VwGH Ro 2014/13/0038

VwGHRo 2014/13/003821.10.2015

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fries, über die Revision des Finanzamtes Neunkirchen Wiener Neustadt in 2700 Wiener Neustadt, Grazer Straße 95, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 20. Mai 2014, Zl. RV/7102310/2013, betreffend Einkommensteuer 2012 (mitbeteiligte Partei: DI U in M), zu Recht erkannt:

Normen

EStG §34 Abs1;
EStG §34 Abs2;
EStG §34 Abs3;
EStG §34 Abs4;
SHG NÖ 2000 §38 Abs4;
EStG §34 Abs1;
EStG §34 Abs2;
EStG §34 Abs3;
EStG §34 Abs4;
SHG NÖ 2000 §38 Abs4;

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte beantragte im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung für 2012 die Berücksichtigung von Aufwendungen in Höhe von 29.452,92 EUR als außergewöhnliche Belastung. Einem dazu vorgelegten Schreiben der Bezirkshauptmannschaft war zu entnehmen, dass der im Dezember 2011 verstorbene Ehemann der Mitbeteiligten im Landespflegeheim betreut worden sei. Die dafür angefallenen Kosten seien beim Bezirksgericht zur Verlassenschaft angemeldet worden. In dem Schreiben wurde weiter ausgeführt, dass der Empfänger von Sozialhilfe die Kosten ersetzen müsse, wenn er zu hinreichendem Einkommen oder Vermögen gelangt sei oder wenn nachträglich bekannt werde, dass er zur Zeit der Hilfeleistung hinreichendes Einkommen oder Vermögen gehabt habe, oder die Verwertung von Vermögen nachträglich möglich und zumutbar werde. Die Verbindlichkeit zum Ersatz der Kosten gehe - bis zur Höhe des Wertes des Nachlasses - gleich einer anderen Schuld auf den Nachlass des Empfängers der Hilfe über.

Mit Bescheid des Finanzamtes vom 23. April 2013 wurde (im Rahmen der Arbeitnehmerveranlagung) die Einkommensteuer 2012 festgesetzt. Die von der Mitbeteiligten geltend gemachten Pflegekosten für ihren verstorbenen Ehemann wurden nicht berücksichtigt. Begründend wurde ausgeführt, eine außergewöhnliche Belastung liege nur dann vor, wenn Ausgaben zu einer Vermögensminderung führten. Eine bloße Vermögensumschichtung führe nicht zu einer außergewöhnlichen Belastung. Der Übernahme der Pflegekosten (Sozialhilfekosten) stehe die zeitnahe Liegenschaftsübertragung als Erbe gegenüber.

Die Mitbeteiligte erhob gegen diesen Bescheid Berufung. Sie habe zwar von ihrem Mann einen Anteil an der gemeinsamen Wohnliegenschaft im Erbwege erhalten. Dabei handle es sich aber um ein Viertel des Wohnhauses, welches dem dringenden Wohnbedürfnis der Mitbeteiligten und ihres Sohnes diene, welcher den oberen Stock des Hauses bewohne. Eine Veräußerung der Liegenschaft zur Deckung der Kosten sei ausgeschlossen. Somit liege eine tatsächliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitbeteiligten vor, welche die finanziellen Mittel für die Pflegekosten selbst habe aufbringen müssen.

Mit Berufungsvorentscheidung vom 20. August 2013 änderte das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid 2012 in einem für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht relevanten Punkt ab. Die Pflegekosten wurden weiterhin nicht berücksichtigt. Die Überwälzung der Pflegekosten - in Form der steuerlichen Berücksichtigung - auf die Allgemeinheit sei im Hinblick auf die Vermögensübernahme nicht gerechtfertigt.

Die Mitbeteiligte beantragte die Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der (nunmehr) Beschwerde Folge und änderte den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2012 ab. Das Bundesfinanzgericht erklärte eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof als zulässig.

Begründend führte das Bundesfinanzgericht nach Schilderung des Verfahrensganges im Wesentlichen aus, die Mitbeteiligte sei als Erbin eines Liegenschaftsanteiles gemäß § 38 NÖ Sozialhilfegesetz betreffend Kosten für die Betreuung ihres (verstorbenen) Ehemanns in einem Pflegeheim in Anspruch genommen worden. Das auf der Liegenschaft befindliche Einfamilienhaus diene der Mitbeteiligten und ihrem Sohn zur Deckung ihres Wohnbedürfnisses.

