern eine Änderung, als seit damals eine behördliche Bewilligung der Ausnahme vom Bauverbot nicht mehr notwendig ist, wenn sich das Eisenbahnunternehmen und der Anrainer über die Errichtung der bahnfremden Anlage einigen (vgl. § 38 Abs. 4 EisbG idF BGBl. Nr. 452/1992; nunmehr § 42 Abs. 3 EisbG). Ähnliches galt auch für die Regelung über den Gefährdungsbereich, die schon in der Stammfassung in § 39 Abs. 3 EisbG die behördliche Bewilligungspflicht unter anderem für eine Bauführung im Gefährdungsbereich der Eisenbahn ‑ unter näher bezeichneten Voraussetzungen ‑ vorsah, mit der Novelle im Jahr 1992 von einer Bewilligungspflicht aber unter bestimmten Bedingungen absah (§ 39 Abs. 4 EisbG idF BGBl. Nr. 452/1992), mit der Novelle zum EisbG BGBl. I Nr. 125/2006 die Regelung über den Entfall der Bewilligungspflicht in den § 43 EisbG transferierte und seit damals ‑ ähnlich der Bestimmung über den Bauverbotsbereich ‑ vorsieht, dass die Bewilligungspflicht im Regelfall entfällt, wenn es zu einer Einigung mit dem Eisenbahnunternehmen kommt (vgl. VwGH 22.11.2016, Ra 2016/03/0025, mwN).
29 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass es sich bei der Ausnahmebewilligung nach § 42 Abs. 3 EisbG (damals: § 38 Abs. 4 EisbG idF vor der Novelle BGBl. I Nr. 125/2006) um einen antragsbedürftigen Verwaltungsakt handelt, bei dessen Erledigung der Behörde kein Ermessen eingeräumt ist. § 38 Abs. 4 EisbG räumt ein subjektiv-öffentliches Recht (nur) darauf ein, dass eine Ausnahmebewilligung bei Vorliegen der in dieser Bestimmung genannten Voraussetzung der Vereinbarkeit mit öffentlichen Verkehrsinteressen erteilt wird. Bei den öffentlichen Verkehrsinteressen handelt es sich um öffentliche Interessen, die vom Gesetz geschützt werden, weswegen es immer nur zur Entscheidung stehen kann, ob der Schutz dieser Interessen gewährleistet bleibt, wenn eine Ausnahme vom Verbot im Einzelfall auf Ansuchen erteilt wird (vgl. VwGH 28.2.2006, 2005/03/0244, mwN).
30 4.3. Das EisbG enthält in § 14d ‑ dort in Zusammenhang mit der Verlängerung der Konzessionsdauer ‑ eine beispielhafte Aufzählung der „öffentlichen Verkehrsinteressen“ und nennt dabei das Interesse an der Vereinheitlichung oder Rationalisierung des Eisenbahnverkehrs, das Verkehrsvolumen, die Streckenlänge oder die sonstige verkehrswirtschaftliche Bedeutung der Eisenbahn.
31 Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Begriff der „öffentlichen Verkehrsinteressen“ iSd § 42 Abs. 3 EisbG im Erkenntnis vom 22. Dezember 1971, 1525/70, klargestellt, dass es sich dabei um einen unbestimmten Gesetzesbegriff handelt, der alles umfasst, was unter den Begriff „öffentliches Interesse am Verkehr“ schlechthin unter besonderer Beachtung des Eisenbahnverkehrs subsumiert werden kann. Es kann daher unter diesem Begriff neben der ‑ auch in § 14d EisbG genannten ‑ verkehrswirtschaftlichen Gewährleistung der Eisenbahn auch deren verkehrstechnische Sicherung verstanden werden (vgl. auch VwGH 13.3.2024, Ra 2023/03/0207).
