Normen
EURallg
UStG 1994 §6 Abs1 Z8 lite
32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art135 Abs1 litd
62014CJ0607 Bookit VORAB
62017CJ0005 DPAS VORAB
62018CJ0042 Cardpoint VORAB
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2022:RO2022130001.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang (Umsatzsteuer 2008 bis 2013) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Zum bisherigen Verfahrensgang ist eingangs auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 2019, Ro 2018/13/0017, zu verweisen. Hinzuweisen ist darauf, dass die nunmehrige mitbeteiligte Partei (österreichische Zweigniederlassung einer Gesellschaft mit Sitz in Luxemburg) die Rechtsnachfolgerin der damaligen mitbeteiligten Partei (einer österreichischen Gesellschaft mit beschränkter Haftung) ist; diese wird in der Folge als X GmbH bezeichnet.
2 Die X GmbH erbrachte im Streitzeitraum (2008 bis 2013) Zahlungsverkehrsdienstleistungen. Sie war als Kreditkartenunternehmen mit Bankkonzession sowohl als kartenausgebende Bank („Issuer“) als auch als Akquisitionsbank von Händlern („Acquirer“) tätig. Für die Erbringung der Zahlungsverkehrsdienstleistungen bediente sich die X GmbH der X CH, einer Aktiengesellschaft mit Sitz in der Schweiz, die in Österreich über keine feste Niederlassung verfügte. Die Leistungen der X CH an die X GmbH wurden zunächst als steuerpflichtig (mit Übergang der Steuerschuld auf die X GmbH, § 19 Abs. 1 UStG 1994) behandelt. Im Rechtsmittelverfahren wurde von der X GmbH geltend gemacht, diese Leistungen seien gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 lit. e UStG 1994 als steuerfrei zu behandeln.
3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde der X GmbH betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2008 bis 2013 neuerlich teilweise Folge und änderte die Umsatzsteuerbescheide ab. Es sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG „im Beschwerdepunkt ‚Finanzdienstleistungen‘“ zulässig sei.
4 Nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die X GmbH habe mit vielen inländischen Kreditinstituten einen Rahmenvertrag über die Erbringung von Dienstleistungen im Zusammenhang mit dem Zahlungsverkehr bzw. dem Ausgabeverkehr von Zahlungsmitteln an Geldausgabeautomaten geschlossen.
5 Die X CH habe mit der X GmbH Verarbeitungsverträge geschlossen, deren Gegenstand das „Processing“ für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs mit Produkten der X GmbH gewesen sei.
6 Unter „Processing“ (im Sinne der Verarbeitungsverträge) seien EDV‑Dienstleistungen zu verstehen, die dazu dienten, Zahlungsverkehrstransaktionen abzuwickeln, ebenso wie zusätzliche technische Dienstleistungen. Die X CH gewährleiste, dass die Processingsysteme ununterbrochen der X GmbH fehlerfrei in vollem Leistungsumfang für die Abwicklung zur Verfügung stünden.
7 Betreffend Geldausgabeautomaten prüfe die X CH die Authentifizierung des Karteninhabers, führe die kryptologische Absicherung durch und prüfe, aus welchem Land die Bankomatkarte stamme. Ihre Leistungen bestünden in der Autorisierung der Zahlung, dem Clearing und der Ermittlung des „Settlement Betrages“ zwischen den Parteien. Sie führe die buchhalterische Abstimmung sowie Kartenbestellungen und das Betrugsmanagementsystem durch. Die finanziellen Ausgleichszahlungen (Settlement) zwischen den Parteien würden in den jeweiligen Abrechnungszyklen nicht auf Basis einzelner Transaktionen, sondern in Summe über Bankkonten der X GmbH vorgenommen. Die Ermittlung der Höhe erfolge durch die X CH bzw. die „Card Schemes“ (Kreditkartenorganisationen). Die X GmbH habe keinen unmittelbaren Einfluss auf die Höhe der Zahlung. Die X CH erstelle Berichte für die jeweils Zahlungsverpflichteten an die involvierten Bankinstitute und Parteien. Die einzelnen Kartenzahlungen seien der X GmbH nicht ersichtlich. Die X GmbH führe wöchentlich/monatlich eine Endabstimmung der Settlementzahlungen und der Verrechnungskonten der X CH durch. Die Belastung auf dem Sammelkonto erfolge durch die X CH ohne zusätzliche Einflussnahme der X GmbH oder der Banken. Der Verfügbarkeit der Mittel für das Settlement müsse mit der X GmbH und der Bank vereinbart sein.
