VwGH Ro 2014/06/0041

VwGHRo 2014/06/004116.10.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pallitsch und die Hofrätin Dr. Bayjones, den Hofrat Dr. Moritz, die Hofrätin Mag. Merl sowie den Hofrat Mag. Haunold als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zöchling, über die Beschwerde des A in S, vertreten durch die Dr. Zsizsik und Dr. Prattes Rechtsanwälte OG in 8600 Bruck/Mur, Hauptplatz 23, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 28. November 2013, Zl. ABT16-VT-SV.02-42/2013- 3, betreffend eine Angelegenheit nach dem Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 (mitbeteiligte Parteien: Land Steiermark, Landesstraßenverwaltung, Landhausgasse 7, 8010 Graz), zu Recht erkannt:

Normen

LStVwG Stmk 1964 §16a Abs1;
LStVwG Stmk 1964 §16a Abs4;
LStVwG Stmk 1964 §16a;
LStVwG Stmk 1964 §47 Abs1;
LStVwG Stmk 1964 §47 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;
LStVwG Stmk 1964 §16a Abs1;
LStVwG Stmk 1964 §16a Abs4;
LStVwG Stmk 1964 §16a;
LStVwG Stmk 1964 §47 Abs1;
LStVwG Stmk 1964 §47 Abs3;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 27. September 2013 beantragte das Land Steiermark, Landesstraßenverwaltung (im Folgenden: Bauwerberin), eine Genehmigung nach dem Steiermärkischen Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 (LStVG 1964) für die Errichtung einer Lärmschutzwandanlage entlang der Landesstraße Nr. 118, Semmering Begleitstraße, im Baulos "S" von km 39,930 bis km 40,200. Dadurch soll eine Reduktion der durch den Straßenverkehr bedingten Lärmbelastung unter den Grenzwert von 50 dB während der Nachtstunden für die sechs betroffenen Wohnhäuser entlang des betreffenden Abschnittes der L 118 erfolgen.

Der Beschwerdeführer ist Eigentümer des Grundstücks Nr. 1368/1, das unmittelbar an die L 118 grenzt. Während der mündlichen Verhandlung brachte er vor, sein Grundstück werde landwirtschaftlich genutzt. Um zu diesem und einem benachbarten Grundstück mit überbreiten Fahrzeugen bzw. landwirtschaftlichen Maschinen (Beispiel: Mähdrescher) fahren zu können, werde seit mehreren Generationen eine Abfahrt von der Landesstraße benützt. Zu diesem Grundstück bestehe eine reguläre Zufahrt über den Mühlweg, allerdings sei diese für überbreite Fahrzeuge nicht geeignet. Bei Verwirklichung des Projektes in der geplanten Weise erleide er einen Nachteil, weil er sein Grundstück nur mit schmäleren Fahrzeugen erreichen könne und daher in der Bewirtschaftung eingeschränkt sei. Er sei daher an einer Lösung interessiert, wodurch ihm weiterhin das uneingeschränkte Zufahren möglich sei, beispielsweise über die bereits geplante und angeblich auch genehmigte Zufahrt des Unternehmens K.