Die Verlassenschaft sei der Mitbeteiligten aufgrund einer unbedingten Erbantrittserklärung zur Gänze eingeantwortet worden. Infolge eines Pflichtteilsübereinkommens mit dem Sohn sei aber der Hälfteanteil des Ehemanns an der Liegenschaft je zur Hälfte der Mitbeteiligten und ihrem Sohn übertragen worden. Zugunsten des Landes Niederösterreich bestünden ob der Liegenschaft Pfandrechte und Veräußerungsverbote. Aus der notariellen Verlassenschaftsabhandlung ergebe sich eine Überschuldung der Verlassenschaft (wobei der Hälfteanteil an der Liegenschaft mit dem dreifachen Einheitswert bewertet wurde).

Nachlassverbindlichkeiten seien in der Regel nicht als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, da der Antritt einer Erbschaft aus freien Stücken erfolge. Im konkreten Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass das in Rede stehende Haus als Familienwohnsitz nach wie vor der Deckung des Wohnbedürfnisses der Mitbeteiligten und ihres Sohnes diene. Die Annahme der Erbschaft sei sohin aus faktischen Gründen zwangsläufig erfolgt, um die Wohnmöglichkeit nicht zu verlieren. Als Folge der Übernahme des Liegenschaftsanteiles habe die Mitbeteiligte daher die Pflegekostenrückstände zu begleichen gehabt.

Die Abgabe einer bedingten Erbserklärung hätte im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis geführt. In diesem Fall wäre zwar die Haftung der Erbin mit dem Wert der Verlassenschaft beschränkt gewesen. Die Mitbeteiligte hätte aber auch in diesem Fall für die gesamte Pflegekostennachforderung gehaftet, da davon auszugehen sei, dass der Nachlass (materiell) nicht überschuldet gewesen sei. Der Verkehrswert des Hälfteanteiles der Liegenschaft übersteige die Verlassenschaftspassiva wesentlich.

Es bestehe zwar ein Zusammenhang der Aufwendungen mit dem Wert der übernommenen Vermögenssubstanz. Es sei aber zu beachten, dass Pfandrechte und Veräußerungsverbote sowie der auf der Liegenschaft bestehende Wohnsitz der Mitbeteiligten einer Verwertung der Liegenschaft entgegenstünden. Der geerbte Liegenschaftsanteil sei daher nicht realisierbar.

Die Entrichtung des Pflegekostenersatzes habe sohin eine Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Mitbeteiligten bewirkt. Sie habe die Aufwendungen aus Eigenem und nicht aus dem Vermögen des Verstorbenen tragen müssen. Die strittigen Aufwendungen von 29.452,92 EUR seien daher als außergewöhnliche Belastung anzuerkennen.

Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verfahrensakten - die Mitbeteiligte hat sich am Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht beteiligt - erwogen hat:

Bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein (Abs. 2), zwangsläufig erwachsen (Abs. 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4). Sie darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

Gemäß § 15 Abs. 1 NÖ Sozialhilfegesetz 2000 (NÖ SHG) erfolgt die Leistung der Hilfe bei stationärer Pflege unter Berücksichtigung des Einsatzes des Einkommens und des verwertbaren Vermögens sowie unter Berücksichtigung der pflegebezogenen Geldleistungen, insoweit diese vom Anspruchsübergang nach den bundesgesetzlichen Pflegegeldregelungen erfasst sind. Nach § 15 Abs. 4 NÖ SHG gilt u.a. ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung, die der Deckung des notwendigen Wohnbedarfs des Hilfeempfängers und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen dienen, als nicht verwertbar.

Nach § 37 NÖ SHG haben für Kosten von Sozialhilfemaßnahmen, auf die ein Rechtsanspruch besteht (auf die Hilfe bei stationärer Pflege besteht nach § 12 Abs. 3 NÖ SHG ein Rechtsanspruch), u. a. der Hilfeempfänger, die Erben des Hilfeempfängers und die unterhaltspflichtigen Angehörigen des Hilfeempfängers Ersatz zu leisten.

Der Hilfeempfänger ist nach § 38 Abs. 1 NÖ SHG zum Ersatz der für ihn aufgewendeten Kosten u.a. dann verpflichtet, wenn die Verwertung von Vermögen nachträglich möglich und zumutbar wird. Nach § 38 Abs. 4 NÖ SHG geht die Verbindlichkeit zum Ersatz der Kosten von Leistungen nach Abs. 1 gleich einer anderen Schuld auf den Nachlass des Empfängers der Hilfe über. Die Erben des Hilfeempfängers haften jedoch für den Ersatz der Kosten der Sozialhilfe nur bis zur Höhe des Wertes des Nachlasses.

Nach § 39 NÖ SHG haben Personen, die gesetzlich oder vertraglich zum Unterhalt des Empfängers der Sozialhilfe verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht Kostenersatz zu leisten. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung dürfen aber u. a. Ehegatten und Kinder, soferne sie eine gesetzliche Unterhaltspflicht trifft, aus diesem Rechtstitel nicht zur Ersatzleistung herangezogen werden.