8 Beim „ATM‑Acquiring-Processing“ würden die eingehenden Transaktionen (Bargeldbezüge am „ATM“ [Geldausgabeautomaten]) entgegengenommen und an ein zentrales Datensystem weitergeleitet, das die Stammdaten der ATM verwalte und „Zahlungsfiles“ für eine Verrechnung mit den Bankinstituten der ATM‑Standorte erstelle. Weitere von der X CH durchgeführte Funktionen („Management System“) umfassten die Verdichtung der Transaktionsdaten, deren Übergabe in weitere Systeme sowie die Rechnungserstellung für die Verrechnung mit den Banken sowie die Übergabe der Transaktionsdaten.
9 Beim „POS Acquiring Processing“ würden ebenfalls die Transaktionen (Kartenzahlungen bei einem Händler) entgegengenommen. Die Verarbeitung erfolge über ein Datensystem, das Stammdaten der Händler der „POS‑Terminals“ verwalte und „Zahlungsfiles“ für eine Verrechnung mit den Händlern erstelle. Die Verrechnung erfolge mit den „Card Schemes“ und Reklamationen und Rückverrechnungen mittels „Chargeback“.
10 Beim „Debit Issuing Processing“ würden Transaktionsdaten mit österreichischen Kreditkarten der X CH übermittelt; es würden technische Autorisierungen von Karte und Karteninhaber (Gültigkeit der Karte, PIN, Kreditlimit usw.) vorgenommen. Die finanzielle Autorisierung erfolge zum Teil durch Banken, die die Deckung auf dem Kundenkonto überprüfen, bejahendenfalls erfolge eine automatisierte Freigabe. Von der X CH würden die Transaktionen für das Clearing und Settlement mit den Banken und „Card Schemes“ aufbereitet, die Kontoführung und die finanzielle Autorisierung obliege der jeweiligen Bank. Die Summenbuchungen pro Kreditinstitut oder „card scheme“ würden der X GmbH übermittelt, die in der Regel keine Einsicht in die einzelnen Transaktionen nehme, für die aber von den Banken Sammelkonten (Settlementkonten) geführt werden, über die Ausgleichszahlungen durchgeführt würden. Die X CH ermittle die nötigen Ausgleichszahlungen. Sofern Ausgleichszahlungen erforderlich seien, würden diese von den jeweiligen Konteninhabern (X GmbH oder Verrechnungssitze der Banken) selbständig durchgeführt.
11 Die Autorisierungsschritte der X CH umfassten u.a. die Prüfung, ob das Terminal (POS bzw. ATM) berechtigt sei, die angeforderte Transaktion durchzuführen; Prüfung, ob ein gültiger Vertrag mit dem Händler (POS) bzw. mit der Bank (ATM) über die durchzuführende Transaktion vorliege; Prüfung, ob die Kartennummer in einem Bereich liege, sodass eine Autorisierungsanfrage an das „Scheme“ bzw. an den „Issuer“ gestellt werden könne; Prüfung, ob alle technischen Daten und Erfordernisse vorlägen, um die angeforderte Transaktion an das entsprechende Kartenscheme weiterzuleiten; Prüfung, ob die Karte existiere, sie aktiv und das Gültigkeitsdatum aktiv sei; Prüfung der Kryptogramme und anderer Sicherheitsmerkmale; Prüfung der PIN; Durchführung der Risikobewertung für die Transaktion; Genehmigung der Transaktion und Bildung des Autorisierungsergebnisses. Insgesamt würden durch die X CH rund 150 bis 160 Prüfschritte vor Freigabe einer Transaktion durchgeführt.
