VwGH Ro 2016/10/0005

VwGHRo 2016/10/000524.2.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Salzburger Landesregierung gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Salzburg vom 1. Oktober 2015, Zl. LVwG- 9/189/7-2015, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde:

Bürgermeister der Stadt Salzburg; mitbeteiligte Partei: X Y in Salzburg, vertreten durch die Sachwalterin B B), zu Recht erkannt:

Normen

B-VG Art140 Abs7
B-VG Art7 Abs1
MSG Slbg 2010 §13 Abs1 idF 2012/057
VwGG §42 Abs2 Z1
VwRallg

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RO2016100005.J00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte wurde mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 5. November 1998 in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Im April 2011 wurde er unter Festsetzung einer Probezeit von fünf Jahren bedingt entlassen und ihm u.a. die Weisung erteilt, in der von der "pro mente plus GmbH" geführten und betreuten Wohneinrichtung "Neuland" Wohnsitz zu nehmen. Seitdem wohnt der Mitbeteiligte in der genannten Wohneinrichtung, in der er auch betreut wird. In dieser Einrichtung wird ihm keine Verpflegung geboten. Er muss selbst für den Einkauf von Nahrungsmitteln, Bekleidung und sonstigen Gebrauchsartikeln des täglichen Bedarfs sowie für die Zubereitung der Nahrung, das Waschen der Wäsche und ähnliche Verrichtungen sorgen.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 1. Oktober 2015 hat das Landesverwaltungsgericht Salzburg der Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Salzburg vom 28. Mai 2015, mit dem dem Mitbeteiligten für den Zeitraum von Mai bis August 2015 eine Mindestsicherungsleistung in der Höhe von monatlich EUR 4,90 zuerkannt worden war, stattgegeben und für diesen Zeitraum als Hilfe für den Lebensunterhalt monatliche Leistungen in der Höhe zwischen EUR 280,97 und EUR 424,75 zuerkannt.

3 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass § 13 Abs. 1 des Salzburger Mindestsicherungsgesetzes, LGBl. Nr. 63/2010 idF LGBl. Nr. 57/2012 (Sbg. MSG), wonach die Hilfe für den Lebensunterhalt für die Dauer eines Aufenthalts in einer Kranken oder Kuranstalt oder einer vergleichbaren stationären Einrichtung oder auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung bei volljährigen Personen lediglich 12,5 % des Mindeststandards gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 leg. cit. beträgt, auf den Mitbeteiligten nicht anwendbar sei. Beim Mitbeteiligten handle es sich zwar um eine auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung aufhältige Person, doch erhalte er in der Einrichtung keine Verpflegung. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass die genannte Bestimmung nur für solche auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung aufhältige Personen anwendbar sei, denen in dieser Einrichtung volle Unterkunft und Verpflegung gewährt werde. Dies ergebe sich auch aus einer verfassungskonformen Interpretation von § 13 Abs. 1 Sbg. MSG.

4 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, in welchem Ausmaß einem Rechtsbrecher, der auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung aufhältig sei, bedarfsorientierte Mindestsicherung zuzuerkennen sei, fehle.

 

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision der Salzburger Landesregierung erwogen:

5 Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht angeführten

Gründen zulässig und aus folgenden Gründen auch berechtigt:

6 § 13 Abs. 1 des Salzburger Mindestsicherungsgesetzes, LGBl. Nr. 63/2010 idF LGBl. Nr. 57/2012 (Sbg. MSG) hat folgenden

Wortlaut:

"(1) Für die Dauer eines Aufenthalts in einer Kranken- oder Kuranstalt oder einer vergleichbaren stationären Einrichtung oder auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung beträgt die Hilfe für den Lebensunterhalt in Prozent des Mindeststandards gemäß § 10 Abs 1 Z 1:

 

1.

bei volljährigen Personen

12,5 %,

2.

bei minderjährigen Personen

8,0 %.

   

 

Die Landesregierung hat die sich danach ergebenden Beträge gemeinsam mit den jeweiligen Mindeststandards der Bedarfsorientierten Mindestsicherung gemäß § 10 Abs 4 im Landesgesetzblatt kundzumachen."

7 Mit Erkenntnis vom 10. Dezember 2015, G 364/2015 u.a., hat der Verfassungsgerichtshof die Wortfolge "oder auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung" in § 13 Abs. 1 Sbg. MSG als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten.

8 Da der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis nicht anderes ausgesprochen hat, ist die aufgehobene Bestimmung gemäß Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG weiterhin auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände mit Ausnahme des Anlassfalles anzuwenden.

9 Auf die im vorliegenden Fall, bei dem es sich um keinen Anlassfall handelt, gegenständliche Bemessung der Mindestsicherungsleistung für den Mitbeteiligten für die Monate Mai bis August 2015 ist die aufgehobene Wortfolge somit weiter anzuwenden.

10 Der Verfassungsgerichtshof ging im zitierten Erkenntnis davon aus, dass die aufgehobene Wortfolge die Bedarfsorientierte Mindestsicherung im Fall des Aufenthalts eines volljährigen Mindestsicherungswerbers "auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung" ausnahmslos auf ein "Taschengeld" von 12,5 % des Mindeststandards reduziere und zwar unabhängig davon, ob und in welchem Ausmaß die Kosten des Aufenthalts tatsächlich vom Bund getragen würden (RZ 24). Dies stelle aus näher dargestellten Gründen einen Verstoß gegen den auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz dar (RZ 33).

11 Angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlautes verbietet sich die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Interpretation, wonach die nunmehr aufgehobene Bestimmung nur für solche auf Grund einer gerichtlichen Weisung in einer therapeutischen Wohneinrichtung aufhältige Personen anwendbar ist, denen in dieser Einrichtung volle Unterkunft und Verpflegung gewährt wird. Die Methode der verfassungskonformen Interpretation findet nämlich, wie jede andere Auslegungsmethode auch, ihre Grenze im eindeutigen Wortlaut des Gesetzes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. Juni 2011, Zl. 2009/12/0141, uva.).

12 Da sich das angefochtene Erkenntnis somit als inhaltlich rechtswidrig erweist, war es gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 24. Februar 2016

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