Der straßenbautechnische Amtssachverständige Dipl. Ing. Dr. R. führte in seinem Gutachten im Rahmen der mündlichen Verhandlung unter anderem aus, die bei ca. km 39,955 bestehende Feldzufahrt zum südlich der Landesstraße gelegenen Grundstück Nr. 1368/1, das im Eigentum des Beschwerdeführers stehe, werde aufgelassen. Die alternative Zufahrt zu diesem landwirtschaftlich genutzten Grundstück sei über den Mühlweg gegeben, der ca. 3,6 m breit ausgebaut sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid (vom 28. November 2013) erklärte die belangte Behörde die Ausführung des Straßenbauvorhabens an der Landesstraße Nr. 118, Semmering Begleitstraße, im Baulos "S" entsprechend den Antragsunterlagen vom Standpunkt des öffentlichen Interesses und der mit diesem nicht in Widerspruch stehenden Interessen der Beteiligten bei plan- und beschreibungsgemäßer Ausführung unter Berücksichtigung von näher beschriebenen Abweichungen bzw. Ergänzungen und Feststellungen, bei Erfüllung bestimmter Auflagen sowie unter der Voraussetzung des Erwerbs der allenfalls für die Ausführung dieses Projektes erforderlichen Rechte bzw. weiteren behördlichen Konsense für zulässig. Zu den Einwendungen des Beschwerdeführers führte die belangte Behörde aus, die derzeit bei Grundstück Nr. 1368/1 bestehende Feldzufahrt werde aufgelassen. Dem Einwand des Beschwerdeführers, dadurch einen Nachteil zu erleiden, könne nicht gefolgt werden, weil zu diesem landwirtschaftlich genutzten Grundstück eine alternative Zufahrt über den Mühlweg gegeben sei. Diese Zufahrt sei an ihrer schmalsten Stelle 3,6 m breit ausgebaut und daher jedenfalls als geeignet anzusehen. Hinsichtlich einer künftigen Lösung mit dem Unternehmen K., mit überbreiten Fahrzeugen über ein angrenzendes Grundstück zu fahren, müsse der Beschwerdeführer auf Vereinbarungen außerhalb des konkreten straßenrechtlichen Verfahrens verwiesen werden. Diesbezügliche Nebenabreden könnten nicht berücksichtigt werden.

Der Verfassungsgerichtshof hat die Behandlung der dagegen zunächst bei ihm erhobenen Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 2014, B 42/2014-7, gemäß Art. 144 Abs. 2 B-VG abgelehnt und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof unter einem zur Entscheidung abgetreten. In der nach Aufforderung ergänzten Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof werden Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

In sinngemäßer Anwendung des § 8 iVm § 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz hat der Verwaltungsgerichtshof in Verfahren, die der Verfassungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 1 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten hat, die Bestimmungen des B-VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung und des VwGG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung weiterhin anzuwenden. Die "Beschwerde" gilt als rechtzeitig erhobene Revision gemäß Art. 133 Abs. 1 Z 1 B-VG.

Das Steiermärkische Landes-Straßenverwaltungsgesetz 1964 - LStVG 1964, LGBl. Nr. 154/1964, in der Fassung LGBl. Nr. 60/2008, lautet (auszugsweise):

"§ 16a

Beeinträchtigung von Nachbarn an Landesstraßen

(1) Bei der Planung und beim Bau von Landesstraßen ist vorzusorgen, dass Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den zu erwartenden Verkehr auf der Landesstraße so weit herabgesetzt werden, als dies durch einen im Hinblick auf den erzielbaren Zweck wirtschaftlich vertretbaren Aufwand erreicht werden kann, sofern nicht die Beeinträchtigung wegen der Art der Nutzung des der Landesstraße benachbarten Geländes zumutbar ist. Subjektive Rechte werden hiedurch nicht begründet.

(2) Die Vorsorge gegen Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den zu erwartenden Verkehr auf der Landesstraße kann auch dadurch erfolgen, dass auf fremden Grundstücken mit Zustimmung des Eigentümers geeignete Maßnahmen gesetzt werden, insbesondere Baumaßnahmen an Gebäuden, Einbau von Lärmschutzfenstern u. dgl., sofern die Erhaltung und allfällige Wiederherstellung durch den Eigentümer oder einen Dritten sichergestellt ist.

(3) In Fällen, in denen mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand durch Maßnahmen nach Abs. 1 und 2 kein entsprechender Erfolg erzielt werden kann, können mit Zustimmung des Eigentümers Grundstücke oder Grundstücksteile vom Land (Landesstraßenverwaltung) nach den Grundsätzen der §§ 48 bis 50, eingelöst werden, sofern durch den zu erwartenden Verkehr auf der Landesstraße die Benützung eines auf diesem Grundstück oder Grundstücksteil bestehenden Gebäudes unzumutbar beeinträchtigt wird. Gleiches gilt, wenn die unzumutbare Beeinträchtigung durch bauliche Anlagen im Zuge einer Landesstraße, z.B. durch Beeinträchtigung des Lichtraumes, erfolgt.