12 Die finanzielle Autorisierung erfolge mittels einer automatisierten Abfrage der Kontendeckung und stelle den einzigen Kontrollschritt der Kreditinstitute dar, der zur Ablehnung einer Kartenzahlung führen könne. Für die Abwicklung einer Transaktion sei dieser Kontrollschritt aber nicht erforderlich; die Deckungsprüfung der Banken erfolge, wenn Transaktionsbeträge, die vertraglich mit der X GmbH vereinbart worden seien, überschritten würden.
13 Bei der elektronischen Geldbörse („Quick Processing“) müsse der Karteninhaber über ein entsprechendes Guthaben auf der Karte verfügen. Zahlungen seien nur auf „POS‑Terminals“ oder „Quick‑Terminals“ der X GmbH möglich. Die für das Quick Processing erforderlichen Finanzdienstleistungen würden von der X CH erbracht. Die Daten (Buchungsanweisungen) der X CH würden ohne Änderungsmöglichkeit der Banken in ihre Systeme übernommen und die Konten der Karteninhaber belastet. Die Bank habe keinen Einfluss auf das Einspielen der Datensätze. Es handle sich um einen vollautomatisierten Prozess, eine Freigabe sei nicht notwendig. Die Bank habe auf die unwiderruflichen Transaktionen keine manuelle oder technische Einflussmöglichkeit und könne sie insbesondere nicht stoppen. Die X CH habe Zugriff auf die Kundenkonten. Bei Kartendaten, die der X CH von den Banken online übermittelt würden, handle es sich u.a. um Informationen, ob die Karte aktiv oder gesperrt sei oder ob ein Limit vorhanden sei.
14 Bestimmte Kartendaten (z.B. der PIN bei Zahlungskarten) seien den Banken nicht bekannt. Verdächtige Transaktionen würden abgelehnt, wobei die X CH darüber entscheide, ob eine solche vorliege.
15 Fehler in der Abwicklung des Überweisungsverkehrs und die damit verbundenen Änderungen der bestehenden rechtlichen und finanziellen Situation lägen im Verantwortungsbereich der X CH. Eine Verantwortlichkeit der Banken bestehe dann, wenn technische Fehler die Antwort auf Autorisierungsanfragen verfälscht hätten.
16 Die Belastung auf dem jeweiligen Konto erfolge vor dem effektiven Zahlungsmittelfluss auf dem Sammelkonto der X GmbH im Rahmen des Clearings, das sich als Kumulation aller Gutschriften/Belastungen aus sämtlichen Kartentransaktionen des Banktages darstelle, sowie des nachfolgenden Settlements, d.h. des finanziellen Ausgleiches aller im Rahmen des Clearings verarbeiteten Zahlungsaufträge.
17 Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, die Leistungen der X CH gegenüber der X GmbH seien in den Verarbeitungsverträgen bzw. den auf diese verweisenden „Service Level Agreements“ (SLA) näher dargelegt.
18 Die von der X CH erbrachten Leistungen bildeten, soweit ersichtlich, das gesamte Funktionsspektrum des Zahlungsverkehrs mittels Kartenzahlungen oder Behebungen ab. Die von ihr erbrachten Leistungen seien für den Leistungserfolg nicht nur unerlässlich, sondern Voraussetzung für einen solchen. Die tatsächliche Durchführung der Zahlungen/Behebungen sei als einheitliches Ganzes auf die X CH ausgelagert worden.
19 Die X GmbH sei zudem Lizenznehmerin von Kreditkartenorganisationen. Im Falle der Bestellung von Kredit- und Debitkarten eines Kunden würden die entsprechenden Kundendaten von der Bank an die X CH übermittelt. Diese erstelle im Auftrag der X GmbH die notwendigen Karten- und Sicherheitsdaten (z.B. PIN) und sende diese an den Kartenproduzenten weiter. Die für den Zahlungsverkehr erforderlichen Daten würden von der X CH generiert; die Bank selbst habe keine Kenntnis vom PIN.
