VwGH Ro 2019/20/0006

VwGHRo 2019/20/000610.9.2020

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Mag. Eder sowie die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel, MMag. Ginthör und Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. September 2019, W249 2176070‑3/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: H A in L), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §13 Abs2
AsylG 2005 §13 Abs4
AVG §59 Abs1
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019200006.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 3. Jänner 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies mit Bescheid vom 29. September 2017 diesen Antrag des Mitbeteiligten ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Der Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). Dieses Beschwerdeverfahren war im Zeitpunkt der Erlassung des hier in Revision gezogenen Erkenntnisses noch nicht abgeschlossen.

4 Während des laufenden Beschwerdeverfahrens erfolgten zwei strafgerichtliche Verurteilungen des Mitbeteiligten. Mit Urteil des Bezirksgerichts Linz vom 11. Dezember 2017 wurde er wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls gemäß §§ 15127 StGB rechtskräftig zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von drei Wochen verurteilt. Mit Urteil des Landesgerichts Linz vom 19. April 2018 wurde der Mitbeteiligte wegen des Verbrechens des teils versuchten, teils vollendeten Raubes gemäß §§ 142 Abs. 1, 15 StGB sowie der Vergehen des Diebstahls nach § 127 StGB, der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB und der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB unter Anwendung des § 19 Abs. 1 JGG zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten rechtskräftig verurteilt. Die Probezeit in Bezug auf die erste Verurteilung wurde auf fünf Jahre verlängert.

5 Das BFA teilte daraufhin dem Mitbeteiligten mit Verfahrensanordnung vom 3. September 2018 unter Hinweis auf die strafrechtlichen Verurteilungen mit, dass er sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 verloren habe.

6 In der Folge erließ das BFA den Bescheid vom 17. Oktober 2018, wonach „gemäß § 68 Abs. 2 AVG (...) im laufenden Beschwerdeverfahren“ dahingehend eine Abänderung des in Rn. 2 dargestellten Bescheides vom 29. September 2018 ausgesprochen wurde, als es eine (neuerliche) Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten erließ, (wiederum) feststellte, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei, weiters feststellte, dass der Mitbeteiligte das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 ab dem 8. Februar 2018 verloren habe, (erstmals) gegen den Mitbeteiligten ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot erließ, einer Beschwerde „gegen diese Entscheidung über Ihren Antrag auf internationalen Schutz“ die aufschiebende Wirkung aberkannte und aussprach, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

7 Der vom Mitbeteiligten gegen den Bescheid vom 17. Oktober 2018 erhobenen Beschwerde gab das BVwG mit Erkenntnis vom 28. März 2019, I420 2176070/‑2/8E, statt und behob den angefochtenen Bescheid ersatzlos.

8 In der Folge erließ das BFA den Bescheid vom 17. Juli 2019, mit dem es feststellte, dass der Mitbeteiligte gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 „Asylgesetz“ sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 8. Februar 2018 verloren habe.

9 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und behob den bekämpften Bescheid des BFA ersatzlos.

10 In seiner Begründung führte das BVwG aus, das BFA habe nach dem eindeutigen Wortlaut des § 13 Abs. 4 AsylG 2005 über den Verlust des Aufenthaltsrechts im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. Bei dem bekämpften Bescheid handle es sich gerade nicht um den verfahrensabschließenden Bescheid, weil die Behörde ihr Verfahren bereits mit dem Bescheid vom 29. September 2017 abgeschlossen habe.

11 Die Zulassung der Revision begründete das BVwG damit, dass keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage vorliege, ob das BFA auch außerhalb des verfahrensabschließenden Bescheides über den Verlust des Rechts auf Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß § 13 Abs. 2 AsylG 2005 absprechen dürfe.

12 Das BFA erhob gegen diese Entscheidung die gegenständliche ordentliche Revision. Das BVwG hat das Verfahren nach § 30a VwGG ‑ eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet ‑ durchgeführt und sodann dem Verwaltungsgerichtshof die Revision mit den Verfahrensakten vorgelegt.

13 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

14 Das BFA schließt sich in der Revision den Ausführungen des BVwG, warum es die Revision zugelassen habe, an und verweist ergänzend darauf, dass die Rechtslage auch deshalb nicht eindeutig sei, weil § 13 Abs. 2 AsylG 2005 einerseits wie etwa § 58 Abs. 2 und 3 AsylG 2005 als verfahrensrechtliche Annexbestimmung, die auch vom BVwG anzuwenden sei, angesehen werden könne. Aber andererseits nehme die Bestimmung ausdrücklich nur auf das BFA Bezug, was dafür spreche, dass nur das BFA den Abspruch gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 treffen könne.

15 Die Revision ist zulässig und begründet.

16 § 13 AsylG 2005 lautet:

Aufenthaltsrecht

§ 13. (1) Ein Asylwerber, dessen Asylverfahren zugelassen ist, ist bis zur Erlassung einer durchsetzbaren Entscheidung, bis zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens oder bis zum Verlust des Aufenthaltsrechtes (Abs. 2) zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt. Ein auf Grund anderer Bundesgesetze bestehendes Aufenthaltsrecht bleibt unberührt.