(4) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 3 finden auch für Maßnahmen Anwendung, die gegen Beeinträchtigungen der Nachbarn durch den Verkehr auf bestehenden Landesstraßen gesetzt werden.

(5) ...

Verfahren; Enteignung

§ 47

Ermittlungsverfahren und Bescheid

(1) Vor Neuanlage, Verlegung oder Umbau der im § 7 unter Z 1, 2, 3 und 4 genannten Straßen hat die im Abs. 3 genannte Behörde den beabsichtigten Straßenbau in den in Betracht kommenden Gemeinden kundzumachen. Überdies sind hievon die bekannten Anrainer und sonstigen Beteiligten durch besondere Mitteilung zu verständigen. In diesen Verständigungen ist auch zugleich eine mündliche Verhandlung auf einen Zeitpunkt binnen zwei bis vier Wochen anzuberaumen. Von der Anberaumung der Verhandlung ist auch die Militärbehörde zu verständigen. Kommen auch Grundstücke in Betracht, die Zwecken des öffentlichen Eisenbahn- oder Luftverkehrs dienen, so ist auch die Eisenbahn- oder Luftfahrtbehörde zu benachrichtigen. Die Beteiligten sind aufzufordern, die zum Nachweis ihrer Vertretungsbefugnis nötigen Vollmachten und sonst zur Begründung ihrer Ansprüche nötigen Urkunden, Pläne u. dgl. bei der mündlichen Verhandlung vorzuweisen.

(2) Bei Bauvorhaben von geringfügigem Umfang kann von der in Abs. 1 vorgeschriebenen Verhandlung abgesehen werden, wenn dies ohne Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses und des Interesses der Beteiligten geschehen kann.

(3) Auf Grund der Ergebnisse dieser mündlichen Verhandlung hat bei Straßen gemäß § 7 Abs. 1 Z 1, 2, 3, und 4 lit. b die Landesregierung, sonst die Gemeinde mit Bescheid die Bedingungen festzusetzen, welche bei der Ausführung der beabsichtigten Straßenbauten vom Standpunkt des öffentlichen Interesses und der mit diesem nicht in Widerspruch stehenden Interessen der Beteiligten zu erfüllen sind. Der Bescheid hat sich auch auf die künftige Bestimmung und die Erhaltung jener Straßenteile zu erstrecken, welche durch den Straßenbau ihrer ursprünglichen Verkehrswidmung unmittelbar entzogen werden. Weitere Bedingungen können nachträglichen Verfügungen vorbehalten werden, insofern sich solche bei der Durchführung des Straßenbaues als notwendig erweisen. Für die Ausführung des Straßenbaues kann eine Frist bestimmt werden, die aus rücksichtswürdigen Gründen verlängert werden kann."

Der Beschwerdeführer brachte in der Beschwerdeergänzung unter Hinweis auf § 16a Abs. 1 und 4 LStVG 1964 vor, im gegenständlichen Fall werde durch die Errichtung der Lärmschutzmaßnahmen eine Beeinträchtigung seines Eigentums herbeigeführt und seine wirtschaftliche Existenz gefährdet. Der Eingriff sei jedenfalls unzumutbar und unverhältnismäßig, weil gelindere Mittel - wie etwa ein Lärmschutztor - zur Verfügung gestanden wären, um denselben Schutzzweck für die dort wohnenden Anrainer zu erreichen. Bei dieser Variante wären die Rechte des Beschwerdeführers gewahrt geblieben. Diesbezüglich habe die belangte Behörde unzureichende Feststellungen getroffen, "so dass es ihr überhaupt nicht möglich war eine ausgewogene rechtskräftige Entscheidung zu treffen". Sie habe sich auch nicht mit den Nachteilen für den Beschwerdeführer durch das Projekt auseinandergesetzt. Er sei aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Zufahrt angewiesen, die auch mit großem landwirtschaftlichem Gerät befahren werden könne. Im angefochtenen Bescheid werde ausgeführt, die alternative Zufahrt sei 3,6 m breit und jedenfalls als geeignet anzusehen. Diesbezüglich sei nicht erörtert worden, inwieweit der Beschwerdeführer dadurch eingeschränkt sei, dass er seine Liegenschaft nicht mit großen (überbreiten) landwirtschaftlichen Geräten bewirtschaften könne. Es sei auch nicht abgeklärt worden, ob geringfügigere Mittel zur Verfügung stünden. Es liege keine gutachterliche Stellungnahme zur möglichen Einfügung eines Tores in die Lärmschutzwand vor. Beim Grundstück Nr. 1369, das direkt an das Grundstück des Beschwerdeführers angrenze, sei eine eigene Zufahrt geschaffen worden. Es sei auch nicht erörtert worden, ob der Beschwerdeführer möglicherweise über die neu vorgesehene Zufahrt zum Grundstück Nr. 1369 zufahren könne. Das Verfahren sei somit unvollständig, weil "nicht sämtliche Punkte des Dafürs und Dawider erwogen wurden". Darüber hinaus wäre dem Beschwerdeführer auf Grund der umfangreichen Einschränkungen seines Eigentums jedenfalls eine Frist zur Äußerung zu dem Sachverständigengutachten zu geben gewesen.