32 Nach den Gesetzesmaterialien zur Novelle des EisbG BGBl. Nr. 452/1992, mit welcher die Bewilligungsfreiheit für den Fall einer Einigung zwischen dem Eisenbahnunternehmen und dem Anrainer eingeführt wurde, sind die öffentlichen Verkehrsinteressen vorrangig „in der Gewährleistung der Erweiterungsmöglichkeiten“ zu sehen und deswegen „mit den Planungsabsichten des Eisenbahnunternehmens abzustimmen“ (vgl. RV 295 BlgNR XVIII. GP 18).
33 Der Sinn und Zweck des von Gesetzes wegen bestehenden Bauverbotes und der ‑ auf den Fall ihrer Vereinbarkeit mit öffentlichen Verkehrsinteressen beschränkten ‑ Ausnahmemöglichkeit besteht somit darin, den nächstgelegenen Bereich zur Eisenbahn möglichst von einer die Erweiterung der Eisenbahn behindernden Verbauung freizuhalten (vgl. Catharin/Gürtlich/Walder‑Wintersteiner, Eisenbahngesetz4, 2022, § 42 EisbG, Rn. 11).
34 Vor diesem Hintergrund liegt im öffentlichen Verkehrsinteresse iSd § 42 Abs. 3 EisbG jedenfalls auch der Bau, der Betrieb, die Erhaltung und Erneuerung sowie der Ausbau der Eisenbahninfrastruktur, wobei dies auch die dafür erforderliche Planung ‑ mit dem für eine solche Infrastruktur typischen langjährigen Planungshorizont ‑ umfasst.
35 4.4. Die Revision vertritt nun die Auffassung, dass die in den oben zitierten Gesetzesmaterialien genannten „Planungsabsichten“ des Eisenbahnunternehmens nur dann für die Versagung einer Ausnahmebewilligung herangezogen werden dürften, wenn diese so konkret seien, dass sie in eines der gesetzlich vorgesehenen Planungsdokumente, namentlich in den Rahmenplan oder in das Zielnetz, Eingang gefunden hätten.
36 Gemäß § 42 Abs. 7 Bundesbahngesetz, BGBl. Nr. 825/1992, ist als Grundlage des Zuschusses des Bundes an die ÖBB‑Infrastruktur AG, deren Aufgabe gemäß § 31 Abs. 1 Bundesbahngesetz u.a. die Planung und der Bau einer bedarfsgerechten und sicheren Schieneninfrastruktur (einschließlich Hochleistungsstrecken) ist, ein jährlich zu adaptierender sechsjähriger Rahmenplan vorgesehen. Bei der Erstellung des Rahmenplanes ist wiederum auf die Festlegungen im sog. Zielnetz, welches zwischen dem für die Angelegenheiten der Eisenbahnen zuständigen Bundesminister und dem Bundesminister für Finanzen abgestimmt wurde, Bedacht zu nehmen.
37 Der Revisionswerberin ist insoweit zuzustimmen, als Planungen in Bezug auf einen bestimmten Streckenabschnitt, die in einem der beiden genannten Dokumente enthalten sind, jedenfalls ein öffentliches Verkehrsinteresse iSd § 42 Abs. 3 EisbG zum Ausdruck bringen, sodass eine Ausnahme vom Verbotsbereich nur dann erteilt werden darf, wenn dies mit einer solchen Planung vereinbar ist.
38 Das bedeutet aber keineswegs, dass ausschließlich jene Planungen in Bezug auf einen bestimmten Streckenabschnitt, die im jeweils anwendbaren Rahmenplan bzw. Zielnetz enthalten sind, ein öffentliches Verkehrsinteresse iSd § 42 Abs. 3 EisbG begründen. Eine solche Auslegung scheidet schon deswegen aus, weil die Regelungen über den Bauverbotsbereich und seine Ausnahmen auf die Stammfassung des Eisenbahngesetzes 1957 (damals § 38) zurückgehen, und solche Planungsdokumente damals gesetzlich noch nicht vorgesehen waren. Eine Beschränkung des öffentlichen Verkehrsinteresses iSd § 42 Abs. 3 EisbG auf im Rahmenplan bzw. Zielnetz enthaltene Planungen kommt aber insbesondere deswegen nicht in Betracht, weil sie die mittel- bis langfristige Perspektive, die einer Schieneninfrastrukturplanung inhärent ist, außer Acht ließe.
