Normen
MSG Wr 2010
MSG Wr 2010 §4
MSG Wr 2010 §4 Abs1 Z1
MSG Wr 2010 §5
MSG Wr 2010 §5 Abs1
MSG Wr 2010 §5 Abs2
MSG Wr 2010 §7 Abs1
MSG Wr 2010 §7 Abs2 Z3
MSG Wr 2010 §8 Abs2 idF 2018/002
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg
European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018100042.J00
Spruch:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Land Wien hat dem Erstrevisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1 1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. September 2018 wurde dem Erstrevisionswerber - im Beschwerdeverfahren - für die Monate April bis September 2018 Bedarfsorientierte
Mindestsicherung zur Deckung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfs in jeweils pro Monat bestimmter Höhe zuerkannt.
2 Dem legte das Verwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - zugrunde, der Erstrevisionswerber bewohne gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin K.C und seinen beiden Söhnen M.J. und W.J. jun. eine Mietwohnung. K.C. und W.J. jun. (der gemeinsame Sohn des Erstrevisionswerbers und K.C.) seien slowakische Staatsangehörige. K.C. sei im verfahrensgegenständlichen Zeitraum in Österreich vom 19. bis 21. Juni 2018 unselbständig erwerbstätig gewesen.
3 In rechtlicher Hinsicht kam das Verwaltungsgericht - soweit für die vorliegende Entscheidung von Belang - zu dem Ergebnis, dass sich K.C. nur vom 19. bis 21. Juni 2018 (aufgrund einer Erwerbstätigkeit) rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten habe und nur in diesem Zeitraum eine Gleichstellung von K.C. mit österreichischen Staatsbürgern gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 Wiener Mindestsicherungsgesetz - WMG in Betracht käme. Andere Gleichstellungstatbestände würden von ihr nicht erfüllt. 4 Dieselben Erwägungen - so das Verwaltungsgericht weiter - seien für W.J. jun. anzustellen, der - weil der Erstrevisionswerber sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in einem anderen EWR-Mitgliedstaat nicht in Anspruch genommen habe - sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nur von seiner Mutter ableiten könne. Da diese lediglich im Zeitraum vom 19. bis 21. Juni 2018 gemäß § 5 Abs. 2 Z 2 WMG österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt gewesen sei, habe auch der minderjährige W.J. jun. lediglich an den genannten drei Tagen Anspruch auf Leistungen der Mindestsicherung. (Demgegenüber hatte die belangte Behörde - der Zweitrevisionswerber - in ihrem vor dem Verwaltungsgericht bekämpften Bescheid vom 24. April 2018 zur Berechnung der Mindestsicherung mit Blick auf W.J. jun. den Mindeststandard gemäß § 8 Abs. 2 Z 9 WMG angewendet.) 5 Davon ausgehend erkannte das Verwaltungsgericht dem Erstrevisionswerber für die Monate April, Mai, Juli, August und September Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung in geringerer Höhe zu als der Bescheid der belangten Behörde vom 24. April 2018.
6 Die Revision ließ das Verwaltungsgericht mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, ob aufgrund der Bestimmungen der §§ 5 und 7 Abs. 1 WMG den anspruchsberechtigten Personen einer Bedarfsgemeinschaft auch für die der Bedarfsgemeinschaft angehörenden unrechtmäßig aufhältigen Minderjährigen Leistungen der Mindestsicherung zuzusprechen seien. 7 2. Dagegen richten sich die beiden ordentlichen Revisionen, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - nach Verbindung der beiden Revisionen zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung - erwogen:
8 1. Die vorliegenden Revisionen sind aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie sind auch begründet.
9 2. Die im vorliegenden Fall - zeitraumbezogen - maßgeblichen
Bestimmungen des WMG lauten:
"Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen
§ 4. (1) Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
(...)
Personenkreis
§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur volljährigen österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie volljährig sind, sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
(...)
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
(...)
Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs
§ 7. (1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
(...)
3. Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit zumindest einem Eltern- oder Großelternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.
Mindeststandards
§ 8. (1) Die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs erfolgt auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten.
(2) Die Mindeststandards für den Bemessungszeitraum von einem Monat betragen:
(...)
9. 27 vH des Wertes nach Z 1 für minderjährige Personen in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 3.
(...)"
10 3. Entscheidend ist im vorliegenden Fall die Rechtsfrage, ob dem Erstrevisionswerber für seinen - nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtes - nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen Sohn Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zuzuerkennen sind.
11 3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 WMG haben Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2 leg. cit. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der die Minderjährigen angehören. Nach § 4 Abs. 1 Z 1 WMG hat Anspruch auf Leistungen der Wiener Mindestsicherung, wer zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2 leg. cit) gehört. Nach § 5 Abs. 1 WMG stehen Leistungen nach diesem Gesetz grundsätzlich nur volljährigen österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu. § 5 Abs. 2 WMG sieht u.a. vor, dass volljährige Personen nur dann, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten, österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern gleichgestellt sind.
12 3.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im Erkenntnis vom 29. November 2018, Ro 2017/10/0033, mit der Frage befasst, ob die Voraussetzungen der §§ 4 und 5 WMG auch auf Minderjährige anzuwenden seien, und ist zu dem Ergebnis gelangt (vgl. dort insbesondere Rz 19), dass der Gesetzgeber einen Rechtsanspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs nur volljährigen, nicht aber minderjährigen Personen eingeräumt hat. Die Abdeckung des Bedarfs von zu einer Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen (vgl. § 7 Abs. 2 Z 3 WMG) erfolgt vielmehr durch die Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft. Da minderjährigen Personen ein Rechtsanspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfs gesetzlich nicht eingeräumt ist, können sich die in § 4 WMG formulierten allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen auch nicht auf diese minderjährigen Personen beziehen.
13 Demnach steht der Umstand, dass die zu einer Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen nicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 WMG zum anspruchsberechtigten Personenkreis iSd § 5 Abs. 1 und 2 WMG gehören, einer Berücksichtigung deren Bedarfs gemäß § 7 Abs. 1 dritter Satz WMG nicht entgegen (vgl. Rz 21 des erwähnten Erkenntnisses).
14 3.3. Beziehen sich nun aber die in § 4 WMG formulierten allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen - also auch § 4 Abs. 1 Z 1 WMG, der u.a. auf § 5 Abs. 2 WMG verweist - nicht auf minderjährige Personen, so kommt auch die in § 5 Abs. 2 WMG geforderte Voraussetzung des rechtmäßigen Aufenthalts im Inland für die Zuerkennung von Mindestsicherungsleistungen zur Abdeckung des Bedarfs von einer Bedarfsgemeinschaft angehörenden Minderjährigen nicht zum Tragen.
15 Auch an anderer Stelle ist dem WMG - seit der Novellierung des § 8 Abs. 2 WMG durch LGBl. 2/2018 - nicht mehr zu entnehmen, dass der rechtmäßige Aufenthalt eines Minderjährigen Voraussetzung für die Abdeckung dessen Bedarfs durch die Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigte Person wäre.
16 4. Das angefochtene Erkenntnis war daher schon aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Revisionsvorbringen einzugehen war. Von der Durchführung der vom Erstrevisionswerber beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Art. 6 EMRK stand dem nicht entgegen, weil der Erstrevisionswerber schon Gelegenheit hatte, seinen Standpunkt im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorzutragen (vgl. etwa jüngst VwGH 27.3.2019, Ro 2018/10/0040, mwN).
17 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 28. Mai 2019
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