(2) Ein Asylwerber verliert sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet, wenn

1. dieser straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3),

2. gegen den Asylwerber wegen einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, eine Anklage durch die Staatsanwaltschaft eingebracht worden ist,

3. gegen den Asylwerber Untersuchungshaft verhängt wurde (§§ 173 ff StPO, BGBl. Nr. 631/1975) oder

4. der Asylwerber bei der Begehung eines Verbrechens (§ 17 StGB) auf frischer Tat betreten worden ist.

Der Verlust des Aufenthaltsrechtes ist dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Wird ein Asylwerber in den Fällen der Z 2 bis 4 freigesprochen, tritt die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat zurück (§§ 198 ff StPO) oder wird das Strafverfahren eingestellt, lebt sein Aufenthaltsrecht rückwirkend mit dem Tage des Verlustes wieder auf.

(3) Hat ein Asylwerber sein Recht auf Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Abs. 2 verloren, kommt ihm faktischer Abschiebeschutz (§ 12) zu.

(4) Das Bundesamt hat im verfahrensabschließenden Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechtes eines Asylwerbers abzusprechen.“

17 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Verlust des Aufenthaltsrechts in den in § 13 Abs. 2 AsylG 2005 genannten Fällen ex lege eintritt (vgl. VwGH 15.3.2018, Ra 2018/21/0018). Der Verlust des Aufenthaltsrechts ist nach dem zweiten Satz des Abs. 2 dem Asylwerber mit Verfahrensanordnung mitzuteilen. Das BFA hat gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 über den Verlust des Aufenthaltsrechts dann im verfahrensabschließenden Bescheid (deklarativ) abzusprechen. Nach den Materialien soll damit ein etwaiges Rechtschutzdefizit vermieden werden (vgl. RV 1803 BlgNR 24. GP  40). Die genannte Bestimmung, wonach erst im verfahrensabschließenden Bescheid (mit eigenem Spruchpunkt) der Verlust des Aufenthaltsrechts ausdrücklich auszusprechen ist, dient erkennbar aber auch dem verfahrensökonomischen Zweck, dass kein gesonderter „Vorab-Bescheid“ darüber ergeht (vgl. in diesem Sinn zu vergleichbaren Anordnungen des § 21 Abs. 4 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz: VwGH 18.2.2010, 2010/22/0009; zu § 4 Abs. 2 Asylgesetz‑Durchführungsverordnung 2005: VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0314).

18 Es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Gesetzgeber mit der angeordneten Vorgangsweise, den Ausspruch über den Verlust des Aufenthaltsrechts in den verfahrensabschließenden Bescheid zu integrieren, den Fall vor Augen hatte, dass der Verlust des Aufenthaltsrechts während des laufenden behördlichen Verfahrens eintritt.

19 Weiters ist zu beachten, dass sich schon aus dem Gesetzestext ergibt, dass der Ausspruch gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 über den Verlust des Aufenthaltsrechts von den anderen Aussprüchen im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz rechtlich trennbar ist und mit diesen auch in keinem inneren Zusammenhang steht (vgl. zum spezifischen rechtlichen Zusammenhang von Aussprüchen in Ansehung eines Antrags auf internationalen Schutz aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 28.1.2020, Ra 2019/20/0404, mwN).

20 Unter Berücksichtigung des Gesetzeszwecks, vor dem Hintergrund dessen, dass es sich bei dem Ausspruch über den Verlust des Aufenthaltsrechts gemäß § 13 Abs. 4 AsylG 2005 um einen rechtlich eigenständigen Ausspruch handelt, und letztlich auch aufgrund der gegebenen Sachnähe des BFA, kann die Regelung des § 13 Abs. 4 AsylG 2005 nur so verstanden werden, dass bei der hier vorliegenden Konstellation, in der ein verfahrensabschließender Bescheid bereits erlassen wurde und erst während des Beschwerdeverfahrens ein Tatbestand verwirklicht wird, der ex lege zum Verlust des Aufenthaltsrechts des Asylwerbers führt, das BFA mit gesondertem Bescheid über den Verlust des Aufenthaltsrechts (deklarativ) abzusprechen hat.

21 Ausgehend vom Gesetzeswortlaut besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber für die hier vorliegende Konstellation eine Zuständigkeit des BVwG zum originären Abspruch über den Verlust des Aufenthaltsrechts festlegen wollte (vgl. im Übrigen die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach die Gesetzgebung zu einer präzisen Regelung der sachlichen Zuständigkeit einer Behörde verpflichtet ist, etwa VfGH 12.3.2015, G 151/2014, ua).

22 Mit seiner unzutreffenden Rechtsansicht, dass das BFA bei Verlust des Aufenthaltsrechts während des Beschwerdeverfahrens keinen Abspruch nach § 13 Abs. 4 AsylG 2015 treffen dürfe, hat das BVwG seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 10. September 2020

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