20 Im Falle des ATM/POS‑Acquiring stecke der Karteninhaber die Karte in das ATM oder POS‑Terminal, was eine Autorisierungsanfrage durch Eingabe des PIN auslöse. Die Transaktion werde von der X CH entgegengenommen, die mehrere Prüfschritte vornehme. Seien alle ‑ rund 150 bis 160 ‑ Prüfschritte erfolgreich durchlaufen worden, würden die Transaktionsdaten zurückgeleitet und die Auszahlung des Betrages bzw. die Genehmigung der Transaktion initiiert. Es werde sodann das Clearing gegenüber der Issuer Bank bzw. den Card Schemes sowie das Settlement für Ausgleichszahlungen zwischen den kartenausgebenden Banken ausgelöst. Die von der X CH übermittelten Daten würden ohne Änderungsmöglichkeit der Bank in ihr System übernommen. Die endgültige Belastung werde von der X CH angestoßen und von den Banken gebucht.
21 Wenn die von der X CH erzeugten Buchungssätze ohne Korrektur- oder Ablehnungsmöglichkeit von den Bankinstituten in ihr System übernommen werden müssen und dies in automatisierter Form erfolge, sei dieser Vorgang einer direkten Verbuchung durch die X CH im System der jeweiligen Bankinstitute gleichzusetzen. Ein von der X CH übermittelter Datensatz könne nicht mehr gestoppt werden und führe zu einer zwingenden Übernahme durch die Banken. Sollte sich der Buchungssatz als falsch erweisen und der Fehler auf Seiten der X CH liegen, sei die Transaktion gültig. Es sei dann die Verantwortlichkeit der X CH gegeben, die von der X GmbH ihr gegenüber geltend gemacht werde. Die X CH ordne durch von ihr erstellte Buchungssätze die Belastung oder Gutschrift auf den betreffenden Konten an. Diese stellten somit Zahlungsaufforderungen in elektronischer Form dar, die für sich genommen aber noch keine hinreichende Bedingung für die Steuerfreiheit seien. Maßgeblich seien vielmehr die gesamten funktionellen Aspekte, die dazu beitragen müssten, dass eine Überweisung vorliege.
22 Auch wenn sich die Banken die finanzielle Autorisierung vorbehielten, sei dieser automatisierte Prüfschritt nur einer von rund 150 bis 160, mit dem eine von der X CH erstellte Buchungsanweisung unterbunden werden könne. Beim Vertragshändler, der Kartenzahlungen via POS‑Terminal akzeptiere, finde aber überhaupt keine finanzielle Autorisierung statt. Die Verträge sähen auch eine generelle Genehmigungsmöglichkeit für Transaktionen (bis zu bestimmten Beträgen) ohne Einflussnahme der Banken vor.
23 Auf den Settlementkonten erfolge die Belastung oder Gutschrift durch die X CH ohne weiteres Zutun der Banken oder der X GmbH.
24 Nach Darstellung in der Beschwerde habe die X GmbH technischen Zugriff auf die Kundenkonten. Die vom Bundesfinanzgericht befragten Zeugen hätten die Zugriffsmöglichkeit der X CH bestätigt. Die X CH habe über eine definierte Online-Schnittstelle u.a. Zugriff auf den Kontenstand bzw. Verfügungsrahmen sowie zu Informationen zu etwaigen Kontensperren.
25 Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts sei bedeutsam, dass die X CH Leistungen des kompletten Zahlungs- und Überweisungsverkehrs abdecke. Die Funktionen der Banken beschränkten sich auf die Kontoführung, das Setzen von Überweisungssperren und Kartensperren, das Festlegen von Kreditrahmen bzw. die finanzielle Autorisierung von Zahlungsvorgängen auf Konten von Karteninhabern.
26 Dem Vorliegen einer für den Zahlungsverkehr spezifischen und wesentlichen Leistung stehe nicht entgegen, dass Banken entscheiden, in welchen Fällen z.B. Auszahlungssperren, die eine automatisierte Durchführung der Überweisung oder Auszahlung verhinderten, gesetzt würden.
