VwGH Ro 2014/10/0004

VwGHRo 2014/10/000417.12.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des G G in K, vertreten durch Dr. Apollonia Hechenbichler, Rechtsanwältin in 6345 Kössen, Bichlach 65a, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 7. November 2013, Zl. Va-456-47104/1/56, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:

Normen

MSG Tir 2010 §17 Abs2;
MSG Tir 2010 §18 Abs2;
MSG Tir 2010 §19 Abs1 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
MSG Tir 2010 §17 Abs2;
MSG Tir 2010 §18 Abs2;
MSG Tir 2010 §19 Abs1 litc;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Tirol hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Tiroler Landesregierung hat mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 8. August 2011 (u.a.) den Antrag des Revisionswerbers vom 4. März 2011 auf Gewährung von Mindestsicherungsleistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz - TMSG, LGBl. Nr. 99/2010, abgewiesen.

Dazu hat sie im Wesentlichen ausgeführt, dass der Revisionswerber mit seiner volljährigen Tochter im gemeinsamen Haushalt lebe. Gemäß § 18 Abs. 2 TMSG sei das Einkommen der Tochter, soweit es deren - fiktiv berechneten - Mindestsicherungsanspruch übersteige, im vorliegenden Fall somit ein Betrag von monatlich EUR 598,15, als dem Beschwerdeführer zukommende Leistung Dritter zu berücksichtigen. Der Mindestsicherungsanspruch des Revisionswerbers in der Höhe von EUR 596,22 werde durch diesen Betrag zur Gänze gedeckt.

Dieser Bescheid wurde hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2012, Zl. 2011/10/0201, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Dazu führte der Verwaltungsgerichtshof u.a. Folgendes aus:

"Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu den Sozialhilfegesetzen der Bundesländer können Forderungen des Hilfsbedürftigen gegenüber Dritten nur dann und nur insoweit zu den - vor Inanspruchnahme der Sozialhilfe einzusetzenden - eigenen Mitteln gezählt werden, als sie verfügbar, d.h. liquide oder doch rasch liquidierbar sind. Entscheidend ist, ob der Hilfesuchende die erforderliche Leistung auf Grund seines Anspruches so rechtzeitig erhalten kann, dass er in seinem Bedarf nicht gefährdet wird. Andernfalls hat der Sozialhilfeträger in Vorlage zu treten (vgl. etwa das zum Steiermärkischen Sozialhilfegesetz ergangene Erkenntnis vom 16. Juni 2011, Zl. 2009/10/0174).

Dieser Grundsatz wird im TMSG durch § 17 Abs. 2 zum Ausdruck gebracht, wonach die Mindestsicherung bis zur tatsächlichen Durchsetzung des Anspruches des Hilfesuchenden als Vorausleistung zu gewähren ist und die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung jedenfalls zu gewähren ist. Wenn der Mindestsicherungsbezieher seine Ansprüche gegenüber Dritten nicht in zumutbarer Weise verfolgt, so kann gemäß § 19 Abs. 1 lit. c TMSG die Leistung gekürzt werden.

Gemäß § 18 Abs. 2 TMSG zählt zu den bedarfsmindernden Leistungen Dritter - 'neben den Leistungen, auf die der Hilfesuchende einen Anspruch nach § 17 Abs. 1 hat' - auch das Einkommen von unterhaltspflichtigen Haushaltsangehörigen, soweit es die für diese Person zu berechnende Mindestsicherungsleistung übersteigt. Daraus folgt, dass das den eigenen Mindestsicherungsanspruch übersteigende Einkommen eines unterhaltspflichtigen Haushaltsangehörigen auf den Mindestsicherungsanspruch des Unterhaltsberechtigten auch insoweit anzurechnen ist, als es den Unterhaltsanspruch übersteigt. Diese Anrechnung setzt aber - fallbezogen - gemäß § 18 Abs. 3 lit. a TMSG voraus, dass die den Rechtsanspruch übersteigende Unterhaltsleistung tatsächlich regelmäßig erbracht wird.

Diese Rechtslage hat die belangte Behörde insofern verkannt, als sie die Ansicht vertrat, der Teil des Einkommens der Tochter, der deren Mindestsicherungsanspruch übersteigt, sei jedenfalls auf die Mindestsicherungsleistung des Vaters anzurechnen.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher zunächst zu prüfen haben, ob die Tochter des Beschwerdeführers diesem tatsächlich den ihren eigenen Mindestsicherungsanspruch übersteigenden Teil ihres Einkommens regelmäßig zur Verfügung stellt. Sollte dies nicht der Fall sein, so wird die belangte Behörde zu beurteilen haben, ob und in welcher Höhe die Tochter dem Beschwerdeführer nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 143 ABGB Unterhalt schuldet."

Nunmehr hat die belangte Behörde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid vom 7. November 2013 die monatlichen Mindestsicherungsleistungen für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf des Revisionswerbers wie folgt festgesetzt:

Für die Monate April bis Juni 2011 mit EUR 183,21, für den Monat Juli 2011 mit EUR 200,66, für den Monat August 2011 mit EUR 230,66 und zusätzlich für den Monat Juni 2011 eine Sonderzahlung in der Höhe von EUR 67,76.

Dazu stellte die belangte Behörde u.a. fest, dass die mit dem Beschwerdeführer in Haushaltsgemeinschaft lebende Tochter bis zum 31. Juli 2011 inklusive Sonderzahlungen EUR 1.331,86 je Monat verdient habe und sie den ihren eigenen Mindestsicherungsanspruch übersteigenden Anteil dieses Einkommens nicht regelmäßig ihrem Vater zur Verfügung gestellt habe.

Sie vertrat die Ansicht, dass die Tochter, die sonst keine Sorgepflichten habe, 22 % ihres im Nachhinein ausbezahlten Monatseinkommens, somit EUR 293,01, ihrem Vater - jeweils für den der Auszahlung folgenden Monat - als Unterhalt zu leisten habe, und berücksichtigte diesen Betrag als eigene Mittel des Beschwerdeführers bei der Bemessung der Mindestsicherungsleistung für den Lebensunterhalt und den Wohnbedarf.

Über die dagegen gerichtete Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch das Landesverwaltungsgericht Tirol erwogen:

Vorweg sei festgehalten, dass gemäß § 4 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, für die Behandlung der vorliegenden Revision die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung sinngemäß abzuwenden sind.

Der Revisionswerber bringt u.a. vor, dass die belangte Behörde § 17 Abs. 2 TMSG außer Acht gelassen habe. Aus dem Akteninhalt gehe hervor, dass seine Tochter nicht bereit sei, freiwillig Unterhaltsleistungen zu erbringen. Unter Berücksichtigung der Dauer eines Unterhaltsstreits wäre ihm eine ohne Berücksichtigung des Unterhaltsanspruchs gegen seine Tochter zu bemessende Mindestsicherungsleistung als Vorausleistung zu erbringen gewesen. Die belangte Behörde habe die von der Tochter des Revisionswerbers an die Behörde erster Instanz gerichteten Schreiben nicht berücksichtigt, aus welchen klar hervorgehe, dass die Tochter eine Begleichung der Unterhaltsansprüche ihres Vaters ablehne.

Damit zeigt der Revisionswerber eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf:

Die belangte Behörde hat - entsprechend dem erwähnten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes zur Zl. 2011/10/0201 - geprüft, in welcher Höhe dem Revisionswerber im hier maßgeblichen Zeitraum ein Unterhaltsanspruch gegenüber seiner Tochter zukam, und ist dabei - in unbedenklicher Weise - zum Ergebnis gekommen, dass dieser Anspruch EUR 293,01 pro Monat betrage. Die Anrechnung dieses Betrages auf die auszuzahlende Mindestsicherungsleistung setzt jedoch - wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bereits im zitierten Erkenntnis ausgeführt hat - voraus, dass die Unterhaltsforderung liquide oder doch rasch liquidierbar ist, wobei es entscheidend ist, ob der Hilfesuchende die erforderliche Leistung auf Grund seines Anspruches so rechtzeitig erhalten kann, dass er in seinem Bedarf nicht gefährdet wird. Andernfalls ist die Mindestsicherungsleistung bis zur tatsächlichen Durchsetzung des Anspruches des Hilfesuchenden gemäß § 17 Abs. 2 TMSG als Vorausleistung zu gewähren, wobei die unmittelbar erforderliche Bedarfsdeckung jedenfalls zu gewähren ist.

Bei den Verwaltungsakten liegen mehrere Schreiben der Tochter des Revisionswerbers, etwa jenes vom 4. August 2011, nach deren Inhalt die Tochter nicht bereit ist, dem Revisionswerber Unterhalt zu gewähren. Der Revisionswerber hat mehrfach vorgebracht, dass ihm die Tochter keinen Unterhaltsbeitrag zahle und die Geltendmachung eines derartigen Anspruches Zeit in Anspruch nehmen würde, weshalb der Mindestsicherungsträger gemäß § 17 Abs. 2 TMSG in Vorlage zu treten habe.

Die belangte Behörde hat die oben dargestellten Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zu § 17 Abs. 2 TMSG zwar wiedergegeben, sich jedoch mit dem dargestellten Vorbringen des Beschwerdeführers und seiner Tochter nicht auseinandergesetzt. Dies stellt einen relevanten Verfahrensmangel dar, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Berücksichtigung dieses Vorbringens zum Ergebnis gekommen wäre, dass auch jener Teil der errechneten Mindestsicherungsleistung, der aus dem Unterhaltsanspruch gegenüber der Tochter des Revisionswerbers gedeckt werden könnte, gemäß § 17 Abs. 2 TMSG als Vorausleistung zu erbringen ist.

Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher zu prüfen haben, ob die oben dargestellten Voraussetzungen gemäß § 17 Abs. 2 TMSG für die Pflicht des Mindestsicherungsträgers zur Erbringung einer Vorausleistung vorliegen. Sollte dies der Fall sein, so könnten allenfalls die Voraussetzungen gemäß § 19 Abs. 1 lit. c TMSG erfüllt sein, wonach die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts gekürzt werden kann, wenn der Mindestsicherungsbezieher seine Ansprüche gegenüber Dritten nicht in zumutbarer Weise verfolgt.

In diesem Zusammenhang wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das mehrfach zitierte hg. Erkenntnis zur Zl. 2011/10/0201 verwiesen, wonach der vorgebrachte Umstand, dass der Revisionswerber einen Sonderbedarf seiner Tochter nicht gedeckt habe, nicht zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs führt und die vorgebrachte Gegenforderung der Tochter die Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen nicht unzumutbar - und auch nicht aussichtslos - macht. Ebenso wird zum mangels Konkretisierung nicht zielführenden Vorbringen, es bestehe keine Haushaltsgemeinschaft mit der Tochter, auf dieses Erkenntnis verwiesen.

Schließlich ist auch das weitere Vorbringen des Revisionswerbers, wonach eine Vereinbarung mit dem Vermieter der anteiligen Beteiligung der Tochter an den Wohnkosten entgegenstehe, nicht zielführend. Dazu wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das ebenfalls auf Grund einer Beschwerde des Revisionswerbers ergangene hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2013, Zl. 2012/10/0203, verwiesen.

Aus dem oben dargestellten Grund war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.

Wien, am 17. Dezember 2014

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