Gemäß § 16a Abs. 1 letzter Satz iVm Abs. 4 LStVG 1964 sind im öffentlichen Interesse bei der Planung und beim Bau von Schutzmaßnahmen auf bestehenden Landesstraßen (§ 16a Abs. 4 LStVG 1964) die Beeinträchtigungen der Nachbarn hintanzuhalten. Ein Nachbar kann aus dieser Regelung keine subjektiven Rechte ableiten, seine Interessen sind jedoch gemäß § 47 Abs. 3 leg. cit. den öffentlichen Interessen gegenüberzustellen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Oktober 2007, Zl. 2006/06/0084).

Im gegenständlichen Fall soll durch die Errichtung der vorgesehenen Lärmschutzwandanlage nach den unbestritten gebliebenen Ausführungen im angefochtenen Bescheid eine Reduktion der durch den Straßenverkehr bedingten Lärmbelastung unter den Grenzwert von 50 dB während der Nachtstunden für sechs Wohnhäuser entlang des betreffenden Abschnittes der L 118 erfolgen.

Der Beschwerdeführer wandte im Rahmen der mündlichen Verhandlung zulässigerweise die Beeinträchtigung seiner wirtschaftlichen Interessen ein (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2006, Zl. 2004/06/0128, mwN). Dabei machte er geltend, er erleide auf Grund einer eingeschränkten Bewirtschaftungsmöglichkeit nur mit schmäleren Fahrzeugen einen Nachteil.

Unbestritten besteht eine Zufahrt zu dem Grundstück des Beschwerdeführers über den Mühlweg. Die belangte Behörde setzte sich jedoch mit den Einwendungen des Beschwerdeführers, wonach diese Zufahrt für überbreite Fahrzeuge nicht geeignet sei und er dadurch einen Nachteil erleide, nicht auseinander. Sie führte lediglich aus, "den Einwendungen des Beschwerdeführers konnte nicht gefolgt werden", weil es eine alternative Zufahrt über den Mühlweg gebe, der an seiner schmalsten Stelle "3,6 m breit ausgebaut und daher jedenfalls als geeignet anzusehen" sei.

Die Verwaltungsbehörden hätten jedoch gemäß § 47 Abs. 3 LStVG 1964 die vom Beschwerdeführer zulässigerweise vorgebrachten wirtschaftlichen Nachteile durch eine Bewirtschaftung lediglich mit schmäleren Fahrzeugen den öffentlichen Interessen an einer Reduktion der durch den Straßenverkehr bedingten Lärmbelastung gegenüberstellen und - sofern die Beeinträchtigung als gegeben und wegen der Art der Nutzung des Grundstückes nicht als zumutbar beurteilt wird - prüfen müssen, ob die Beeinträchtigung der Interessen des Beschwerdeführers nicht mit wirtschaftlich vertretbarem Aufwand - etwa durch die Errichtung eines Tores in der Lärmschutzwand - herabgesetzt werden kann (§ 47 Abs. 1 iVm. § 16a LStVG 1964).

Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG weiter anzuwendenden §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455/2008 (siehe § 3 Z. 1 VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014).

Wien, am 16. Oktober 2014

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