27 Die X CH habe auch in ihrer Verantwortung liegende Entscheidungen getroffen. Sie lege zum Teil die Kriterien fest, die zu einer Ablehnung von Transaktionen führen könnten (Betrugsmanagement). Bei einem mehrmals eingegebenen falschen PIN sperre die X CH von sich aus die verwendete Karte, wobei die Bank erst im Nachhinein davon informiert werde. Bedeutsam sei auch, dass der X GmbH von der Finanzmarktaufsicht eine Konzession gemäß § 4 Abs. 1 BWG erteilt worden sei, die sie als Kreditinstitut berechtige, bestimmte Bankgeschäfte selbst zu betreiben. Die X GmbH, zu deren Gesellschaftern eine Reihe von Kreditinstituten gehörten, sei gegenüber diesen tätig geworden. Sie sei damit auch gegenüber einer Vielzahl von Auftraggebern tätig gewesen.
28 Die Übertragung der Gelder führe durch Übermittlung von Buchungsanweisungen der X CH zu Änderungen der rechtlichen und finanziellen Situation. Damit werde die Übertragung der Gelder bei den Banken initiiert. Die Banken hätten die Buchungsanweisungen nicht nur unverändert zu übernehmen, sie hätten auch keinen Einfluss auf deren Einspielung und könnten sie nicht ablehnen. Fehlerhafte Anweisungen erlangten dennoch Gültigkeit. Der Übernahmeprozess in das System der Banken erfolge vollkommen automatisiert und ohne jede Einflussmöglichkeit.
29 Es sei gängige und unbestrittene Praxis, dass eine Bank, die selbst gleichartige Zahlungsdienstleistungen unter Einsatz eigener technischer Ressourcen erbringe, als umsatzsteuerfrei behandelt werde. Gleiches müsse auch für die X CH gelten, die im Auftrag der X GmbH für Banken tätig werde und deren Aufgaben in diesem Bereich weitgehend übernehme. Gerade durch die Inanspruchnahme der technischen Ressourcen würden die für die Steuerfreiheit spezifischen und wesentlichen Leistungen erbracht.
30 Die X CH habe die spezifischen und wesentlichen Funktionen, die zu einer Änderung der rechtlichen und finanziellen Situation der beteiligten Parteien (Karteninhaber, Vertragshändler, Bank) führten, nach Auftrag durch die X GmbH in einem Maß selbständig durchgeführt, das über eine bloße Vorstufe zum Umsatz im Überweisungs- und Zahlungsverkehr hinausgehe.
31 Dienstleistungen im Bereich des Zahlungs- und Überweisungsverkehrs seien durch den überwiegenden Einsatz technischer Mittel und hohen Automatisierungsgrad gekennzeichnet. Dieser Umstand könne aber nicht dazu führen, diese Leistungen als rein technische einzustufen; es sei vielmehr auf den Inhalt und das Ergebnis der Leistungen abzustellen. Die Vielzahl der von der X CH erbrachten Leistungen, die die komplette Verarbeitung von Kartenzahlungen beginnend mit der Erstellung von Kartendaten, der Erfassung und Validierung von Zahlungs- und Behebungsvorgängen bis hin zur von ihr initiierten, unabänderlichen Kontenbelastung sowie zahlreichen, in den SLA beschriebenen Nebenleistungen samt Verantwortung für alle Transaktionen umfasse, schließe die Annahme rein technischer Leistungen aus.
32 Fehler, die der Bank bei der finanziellen Autorisierung unterliefen, seien für den Fall, dass die X CH die Vereinbarungen korrekt anwende und keine technischen Fehler vorliegen, den Banken zuzurechnen. In den übrigen Fällen lägen aber Fehler in der Abwicklung des Zahlungs- und Überweisungsverkehrs in der Verantwortung der X GmbH (gegebenenfalls mit Regress gegenüber der X CH). Die von der X CH erbrachten Leistungen umfassten das gesamte Funktionsspektrum; insoweit sei die X CH auch verantwortlich.