Der Anspruch des Landes auf Ersatz der rückständigen Pflegekosten wurde - nach dem Schreiben der Bezirkshauptmannschaft - auf den Übergang der Verbindlichkeit des Hilfeempfängers (des Ehemanns der Mitbeteiligten) auf den Nachlass und sodann die Erben des Empfängers gestützt (§ 38 Abs. 4 NÖ SHG; vgl. hiezu etwa das Erkenntnis vom 22. Oktober 2013, 2013/10/0168).

Damit ergibt sich die Verpflichtung der Mitbeteiligten zur Zahlung der Pflegekosten betreffend ihren verstorbenen Ehemann nicht aus einer allfälligen (rechtlichen oder sittlichen) Unterhaltspflicht, sondern ausschließlich daraus, dass sie als Erbin den Liegenschaftsanteil (bzw. einen Teil hievon) ihres verstorbenen Ehemannes erhalten hat. Die Verpflichtung zu dieser Zahlung ist sohin nur die Folge der freiwilligen Entscheidung der Mitbeteiligten, die Erbschaft anzutreten. Aufwendungen, die Folge eines Verhaltens sind, zu denen sich der Steuerpflichtige aus freien Stücken entschlossen hat, sind aber nicht als iSd § 34 Abs. 3 EStG 1988 zwangsläufig erwachsen anzusehen und finden daher nicht als außergewöhnliche Belastung Berücksichtigung (vgl. das Erkenntnis vom 7. Juli 2011, 2008/15/0142, VwSlg. 8656/F).

Entgegen den Darlegungen des Bundesfinanzgerichtes kann die Zwangsläufigkeit insbesondere auch nicht darauf gestützt werden, dass die im Rahmen des Verlassenschaftsverfahrens erworbenen Anteile an einer Liegenschaft bestehen, die der Mitbeteiligten und ihrem Sohn als Familienwohnsitz zur Deckung des Wohnbedürfnisses dienen. Mit dieser Argumentation würde nämlich versucht, die Zwangsläufigkeit der Zahlung der Pflegekosten mit Gründen zu belegen, denen es ihrerseits wiederum am Element der Außergewöhnlichkeit fehlt. Wohnungskosten hat nämlich die Mehrzahl der Steuerpflichtigen zu tragen (vgl. zu einer vergleichbaren Sachverhaltskonstellation das Erkenntnis vom 15. Juli 1998, 95/13/0270).

Darüber hinaus kann von einer wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit nicht gesprochen werden, soweit eine Belastung in wirtschaftlichem Zusammenhang mit einem Erwerb von Todes wegen steht und im Wert der übernommenen Vermögenssubstanz ihre Deckung findet (vgl. das Erkenntnis vom 21. Oktober 1999, 98/15/0201, mwN).

Im vorliegenden Fall ist unbestritten, dass die Zahlungen für die rückständigen Pflegeentgelte im an die Mitbeteiligten übergegangenen Verlassenschaftsvermögen Deckung fanden.

Das Bundesfinanzgericht geht davon aus, dass zwar ein Zusammenhang der Aufwendungen mit dem Wert der übernommenen Vermögenssubstanz bestehe. Zu beachten sei aber, dass Pfandrechte und Veräußerungsverbote sowie der auf der Liegenschaft bestehende Wohnsitz der Mitbeteiligten (und ihres Sohnes) einer Verwertung der Liegenschaft entgegenstünden. Der Liegenschaftsanteil sei daher nicht realisierbar.

Was die Pfandrechte (sowie das damit verknüpfte Veräußerungsverbot - wie sich aus den Verwaltungsakten ergibt: im Rahmen des Wohnbauförderungsrechtes zugunsten des Landes) betrifft, so ist aber unbestritten, dass der Wert des Liegenschaftsanteils die Verlassenschaftspassiva (also einschließlich dieser Verbindlichkeit gegenüber dem Land) wesentlich übersteigt. Es wäre daher davon auszugehen, dass - mangels Belastungsverbotes - jedenfalls die Möglichkeit einer (weiteren) pfandrechtlichen Belastung dieser Liegenschaftsanteile zur Finanzierung der Pflegekosten bestünde (vgl. idS zuletzt das Erkenntnis vom 29. April 2015, 2012/13/0012). Dass der Wohnsitz der Mitbeteiligten und ihres Sohnes nicht dazu führen kann, dass insoweit eine außergewöhnliche Belastung vorliegt, wurde bereits oben dargelegt.

Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet und war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 21. Oktober 2015

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte