VwGH Ra 2024/04/0303

VwGHRa 2024/04/030319.4.2024

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Mayr sowie Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Vonier, über die Revision des A K, in K, vertreten durch Mag. Thomas Preisinger, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Mariahilfer Straße 76/2/23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Jänner 2024, Zl. W108 2250843‑1/22E, betreffend eine datenschutzrechtliche Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Datenschutzbehörde; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: Staatsanwaltschaft Klagenfurt), den Beschluss gefasst:

Normen

DSG §36 Abs1
DSG §38
StPO 1975 §51
StPO 1975 §51 Abs2
StPO 1975 §52 Abs3
StPO 1975 §53 Abs1
StPO 1975 §74
VwRallg
62021CJ0180 Inspektor v Inspektorata kam Visshia sadeben savet VORAB

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2024:RA2024040303.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber erhob mit Eingabe an die Datenschutzbehörde (DSB) vom 12. Juni 2021 eine Datenschutzbeschwerde, in der er eine Verletzung im „Grundrecht auf Geheimhaltung gemäß § 1 Abs. 1 DSG“ durch die Staatsanwaltschaft K (mitbeteiligte Partei) wegen Weitergabe von Unterlagen (beinhaltend den vollständigen Namen, Anschrift, Handynummer, Geburtsdatum, Geburtsort, Jahreslohnzettel, Personalnummer, Eintrittsdatum in die Justiz, Sozialversicherungsnummer, Krankenstandsdaten und Familienstand des Revisionswerbers, Namen, Sozialversicherungsnummern und Geburtsdaten der drei Kinder des Revisionswerbers) im Rahmen eines Strafverfahrens an einen Insassen jener Justizanstalt, in der der Revisionswerber als Justizwachebeamter Dienst versehe, geltend macht.

2 Ergänzend brachte der Revisionswerber mit Schriftsatz vom 8. Oktober 2021 vor, die Weitergabe des Ermittlungsaktes an den Richter des Landesgerichtes und in weiterer Folge an den Verfahrenshilfeverteidiger des Strafgefangenen sei ohne Anregung der Beschränkung der Akteneinsicht oder teilweiser Schwärzung des Aktes seitens der mitbeteiligten Partei erfolgt. Die Beschränkung der Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren hätte bereits durch die mitbeteiligte Partei erfolgen müssen, zumal ihr der Privatbeteiligtenanschluss der Republik Österreich beinhaltend die obgenannten personenbezogenen Daten bereits am 16. April 2021 zugegangen sei. Die Datenschutzverletzung habe daher die mitbeteiligte Partei zu verantworten.

3 Mit Bescheid vom 29. November 2021 wies die DSB die Datenschutzbeschwerde als unbegründet ab.

4 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

5 Das Verwaltungsgericht legte seiner Entscheidung im Wesentlichen folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Justizanstalt K. habe gegen einen näher genannten Strafgefangenen aufgrund dessen tätlichen Angriffs vom 28. März 2021 am 8. April 2021 Strafanzeige erstattet. Diese habe näher genannte personenbezogene Daten des Revisionswerbers enthalten. Sodann habe die mitbeteiligte Partei gegen den Strafgefangenen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Widerstands gegen die Staatsgewalt und der schweren Körperverletzung gemäß § 84 Abs. 2 StGB geführt. Die Republik Österreich habe sich mit Schriftsatz vom 26. April 2021 dem Strafverfahren als Privatbeteiligte angeschlossen. Dem Schriftsatz seien Auszüge aus den Lohnkonten unter anderem des Revisionswerbers, jeweils eine Berechnung des Lohnfortzahlungsschadens, Unfallmeldungen und Krankenstandsbestätigungen unter anderem betreffend den Revisionswerber angeschlossen gewesen. Diese Unterlagen hätten den vollständigen Namen, die private Wohnadresse, die verletzungsbedingten Krankenstandstage, die Verletzungen, das Jahreslohnkonto 2021 bei der Justiz, die private Handynummer, das Geburtsdatum, den Jahreslohnzettel, die Personalnummer und den Dienstgrad bei der Justizwache, das Eintrittsdatum in die Justiz, die Sozialversicherungsnummer, die Krankenstandsdaten und den Familienstand des Revisionswerbers sowie die Namen, die Adressen, die Geburtsdaten und die Sozialversicherungsnummern der minderjährigen Kinder des Revisionswerbers enthalten.

Ebenso habe der Revisionswerber am 19. Mai 2021 gegen den Strafgefangenen Anzeige wegen gefährlicher Drohung gemäß § 107 StGB erstattet.

Sowohl die Strafanzeige der Justizanstalt als auch der Privatbeteiligtenanschluss mit den jeweils angeschlossenen Beilagen seien in der Verfahrensautomation Justiz (VJ) elektronisch erfasst und in physischer Form zum Ermittlungsakt genommen worden.

Nach Mitteilung der Justizanstalt K. am 20. Mai 2021 über die am nächsten Tag bevorstehende Entlassung des Strafgefangenen aus der Strafhaft habe die mitbeteiligte Partei beim Einzelrichter des Landesgerichtes K. noch am selben Tag unter gleichzeitiger Übersendung des gesamten (ungeschwärzten) Ermittlungsaktes die schriftliche Bewilligung der vorgelegten Festnahmeanordnung und die Verhängung der Untersuchungshaft über den Strafgefangenen beantragt. Vor Übersendung des Ermittlungsaktes an das Landesgericht seien von der mitbeteiligten Partei keinerlei Maßnahmen getroffen worden, die personenbezogenen Daten des Revisionswerbers zu schützen.

Nach Verhängung der Untersuchungshaft am 21. Mai 2021 habe der Einzelrichter des Landesgerichts K. gemäß § 61 Abs. 2 StPO die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers beschlossen und die Zustellung der „StPO‑Form VH 2“ samt einer vollständigen und ungeschwärzten Aktenkopie an den Verfahrenshilfeverteidiger des Strafgefangenen verfügt. Am 6. Juni 2021 seien im Haftraum des Strafgefangenen unter anderem der mit dem Eingangsstempel der mitbeteiligten Partei versehene Privatbeteiligtenanschluss der Republik Österreich mit den personenbezogenen Daten des Revisionswerbers sichergestellt worden.

6 In seiner rechtlichen Beurteilung hielt das Verwaltungsgericht zunächst fest, dass es sich bei den (sich aus dem beim Strafgefangenen sichergestellten Privatbeteiligtenanschluss ergebenden) Daten um personenbezogene Daten iSd Art. 4 Z 1 DSGVO handle, die Übermittlung des Ermittlungsaktes als Verarbeitung iSd Art. 4 Z 2 DSGVO zu beurteilen und die mitbeteiligte Partei als Verantwortliche iSd Art. 4 Z 7 DSGVO zu qualifizieren sei.

Die mitbeteiligte Partei sei im Rahmen der von ihr wahrzunehmenden Aufgaben und der von ihr durchzuführenden Verfahren zur Verarbeitung der hierfür erforderlichen personenbezogenen Daten grundsätzlich gemäß § 74 Abs. 1 StPO iVm § 37 DSG berechtigt gewesen.

Gesetzliche Grundlage für die in Beschwerde gezogene Übermittlung des Ermittlungsaktes mit den darin enthaltenen personenbezogenen Daten des Revisionswerbers an das Landesgericht sei § 101 Abs. 3 StPO.

Ein „(unmittelbar) kausales Handeln“ der mitbeteiligten Partei im Hinblick auf die geltend gemachte Verletzung des Rechts auf Geheimhaltung durch Weitergabe bzw. Offenlegung personenbezogener Daten des Revisionswerbers an den Strafgefangenen habe es nicht gegeben. Vielmehr habe das Landesgericht durch seinen Richter die Akteneinsicht und Übermittlung des Aktes an den Verfahrenshilfeverteidiger gemäß § 52 Abs. 3 StPO gewährt bzw. angeordnet und damit die personenbezogenen Daten an den Strafgefangenen weitergegeben. Die Pflicht zur Ausnahme von der Einsicht von Aktenteilen sei vorliegend dem Gericht oblegen, zumal dieses den Akt geführt habe. Dass die mitbeteiligte Partei das Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht nicht beschränkt habe, habe den Richter des Landesgerichtes nicht von „seiner diesbezüglichen (Prüfungs- und allfälligen Entscheidungs‑)Pflicht“ enthoben. Den einschlägigen Verfahrensordnungen der StPO bzw. des StAG könne nicht entnommen werden, dass die mitbeteiligte Partei vor Übersendung des Ermittlungsaktes an das Landesgericht die Prüfung und Entscheidung bezüglich der Beschränkung der Akteneinsicht zwingend vorzunehmen und bestimmte Aktenteile mit personenbezogenen Daten des Revisionswerbers von der Akteneinsicht auszunehmen gehabt hätte. Die mitbeteiligte Partei habe vorliegend nicht die Pflicht zur Gewährung von Akteneinsicht getroffen, weshalb sie auch nicht verpflichtet gewesen sei, über allfällige Beschränkungen des Rechts auf Akteneinsicht zu entscheiden. Daher gehe auch der Vorwurf des Revisionswerbers ins Leere, die mitbeteiligte Partei hätte vor bzw. bei der Aktenübermittlung gegenüber dem Landesgericht die Beschränkung der Akteneinsicht anregen sollen.

Ebenso wenig würden die StPO, insbesondere § 51 Abs. 2 bzw. § 101 Abs. 3 StPO, sowie auch § 15 DV‑StAG eine „Schwärzung des Aktes bei Übermittlung an das Gericht“ vorsehen. Dies sei auch im Hinblick auf die vom Gericht zu treffende Entscheidung über die Verhängung von Untersuchungshaft nicht zweckmäßig. Die Beurteilung, welche Daten für diese Entscheidung wesentlich seien, obliege dem Gericht.

Eine Verletzung des Revisionswerbers „im Grundrecht auf Datenschutz“ durch die mitbeteiligte Partei sei daher nicht zu sehen.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG hat der Verwaltungsgerichtshof die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Dem angefochtenen Erkenntnis liegt eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Anwendungsbereich der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates (DSRL) (Datenverarbeitung zum Zweck der Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten) zugrunde. Die Umsetzung der DSRL erfolgte im 4. Abschnitt des 2. Hauptstückes sowie im 3. Hauptstück des DSG.

12 Unzweifelhaft handelt es sich bei den mit dem Privatbeteiligtenanschluss der Republik Österreich der mitbeteiligten Partei übermittelten und in weiterer Folge in den Ermittlungsakt aufgenommenen Daten des Revisionswerbers um personenbezogene Daten iSd § 36 Abs. 2 Z 1 DSG. Ebenso stellt die Übermittlung des Ermittlungsaktes durch die mitbeteiligte Partei an das Landesgericht eine Verarbeitung personenbezogener Daten iSd § 36 Abs. 2 Z 2 DSG dar. Schließlich ist die mitbeteiligte Partei in Bezug auf die in dem von ihr geführten Ermittlungsverfahren verarbeiteten personenbezogenen Daten Verantwortliche iSd § 36 Abs. 2 Z 8 DSG. Bei den personenbezogenen Daten des Revisionswerbers handelt es sich um solche einer Person der Kategorie des § 37 Abs. 4 Z 4 DSG (Opfer einer Straftat).

13 Grundsätzlich dürfen die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft und das Gericht gemäß § 74 Abs. 1 erster Satz StPO im Rahmen ihrer Aufgaben die hierfür erforderlichen personenbezogenen Daten verarbeiten.

14 Ausgehend vom festgestellten Sachverhalt hat die mitbeteiligte Partei entgegen dem Vorbringen in der Datenschutzbeschwerde personenbezogene Daten des Revisionswerbers nicht unmittelbar an den wegen des Verdachts des tätlichen Angriffs auf den Revisionswerber beschuldigten Strafgefangenen bzw. dessen Verfahrenshilfeverteidiger weitergegeben. Die Datenschutzbeschwerde ist hinsichtlich der diesbezüglich monierten Verletzung im Recht auf Geheimhaltung bereits deshalb nicht berechtigt.

15 In Bezug auf die geltend gemachte Datenschutzverletzung wegen Weiterleitung des Ermittlungsaktes durch die mitbeteiligte Partei an das Landesgericht ohne Anregung der Beschränkung der Akteneinsicht betreffend personenbezogener Daten des Revisionswerbers bzw. ohne zumindest teilweiser Schwärzung von Aktenteilen bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Pflicht von Staatsanwaltschaften vor Weiterleitung des Aktes an das Landesgericht betreffend Verhängung der Untersuchungshaft „bzw. bei Einbringung eines Strafantrags bzw. einer Anklageschrift ... bei der Verarbeitung [von Daten] besonderer Kategorien (§ 39 DSG) und strafrechtlich relevanter personenbezogener Daten angemessene Vorkehrungen zur Wahrung der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Person zu treffen“.

16 Die einschlägigen materienspezifischen Regelungen zu Datenverarbeitungen gehen als leges speciales den allgemeinen Regelungen des 3. Hauptstücks des DSG vor. Die Regelungen der StPO über Akteneinsicht oder Verständigungspflichten sind als derartige leges speciales anzusehen. Die Auskunft innerhalb der StPO wird typischerweise über die Regelung der Akteneinsicht präzisiert. Zudem wird in den Erläuterungen zu § 74 StPO festgehalten, dass entsprechend § 38 DSG in Ergänzung zur bestehenden Verpflichtung zur Beachtung des Grundsatzes der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Datenverarbeitung durch (ua.) Staatsanwaltschaften geschaffen werden soll (vgl. VwGH 1.2.2024, Ro 2021/04/0013, Rn. 16, mit Hinweis auf RV 65 lgNR 26. GP 164).

17 Vorliegend erfolgte die Übermittlung des Ermittlungsaktes durch die mitbeteiligte Partei an das Landesgericht im Zusammenhang mit deren Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft über den beschuldigten Strafgefangenen.

18 Gemäß § 173 Abs. 1 StPO setzt die Verhängung der Untersuchungshaft einen entsprechenden Antrag der Staatsanwaltschaft voraus. Die Staatsanwaltschaft hat gemäß § 101 Abs. 3 StPO diesen Antrag zu begründen und ihn „dem Gericht samt den Akten zu übermitteln“. Das Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft obliegt gemäß § 31 Z 2 StPO dem Einzelrichter des Landesgerichts.

19 Gemäß § 51 Abs. 1 erster Satz StPO ist der Beschuldigte berechtigt, in die der Kriminalpolizei, der Staatsanwaltschaft und dem Gericht vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs- und des Hauptverfahrens Einsicht zu nehmen. Soweit die im § 162 StPO angeführte Gefahr (Befürchtung eines Zeugen, sich oder einen Dritten durch die Bekanntgabe des Namens und anderer Angaben zur Person oder durch Beantwortung von Fragen, die Rückschlüsse darauf zulassen, einer ernsten Gefahr für Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit auszusetzen) besteht, ist es gemäß § 51 Abs. 2 StPO zulässig, unter anderem personenbezogene Daten, die Rückschlüsse auf die Identität oder die höchstpersönlichen Lebensumstände der gefährdeten Person zulassen, von der Akteneinsicht auszunehmen und Kopien auszufolgen, in denen diese Umstände unkenntlich gemacht wurden. Im Übrigen darf Akteneinsicht nur vor Beendigung des Ermittlungsverfahrens und nur insoweit beschränkt werden, als besondere Umstände befürchten lassen, dass durch eine sofortige Kenntnisnahme von bestimmten Aktenstücken der Zweck der Ermittlungen gefährdet wäre. Befindet sich der Beschuldigte jedoch in Haft, so ist eine Beschränkung der Akteneinsicht hinsichtlich solcher Aktenstücke, die für die Beurteilung des Tatverdachts oder der Haftgründe von Bedeutung sein können, ab Verhängung der Untersuchungshaft unzulässig.

Gemäß § 53 Abs. 1 StPO trifft die Entscheidung über die Akteneinsicht im Ermittlungsverfahren in der Regel die Staatsanwaltschaft (bis zur Erstattung des Abschlussberichtes auch die Kriminalpolizei). Soweit das Gesetz jedoch das Gericht verpflichtet, dem Beschuldigten im Ermittlungsverfahren Akteneinsicht zu gewähren, also in den Fällen des § 52 Abs. 3 erster Satz StPO (Haftfall) und § 53 Abs. 1 zweiter Satz StPO (solange der Beschuldigte in Untersuchungshaft angehalten wird) hat das Gericht auch über deren (allfällige) Beschränkung zu entscheiden (vgl. OGH 29.8.2023, 11 Os 22/23d, mwN, betreffend eine Beschwerde gemäß § 85a Abs. 2 iVm § 85 Abs. 1 und 2 GOG wegen einer behaupteten, vom Einzelrichter des Landesgerichts in Bezug auf das vorliegende Ermittlungsverfahren zu verantwortenden Verletzung im Recht auf Datenschutz). Die diesbezügliche Prüfungs- und allfällige Entscheidungspflicht trifft den Einzelrichter unabhängig davon, ob die Staatsanwaltschaft das Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht beschränkt hat (vgl. wiederum OGH 11 Os 22/23d).

20 Gemäß § 74 Abs. 2 StPO haben die Kriminalpolizei, die Staatsanwaltschaft und das Gericht beim Verarbeiten personenbezogener Daten den Grundsatz der Gesetz- und Verhältnismäßigkeit (§ 5 StPO) zu beachten. Jedenfalls haben sie schutzwürdige Interessen der betroffenen Personen an der Geheimhaltung zu wahren und vertraulicher Behandlung personenbezogener Daten Vorrang einzuräumen. Bei der Verarbeitung besonderer Kategorien (§ 39 DSG) und strafrechtlich relevanter personenbezogener Daten haben sie angemessene Vorkehrungen zur Wahrung der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Personen zu treffen.

21 Im Rahmen der Erhebung personenbezogener Daten zum Zweck der „Ermittlung“ und der „Aufdeckung“ von Straftaten (iSd § 36 Abs. 1 DSG) müssen die zuständigen Behörden alle Daten erheben, die für die Bestimmung der Tatbestandsmerkmale der fraglichen Straftat in einem Stadium, in dem diese noch nicht festgestellt worden sind, potenziell relevant sind. Bei der Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der „Verfolgung“ (iSd § 36 Abs. 1 DSG) geht es hingegen darum, mit diesen Daten die den Beschuldigten zur Last gelegten Taten hinreichend zu beweisen und die zutreffende strafrechtliche Würdigung dieser Taten festzustellen, um dem zuständigen Gericht eine Entscheidung zu ermöglichen.

Bei der Beurteilung der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit einer Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der strafrechtlichen Verfolgung ist zu berücksichtigen, dass die mit diesen Verfolgungsmaßnahmen betraute Behörde in der Lage sein muss, sich auf die Daten zu stützen, die im Laufe der Ermittlungen als Beweis für den strafrechtlich relevanten Sachverhalt erforderlich ist (vgl. zu alldem EuGH 8.12.2022, Inspektor v Inspektorata kam Visshia sabeden savet [Zwecke der Verarbeitung personenbezogener Daten ‑ Strafrechtliche Ermittlungen], C‑180/21, Rn. 53 und 62).

22 Vorliegend erfolgte die Übermittlung der Ermittlungsakten durch die mitbeteiligte Partei an das Landesgericht gemäß § 101 Abs. 3 erster Satz StPO gemeinsam mit dem von ihr zu begründenden Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft. In Bezug auf die damit verbundene Verarbeitung personenbezogener Daten sind gemäß § 74 Abs. 1 erster Satz und Abs. 2 erster Satz StPO die Grundsätze der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit unter Bedachtnahme einerseits auf die Pflicht der Staatsanwaltschaft und des Gerichts zur Objektivität und Wahrheitserforschung gemäß § 3 StPO und andererseits darauf, dass die Entscheidung des Einzelrichters des Landesgerichts über das Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht und dessen allfällige Beschränkung nicht davon abhängt, ob die Staatsanwaltschaft zuvor das Recht des Beschuldigten auf Akteneinsicht beschränkt hat, zu berücksichtigen.

23 Diese Beurteilung unterliegt der einzelfallbezogenen Betrachtung. Dass das Verwaltungsgericht in seiner Beurteilung der Übermittlung des Ermittlungsaktes an das Landesgericht durch die mitbeteiligte Partei zwecks Entscheidung über seinen Antrag auf Verhängung der Untersuchungshaft von den dargelegten Grundsätzen abgewichen wäre, legt die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen nicht dar.

24 Angesichts der einzelfallbezogenen Beurteilung und des Umstandes, dass die vorliegend zu beurteilende Datenverarbeitung der mitbeteiligten Partei in den Anwendungsbereich der DSRL fällt, zeigt die Revision auch mit ihrem Zulässigkeitsvorbringen, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, welche Daten für die Erfüllung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft gemäß § 1 StPO „erforderlich“ iSd DSGVO seien und in weiterer Folge verarbeitet werden dürfen, keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG auf.

25 Abschließend ist festzuhalten, dass im Rahmen der Gewährung von Akteneinsicht nach Verhängung der Untersuchungshaft gegenüber dem beschuldigten Strafgefangenen und Übermittlung einer vollständigen und ungeschwärzten Aktenkopie an dessen Verfahrenshilfeverteidiger durch den Einzelrichter des Landesgerichtes K. dieser gemäß § 51 Abs. 2 StPO verpflichtet gewesen wäre, zu prüfen, ob personenbezogene Daten und andere Umstände, die Rückschlüsse auf die Identität oder die höchstpersönlichen Lebensumstände des Revisionswerbers und seiner Familienangehörigen als möglicherweise gefährdete Personen zulassen, gemäß § 51 Abs. 2 erster Satz StPO von der Akteneinsicht auszunehmen und Kopien auszufolgen sind, in denen diese Umstände unkenntlich gemacht wurden, soweit diese Aktenstücke nicht für die Beurteilung des Tatverdachtes oder der Haftgründe von Bedeutung sein können und deshalb eine Beschränkung der Akteneinsicht in diesem Umfang ab Verhängung der Untersuchungshaft auch unter Bedachtnahme auf § 51 Abs. 2 letzter Satz StPO zulässig ist (vgl. dazu OGH 29.8.2023, 11 Os 22/23d).

26 Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 19. April 2024

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