33 Die (hier fehlende) Schwierigkeit zur Berechnung der abzugsfähigen Mehrwertsteuer sei nur ein untergeordnetes Kriterium bei der Beurteilung, ob die Leistungen steuerfrei seien. Das Bundesfinanzgericht komme zur Ansicht, dass die von der X CH an die X GmbH erbrachten Leistungen nach § 6 Abs. 1 Z 8 lit. e UStG 1994 steuerfrei seien.
34 Die Steuerbescheide für die Jahre 2008 bis 2013 seien daher ‑ wie bereits im Vorerkenntnis, samt im Revisionsverfahren nicht mehr strittigen Änderungen ‑ abzuändern gewesen.
35 Gegen dieses Erkenntnis, soweit es Umsatzsteuer 2008 bis 2013 betrifft, richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamts.
36 Die mitbeteiligte Partei hat eine Revisionsbeantwortung eingebracht.
37 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
38 Die Revision ist zulässig und begründet.
39 Gemäß § 6 Abs. 1 Z 8 lit. e UStG 1994 sind die Umsätze und die Vermittlung der Umsätze im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr einschließlich Zahlungs- und Überweisungsverkehr sowie das Inkasso von Handelspapieren steuerfrei.
40 Diese Bestimmung hat ihre unionsrechtliche Grundlage in Art. 135 Abs. 1 Buchstabe d der Richtlinie 2006/112/EG (zuvor Art. 13 Teil B Buchstabe d Z 3 der Richtlinie 77/388/EWG ). Demnach befreien die Mitgliedstaaten die Umsätze ‑ einschließlich der Vermittlung ‑ im Einlagengeschäft und Kontokorrentverkehr, im Zahlungs- und Überweisungsverkehr, im Geschäft mit Forderungen, Schecks und anderen Handelspapieren, mit Ausnahme der Einziehung von Forderungen, von der Steuer.
41 Im Revisionsverfahren ist unbestritten, dass es sich bei den von der X CH erbrachten Leistungen jeweils um eine einheitliche Leistung handelt (vgl. dazu etwa EuGH 2.7.2020, BlackRock Investment Management (UK), C‑231/19 , Rn. 23 ff; sowie 17.12.2020, Franck, C‑801/19 , Rn. 23 ff).
42 Die Darlegungen im nunmehr angefochtenen Erkenntnis sind ‑ wie schon jene im vorangegangenen Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom 24. Juli 2018 ‑ zum Teil nur schwer verständlich. Die mitbeteiligte Partei verweist in der Revisionsbeantwortung auch darauf, dass manche Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts einer „Klarstellung“ bedürften. Schon aus diesem Grund ist dem Verwaltungsgerichtshof neuerlich eine inhaltliche Prüfung des Erkenntnisses verwehrt.
Soweit die Sachverhaltsannahmen nachvollziehbar sind, genügen sie aber nicht, die geltend gemachte Steuerfreiheit zu begründen.
43 Ausgehend von den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts erbringt die X CH zwar zweifellos umfangreiche Dienstleistungen an die X GmbH. Der Kernbereich des Umsatzes im Überweisungsverkehr wird (soweit nachvollziehbar) von der X CH aber gerade nicht erbracht.
44 Die Überweisung ist ein Vorgang, der in der Ausführung eines Auftrags zur Übertragung einer Geldsumme von einem Bankkonto auf ein anderes besteht. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass sie zu einer Änderung der bestehenden rechtlichen und finanziellen Situation zwischen dem Auftraggeber und dem Empfänger auf der einen Seite und zwischen diesen und ihren jeweiligen Banken auf der anderen Seite sowie gegebenenfalls zwischen den Banken führt (vgl. EuGH 26.5.2016, Bookit, C‑607/14 , Rn. 38; 25.7.2018, DPAS, C‑5/17 , Rn. 33; VwGH 20.2.2019, Ro 2018/13/0017). Entscheidend ist, ob durch den betreffenden Umsatz tatsächlich oder potenziell das Eigentum an den in Rede stehenden Geldern übertragen wird oder ob er die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer solchen Übertragung erfüllt (vgl. EuGH 3.10.2019, Cardpoint, C‑42/18 , Rn. 22).
45 Das Ergebnis der Tätigkeiten der X CH ist - soweit aus den Sachverhaltsannahmen nachvollziehbar - jeweils die Übermittlung von Daten („Zahlungsfiles“), welche von den Banken nicht korrigiert oder geändert werden können. Die Belastung der Konten wird damit von der X CH aber lediglich „angestoßen“ (oder „initiiert“), die Verbuchung erfolgt hingegen durch die Banken. Insoweit handelt es sich bei der Tätigkeit der X CH letztlich um die Erteilung des Auftrags zur Übertragung einer Geldsumme von einem Bankkonto auf ein anderes; das Bundesfinanzgericht führt hiezu auch ausdrücklich aus, es handle sich um Zahlungsaufforderungen in elektronischer Form. Die für die Überweisung maßgebliche Ausführung dieses Auftrags erfolgt aber nicht durch die X CH.
46 Soweit das Bundesfinanzgericht darlegt, es bestehe ein „technischer Zugriff“ auf Kundenkonten, ist zunächst zu bemerken, dass diese Darlegungen widersprüchlich sind; es ist nicht klar, ob der „Bf.“ ‑ also der X GmbH ‑ oder der X CH dieser Zugriff möglich ist. Nach den weiteren Darlegungen bezieht sich dieser technische Zugriff aber auf Informationen über den Kontostand bzw. Verfügungsrahmen sowie auf Informationen zu Kontensperren. Der angeführte „technische Zugriff“ beinhaltet somit ‑ nach den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts ‑ lediglich Abfragemöglichkeiten. Dieser technische Zugriff ändert somit nichts daran, dass die Ausführung des Auftrags nicht durch die X CH erfolgt.
47 Soweit auf die „Verantwortung“ der X CH verwiesen wird, so ist die X CH aber ‑ wie im Regelfall jeder Vertragspartner ‑ dazu verpflichtet, die jeweils getroffene Vereinbarung sorgfältig zu erfüllen; ein Verstoß gegen diese Vertragspflichten kann eine Haftung begründen. Daraus kann aber nicht abgeleitet werden, dass die X CH die spezifischen und wesentlichen Funktionen einer Übertragung von Geldern erfüllen würde.
48 Wenn in der Revisionsbeantwortung auf die ‑ auch in der Revision erörterte ‑ Entscheidung des deutschen Bundesfinanzhofes vom 10. Dezember 2020, V R 4/19, und das dort angefochtene Urteil des Finanzgerichts Köln vom 4. Jänner 2019, 3 K 1250/13, verwiesen und dazu geltend gemacht wird, die X CH habe demgegenüber zusätzliche Leistungen erbracht (Clearing und Settlement), ist diesem Vorbringen zu erwidern, dass es sich beim „Clearing“ auch nach der Darstellung der mitbeteiligten Partei (lediglich) um den „Austausch von Detailinformationen zu Kartenzahlungstransaktionen“ handelt (so in Anlage 3 zur Eingabe vom 20. August 2020); ein derartiger Austausch von Informationen begründet aber keine Steuerfreiheit (vgl. EuGH Bookit, Rn. 53). Beim „Settlement“ handelt es sich zwar um einen finanziellen Ausgleich zwischen den beteiligten Parteien. Dazu hat das Bundesfinanzgericht aber (wenn auch dazu nicht gänzlich frei von Widersprüchen) angenommen, dass die von der X CH ermittelten Ausgleichszahlungen von den jeweiligen Konteninhabern (u.a. von der X GmbH, also nicht von der X CH) selbständig durchgeführt werden. Dass insoweit von der X CH ‑ wie in der Revisionsbeantwortung geltend gemacht ‑ die maßgeblichen Leistungen des Zahlungs- und Überweisungsverkehrs erbracht würden, kann daher aus den Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts nicht abgeleitet werden.
49 Das angefochtene Erkenntnis war sohin im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
50 Von der von der mitbeteiligten Partei beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
Wien, am 15. Dezember 2022
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