39 4.5. Für den Revisionsfall bedeutet dies Folgendes:
40 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung zu Grunde, dass derzeit keine „verbindlichen Ausbaumaßnahmen“ der Ostbahn im gegenständlichen Streckenabschnitt vorgesehen seien, womit es offenbar meint, dass entsprechende Planungen im hier maßgeblichen Zielnetz bzw. Rahmenplan nicht enthalten sind. Es stellte jedoch fest, dass der dreigleisige Ausbau der Ostbahn im Bereich L (aus näher festgestellten Gründen; vgl. oben Rn. 6) wahrscheinlich sei und eine Würdigung einer derartigen Maßnahme mit entsprechender Priorität im in Erarbeitung befindlichen „Zielnetz 2040“ mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei. In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Verwaltungsgericht weiters davon aus, dass die Ostbahn zur Hochleistungsstrecke erklärt und als Teil von unionsrechtlich vorgesehenen TEN‑T‑Netzkorridoren zur Hochgeschwindigkeitsstrecke auszubauen sei.
41 Alldem ist die Revision nicht konkret entgegengetreten. Sie legt somit nicht dar, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, es bestünden hinreichend konkrete Planungsabsichten für eine Erweiterung des gegenständlichen Streckenabschnittes, um vom Vorliegen öffentlicher Verkehrsinteressen iSd § 42 Abs. 3 EisbG auszugehen, mit denen eine Ausnahme vom Bauverbotsbereich nicht vereinbar sei, auf unzutreffenden Sachverhaltsannahmen beruhe oder ‑ bezogen auf den vorliegenden Einzelfall ‑ rechtswidrig wäre.
42 Bestehen die öffentlichen Verkehrsinteressen iSd § 42 Abs. 3 EisbG in einer erst in Planung befindlichen Erweiterung der Infrastruktur, sodass noch keine konkreten Pläne für ein Bauvorhaben vorliegen, scheidet eine Beurteilung, ob (lediglich) ein bestimmter Teil des Bauverbotsbereichs für eine solche Erweiterung notwendig ist, von vornherein aus. Auf die in der Revision aufgeworfenen Fragen, ob die Erweiterung des gegenständlichen Streckenabschnittes „rechts oder links der Bahn“ erfolgen werde und welche Bedeutung dabei die Eisenbahnbrücke über die B11 hat, kommt es daher im Revisionsfall nicht an. Schon aus diesem Grund bedurfte es dazu ‑ entgegen dem Revisionsvorbringen ‑ auch keines Sachverständigengutachtens.
43 Die Beurteilung, ob im Hinblick auf Planungen zur Streckenerweiterung ein öffentliches Verkehrsinteresse iSd § 42 Abs. 3 EisbG vorliegt, ist eine rechtliche und keine sachverständige Beurteilung, sodass auch dazu kein Sachverständigengutachten einzuholen war.
44 5. Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
45 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf § 47 Abs. 3 und § 48 Abs. 3 Z 2 VwGG iVm § 1 Z 3 lit. a VwGH‑Aufwandersatzverordnung 2014. Das darüber hinausgehende Aufwandersatzbegehren war abzuweisen, weil es darin keine Deckung findet (vgl. hinsichtlich eines geltend gemachten „Einheitssatzes“ etwa VwGH 6.7.2021, Ra 2020/07/0065, mwN) und der durch die Verordnung pauschaliert festgesetzte Schriftsatzaufwand auch die Umsatzsteuer und „ERV‑Kosten“ abdeckt (vgl. etwa VwGH 2.2.2022, Ro 2021/03/0027, mwN; 18.10.2022, Ra 2022/03/0077, mwN).
46 Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 6. November 2024
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